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Sex ist ein Verbindungsmuster

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Mein Mann Jakob ist meine gelebte Lüge und ich die seine. Das war nicht immer so, aber inzwischen haben wir uns an diesen Zustand gewöhnt. Es fühlt sich überwiegend gemütlich an und wir haben unser soziales und berufliches Leben darauf gebaut. Irgendwann ist es mir im Ehebett zu gemütlich geworden, seitdem betrüge ich meinen Mann. Vor Sander gab es andere, aber in keinen habe ich mich verliebt. Darauf habe ich geachtet. Wohin die Liebe führt, hat mir meine Ehe gezeigt – und die Ehen meiner Freunde. Liebe ist ein guter Anfang -, schlimm wird es erst in der Fortsetzung. Natürlich behaupte ich in meinen Coaching-Stunden und Vorträgen das Gegenteil – und immer hoffe ich, in meinen Lügen könnte ein Splitter Wahrheit stecken. Ich bin eben eine Romantikerin. Trotz allem. Das gefällt Sander.

Er findet mich schön, klug und aufregend. Kein Wunder, dass ich ihn nicht ernst nehmen kann. Trotzdem will ich diese falschen Komplimente von ihm hören. So kann ich mir für glückliche Sekunden vormachen, ich wäre wirklich schön, klug und aufregend. Ich vermute, viele Frauen können das verstehen. Makellos schön und liebenswert finden sich die wenigstens, deshalb lassen sie sich so vieles gefallen, von ihren Männern, der Gesellschaft, den Unternehmen, den Medien und von anderen Frauen. Ich bin Feministin. Das gebietet der klare Verstand. Selbstverständlich drücke ich es öffentlich anders aus. So ein Feministinnen-Stempel könnte mich Kunden kosten, auch heute noch. Es sollte mir egal sein, stattdessen richte ich mich danach aus. Das spricht nicht für mich, aber für meine Flexibilität und Geschäftstüchtigkeit. Von irgendetwas muss man schließlich leben. Binsenweisheit. Gefährlich, gefährlich. „Hüten Sie sich vor diesem Satz!“, lege ich meinen Kunden gerne nahe. Wenn die wüssten. Wissen sie aber nicht und das ist gut so, sonst hätte ich keine zahlungswilligen Kunden wie Georg Pfister und von irgendjemand muss ich schließlich leben.

Pfister ist Marketingchef einer Großbank und mein Klient. Für ihn fahre ich regelmäßig mit dem ICE von München nach Frankfurt. Ohne Pfister hätte ich Sander nie getroffen. Frankfurt ist ein gutes Pflaster für Therapeuten, die sich Coach nennen, entweder, weil sie keine vernünftige Ausbildung haben, so wie ich, oder weil sie wissen, dass Banker keine Therapeuten buchen, sondern erfolgsorientierte Coachs. Pfister hätte einen Therapeuten benötigt, aber er wollte mich, weil er die Hoffnung hat, mein vorgetäuschter Optimismus könnte ihn an der Oberfläche halten.

Er bestätigte meinen Eindruck, dass die meisten Karrieren aus einem Fluchtreflex heraus entstehen. Je mehr sich Männer vor den Tiefen ihrer Persönlichkeit fürchten, umso stärker peitschen sie sich auf der Karriereleiter nach oben. Zwar ahnen sie bisweilen: Wer vor der Tiefe flüchtet geht im Seichten unter, aber diese Ahnung ignorieren sie, wie so vieles andere auch. Das kann ich nachvollziehen, ich praktiziere es seit Jahren. Meine Kunden spüren das und fühlen sich verstanden. Das ist die andere Seite der Medaille. So werden Schwächen zu Stärken. Schon sind wir bei einer meiner teuren Lektionen: „Ihre Schwächen sind Ihre Stärken.“ Der Spruch kommt fast immer gut an und lässt sich wie alle pseudo-psychologischen Weisheiten mit lebensnahen Beispielen unterfüttern, mit Erfolgsstorys, um genau zu sein. Lebenswege sollen ja heute Erfolgsstorys sein. Selbstverständlich richte ich meinen eigenen Weg danach aus. Gefühle stören da nur, deshalb muss ich Sander vergessen.

Wie die meisten Menschen fröne ich lieber dem harmlosen Vergnügen, über andere zu sinnieren, anstatt mir gefährliche Gedanken über mich selbst zu machen. Meine Feigheit verstecke ich unter dem Deckmantel „berufliches Engagement“. Obendrein war es ein Notfall. Der Bankmanager ging in seinem Leben unter. Es gab nichts mehr, woran er sich hätte festhalten können. Er hatte es vor langer Zeit aufgegeben, ohne es zu bemerken. Die Rache ließ auf sich warten, aber nun war sie da – mit einer bitteren Erkenntnis im Schlepptau: „Ich habe keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anfangen soll“, gestand sich Pfister bei unserer Sitzung ein. Eine derartige Einsicht hatte ich ihm nicht zugetraut. Er sich offenbar auch nicht. Erschrocken sah er mich an. Die Wahrheit packt kraftvoll zu, sobald sie auch nur ihre geringste Chance wittert. Ihr entkommt keiner. Glücklicherweise hat sie die besten Absichten: Sie will uns befreien.

„Wenn nichts mehr hilft, probier’ es mit der Wahrheit“, fordere ich von meinen Klienten. Vielleicht sollte ich es in meinem eigenen Leben auch mit der Wahrheit versuchen? Zur Abwechslung. Zwischen den Beziehungen zu meinem Mann Jakob und meinem Liebhaber Sander habe ich ein dichtes Lügennetz gesponnen. Bislang war es reißfest, weil ich die Knoten geschickt gesetzt habe. Ich weiß, wo sie hingehören. Nämlich dort, wo die Ängste und die Scham der Menschen sitzen, da schauen sie weg, da schmerzt es. Scham wirkt fast noch besser als Angst, weil es dabei oft genug um Sex geht. Sex ist ein Verbindungsmuster: es verbindet kleine Probleme mit großen.

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