Читать книгу Für immer und ein Vierteljahr - Sonja Roos - Страница 5
ОглавлениеKapitel 1
Marc warf an einer Ampel einen kurzen Blick in den Rückspiegel und sah, dass er immer noch lächelte. Es fühlte sich gut an, dass er endlich eine Entscheidung getroffen hatte, was auch immer bei der Sache herauskommen würde. Er wollte kein Statist mehr sein in seinem eigenen Leben, er wollte endlich wieder die Hauptrolle übernehmen.
Auf dem Weg zurück zur Kanzlei drehte er gut gelaunt das Radio laut und pfiff zu den Klängen eines belanglosen Popsongs. Einer plötzlichen Eingebung folgend hielt er an einem Schnellrestaurant, um einen Latte Macchiato für seine Vorzimmerdame Frau Kling zu besorgen, weil er um ihre heimliche Vorliebe für solche Kaffeemischgetränke wusste. Er hoffte, dass er sich mit dieser Nettigkeit ihr Schweigen für heute erkaufen konnte, da er vermutete, dass sein Schwiegervater Frau Kling regelmäßig als Spionin einsetzte, um über alles, was er tat, informiert zu sein. Und Marc war nicht erpicht darauf, dass der Alte erfuhr, wer heute sein 12-Uhr-Termin war. Die Vorzimmerdame schien auch Stunden später noch so milde gestimmt, dass sie den Besucher persönlich zu ihm ins Büro führte, anstatt wie sonst die Gegensprechanlage zu benutzen.
»Herr Karmann, Herr Willms ist jetzt hier«, sagte sie und strahlte ihn an, sodass ihre schon faltig gewordenen Züge plötzlich einen Anflug längst verblühter Schönheit bekamen.
»Schicken Sie ihn herein«, sagte er und zwinkerte ihr zu, was ihm einen erneuten, fast liebevollen Blick einbrachte. »Marc«, sagte sein langjähriger Freund und damaliger Trauzeuge, während er an Frau Kling vorbei ins Zimmer kam. Diese blieb erwartungsvoll stehen, bis Marc ihr bedeutete, sie könne gehen, woraufhin sie widerwillig die Tür hinter sich zuzog und die beiden Männer damit endlich allein ließ.
Marc stand auf und umrundete den großen Mahagonischreibtisch, hinter dem er täglich saß, um seinen Freund mit einer Umarmung zu begrüßen. »Hannes, es ist eine Ewigkeit her«, sagte Marc und klopfte seinem Kumpel bei der Umarmung mehrfach kräftig auf die Schulter.
»Nicht meine Schuld, du bist ja immer zu beschäftigt, wenn ich mal Zeit habe. Was gibt es?« Johannes Willms ließ sich in den breiten Ledersessel vor Marcs Schreibtisch sinken. Marc ging zu einem kleinen Sekretär und holte eine Flasche Single Malt heraus, die er seinem Gast entgegenhielt. Wie immer war Johannes Willms nicht abgeneigt. Schon zu Studienzeiten hatte er gerne und oft das Glas gehoben, ähnlich wie Marc, dem jedoch meistens das Geld für ausladende Zechgelage fehlte. Während er die bernsteinfarbene Flüssigkeit in zwei Gläser laufen ließ, betrachtete er seinen Freund. Johannes wog seit ihrer ersten Begegnung mindestens zwanzig Kilo mehr, außerdem hatte sich sein Haaransatz ziemlich weit nach hinten verschoben. Seine geröteten Wangen und sein Wohlstandsbauch waren eindeutige Zeichen, dass er auch heute noch gutem Essen und teurem Alkohol gerne und oft zusprach.
Sie hatten sich an der Uni in Göttingen kennengelernt. Johannes Willms und er saßen im ersten Semester Strafrecht nebeneinander und fanden dabei diverse Gemeinsamkeiten. Ihre Abneigung zu lernen etwa, ihre Lust am Feiern, oder ihr Hang zu schönen Frauen. Es waren wilde erste Jahre gewesen, doch sie kriegten beide die Kurve. Während Marc bei seinem Schwiegervater in eine gut gehende Kanzlei für Wirtschaftsrecht eingestiegen war, betrieb Johannes mit einem anderen ehemaligen Kommilitonen eine mittlerweile florierende Praxis für Familienrecht und hatte sich in der Stadt vor allem einen Namen mit schwierigen Scheidungsfällen gemacht. Marc war bei der Terminwahl für ihr Treffen heute entsprechend zuerst sichergegangen, dass sein Schwiegervater den ganzen Tag außer Haus war.
»Du hast mich doch nicht der alten Zeiten wegen heute hierher gebeten«, sagte Johannes, nachdem er sein Glas geleert und es dann wenig sanft auf die teure Oberfläche von Marcs Schreibtisch gestellt hatte. Frau Kling hätte einen Herzinfarkt bekommen bei dem Anblick. Sie bestand immer darauf, dass die Klienten Untersetzer benutzten, um die wertvollen Kanzleimöbel zu schützen. Marc riss seinen Blick von dem Glas los und blickte seinem Freund nun in die Augen.
»Ich will dich engagieren«, sagte er und sah kurz die Überraschung im sonst so kühl kalkulierenden Blick seines Gegenübers aufleuchten. Ansonsten verriet Johannes’ Gesicht nichts. Das übliche, perfektionierte Pokerface.
»Wenn ich mich recht erinnere, hast du einen ziemlich eindeutigen Ehevertrag«, sagte sein Freund, während er mit einem Nicken andeutete, dass er nichts gegen ein zweites Glas Whiskey einzuwenden hatte. Marc holte die Flasche und schenkte ihnen beiden nach.
»Du erinnerst dich richtig. Wenn kein Wunder geschieht, bin ich im Anschluss arm wie eine Kirchenmaus.«
Johannes nickte. »Und dir ist auch klar, dass dein Schwiegervater dafür sorgen wird, dass du so schnell beruflich kein Bein mehr auf den Boden bekommen wirst? Er ist gut vernetzt, kaum einer wird dich einstellen, wenn der alte von Gödlitz es nicht will.«
Marc nickte bedächtig. »Ich weiß das, darum bist du hier, ich zähle da auf deine Finesse.«
Sie schwiegen beide. Johannes räusperte sich. »Okay, wenn du fest entschlossen bist, dann wollen wir mal sehen, wie wasserdicht die Sache ist. Schick mir den Vertrag zu. Ich werde ihn durchgehen. Wir treffen uns dann …« Er ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen, während seine Finger über den Bildschirm seines Smartphones glitten. »Am Donnerstag, achtzehnhundert, wieder hier?«
Marc blickte zur Tür, hinter der Frau Kling vermutlich trotz seines Bestechungsversuches lange Ohren machte. »Lieber bei dir, es wird so schon genug Gerede geben darüber, dass heute der bekannteste Scheidungsanwalt der Stadt einen Termin beim Gatten von Jana von Gödlitz hatte. Wir wollen doch nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen.«
Johannes lächelte, ein gefährliches Lächeln. »Nein, da hast du Recht, das wollen wir nicht. Komm zu mir nach Hause, Maria kann uns etwas zu essen zaubern«, sagte Johannes mit einem Zwinkern, bevor er den Rest Whiskey zwischen seinen fast wulstigen Lippen verschwinden ließ, die sich anschließend zu so etwas wie einem Lächeln verzogen. Dann rieb er sich die Hände. »Ich freue mich immer über einen dreckigen Streit, vor allem gegen Leute, die meinen, dass sie quasi ein angeborenes Recht darauf haben, zu gewinnen.« Johannes klopfte seinem Freund kumpelhaft auf die Schulter, bevor er mit einem Blick auf seine Rolex aus dem Büro eilte. Marc ließ sich in seinen Stuhl fallen. »Keine Termine mehr für heute, Frau Kling«, sagte er durch die Gegensprechanlage, bevor er sich selbst in den Vertrag vertiefte, der ihn noch an seine Frau band. Noch.
Nachmittags dröhnte ihm der Schädel. Er war die vielen Seiten immer und immer wieder durchgegangen, doch es blieb dabei, er hatte sich damals in Ketten legen lassen. Nichts mit Zugewinngemeinschaft. Ihr Geld, ihre Häuser, ihr Erbe. Alles gehörte ihr, ihm blieb de facto nichts, denn er hatte auch nicht viel gespart, stattdessen gut gelebt von seinem Gehalt, gerade zu Beginn ihrer Ehe. Damals war es ihm wie ein Vermögen vorgekommen, als er seine erste Lohnabrechnung bekam. Er bestand deshalb darauf, die Urlaube zu bezahlen, überraschte Jana mit Schmuck und Geschenken und verrückten Ideen, wie zum Beispiel einfach so nach New York zu fliegen, um Coldplay im Madison Square Garden zu sehen. Und dann war da ja auch noch die Sache mit seinem Vater. Die letzten Jahre hatten viel Geld verschlungen, weil sein Vater neben einer ausgeprägten Alkoholabhängigkeit auch eine veritable Spielsucht hatte. Er verlor Unsummen beim Onlinepoker oder anderen Glücksspielen. War er nüchtern genug, um das Haus zu verlassen (für das Marc im Übrigen ebenfalls bezahlte), trug er sein Geld in die Spielhallen, wobei er zu den meisten im näheren Umkreis bereits Zutrittsverbot hatte. Es wäre ein Leichtes gewesen, seinen alten Herrn seinem Schicksal zu überlassen. Fakt aber war, dass Marc außer seinem Vater keine nennenswerte Familie mehr besaß, und gerade angesichts der Probleme mit Jana und Julius brachte er es nicht übers Herz, auch noch mit ihm zu brechen. Stattdessen bezahlte er die unzähligen Rechnungen, was sich anfühlte, wie gegen eine Hydra zu kämpfen: Hatte man einen Kopf abgeschlagen, wuchsen zwei neue nach.
Marc fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und rieb sich dann mehrfach übers Gesicht, um die Müdigkeit und die beginnende Verzweiflung zu vertreiben. Es lag jetzt alles in Johannes’ geschickten Händen, denn im Moment sah es so aus, dass er nichts zu erwarten hatte. Er ließ sich mit der Stirn auf die kalte, harte Platte seines Schreibtischs sinken und seufzte. Er brauchte jetzt ganz dringend ein Wunder.
Erst das Vibrieren seines Smartphones ließ ihn aus seiner Verzweiflung auftauchen. Er zog das Handy aus seiner Hosentasche und sah aufs Display. Lydia. Sie hatte ihm ein Bild von einem Ring geschickt. »Ich habe schon mal einen ausgesucht. Du hast mich zur glücklichsten Frau gemacht. Viel Erfolg, wenn du es heute der Eiskönigin beichtest. Denk an dich, in Liebe, L.« Marc stöhnte auf und fuhr sich wieder mit den Händen durchs Haar, bis die Strähnen wild von seinem Kopf abstanden. Es gab kein Zurück mehr. Er hatte Johannes kontaktiert, Lydia den Antrag gemacht; er würde die Sache jetzt durchziehen. Egal wie. Mit neuer Entschlossenheit stand er auf und machte sich auf den Weg nach Hause. Er parkte den Porsche Cayenne in der Hofeinfahrt, schlug aber nicht wie sonst den Weg zum Gartenhaus ein, sondern ging zum Haupthaus.
Marc stand einen Augenblick unschlüssig vor der riesigen Eingangstür. Er hatte natürlich einen Schlüssel, aber es fühlte sich komisch an, als würde er in ihre Privatsphäre eindringen. Seine Finger spielten mit dem Schlüsselbund in seiner Hosentasche. Die Entscheidung, ob er einfach aufschließen sollte, wurde ihm abgenommen, als Olga, die Haushälterin, die Tür vor seiner Nase aufriss. »Herr von Gödlitz, Ihre Frau ist oben«, sagte sie. Die Überraschung in ihrer Stimme war deutlich zu hören, da sie den Herrn des Hauses seit geraumer Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Marc überlegte kurz, ob er Olga daran erinnern sollte, dass er immer noch Karmann hieß. Jana war nämlich damals nicht bereit gewesen, sich von ihrem Namen zu trennen und er wollte sich nicht mit fremden Federn schmücken. Also hatten sie beide ihre Namen behalten, Julius hieß natürlich wie sie. Er ließ Olga den Fauxpas durchgehen und nickte nur freundlich, während er an ihr vorbei durch die große, marmorne Halle schritt.
Das Haus war ihm fremd geworden. Es war ohnehin nie wirklich sein Zuhause gewesen, da es ein Geschenk ihres Vaters zur Hochzeit gewesen war. Der alte von Gödlitz hatte ihnen die Schlüssel zu dem Anwesen damals überreicht, zusammen mit den Tickets für die Karibikkreuzfahrt und einem Fiat Spider Cabriolet für Jana. Er zögerte einen Moment an der massiven Holztreppe, bevor er, zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben lief. Er wollte es hinter sich bringen, wollte den Schritt machen, bevor ihn sein Mut wieder verließ. Ohne zu klopfen, öffnete er die Tür zum Schlafzimmer. Jana saß mit dem Rücken zu ihm gewandt vor ihrem Schminktisch. Geistesabwesend fuhr sie mit einer silbernen Bürste durch ihr langes, braunes Haar. Er blieb stehen und räusperte sich, damit sie auf ihn aufmerksam wurde. Sie drehte sich um. Er hatte schon vor langer Zeit verlernt, ihren Gesichtsausdruck zu lesen. Früher hätte er geschworen, eine tiefe Traurigkeit in ihren braunen Augen zu sehen, vielleicht sogar Angst. Doch so abrupt, wie diese Emotionen dort aufgetaucht waren, verschwanden sie auch. Stattdessen betrachtete Jana ihn nun wieder mit unterkühlter Herablassung.
»Was willst du hier? Hast du dich verlaufen?« Die Schärfe ihrer Frage wurde noch betont durch ihre fast bis zum Haaransatz heraufgezogene Augenbraue. Sie drehte sich wieder um und bürstete weiter ihr Haar. So, als sei er ein lästiges Insekt, dessen sie nach eingehender Betrachtung nun überdrüssig war.
»Ich will die Scheidung.« Da, es war heraus. Er spürte, wie seine Beine weich wurden und hätte sich am liebsten dort an der Wand herabgleiten lassen. Nur wollte er ihr diesen Triumph nicht gönnen. Einen Moment schien die silberne Bürste innezuhalten und er meinte, ihre Hand leicht zittern zu sehen, während ihr Rücken ein Stück gerader wurde und sie mit Entschlossenheit die rituelle Bewegung vom Ansatz bis zur Spitze fortführte. Das Schweigen dehnte sich aus. Fast schon glaubte er, dass sie ihn nicht gehört hatte, als sie kaum hörbar die Luft ausstieß und die Bürste mit etwas zu viel Wucht auf dem kleinen Schminktisch absetzte.
»Dein Timing war schon immer bescheiden«, sagte sie, noch immer den Rücken zu ihm gewandt.
»Was hat das mit Timing zu tun? Unsere Ehe ist seit Jahren nicht mehr existent. Wenn überhaupt mit meinem Timing etwas nicht stimmt, dann, dass ich mit diesem Schritt viel zu lange gewartet habe.« Er war ein Stück in den Raum gekommen, um wenigstens im Spiegel ihr Gesicht zu sehen. Es machte ihn schier wahnsinnig, mit ihrem fast schmerzhaft durchgedrückten Rücken reden zu müssen. Plötzlich fuhr sie herum. Ihre Maske hatte eindeutig Risse bekommen, denn auf ihrer hellen Haut machten sich hektische, rote Flecken breit. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, fast so, als sei sie gerannt. Auch, wenn er sich eben noch über ihre kühle Begrüßung geärgert hatte, spürte er nun Mitleid in sich aufkeimen, wie er sie so aufgewühlt und verletzlich dort sitzen sah, sprachlos, mit sich ringend. Er versuchte, etwas weniger barsch zu klingen. »Jana, wir führen doch schon seit Jahren keine Ehe mehr. Nur noch auf dem Papier. So kann es nicht weitergehen.«
Sie hatte sich wieder umgedreht und spielte am Griff der silbernen Haarbürste. »Dir ist schon klar, dass wir einen Ehevertrag haben, Marc.« Ihre Stimme war schneidend wie ein Messer und seine milde Stimmung war verschwunden.
Er verschränkte die Arme und sah sie finster an. »Du kannst an meinem Entschluss nichts mehr ändern. Ich werde zu Lydia ziehen, Olga soll meine Sachen packen. Alles Weitere können wir durch Anwälte klären lassen.«
Marc fühlte sich zum ersten Mal seit Jahren lebendig, er war endlich aktiv geworden. Egal, wohin ihn dieser Schritt brachte, dieser Moment hatte etwas Rauschhaftes nach all den Jahren, in denen er sein Leben untätig durch seine Finger hatte gleiten lassen. Sie hatte ihn im Spiegel betrachtet, doch nun wandte sie den Blick von ihm ab und starrte stattdessen auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen und noch immer den Griff der silbernen Bürste umklammert hielten. Sie schwieg weiter.
»Wenn du mir sonst nichts mehr zu sagen hast, dann gehe ich jetzt packen.« Er drehte sich um und zog die Tür hinter sich zu. Erleichterung durchströmte ihn, er hatte es getan. Er war stolz auf sich und das war er schon lange nicht mehr gewesen. Seine Füße flogen mit jungenhafter Leichtigkeit die große Treppe hinunter.
Das Gartenhaus war eher ein Gästehaus. Es war groß, mit vier Schlafzimmern und zwei Bädern und einem eigenen kleinen Pool auf der Terrasse. Er hatte das Haus immer gemocht. Es war anheimelnder als der große Palast, den sie zu Beginn ihrer jungen Ehe bezogen hatten. Das Gartenhaus besaß irgendwie Charakter, Wärme. Er würde es vermissen. Marc nahm einen tiefen Schluck aus seinem Whiskeyglas und ließ seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen. Den Fernseher würde er mitnehmen, ebenso die teure Dolby-Surround-Anlage. Ein paar Bücher und das Bild, auf dem Julius mit einer Zahnlücke lächelte. Mehr gehörte ihm hier nicht. Er lief wieder ins Schlafzimmer und begann, wahllos Kleidungsstücke aus dem Schrank in seinen Koffer zu werfen, als es klopfte. Er nahm an, dass Olga kam, um ihm beim Packen zu helfen und rief einfach »Herein«, ohne nachsehen zu gehen. Er hörte, wie die Tür sich öffnete und wieder schloss und vernahm leise Schritte, die vor seinem Schlafzimmer Halt machten.
»Olga, Sie können im Bad beginnen. Die Sachen im oberen Schrank zuerst«, sagte er, ohne sich umzudrehen. Das sanfte Räuspern, das er daraufhin vernahm, kam eindeutig nicht von der eher rustikalen Haushälterin. Marc drehte sich überrascht um. Sie stand in der Tür, so wie er eben. Unsicher, weil es sein Terrain war. Ihr Blick huschte durch den Raum. Marc konnte sich nicht daran erinnern, wann sie zum letzten Mal hier drin gewesen war. Sie, so hatte es den Anschein, ebenfalls nicht, denn sie nahm erst einmal alles um sich herum auf, ehe sie ihn wieder ansah.
»Ich will mit dir reden«, sagte sie dann und drückte, wie es ihre Gewohnheit war, ihren Rücken dabei durch.
»Es gibt nichts mehr zu reden, Jana. Es ist alles gesagt«, antwortete er betont ruhig und drehte sich wieder zu seinem Koffer um, als er hörte, wie sie tief Luft holte und ein zittriges »Bitte, Marc« ausstieß. Sie wartete nicht ab, ob er ihrer Bitte Folge leisten würde, sondern ging einfach voran in seine Küche. Er starrte auf die leere Stelle an der Schlafzimmertür, an der sie gerade noch gestanden hatte und schüttelte verwundert den Kopf. Seit Jahren hatte Jana ihn nur noch angeschwiegen, er fragte sich, warum sie nun reden wollte. Neugierig ging er hinter ihr her. Sie hatte an der Küchentheke Platz genommen, die sich in der Mitte des Raumes rund um eine Kochinsel schmiegte und an der vier Barhocker zum Verweilen beim Kochen einluden. Wieder sah er auf ihren Rücken, der gespannt wirkte wie ein Bogen kurz vor dem Abschuss. Die einzige Bewegung kam von ihrem braunen Pferdeschwanz, der über ihre Schultern fiel und sachte hin und her schwang.
»Ich habe dir ein Angebot zu machen«, sagte sie geschäftsmäßig. Er spürte ob ihres herablassenden Tons den alten Zorn in sich aufsteigen.
»Sieh mich wenigstens an, wenn du mit mir redest, ich bin nicht einer deiner gottverdammten Angestellten«, brach es aus ihm heraus, während er ihr das Wort abschnitt. Sie zuckte kurz zusammen, als hätte er sie geohrfeigt. Wieder der tiefe Atemzug. Dann, ganz langsam, fuhr sie auf dem drehbaren Barhocker zu ihm herum. Der Blick aus ihren kaffeebraunen Augen kam voller Verachtung auf seinem Gesicht zum Ruhen. Ihre eine Augenbraue fuhr wieder in den Haaransatz, bevor sie bemüht ruhig erneut das Wort ergriff. »Ich weiß, dass du pleite bist, dass du deinen Job verlieren wirst und damit auch für deinen Vater die Geldquelle versiegt. Du müsstest dann auf all das hier verzichten, weil wir das damals so festgelegt haben. Und ich weiß, wie sehr du Armut hasst, weil du weißt, wie sie sich anfühlt.«
In diesem Moment hasste er sie. Dafür, dass sie den Finger auf seinen wunden Punkt legte, dass sie ihn daran erinnern musste, wie erbärmlich er dastehen würde ohne sie.
»Worauf willst du hinaus, Jana?«, fragte er, sich nur mühsam beherrschend.
»Ich biete dir an, auf den Ehevertrag zu verzichten. Ich teile alles mit dir und ich werde meinen Vater bitten, dich nicht rauszuschmeißen, auch wenn wir geschieden sind.«
Die Überraschung über ihr Angebot ließ ihn etwas taumeln, so als hätte ihn ein unsichtbarer linker Haken getroffen. Er ließ sich auf einen Stuhl etwas entfernt von ihr fallen. »Und was bitte willst du als Gegenleistung?«, fragte er, denn ihm war klar, dass sie solche Angebote nicht aus Nächstenliebe offerierte.
»Ich will ein Vierteljahr, Marc. Du wirst drei Monate wieder mit uns leben. Du wirst deine Geliebte in dieser Zeit nicht sehen und nicht kontaktieren. Du wirst versuchen, eine Beziehung zu Juli aufzubauen, denn er braucht dich gerade mehr denn je.« Sie schluckte kurz, bevor sie weitersprach. »Zudem wirst du dein Bestes auf der Arbeit geben, damit mein Vater keinen Grund hat, sich später nicht an die Abmachung zu halten. Das sind meine Bedingungen.« Ihr Blick ließ keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit ihrer Worte und doch glaubte Marc, sich verhört zu haben. »Um mich mehr um unseren Sohn zu kümmern, muss ich doch nicht wieder mit dir unter einem Dach leben«, sagte er perplex.
»Mein Geld, meine Bedingungen«, schoss sie zurück.
»Du bist irre. Du bist vollkommen übergeschnappt. Warum solltest du das wollen? Ich habe dir eben gesagt, dass ich die Scheidung will.«
Sie schluckte hörbar. »Ich habe meine Gründe, aber die können dir egal sein. Du kannst auf mein Angebot eingehen und nach dem Vierteljahr mit der Hälfte unseres Vermögens und erhobenen Haupts aus der Sache rausgehen, oder du kannst wie ein feiger Hund das Weite suchen. Doch ich garantiere dir, du wirst den Absturz aus dieser Höhe nicht überstehen. Genauso wenig, wie deine Beziehung mit diesem Betthäschen, denn jeder weiß, dass sie dein Geld mindestens genauso anziehend findet wie dich.« Ihr Blick blieb vielsagend an seiner Kreditkartenabrechnung hängen, die auf dem Küchentisch lag. »Ganz zu schweigen von deinem alten Herrn, der dann niemanden mehr hat, der ihn bei den diversen Inkassounternehmen auslöst. Mach dir nichts vor, Marc, ohne Geld bist du nichts wert, nicht für sie, nicht für deinen Vater und nicht mal für dich selbst.« Marc ballte seine Hände zu Fäusten, damit er nicht aufsprang und sie ihr um ihren schlanken, gemeinen Hals legte. Miststück.
»Mehr als das«, sagte sie und stand betont grazil auf. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er die Beleidigung laut ausgesprochen hatte. Sie ging in Richtung Tür, drehte sich dann aber noch einmal zu ihm um. »Ich gebe dir bis morgen Abend Zeit, mein Angebot zu durchdenken, Marc. Rede mit deiner Gespielin. Sie wird es sicher verstehen, zumal du ihr danach weiterhin ihren durchaus aufwändigen Lebensstil finanzieren kannst.«
»Das ist Erpressung, Jana, dafür solltest selbst du dir zu schade sein«, sagte er verächtlich. Doch sie zuckte nur die Schultern.
Die Hand schon am Türgriff, drehte sie sich noch einmal zu ihm um. »Oh, und du wirst mich in diesen drei Monaten auf Händen tragen. Und das meine ich nicht im übertragenen Sinne. Ich will, dass du mich jeden Morgen die Treppe herunter und jeden Abend wieder hinaufträgst. Das sind meine Bedingungen.« Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen wie einen Idioten, mit offenem Mund und ungläubigem Blick.