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» Ich will nur noch weg, und zwar allein.«

Das war meine Antwort, als mein damaliger Trainer Ercan mich am Abend des 3. April 2019 vor der Messe FIBO im Hotelzimmer in Köln aufgebracht fragte: »Sophia!!! WAS WILLST DU EIGENTLICH?« Diese Frage hallt noch bis heute in meinem Kopf nach. Sie markiert den bisher dramatischsten Tag meines Lebens, meinen absoluten Tiefpunkt, meinen »Rock Bottom«. Und sie ließ für mich nur eine Antwort zu – eine Antwort, die für mich noch große Konsequenzen haben sollte. Schon lange konnte ich nicht mehr wirklich benennen, was mir fehlte. Doch in diesem Moment wusste ich es komischerweise ganz genau. Es kam mit einer klaren Bestimmtheit aus meinem tiefsten Inneren. Vollkommen alleine. So weit weg wie nur möglich. Das wollte ich in diesem Moment am meisten. Ich sagte die wichtigste Messe meiner Branche – DAS Event des Jahres – ab. Ich ließ meine Follower, die sich extra Tickets gekauft hatten und nach Köln gereist waren, um mich zu treffen, im Stich, so auch meine Werbepartner. Es tat mir im Herzen weh. Aber es ging einfach nicht mehr anders.

Aber wie konnte es nur so weit kommen? Was war passiert? Was genau hatte zu diesem Moment geführt? Es ist wie ein Puzzle mit vielen Teilchen, die zusammengefügt werden müssen, um ein logisches Ganzes zu ergeben. Aus diesem Grund habe ich dieses Buch geschrieben. Um vor allem Klarheit zu schaffen, mit vielen Missverständnissen und Gerüchten aufzuräumen, aufzuklären und vor manchem sogar zu warnen. Alles, um bestenfalls anderen damit helfen zu können, die sich vielleicht in einem ähnlichen Dilemma befinden.

Vor meinem Verschwinden teilte ich fast fünf Jahre mein Leben über meine Social-Media-Kanäle mit der Öffentlichkeit. Von außen betrachtet lief alles super und ich bekam von anderen häufig zu hören, wie natürlich, echt und authentisch ich doch sei … Doch tief in mir wusste ich, dass da etwas nicht stimmte, denn in manchen Dingen war ich alles andere als authentisch. Und das war der Knackpunkt. Was sich wirklich hinter den Kulissen abspielte, wie es mir wirklich ging – das habe ich all die Jahre für mich behalten. Bis jetzt.

Dieses Buch beschreibt alle Puzzleteile, die zu meinem persönlichen Rock Bottom geführt haben. Es ist in diesen letzten Jahren einfach so unglaublich viel passiert. Das reicht womöglich für ein ganzes Leben. In den fünf Jahren meiner Karriere hatte sich langsam, aber stetig ein Strudel aufgebaut, der mich am Ende erfasste und mitriss. Wie bei einem Tornado, der immer schneller um sich selbst rotiert und dabei eine immer stärkere Sogwirkung entwickelt. Jeder von euch, der sich mit Social Media beschäftigt, weiß, dass man dort häufig nur die schönen Dinge zeigen möchte, die einem widerfahren. Das angeblich »perfekte« Leben. Die Erfolge, die »Highs«. Bis ich selbst dazu bereit war, auch meine »Lows« zu teilen, musste erst sehr viel Zeit vergehen.

Eines dieser vielen Puzzleteile ist DER Anruf, der mich am späten Nachmittag auf der Fahrt nach Köln erreichen sollte. Ich saß am Steuer und freute mich schon auf mein Hotelbett. Die letzten Wochen waren sehr anstrengend für mich gewesen, ein einziger Kampf, denn schon länger hatte ich das Gefühl, etwas (war es eine höhere Macht?) würde sich gegen mich stellen. Irgendwie klappte alles nicht mehr so wie zuvor. Ich wollte mich nach der langen sechsstündigen Fahrt nur noch ausruhen und Kraft für die nächsten vier Tage auf der Messe schöpfen. Ich dachte mir: Egal, wie erledigt und ausgelaugt ich auch gerade sein mag, wenn ich meine Follower in den Arm nehmen kann, bin ich eh wieder angeknipst. Auf dem Beifahrersitz saß Ercan, der mich wie fast jedes Jahr zur FIBO begleitete. Da klingelte auf einmal mein Handy und ich schaltete auf die Freisprechanlage. Jemand von meinem Management war dran und überbrachte mir eine Nachricht, die sich für mich als Hiobsbotschaft herausstellen sollte. Auf einen Schlag fühlte sich mein Körper wie taub an und mein Herz raste, als ob ich in ein schwarzes Loch ohne Boden fallen würde. Das Seltsame war: In meinem Körper machte sich in diesem Moment weder Wut noch Empörung oder Trauer über die Nachricht breit. Das Einzige, was ich fühlte, war unglaubliche Scham. Ich hatte versagt. Das Schlimmste, was ich befürchtet hatte, war schließlich eingetroffen.

Um die Dramatik dieses Tages zu verstehen, ist ein weiteres Puzzleteilchen wichtig: mein Verhältnis zu meinem Körper und die vielen Diäten, die ich auf mich nahm. Ich kann mich schon gar nicht mehr genau daran erinnern, wann die ganze Unzufriedenheit mit meiner Figur begann. Jedoch dachte ich damals, 2013, als ich mit dem Kraftsport begann, dass ich endgültig den Schlüssel für mich gefunden hatte. Mit eiserner Disziplin verschrieb ich mich meinen Trainings- und Ernährungsplänen und gab Stück für Stück alles andere dafür auf. Vor allem Zeit für Familie, Freunde und Freizeit. Für was? Nun ja, um schlank zu sein. Oder vielleicht doch eher für Anerkennung, Liebe, Erfolg? Jedenfalls ging das eine Weile gut, ich legte den Grundstein für meine Karriere auf Social Media – bis ich immer mehr die Quittungen für meine Strenge mit mir selbst bekam. Zu lange hatte ich niemandem mein Herz ausgeschüttet, da ich keine Schwäche zeigen wollte. Auch weil ich irgendwann nicht einmal mehr wusste, was da eigentlich schieflief. Ich glaubte fest daran, irgendwann die altbewährten Pläne wieder mit Willensstärke und eiserner Disziplin erfüllen zu können, ganz ohne fremde Hilfe oder Nachjustierung, die mittlerweile nötig gewesen wäre. Welch ein fataler Irrtum!

Ein weiteres Puzzleteilchen: Mein geliebtes Fitnessstudio, in dem ich sozusagen groß wurde, »Ercan’s Body Gym« in München, musste einen Monat zuvor schließen. Für mich als absolutes Gewohnheitstier, das generell Schwierigkeiten mit jeder Art von Veränderung hat, war das eine Katastrophe. Über all die Jahre hinweg war dieser Ort mein Zuhause geworden und sollte nun dem Erdboden gleichgemacht werden.

Kommen wir zum letzten, aber elementaren Puzzleteil: ich und meine Beziehung zu Essen. Seit ich klein war, hatte Essen für mich einen besonderen Stellenwert. Ich wuchs in einer sehr behüteten und liebevollen Familie auf und war schon immer etwas pummeliger als die anderen in meinem Alter. (Ich mag das Wort »pummelig« nicht oder solche Begriffe wie »kernig«, »kräftig«, »mollig« … aber ich denke, ihr wisst, was ich meine. Ich war halt irgendwie immer ziemlich … fluffig!) Essen bedeutete für mich Familie, Zusammenhalt, Gemeinschaft, Liebe, Freude, einfach viel Positives. Etwas später in der Schulzeit merkte ich aber, dass sich auch Kummer und Stress entsprechend auf mein Essverhalten auswirkten. Schon früh aß ich immer mehr aus einer Laune heraus und weniger, weil ich wirklich Hunger hatte. Ich verknüpfte meine Emotionen mit Essen. Und so fing die Problematik an.

Da war ich nun die Sophia Thiel, die Marke, das Fitness-Vorbild, die Motivatorin. Doch was war los mit mir? Hatte ich mir doch so viel Wissen über Ernährung und Fitness erarbeitet – und konnte es bei mir selbst nicht anwenden. Ich hatte mein Fitnessregime und meinen Körper nicht mehr im Griff. Aber wieso nicht? War IN mir etwas kaputtgegangen? Nicht zu erwähnen, wie beschämend und peinlich das für mich war: Was wohl all die Leute von mir denken werden? Da hatte ich all das Wissen, doch es brachte mir rein gar nichts in dieser Situation. Ich steckte fest und konnte meine Problematik nicht einmal richtig in Worte fassen, geschweige denn mit jemandem teilen.

»Ich will nur noch weg, und zwar allein.« Am Morgen nach diesem Satz verfrachtete ich meinen (nicht ausgepackten) Koffer direkt wieder ins Auto und fuhr mit Ercan von Köln zurück nach München. Ich blieb mit meiner Entscheidung standhaft, denn ich wusste, dass es jetzt das Beste für mich wäre. Alle wirklich wohlgemeinten Überredungsversuche meiner Kollegen, mich doch noch auf die Messe zu kriegen, musste ich schweren Herzens ablehnen. Mein Entschluss, mir eine Auszeit zu nehmen, stand für mich felsenfest. Auf der Fahrt redeten Ercan und ich so gut wie gar nicht, Schweigen hing wie ein stummer Vorwurf in der Luft, gemischt mit leiser melancholischer Musik von meiner Playlist. Diesmal widerstand ich der Versuchung, für Harmonie zu sorgen (wie ich es sonst in Konfliktsituationen immer tat), einfach um der Harmonie willen. Ich war sowieso viel zu viel in Gedanken versunken. »Wer im System bleibt, kann nicht erwarten, dass sich etwas ändert«, hat einmal ein schlauer Mensch gesagt. Doch welcher Ort war so weit weg, dass ich mich komplett aus dem System ausklinken konnte? Ein Ort, wo mich keiner kannte, der mir jedoch nicht komplett fremd war?

Nur einen Monat später flog ich schließlich los. Ich war weder aufgeregt noch fröhlich noch traurig. Ich fühlte: nichts. Flog ich ins Glück? Sollte dies wirklich die richtige Entscheidung für mich und meine Probleme sein? Nur so viel: Alles kam, wie es kommen musste. So heißt es doch: Der Weg ist das Ziel. Welchen Weg ich beschreiten musste, um wieder zu einer gesunden, glücklichen, der echten Sophia zu finden, steht in diesem Buch. Es ist auch das Buch meiner Heilung.

»Ich will nur noch weg, und zwar allein.« Das war DIE Entscheidung, die alles für mich verändern sollte. Dass ich das wirklich in die Tat umsetzte, war auf meinem Weg der erste Schritt in die richtige Richtung. Eine der schwersten, aber zugleich auch wichtigsten Entscheidungen, die ich je für mich getroffen habe. Ein Schritt, auf den noch Hunderte folgen mussten. Welche, werde ich auf den folgenden Seiten beschreiben. Ich werde dabei schonungslos mit mir selbst sein und offen wie noch nie zuvor. Dieses Buch zu schreiben, alles noch einmal Revue passieren zu lassen ist auch Teil meines »Heilungsprozesses« – und so kann man es wohl nennen: Heilungsprozess, mit Betonung auf PROZESS. Denn mit dem »Abhauen« war das Problem längst nicht gelöst. Nach meiner »Flucht« fing es erst richtig an, mir wirklich schlecht zu gehen! Aber das ahnte ich natürlich nicht im Geringsten. Ich dachte: Ich will weg, um endlich zu mir zu kommen, um durchatmen zu können, Kräfte zu sammeln, meine Akkus wieder aufzuladen. Danach würde ich glücklich zurück ins Leben, in meinen Beruf, zu meiner Familie, zu meiner Community auf Social Media können – SO hatte ich mir das vorgestellt. Ich nehme mal kurz von allem Abstand, und wenn ich zurückkomme, funktioniere ich schon wieder. Weit gefehlt. Es sollte für mich eine der schwierigsten Reisen meines Lebens werden und nach fast zweijähriger Auszeit bin ich nun bereit, meine Geschichte mit der Öffentlichkeit zu teilen. Um alles verstehen zu können, ist es wohl am besten, ich beginne damit, wie alles angefangen hat: mit der Entdeckung meiner Leidenschaft …

Come back stronger

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