Читать книгу Elizas zauberhafte Weihnacht - Sophia Farago - Страница 5
Оглавление1
„Pfui Teufel! Da ist der Köchin wohl der Topf mit Piment in die Taubenpastete gefallen! Du musst sie auf das Schärfste rügen, Martha!“ Mrs. Fenwich warf ihrer Tochter einen strengen Blick zu. Ihre Jüngste, die ohnehin schon von so kleiner Statur war, dass sie in ihrem hohen Lehnstuhl eher wie ein Schulmädchen wirkte, das sich an die Tafel der Erwachsenen verirrt hatte, als wie die Hausherrin, die sie in Wirklichkeit war, schien noch ein wenig mehr zu schrumpfen. „Selbstverständlich, Mama.“
„Man hat sein Personal im Griff zu haben! Ich dachte, das hätte ich dir beigebracht.“ „Selbstverständlich hast du das, Mama.“
Eliza, die hochaufgerichtet zur Linken ihrer kleinen Schwägerin saß, konnte nur mit Mühe ein unwilliges Schnaufen verhindern. So setz dich doch endlich gegen deine Mutter zur Wehr, Martha, du Hasenfuß!, dachte sie im Stillen. Du bist eine verheiratete Frau, du brauchst dir nicht mehr alles gefallen zu lassen! Nur dein Ehemann könnte dir verbieten zu sagen, was du denkst.“
Sie blickte zu Fred, ihrem Bruder, hinüber, der mit regungsloser Miene am Kopfende des Tisches saß und schweigend aß. Er hätte Martha sicher nicht den Mund verbeten. Andererseits: Konnte er ihr nicht einmal beistehen? Er musste doch längst erkannt haben, wie sehr seine Frau unter dem Besuch ihrer Mutter zu leiden hatte.
Doch Fred Granwood, Viscount of Shedwire, dachte offensichtlich gar nicht daran, einzugreifen, sondern nahm mit stoischer Ruhe den nächsten Bissen des Kräuterpuddings, der mit der Taubenpastete serviert wurde. Fred war ein phlegmatischer Mann Ende zwanzig. Seine füllige Statur wies auf die Vorliebe für gutes Essen, seine gebräunte Gesichtsfarbe auf die Tatsache hin, dass er sich bevorzugt in freier Natur aufhielt. Er hasste jede Art von Auseinandersetzung und liebte stattdessen die Beschaulichkeit und Harmonie. Nicht nur in der Vorweihnachtszeit. Leider war seine verwitwete Schwiegermutter am Vortag überraschend wie ein eisiger Sturm in seine beschauliche Welt gefegt und hatte verkündet, bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag bleiben zu wollen. Nun, wenn die Gute schon meinte, seine Ruhe so brüsk stören zu müssen, so würde er ihr zumindest keinen Anlass geben, sie restlos zu zerstören. Man schrieb den 22. Dezember 1811, es war drei Tage vor Weihnachten. Irgendwie würde er die Zeit schon überstehen, und in einer Woche war Mylady längst wieder abgereist und niemand mehr würde sich für ihre spitzen Bemerkungen interessieren. Wozu sollte er sich also unnötig echauffieren?
Eliza konnte sich nicht entscheiden, was sie wütender machte: Myladys ungebetene Angriffe oder die Gelassenheit, mit der ihr Bruder diese hinnahm. Sie selbst hatte gute Lust einzugreifen, allerdings keine Ahnung, wie sie dies mit der gebotenen Höflichkeit tun könnte, ohne zusätzliches Öl ins Feuer zu gießen. Mrs. Fenwich hatte ihre drei Töchter zu kleinen, stillen Duckmäuserchen erzogen. Elizas selbstständige Art und ihr offenes, selbstbewusstes Wesen waren ihr daher ein Gräuel. Sie konnte machen, was sie wollte, stets hatte Mylady etwas an ihr auszusetzen. Eliza seufzte.
Das hätte sie wohl besser nicht getan. Mrs. Fenwich, die sich trotz ihrer Rüge wieder hingebungsvoll der Taubenpastete gewidmet hatte, fuhr auf. Hatte dieses unmögliche Wesen, das ihr gegenüber saß, wirklich unwillig geschnauft? Höchste Zeit, dass sie das Mädchen in die Schranken wies, wenn das hier schon sonst niemand tat. Sie musterte Eliza mit einem unverhohlen prüfenden Blick. Ein Blick, den die andere, statt sittsam die Augen zu Boden zu schlagen, wie es sich für eine unverheiratete Frau geziemt hätte, mit einem ebenso offenen, ja fast schon trotzigen Blick beantwortete.
„Entdecke ich da ein graues Haar in deinen dunklen Locken, Elizabeth?“, lautete Myladys ebenso überraschende wie bösartige Frage.
„Aber, Mama!“, entfuhr es ihrer Tochter. Erschrocken legte sie sich die Hand vor den Mund und murmelte eine Entschuldigung. Es stand ihr nicht zu, ihre Mutter zu korrigieren. Selbst jetzt nicht, da sie den Viscount of Shedwire geheiratet hat und nun als Viscountess eigentlich im Rang über ihrer Mutter stand. Sie hatte keine Hoffnung, dass Mama das ebenso sah. Ihr Gatte blickte kurz von seinem Mahl auf und schwieg weiterhin. Was hätte man auch anderes erwarten können?
„Mein Name ist Eliza, Mylady. Und ich bin froh, sagen zu können, dass Sie sich sicher irren. Ich bin schließlich erst dreiundzwanzig.“ Es klang etwas zittrig und daher nicht ganz so souverän, wie es sich Eliza gewünscht hätte. Darum blieb der Blick trotzig.
„Das Licht ist schlecht. Man kann sich leicht irren“, meldete sich seine Lordschaft nun doch zu Wort. Das war seine Art, den Versuch zu unternehmen, die Harmonie wieder herzustellen. Er hatte es nicht für notwendig empfunden, seine Frau zu verteidigen, doch er kannte seine Schwester. Sie würde nicht so schnell klein beigeben. Und er kannte seine Schwiegermutter … O Gott, o Gott, was hatte er sich bloß dabei gedacht, ihrem Bleiben zuzustimmen?
„Dreiundzwanzig Jahre!“ Mrs. Fenwich hatte keine Ohren für ihren Schwiegersohn. Stattdessen hob sie theatralisch die Hände gegen die Zimmerdecke. „Und noch immer nicht unter der Haube! Ja, bist du dir deiner Pflichten nicht bewusst? Man sollte meinen, eine junge Lady aus einer der ältesten Familien des Landes wüsste, was man von ihr erwartet.“
Das war einer der seltenen Augenblicke, in denen es sogar dem Viscount zu dumm wurde. „So ein Blödsinn!“, fuhr er auf. „Eliza war verlobt, das wissen Sie doch. Ihr Verlobter ließ vor drei Jahren auf dem Schlachtfeld in Spanien sein Leben für König und Vaterland. Also lassen Sie meine Schwester in Ruhe!“
Eliza warf ihm einen dankbaren Blick zu. Manchmal benahm sich sogar Fred wie ein Mann. Sie selbst hätte beim besten Willen nicht gewusst, wie sie dem ungehörigen Angriff mit Anstand hätte begegnen sollen.
Es stimmte, Edward war am 21. August 1808 in der Schlacht von Vimeiro in Spanien gefallen. Die englischen Truppen hatten damals die Franzosen zwar bravourös besiegt, doch die Auseinandersetzung hatte viele Opfer gefordert. Edward war eines von ihnen gewesen.
Während Fred, in der trügerischen Hoffnung, dass nun Ruhe einkehren würde, schweigend das nächste Stück Taubenpastete in Angriff nahm, seufzte Eliza abermals. Dieses Mal aufgrund ihrer Erinnerungen. Wie lange war das doch schon her! Drei Jahre und vier Monate, wenn sie es genau bedachte. Die Trauer hatte sich in der Zwischenzeit verflüchtigt, der Schmerz, einen engen Vertrauten verloren zu haben, war geblieben. Edward war ein guter Kamerad gewesen, ihr Spielgefährte seit Kindertagen. Natürlich hatte sie ihn geliebt. So wie man einen guten Freund eben liebt. Nein, es war nicht diese romantische Verbundenheit gewesen, über die man in Romanen gerne las. Nicht die tiefe Liebe, die ihre beste Freundin und Nachbarin Clara mit Lord Robert Linward, dem Earl of Bromley, Edwards älterem Bruder, offensichtlich erlebte. So groß ihre Trauer auch gewesen war, Edwards Tod war sicher nicht der Grund dafür, dass sie noch immer unverheiratet war. Der Grund war eher der, dass es keinen geeigneten Bewerber gab. Sie kannte alle jungen Männer im Umkreis seit vielen Jahren. Unter ihnen war keiner, der in ihr auch nur den Hauch eines romantischen Gefühls zu erwecken vermochte. Sie war schon einmal eine rein freundschaftliche Beziehung eingegangen, sie wollte dies nicht noch einmal tun. Das nächste Mal, so hatte sie sich an Edwards Grab geschworen, würde sie auf den Richtigen warten. Auf ihre große Liebe. Dumm nur, dass sich diese bisher noch nicht hierher nach Salisbury verirrt hatte. Und von einem Debüt in London hat sie leider vergeblich geträumt. Ihr Bruder war viel zu bequem und dem Landleben viel zu zugeneigt, um sich den Qualen der Großstadt, wie er es nannte, auszusetzen. Andere Verwandte, die sie um Hilfe hätte bitten können, gab es nicht. Also blieben die harmlosen Vergnügungen in Salisbury, die sie in Begleitung ihrer Schwägerin besuchte, und das ständige Hoffen, es möge eines Tages ein Wunder geschehen und den Mann ihrer Träume wahrhaftig werden und erscheinen lassen. Und da gab es noch etwas, was ihre Partnersuche in höchstem Maße erschwerte: Immer wenn sich ein Fremder in die Gegend verirrte und sie das Glück hatte, dass man sie einander vorstellte, dann … Myladys nächste Worte rissen sie aus ihren Gedanken.
„Es ist Krieg, mein Guter, da gehört das Sterben nun einmal dazu“, antwortete sie seiner Lordschaft kühl. „Wenn ihr wüsstet, wie viele Freunde ich bereits auf dem Schlachtfeld verloren habe. Da hätte ich sicher jede Menge Grund zur Klage. Aber weder jammere ich herum, noch vernachlässige ich meine Pflichten. Ich weiß eben, was von einer Lady aus bestem Haus erwartet wird.“
Also das war ja wohl wirklich zu arg! Während Eliza nach Luft schnappte, war Mrs. Fenwich nicht zu bremsen: „Von einer Lady erwartet man, dass sie ab einem gewissen Alter ihren eigenen Haushalt führt und nicht mehr ihrem Bruder auf der Tasche liegt.“
Seine Lordschaft brummte etwas Unverständliches und leerte sein Weinglas mit einem Zug. Eliza hatte gute Lust, aus dem Zimmer zu stürmen.
„Man erwartet von einer Lady, dass sie aufhört, ihrer Schwägerin ständig in die Angelegenheiten der Haushaltsführung hineinzureden. Martha und nur Martha ist jetzt die Herrin auf Granwood Manor. Das muss auch eine alte Jungfer, wie du es bist, zur Kenntnis nehmen, Elizabeth.“
Die kleine Lady Martha erwies sich überraschend als die Mutigste am Tisch, wenn auch nur für einen Augenblick: „Mama, also wirklich, du bist zu streng … Entschuldigung!“ Ein eisiger Blick ließ sie wieder in ihr Schweigen zurückfallen.
„Wenn du schon keinen passenden Gatten findest, Elizabeth, was aufgrund deiner aufmüpfigen Art niemanden ernsthaft verwundert, dann …“ Mylady tupfte ihren Mund mit der Serviette ab, um die Dramatik ihrer nächsten Worte zu steigern. Wenn die wüsste, dachte Eliza bitter. Von wegen aufmüpfige Art! Ganz, ganz dumme, schüchterne Art hätte es bei Weitem besser getroffen. Es war eine unerwartete Scheu, die sie in den letzten Jahren immer dann überkam, wenn ihr ein halbwegs passender Gentleman vorgestellt wurde. Bei Frauen, Verwandten und gegenüber der Dienerschaft war sie fröhlich und selbstbewusst. Kaum streifte sie jedoch der prüfende Blick eines passenden Heiratskandidaten, da überfiel sie der innige Wunsch, es möge diesmal endlich der Richtige sein. Damit wuchs die Angst, einen Fehler zu begehen, und ihr Selbstbewusstsein sank in derselben Minute auf den Nullpunkt. Wie auf Kommando schlug sie stets die Augen zu Boden. Gut, das konnte man als mädchenhaft und einer jungen Lady von Stand für geziemend erachten. Viel schlimmer war, dass sie nicht wagte, den Blick wieder zu heben, und dass sie zudem kein vernünftiges Wort herausbrachte. Wenn sie all ihren Mut zusammennahm und doch versuchte, Konversation zu betreiben, dann begann sie aus heiterem Himmel zu stottern und niemand wurde aus ihrem Gestammel schlau. Die Herren verabschiedeten sich schnell wieder und mit ihnen Elizas Hoffnung, jemals vor den Traualtar geführt zu werden. Aber das würde sie Mrs. Fenwich sicher nicht auf die Nase binden.
Zum Glück war die Dame ohnehin viel zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt: „… dann suche dir eine Stelle als Gouvernante. Ich bin gerne bereit, mich in meinem Bekanntenkreis umzuhören. Wenn ich mich recht entsinne, sucht meine teure Freundin Ethel Laverstoke eine Gesellschafterin …“
Zum zweiten Mal bei diesem Lunch verlor der Hausherr seine Gelassenheit: „Ethel Laverstoke ist die furchterregendste Person, die ich kenne. Eliza bleibt, wo sie ist!“
Er warf die Serviette neben den Teller. Dann legte er die Hände auf die Tischplatte und stemmte sich hoch: „Wenn mich die Damen entschuldigen wollen … Ich muss hinaus auf die Felder. Wartet mit dem Dinner nicht auf mich, es kann spät werden.“
Er sagte es und verließ strammen Schrittes den Raum.
Das war wieder einmal typisch für Fred, dachte Eliza. Es war zwar nett, dass er sie kurz verteidigt hatte, aber jetzt hatte er offensichtlich keine Lust mehr, seiner Schwiegermutter die Stirn zu bieten, also zog er sich durch Flucht aus der Affäre. Anscheinend war auch Mrs. Fenwich zu diesem Schluss gekommen. Sie begann lautstark zu protestieren und ging sogar so weit, das Verhalten des Hausherrn als eines rüpelhaften Bauern würdig zu erachten. Martha brach in Tränen aus.
Eliza schwieg und überlegte fieberhaft, wie sie ebenfalls schnellstmöglich das Weite suchen konnte, ohne allzu unhöflich zu sein. Mrs. Fenwich würde sie nicht so einfach davonkommen lassen. In drei Tagen war Weihnachten! Wie sollte sie ihre Anwesenheit bloß bis zum zweiten Feiertag ertragen?