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Nicht, dass Weihnachten auf Granwood Manor besonders feierlich begangen worden wäre. Das Fest war keinesfalls der Höhepunkt des Jahres. Seine Lordschaft gab, wie sein Vater vor ihm, wenig auf alte Bräuche und duldete auch keine Dekoration im Haus. Eliza dachte mit Wehmut an die fröhlichen Festtage ihrer Kindheit zurück. Wie anders war es doch gewesen, als Mama noch lebte! Das Wohnzimmer war mit bunten Girlanden geschmückt gewesen und der Duft des Festtagsbratens hatte verlockend das Haus erfüllt. Seit sie alt genug dafür war, hatte sie Mama dabei helfen dürfen, Geschenke für die Kinder der Pächter zusammenzustellen. Diese wurden dann traditionellerweise am zweiten Weihnachtsfeiertag, dem Boxing Day, übergeben. Eliza liebte diese Vorbereitungen. Ihre Mutter wusste dabei immer so spannende Geschichten zu erzählen!

Doch Mama war lange tot. Fred hatte nichts dagegen, dass Eliza die Tradition, die Kinder der Pächter zu beschenken, beibehalten hatte. Doch es gab weder Geschichten noch Girlanden. Aber zumindest gab es ein paar gemütliche gemeinsame Stunden vor dem Kamin.

In diesem Jahr würde es wohl auch damit nichts werden, dafür würde Mrs. Fenwich sorgen. Wieder hatte Eliza Grund zu seufzen. Ihr Leben war so still, öde und langweilig geworden, seit Mama und Edward nicht mehr lebten. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, als würde sich die Einsamkeit wie ein eisiger Mantel um ihren Körper legen. Sie war so allein und ihre Lage so hoffnungslos! Wenn kein Wunder geschah, dann musste sie ihr Leben lang mit ihrem muffigen Bruder und seiner schüchternen Ehefrau in deren Elternhaus leben. Und beiden auch noch dankbar dafür sein. Doch damit nicht genug: Zweimal im Jahr würde Mrs. Fenwich auf Granwood Manor erscheinen und ihr das Leben zur Hölle machen. War es ein Wunder, dass ihr bei diesen Gedanken die Tränen der Verzweiflung in die Augen stiegen? Wenn Clara und ihr Mann Robert nicht wären, die einzigen Lichtblicke in ihrem trostlosen Dasein, dann … Die Wanduhr schlug laut und vernehmlich zwei Uhr. Eliza schreckte aus ihren Gedanken auf. Zwei Uhr? War es wirklich schon so spät? Clara wollte am Nachmittag mit ihrer Familie die Reise nach Westham House nahe Winchester antreten, um mit ihren Eltern und den Familien ihrer Geschwister das Weihnachtsfest zu begehen. Höchste Zeit, dass sie aufbrach, wenn sie Clara noch Auf Wiedersehen sagen wollte.

Was auch immer Mrs. Fenwich soeben mit ihrer Tochter besprach, Eliza unterbrach sie: „Es tut mir leid, Martha, ich habe völlig die Zeit vergessen. Lady Clara erwartet mich vor ihrer Abreise. Du gestattest, liebe Schwägerin …“

Ohne die Antwort abzuwarten, warf nun auch sie die Serviette auf den Tisch, knickste, schürzte die Röcke und stürmte, ohne eine Antwort abzuwarten, in die Halle hinaus.

Mrs. Fenwich war einige Sekunden lang fassungslos.

„Aber, das ist doch … das kann doch … das geht doch …“ Es fiel ihr offensichtlich schwer, die richtigen Worte zu finden. Doch nicht lange, dann keifte sie los: „Was sind denn das für Sitten in deinem Haus, Martha? Das ist eine Unverschämtheit! Wie kommt das freche Ding dazu, die Tafel zu verlassen, wenn zwei höhergestellte Ladys anwesend sind? Hol sie sofort zurück! Das darfst du keineswegs dulden!“

Ihre Tochter versuchte einen zögernden Widerspruch: „Weißt du, Mama, Lady Clara ist die Countess of Bromley. Sicher hat sie Eliza beauftragt …“

„Und wenn sie die Queen persönlich wäre, so wäre das immer noch keine Entschuldigung für das unmögliche Verhalten des dummen Dings, das du leider zur Schwägerin hast. Also, worauf wartest du? Hol sie zurück, damit ich ihr ordentlich die Leviten lesen kann!“

Diese Worte wurden in einer derartigen Lautstärke geäußert, dass sie durch die geschlossene Tür laut und deutlich in die Eingangshalle drangen. Eliza wusste also, dass sie keine Zeit zu verlieren hatte. Sie hätte es zwar vorgezogen, sich noch umzukleiden. Das Kleid und die Schuhe, die sie beim Mittagessen getragen hatte, waren viel zu dünn und völlig unpassend für eine Fahrt durch die nasskalte Winterlandschaft. Doch die Worte von Mrs. Fenwich ließen ihr keine Wahl. Mit raschen Schritten strebte sie dem Eingangstor zu. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie erwartete jede Sekunde, die Stimme ihrer Schwägerin zu hören, die sie zum Bleiben aufforderte. Im Vorbeieilen riss sie den schweren Umhang von einem hinter dem Vorhang versteckten Haken, der Charlie, dem Diener, zur Verfügung stand, wenn er an kalten Tagen das große Tor öffnen musste, um die Herrschaft oder Gäste ins Haus zu lassen. Einen Butler gab es auf Granwood Manor nicht, dazu war Fred zu sparsam. Charlie erledigte dessen Aufgaben. Er war außerdem auch noch Mylords Kammerdiener und bei manchen Ausfahrten, die die Familie unternahm, auch der Kutscher.

Eliza schob den schweren Riegel zur Seite und trat ins Freie. Ein eisiger Windstoß fuhr ihr durch die Haare und unter ihr dünnes Kleid. Wie frisch es geworden war! Um diese Zeit des Jahres war man hier, im Süden Englands, eigentlich mildes, wenn auch meist nasses Wetter gewöhnt. Aber dieser Winter schien besonders kalt zu werden. Rasch legte Eliza sich den schweren wollenen Umhang um die Schultern und zog ihn fest an der Brust zusammen. Zum Glück waren es nur wenige Schritte zu den Stallungen. Jetzt war es die Kälte, die sie trieb, und nicht mehr die Angst vor ihrer Schwägerin. Martha würde sie nie und nimmer auf den Vorplatz hinaus verfolgen. Sie würde nie riskieren, dass ihre kleinen Schühchen aus zartem Kalbsleder Gefahr laufen könnten, ruiniert zu werden. Außerdem hätte sie es nie und nimmer zugelassen, dass ihre kunstvoll aufgedrehten, blonden Löckchen durch einen Windstoß in Unordnung geraten könnten. So still und schüchtern Martha war, so eitel war sie auch. Und langweilig obendrein, dachte Eliza und musste über ihr strenges Urteil lachen. Sie atmete befreit auf. Wieder einmal hatte sie es geschafft, Granwood Manor den Rücken zu kehren. Wenn ihr das doch endlich für immer gelänge!

Sie betrat den Stall, in dem der Knecht dabei war, das Futter für die Tiere zu verteilen.

„Spann mir bitte das Karriol an, Henry, ich muss nach Linward Place.“

Der Diener grüßte, lehnte die Heugabel an die Wand und machte sich sofort daran, den Wunsch seiner jungen Herrin auszuführen. Es war nichts Besonderes daran, dass Lady Eliza die einfache Holzkutsche selbst lenkte. Das machte sie seit Jahren mindestens einmal die Woche, um die Countess of Bromley zu besuchen. Und auch wenn ihn ihr seltsamer Aufzug vielleicht verwundern mochte – er hatte sie noch nie in Charlies Umhang gesehen und seiner Ansicht nach stand er ihr auch nicht –, so war er sich sehr wohl bewusst, dass ihn niemand nach seiner Meinung fragte, und daher enthielt er sich jeden Kommentars.

Schon war Eliza auf dem Weg. Ikarus, der Hengst, den Henry vor das Fahrzeug gespannt hatte, war zwar schon alt, aber ausgeruht. So fuhr sie in flottem Tempo die breite Auffahrt hinunter und dann einige Minuten die gut ausgebaute Poststraße entlang, bevor sie in das Wäldchen links der Straße einbog. Dieses galt es zu durchqueren und dann auf ein freies Feld hinaus zu kutschieren. Oben auf dem Hügel erblickte sie bereits die mit Efeu überwachsene Mauer, die Linward Place umgab. Zum Glück hatte es in den letzten Tagen nicht geregnet, so war der Boden trocken und sie kam ohne Schwierigkeiten voran. Den Weg kannte sie wie ihre Westentasche. Als Kinder waren Fred und sie beinahe täglich hier entlang kutschiert worden, damit sie mit Robert, dem jetzigen Träger des Titels und Herrn von Linward Place, und seinem Bruder Edward, ihrem späteren Verlobten, sowie deren Schwestern Deidre und Prudence spielen konnten. Deidre und Prudence waren längst weggezogen. Die eine lebte in Yorkshire, glücklich und zufrieden mit Mann und drei Kindern. Die andere, wohl ebenso glücklich mit Mann und Tochter, in Hartfordshire. Edward war tot, Fred zu sehr mit seinem eigenen Anwesen beschäftigt. Blieben nur Robert und sie übrig, um die innige Freundschaft aus Kindertagen aufrechtzuerhalten. Vor fünf Jahren hatte Robert Clara geheiratet. Die beiden waren nun nicht nur Elizas beste Freunde und Vertraute, sie waren auch zu so etwas wie einer zweiten Familie geworden. Einer Familie, die einen liebevollen Umgang pflegte. In der es, im Gegensatz zu ihrer eigenen, viel zu erzählen und zu lachen gab. Wo die Atmosphäre geprägt war von liebevollen Neckereien und manch freimütigem Meinungsaustausch. Das hatte sich auch nicht geändert, als Master Billy, der kleine Sohn von Clara und Robert, vor einem Jahr das Licht der Welt erblickte, und ebenso wenig durch die Tatsache, dass vor einem halben Jahr die verwitwete Viscountess of Applebee, Roberts Großtante, bei Ihnen eingezogen war. Eine reizende alte Dame, die Eliza sofort in ihr Herz geschlossen hatte.

Wie jeden Tag hatte der aufmerksame Torwärter den Hufschlag ihres Pferdes längst vernommen. Er war bereits aus seinem Häuschen gekommen und hatte das ausladende Tor geöffnet, als Eliza mit ihrem einachsigen Holzfuhrwerk um die Kurve kam. Sie winkte ihm fröhlich zu, er griff sich zum Zeichen des Grußes mit der Hand an die Mütze.

Nun lag nur mehr die lange, von Platanen gesäumte Auffahrtsallee vor ihr, die zum Herrenhaus hinaufführte. Eliza spornte das Pferd für diese letzte Anstrengung noch einmal an. Sie liebte dieses Anwesen und konnte es gar nicht erwarten, bis es in voller Pracht vor ihren Augen auftauchen würde. Insgeheim malte sie sich aus, wie schön es wäre, die Weihnachtsfeiertage hier bei ihren besten Freunden zu verbringen. Dabei wusste sie nur zu gut, dass dieser Wunsch keine Aussicht auf Erfüllung hatte. Robert und Clara verbrachten die Festtage wie jedes Jahr bei Claras Eltern. Warum konnten sie nicht einmal eine Ausnahme machen und sie zu sich einladen? Im Geiste sah sie sich schon den Kamin im Salon mit einer Girlande schmücken, die aus Zweigen angefertigt wäre, die sie zu dritt in den Wäldern gesammelt hätten. Natürlich würde auch ein großer Julscheit verbrannt werden, wie das in anderen vornehmen Familien üblich war. Sie würden sich von Herzen „Merry Christmas“ wünschen und sich gegenseitig in die Arme fallen. Vielleicht würden sie sogar einige fröhliche Lieder miteinander singen. Robert hatte einen so klangvollen Bariton. Clara könnte sie am Klavier begleiten … Und wie so oft an diesem Tag hatte Eliza den nächsten Grund zu seufzen. Diesmal aus Enttäuschung darüber, dass nichts von alldem je wahr werden würde. Stattdessen stand ihr ein Weihnachtsfest bevor, an dem nichts, aber auch rein gar nichts ihr Herz erwärmen würde. Weder das Feuer im Kamin, das sich auf Granwood Manor am Heiligen Abend in der Intensität durch kein anderes Feuer im Jahr unterscheiden würde, noch gar durch die anwesenden Menschen. Und statt fröhlicher oder besinnlicher Lieder würde Myladys keifende Stimme das Einzige sein, was es zu vernehmen gab, und diese war wahrlich nicht melodiös.

Vor dem Herrenhaus standen bereits zwei Kutschen reisefertig auf dem bekiesten Vorplatz. Nur die Pferde waren noch nicht angespannt. Da hieß es, keine Zeit mehr zu verlieren. Ein Bursche kam eilig herbei und nahm ihr die Zügel ab, bevor er ihr vom Kutschbock half. Als er den dicken, einfachen Mantel wahrnahm, den die junge Lady mit klammen Fingern vor der Brust zusammenhielt und der so gar nicht zu ihrem Erscheinungsbild passte, das sie für gewöhnlich bot, huschte für kurz der Ausdruck des Erstaunens über seine Gesichtszüge. Eliza bemerkte es nicht. Sie versuchte zu erkennen, was hinter den Kutschenscheiben vor sich ging.

„Sind die Herrschaften bereits im Wagen?“

„Nein, Lady Eliza, es scheint eine Verzögerung zu geben. Ich bringe Ihr Pferd besser in den Stall. Es ist zu kalt, um es im Freien stehen zu lassen.“

Eliza nickte zustimmend.

„Auf den Butler zu warten hat heute keinen Sinn. Der ist schon in Richtung Heimat abgereist. Wenn ich Sie wäre, Mylady, würde ich jetzt ins Haus gehen.“

Das ließ sich Eliza nicht zweimal sagen. Trotz des dicken Umhangs fröstelte sie in ihrem viel zu dünnen Kleid, und die Kälte drang auch unbarmherzig durch ihre zarten Schühchen. Also lief sie mit kleinen, eiligen Schritten auf das hohe, dunkelgrüne Haustor zu, vorbei am großen, gut gefederten Landauer, in dem nicht nur Lord und Lady Linward in Kürze Platz nehmen würden, sondern auch Roberts Großtante Abigail, die zum ersten Mal in Claras Elternhaus Weihnachten feiern sollte. Warum es wohl eine Verzögerung gab? Hoffentlich war nichts mit dem Baby. Sie sah zur zweiten Kutsche hinüber, die um einiges kleiner, dafür über und über mit Koffern und Schachteln beladen war. Dabei handelte es sich sicher um das Fahrzeug der Dienerschaft. Der Butler war schon abgereist, obwohl die Herrschaften noch im Hause weilten? Das erschien ihr allerdings höchst ungewöhnlich. Es war Zeit, dass sie den Dingen auf den Grund ging.

Elizas zauberhafte Weihnacht

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