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Sie eignete sich nicht als Statussymbol

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Nadja dagegen war Investmentbankerin, vor ihrem Namen prangte ein Doktortitel. Den hätte auch Pfister gerne gehabt. Die Eheleute konkurrierten in jeder Beziehung miteinander. Selbst im Bett. Zumindest früher, als die Besucherritze noch keine unüberwindbare Grenze darstellte. Damals achtete jeder penibel darauf, nicht die Kontrolle zu verlieren. Nadja kam entsprechend selten, vielleicht nie, und Pfister kurz und lautlos. Dabei verzerrte sich sein Gesicht zu einer Fratze und Nadja bestand darauf, es nur im Dunklen miteinander zu treiben. „Deine Lustfratze irritiert mich.“

Nur bei gemeinsamen Auftritten im Kreis von Kunden und Kollegen ergänzten sich Pfister und seine Ehefrau prächtig. Sie spielten das erfolgreiche Power-Paar und Nadja war anständig genug, so zu tun, als hätte ihr Mann die Hosen an. Nadja wusste, dass wohl dosiertes Weibchen-Verhalten bei Bankern gut ankam, damit beförderte sie nicht nur Pfisters Karriere, sondern auch ihre eigene. Es lohnte sich für sie, die Ungefährliche zu spielen und Pfister rechnete ihr hoch an, dass sie ihn vor seinen Kollegen nicht in Frage stellte. Das tat sie nie. Im Gegenteil: Bei diesen Gelegenheiten erfüllte Nadja ihre eigentliche Aufgabe. Sie dekorierte Pfisters Leben und andere beneideten ihn um sie. So belegte er seine These aus Teenagertagen: Schöne Frauen sind durch nichts zu ersetzen. Und was schön ist, das bestimmen die anderen. Im Moment war sehr schlank sehr schön. Er selbst bevorzugte weibliche Formen, aber was er bevorzugte, darum ging es schon lange nicht mehr in seinem Leben. Er hatte den Zeitpunkt verpasst, redete er sich ein, und musste sich arrangieren. Zu viel stand auf dem Spiel. Seine Karriere, sein Ruf, sein hübsches Haus und seine dekorative Frau. Von diesen Gedanken ließ er sich lenken, als er glaubte, eine Entscheidung treffen zu müssen. Dabei musste er sich eingestehen, dass er auch das Urteil des Journalisten in die Wagschale warf. Wer will schon eine Frau, die ein anderer unter der Rubrik „Blamage“ abgelegt hatte?

Was Pfister nicht wusste: Der Schreiberling hatte zumindest Maries Körper geschätzt. „Du hast so einen realistischen Frauenarsch. Der macht mich an,“ flüsterte er ihr beim Liebesspiel ins Ohr. Den Satz mit dem realistischen Frauenarsch hatte er in irgendeiner Zeitung gelesen. Wahrscheinlich in einem Interview. Selbst viel ihm selten ein treffender Ausdruck ein. Er war Journalist geworden, weil der Chefredakteur des Lokalblatts ein guter Freund seines Vaters war. So kam er mit wenig Aufwand zu einer Ausbildung. Später lernte er, Engagement vorzutäuschen und Anzeigenkunden zu umwerben. Sein Vater war der größte Anzeigenkunde des Blatts und solange das so blieb, war die Position des Juniors gesichert. Nur manchmal nagten Selbstzweifel an ihm. Wahrscheinlich nannte er Marie deshalb „die Blamage“. Er projizierte seine Versäumnisse auf sie und war ein Fall für einen guten Therapeuten. Die sind rar. Viel eher gerät man an Menschen wie mich. Gerne betone ich erneut und zu meiner Ehrenrettung, dass ich bewusst als „Coach“ auftrete, weil Therapeuten dem Image erfolgreicher Menschen schaden. Sie lassen Probleme mit dem eigenen Leben vermuten und zwangsläufig mangelnde Konzentration auf die Karriere. Ein „Coach“ dagegen klingt nach Ehrgeiz, Zielstrebigkeit und Selbstoptimierung. Es war eine gute Entscheidung, mich als Coach zu positionieren, sonst hätte ich keine Kunden wie Pfister.

Marie hatte Pfister von ihrem „Kosenamen“ erzählt, in der Hoffnung auf Widerspruch und Trost. Beides bekam sie. Pfister nahm sie voll Mitgefühl und Wut auf diesen Typen in die Arme. Leider hielt sein Beschützerinstinkt nicht lange an. Das Urteil des anderen bohrte sich in Pfisters Gedanken. Irgendwann saß es dort fest. Er konnte keine Frau gebrauchen, die ihn möglicherweise blamierte. Wer konnte das schon? Nadja hatte ihn noch nie blamiert. Mit ihr blamierte er sich immer nur selbst. Bei ihren intellektuellen Freunden und im Schlafzimmer. Die Lustfratze und die Blamage. Tolles Paar! Es durfte nicht sein.

Der Banker beendete die Beziehung zu Marie. Das war vor wenigen Wochen. Er erklärte es mit der Angst vor Nähe und dem Pflichtgefühl seiner Frau gegenüber. Die Ehe wäre ein Versprechen, an das er sich halten wollte. Er benahm sich jämmerlich und feige. Das wusste Pfister und Marie wusste es auch. Doch Pfister hatte sich für das entschieden, was er gewohnt war: für das bekannte Unglück. Marie akzeptierte seine Wahl. Kampflos. Sie wollte sich nicht blamieren. Nicht schon wieder. Sie schaffte es sogar, ihre Tränen zu unterdrücken, bis Pfister die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann weinte sie. Nicht einmal ihr feiner Kaiserschmarrn konnte sie noch trösten, außerdem fehlten schon wieder Eier.

Pfister bekämpfte den ersten echten Liebeskummer seines Lebens mit Arbeit. Davon hatte er genug. Es waren freudlose Tätigkeiten, die wie Betäubungsmittel wirkten. An seinem Beruf interessierten ihn in die monatlichen Gehaltsgutschriften und das Prestige. Er glaubte an Sicherheit und an Kontrolle, mehr als an seinen Kindheitstraum. Als Junge wollte Pfister Pianist werden. Damals sah er sich auf der Bühne sitzen und wild in die Tasten greifen. Marie ermutigte Pfister wieder Klavier zu spielen. Das Instrument stand im Wohnzimmer. Nadja, die wusste, fand es dekorativ und stilvoll, deshalb hatte es einen Platz bekommen. Nach den ersten Tönen brach Pfister sein Spiel ab. Marie bekam keine Melodie zu hören – und Pfister scheute künftig CDs mit Klaviermusik.

Der Wille des Bankers kontrollierte alles, nur nicht seinen Hodensack. Genau der sollte seine schwächste Stelle werden. Ein verdächtiger Knoten breitete sich darin aus. Sein Arzt versuchte nach beruhigenden Worten. Vergeblich. Deshalb lief unser Coaching-Termin an diesem Tag anders als gewöhnlich. Pfister tat mir leid, aber ich konnte nicht länger darüber nachdenken.

Freunde wollten zu Besuch kommen. Ein befreundetes Paar. Theresa und Patrick – mein Mann und ich kennen die beiden schon lange und gut. Zumindest dachten wir das, bis dieser Abend alles veränderte.

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