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Die Villa schlief. Körniges Licht lag auf ihren Holzstufen. Noch waren sie unberührt. Man konnte spüren, ob jemand sie betreten hatte, man musste nur den Kopf ein wenig zur Seite neigen und ins Halbdunkel lauschen. Und dann war da der Atem, lautlos und unbewegt, ein Atem wie kurz vor dem Erwachen. Niemand außer ihr hörte den Atem der Villa.

Ellen ließ ihren Blick über das Ölbäumchen auf dem Fenstersims gleiten, bevor sie aus dem Türrahmen trat und in ihre Wohnung zurückkehrte. Die Stille im Treppenhaus war schön, jeden Morgen aufs Neue.

Sie öffnete die Fensterläden in ihrer Küche. Sechsuhrfünfzehn. Im Stift brühten sie gerade Kaffee für die Stationen auf. Noch war die Baustelle schräg gegenüber verwaist. Schlaff hing das Gerüstnetz zwischen den Metallstreben. Sie schob die Gardine vor und bereitete sich ein üppiges Frühstück zu. Bevor der Baulärm begann, saß sie längst im Wohnzimmer, das nach Osten zeigte und auf den rückwärtigen Garten hinausging. Irgendwann kehrte wieder Frieden in der Straße ein. Erst gestern hatte sie einer Freundin im Kino erzählt, wie gut es tat, nicht mehr arbeiten zu müssen und sich später noch behaglich durch die Spätsendungen gezappt. Eine kleine Stadtvilla pflegen statt gebrechlicher Menschen, gar nicht so schlecht. Sie biss in ihr Wurstbrötchen. Während des Frühstücks ging sie die Besorgungen des Tages durch. Wandfarbe und Klebeband, dazu Pinsel vom Baumarkt. Nachher würde sie die Wände des Wäschebodens vom Schimmel befreien und die nassen Flecken übertünchen. Im Flur raschelte es. Bella schoss in die Küche und schlug ihre ausgefahrenen Krallen in den Sisalstamm. Zwei Sätze, und sie blickte triumphierend von der obersten Plattform des Kratzbaumes auf den gedeckten Tisch. Verrücktes Vieh.

Es war zehn Uhr, als Stimmen von der Straße zu ihr hereindrangen. Maren stand mit zwei Männern vor dem Gartentor und bat sie schließlich in die Villa. Zwei Männer. Der eine schmal und groß, mit blütenweißem Hemd unter der Lederjacke und Bluejeans, der andere korpulent. Nein, dick.

Ellen eilte in den Flur und presste ein Auge an den Spion, doch sie waren schon in der Wohnung gegenüber verschwunden. Kurze Zeit später folgten sie Maren durchs Treppenhaus. Im Geiste zählte sie die Stufen mit. Zweiter Stock! Die helle Stimme des Studenten ertönte, dann eine dunklere, ruhig und bestimmt. Was wollten die von Joschua? Jetzt verebbte das Gespräch, aber niemand kam herunter. Es ging hoch ins Dachgeschoss.

Der Dachboden!

Wahllos zerrte Ellen Blusen aus dem Kleiderschrank, ließ in der Dusche Wasser darüber laufen und hastete mit der eingeweichten Wäsche die Stufen hinauf. Am letzten Treppenabsatz hielt sie inne. Ihr Atem ging schwer. Sie war fünfzig und übergewichtig; dazu hatte die Neugier sie schneller als sonst die Stufen hinauf und ihr die Luft aus den Lungen getrieben.

»Guten Morgen.« Der Große mit der Lederjacke lächelte freundlich. Er trug Latexhandschuhe. »Kriminalpolizei. Steiner.« Sein Blick glitt über ihren Wäschekorb. »Und Sie sind?«

»Ellen Beetz. Ist was passiert?«

»Kennen Sie den Mieter dieser Dachmansarde näher?«

»Herrn Fischer? Nein, der wohnt doch erst seit zweieinhalb Monaten hier. Wieso?« Ihr Atem schnarrte.

»Wann haben Sie ihn denn das letzte Mal gesehen?« Der Kommissar postierte sich vor der Tür zum Dachboden und versperrte ihr die Sicht. Wo waren Maren und der Dicke?

»Gestern Mittag. Bei den Mülltonnen habe ich ihn kurz gesehen. Hat er was verbrochen?«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Bloß so.«

»Herr Fischer ist gestern tot aufgefunden worden.«

Unwirklich drangen die nächsten Worte des Kommissars an ihr Ohr, die von einer Ermittlung sprachen.

»Tot?… Ist er da drin, in seiner …?« Sie schnappte nach Luft. Wie viele Tote hatte sie im Stift gesehen, aber hier im eigenen Haus, und noch dazu ein junger Mann. Die Vision eines wächsernen Gesichtes trat vor ihre Augen, und mit diesem Bild setzte der Schwindel ein. Sie spürte das Treppengeländer in ihrem Rücken und einen festen Griff an ihrem Oberarm, während ihr der Kommissar riet, sich zu setzen. Von der Treppe aus wirkte er riesig.

»Keine Ahnung, warum er seine Mansarde nicht abgeschlossen hat. Vielleicht, weil hier jeder jedem vertraut.« Maren trat aus der Dachetage. »Herr Boehm im ersten Stock könnte zu Hause sein, der macht seinen Weinladen erst gegen Mittag auf. Und Frau Kücherer. Die Gute ist etwas vergesslich und manchmal verwirrt. Soll ich mitgehen?«

»Nicht nötig. Mein Kollege kennt sich mit Demenz aus, das ist in Ordnung.«

»Wie wahr.« Unter dem Arm des korpulenten Polizisten, der nun vom Dachboden kam, klemmte ein Laptop. »Das nehme ich mit. Und werde bei Bedarf nochmal auf ihr freundliches Angebot zurückkommen.«

Er nickte Maren zu. Ächzend begleiteten die Holzdielen seinen Abstieg.

Kurz darauf ertönte aus dem ersten Stock die Türklingel, und wenig später die erfreute, zu laute Stimme der Mieterin.

Die treuherzige Kücherer. Jetzt würde sie mit ihrem Rollstuhl wenden und ihm voraus in ihre Küche fahren, um ein Gläschen Port aus dem Schrank zu holen. Hauptsache Unterhaltung.

Ellen rappelte sich auf und zog ihre Bluse über den Hosenbund.

Prüfend sah der Kommissar sie an, bevor Maren in seinem Rücken fragte, ob sie noch etwas tun könne.

»Ihr Gedächtnis nach auffälligen Dingen durchforsten«. Er reichte ihr eine Visitenkarte und ließ sie am Treppenabsatz stehen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich daran erinnerte, dass sie nicht allein war.

»Geht’s wieder?«

Ellen nickte. Unter ihnen, im zweiten Stock rechts öffnete sich die Tür. Die freundliche Stimme Steiners blieb unerwidert, bis Viktor Boehm ihn hereinbat. Stille senkte sich über das Treppenhaus. Doch diesmal war es keine schöne Stille.

Auch Maren war ohne ein weiteres Wort den Weg nach unten angetreten. Wieso redete sie nicht mit ihr? Ellen nahm ihren Wäschekorb und lief hinterher. Kurz bevor sie das Erdgeschoss erreichte, schnappte die Tür gegenüber ihrer Wohnung zu. Unschlüssig stand Ellen in der Diele, bevor sie ebenfalls in ihre Wohnung ging.

»Was für ein Angebot?«, simste sie, während sie Bella auf ihrem Schoß mit der freien Hand durchs Fell strich. Doch ihr Handy blieb stumm.

Ein toter Mieter in der Villa. Das brachte Unglück. Neun Monate hatte sie stillgehalten, die Villa, wie bei einer Geburt. Und dann gebar sie diese Brut.

Draußen schlug die Haustür zu, die beiden Männer stiegen in einen olivgrünen Mercedes. Was sie wohl auf dem Laptop von Torben Fischer finden würden? Dieser nette Mensch, der für jeden ein freundliches Wort auf den Lippen trug und sich so gut in die Gemeinschaft integriert hatte.

Das Schrillen der Türklingel riss sie aus ihren Gedanken. Maren ließ sich nicht lange hereinbitten und ging schnurstracks ins Wohnzimmer durch.

»Der Fischer ermordet! Das gibt’s doch gar nicht. Was für ein Glück, dass sie ihn nicht in seiner Mansarde abgestochen haben.« Sie schob zwei Plüschkissen zur Seite und ließ sich auf das Sofa nieder.

»Tee?« Beinahe hätte ihre Stimme versagt, dabei war es doch nur Maren, die schon wieder so frisch aussah, als sei nichts gewesen. Sie hatte neuen Lippenstift aufgelegt, und der Nasenstecker funkelte wie ein Diamant aus dem gebräunten Gesicht.

»Hast du nichts Stärkeres?«

Ellen fing ein Lächeln auf, das nach Verzweiflung aussah. Sie war wohl doch nicht die Einzige, die ein Mord im Haus aus der Fassung brachte. Und was würde erst Hanna Vers aus dem zweiten sagen. Die wohnte direkt unter ihm. Sie ließ die Teekanne in der Küche links liegen und entnahm der Vorratskammer eine Flasche Pfirsichlikör. Etwas anderes bekam sie um diese Uhrzeit nicht herunter.

Als sie zurückkam, saß Maren auf der vorderen Kante des Sofas, als habe sie Angst, in seine Tiefen gezogen zu werden. Hinter ihr krochen die Strahlen einer späten Märzsonne übers Polster. In diesem Licht sah es aus, als regne es Staub.

»Die haben gefragt, wer für die Villa zuständig ist.« Maren nahm das gefüllte Glas entgegen, leerte es auf Ex und schüttelte sich. »Boah, also echt.«

»Und dann?«, hörte Ellen sich fragen und nippte am Likör.

»Gings weiter wie im Film. Dieser Steiner hat mir seinen Ausweis gezeigt und gefragt, ob sie reinkommen können. Kaum waren wir in der Wohnung, sagt er: Herr Fischer wurde heute Morgen tot im Park gefunden.«

»Im Park?« Bella, die um ihre Beine schnurrte, nahm Reißaus. »In welchem?«, fragte Ellen leiser nach.

»Im Sinaipark. Ein paar Meter von hier! Abgestochen.« Die Flasche Pfirsichlikör wanderte in Marens Hand und nach wenigen Sekunden auf den Tisch zurück. »Eiskalt abgestochen. Und jetzt kommt das eigentlich Krasse.«

Der Staub im Sonnenlicht stand still. Ellen blinzelte. Sie war sich nicht sicher, ob sie das hören wollte. Was konnte denn noch krasser sein, als abgestochen im Park zu liegen?

»Der Typ war Immobilienmakler. Und jetzt rate mal, bei welcher Firma.« Marens Augen blitzten auf, Ellen kannte dieses elektrisierte Braun, Kurzschlussaugen nannte sie es bei sich, wenn Maren wirklich wütend war, und wie von diesem Stromschlag getroffen, schlug der Blitz der Erkenntnis unbarmherzig nun auch bei ihr ein, und sie erfasste mit einem Mal das wirkliche Ausmaß der Situation.

»Er sagte doch, er nimmt eine Auszeit«, hörte sie sich krächzen, »von seinem Bürojob und seiner Ehe. Einmal habe ich sogar ein Streitgespräch am Telefon mitbekommen.«

»Seine Scheidungsgeschichte stimmt. Das, was er von seiner Tussi erzählt hat, kann man nicht erfinden. Aber alles andere.« Maren winkte ab. »Er hat sich ja ausrechnen können, dass er den Dachboden nicht kriegt, wenn wir gewusst hätten, für wen er arbeitet.«

»Und jetzt?«

»Jetzt hat sich seine Frau die Scheidung gespart.« Maren lächelte, dass es einen gefrieren konnte. »Vielleicht lernen wir sie kennen, wenn sie seine Sachen abholt. Ich bin gespannt.«

Faule Mieten

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