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Was ist im Bodybuilding eigentlich wichtiger? Training oder Ernährung? Ziemlich schnell habe ich, wie viele andere in diesem Sport, die richtige Antwort für mich erkannt. Egal, wie viel man trainiert – eine »schlechte« Ernährung lässt sich dadurch nur schwer ausgleichen und man kommt nur sehr mühsam voran. In meinen Augen ist es sogar ein Verhältnis von 70 zu 30. 70 Prozent Ernährung und 30 Prozent Training. Natürlich variiert das auch je nach Zielsetzung. Deshalb probierten Charly und ich verschiedene Ernährungsstile aus, um unseren Trainingserfolg, unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu optimieren. Charly, der digital schon immer super vernetzt war, pickte sich Fitness-Influencer heraus, die ihn faszinierten, und stellte für uns davon inspirierte Ernährungs- und Trainingspläne auf. Zu dieser Zeit war vor allem veganes Bodybuilding stark im Kommen und wir interessierten uns sofort für diesen Trend. Dass vegane Ernährung gar nicht so einseitig ist, wie man vielleicht denkt, und dass man ganz ohne tierische Produkte Trainingsfortschritte erzielt, wollten wir direkt am eigenen Leib testen. Damals hat uns der Influencer Karl Ess fasziniert, der im Netz sein »Vegan-Bodybuilding« promotete und beweisen wollte, dass man auch mit rein pflanzlicher Ernährung Muskeln aufbauen kann. Während sich Charly seine Videos fast täglich anschaute, war ich hingegen auf Social Media noch nicht so aktiv. Wir sahen, dass Karl auf einmal öfter in einem Gym in München trainierte und dort seine YouTube-Videos drehte – also nicht weit weg von Rosenheim –, im Studio des berüchtigten »Pumping Ercan«, einem bekannten Namen in der Bodybuilding-Szene.

Nach circa einem Jahr veganer Ernährung sind wir dann ins krasse Gegenteil gefallen (wir waren ganz schön in der Experimentierphase). Warum? Nun ja, auch wir haben uns von Social Media irgendwie beeinflussen lassen und auf einmal stand bei uns Classic Bodybuilding im Fokus. Und wie man vielleicht weiß, steht das Protein (meist aus tierischen Quellen wie beispielsweise Fleisch, Fisch oder Eiern) in der Bodybuilding-Ernährung an erster Stelle. Das Studio in Rosenheim war der ideale Ort, um in dieses »Oldschool-Bodybuilding« reinzukommen. Alte Geräte, Hardcore-Musik, das angestrengte Gestöhne und Gewichtscheiben-Klappern von schwer Trainierenden mit einem Geruch von alten Sportsocken in der Luft – das lässt das Herz eines jeden »Pumpers« höherschlagen ;-). Nach nur einem halben Jahr intensiven Bodybuildings hatte Charly eine Idee: »Sophia, hast du Lust auf einen Bikini-Wettkampf? Ich finde, du könntest es packen, teilzunehmen!« Waaaas? Ich würde mich doch nicht in so einem Glitzerbikini halb nackt vor Publikum auf die Bühne stellen, es war ja noch gar nicht lange her, dass ich mich in einem Bikini noch total unwohl fühlte! Nach einiger Bedenkzeit recherchierte ich dann doch im Netz und informierte mich über die damit einhergehende Diät und das dazugehörige Trainingspensum. Das mich diese Bikini-Athletinnen faszinierten, hatte ich ja bereits erwähnt – was diese Frauen aus ihrem Körper herausholten, war beeindruckend! Und so fällte ich den Entschluss: Bis zu einem gewissen Tag X meinen Körper so hinzubekommen, das wäre doch mal ein cooles Ziel!

Eines Abends zeigte mir Charly einen seiner Lieblingsfilme, den Dokumentarfilm »Pumping Ercan« über den Bodybuilder Ercan Demir, der als kleines Kind mit seinen Eltern damals nach Deutschland kam, das Bodybuilding für sich entdeckte und es als Vierzigjähriger noch einmal wissen will: Nach einer längeren Wettkampfpause hatte er sich nun das Ziel gesetzt, den Titel des Seniorweltmeisters im Schwergewicht zu gewinnen. In seiner Vergangenheit war er achtmal türkischer Meister, einmal Juniorweltmeister, einmal europäischer Meister und einmal Vizeweltmeister geworden. Der Film begleitet Ercan bis zu dem alles entscheidenden Wettkampf in der Türkei. Wie der Wettkampf ausgeht? Nur so viel: Ich musste echt die Tränen zurückhalten! So viel Disziplin, Kampfgeist und Stärke motivierten mich dermaßen, wie zuvor nur der Klassiker »Pumping Iron« mit Arnold Schwarzenegger.

Da ich 2014 selbst schlecht einschätzen konnte, ob ich schon bereit für die Bühne war, und mitbekommen hatte, dass fast alle Wettkampfathleten einen Coach an ihrer Seite hatten, kam ich auf eine Idee: Ercan ist ja in München, dachte ich, also nur etwa eine Autostunde weg von Rosenheim … Ich könnte Ercan im Gym besuchen und ihn meine Form beurteilen lassen, ob ich noch diese Saison an einem Wettkampf teilnehmen kann und überhaupt Potenzial dafür habe. Auch wenn nicht, könnte ich ihn trotzdem fragen, wie ich mich in Sachen Ernährung und Training noch besser aufstellen könnte. Ercan hat in diesen Bereich so viel Erfahrung – wenn es einer weiß, dann er!

Gleich am nächsten Tag rief ich Ercan im Studio an, erreichte ihn dort jedoch leider nicht. Sein Kollege erzählte, er sei noch in der Türkei und würde dort Urlaub machen. Bei meinem nächsten Anruf eine Woche später ging Ercan dann selbst ran. Ich war total überrascht und supernervös. Ich fragte ihn, ob ich mit meinem Freund vorbeikommen könnte und dort trainieren dürfte, was er bejahte. Ich konnte es kaum fassen, dass ich ihn bald persönlich kennenlernen sollte. Es war der Beginn eines – ja, das kann man wohl fast schon so sagen – neuen Lebens. Wie hat Ercan mal gemeint? »Unsere Sportart ist eine Lebenseinstellung.« So ist es. Ich hatte das Gefühl, meine Lebensbestimmung gefunden zu haben.

Also machten wir uns direkt am nächsten Morgen auf den Weg zu »Ercan’s Body Gym« – wir hätten es bei unserer Ankunft beinahe übersehen! Eine von außen recht unscheinbare Muckibude in einem Münchner Wohnviertel. Nur das Schild mit der lustigen Bodybuilder-Illustration und dem großen Schriftzug gab uns die Gewissheit, dass wir richtig waren. Als wir das Gym total aufgeregt betraten, fielen uns direkt die ganzen Bilder an den Wänden auf – fast kein freier Fleck war mehr an der Wand zu erkennen. Da standen wir nun in dem kleinen wohnzimmerähnlichen Eingangsbereich mit Küche, Bar und Sofa, welchen wir sofort aus dem Film wiedererkannten. Wir schauten vorsichtig in das kleine Nebenzimmer, wo die Tür einen Spalt offen stand. Es war Ercans Büro und heraus guckte ein braun gebrannter, breiter Glatzkopf. Seine Schultern so groß wie sein Kopf. »Ich hatte angerufen – wir wollten ja hier mal trainieren, ist das okay?«, fragte ich ihn. Ercan meinte: »Klar, zehn Euro Tageskarte und ihr könnt loslegen.« Dann fügte er noch hinzu: »Was steht denn heute an? Du trainierst wahrscheinlich Beine, oder?« (Mit einem gewissen Unterton, da er wohl wie die meisten davon ausging, dass Frauen immer nur Bauch, Beine, Po trainieren wollen). Frech erwiderte ich: »Nein, heute ist Brust dran!«

Charly wirkte schockiert. Er muss wohl Angst gehabt haben, dass ich zu forsch Ercan gegenüber war und dieser meine Wettkampftauglichkeit nun gar nicht mehr beurteilen wollte. Aber: Nach nicht allzu langer Zeit kam Ercan doch hoch und beobachtete mich beim Training. Danach setzten wir uns unten zusammen aufs Sofa. Nachdem wir ihm unser Vorhaben geschildert und ihn mit Fragen durchlöchert hatten, dann der erlösende Moment: »Sophia, du hast definitiv Potenzial. Ich werde dich selbst unter meine Fittiche nehmen und dich auf den Wettkampf vorbereiten.« Ich dachte nur: Oh, krass! Es war für mich eine Riesenehre (und ein Teil von mir, nämlich der, der keine große Klappe hat, bekam plötzlich ganz weiche Knie: Ich war unendlich dankbar und wollte von nun an alles perfekt (am besten zu 110 Prozent ;-)) umsetzen). Er war nun mein Lehrer und ich seine Schülerin.

Je intensiver ich mich mit Bodybuilding als Sportdisziplin beschäftigte, desto toller fand ich diese Sportart gerade für Frauen. Ich fand es blöd, dass Weiblichkeit meist mit einem schmalen, sehr dünnen Körper assoziiert wurde und nicht mit einem kraftvollen, amazonenhaften. Denn der kann auch mit Muskeln sehr feminin aussehen! Als ich mich privat erstmalig auf Social Media anmeldete, bin ich direkt einigen der ersten Bikini-Athletinnen in Deutschland gefolgt und war fasziniert, wie viel diese Frauen essen konnten und trotzdem einen so tollen Körper erreichten. Bei meinen Recherchen habe ich auch festgestellt, dass es im Bereich Bodybuilding für Frauen an Information mangelt. Das war eine Nische, die ich füllen könnte und auch wollte! Ich dachte, endlich hatte ich die universelle Formel für die perfekte Figur herausgefunden, und diese wollte ich anderen nicht vorenthalten.

Charly und ich waren immer mehr in den sozialen Netzwerken unterwegs. Wir sind vielen Leuten gefolgt und wurden nicht nur von der Informationsfülle, die sie im Netz teilten, inspiriert, sondern auch von der Art und Weise, sich darzustellen und eine wachsende Followerschaft aufzubauen. Charly, eindeutig der kaufmännischere von uns beiden, meinte: »Sophia, lass uns das auch versuchen!«, und entwarf einen Plan: Wir dokumentieren meine Transformation, in Verbindung mit Fitness- und Ernährungstipps und helfen dadurch anderen Menschen, die abnehmen wollen. Ich war sofort Feuer und Flamme: So könnte ich anderen Frauen Mut machen und ihnen zeigen, dass sie nicht mehr leiden müssten, genug essen und gleichzeitig abnehmen könnten plus einen guten Körper bekämen! Mein Ziel war es, dass andere Frauen und Mädchen nicht so unter Bodyshaming leiden sollten wie ich damals. Wir überlegten, mit anderen YouTubern gemeinsam Videos zu machen, um uns gegenseitig auf den Kanälen vorzustellen. Dadurch wollten wir mehr Leute erreichen und speziell über meinen Kanal vor allem Frauen.

Unsere allerersten Kollaborationen hatten wir dann schließlich mit dem Influencer Karl Ess und natürlich auch mit »Pumping Ercan« selbst. Man kann sich vorstellen, wie krass das für Charly und mich damals war – wir waren Follower, richtige Fans und durften nun mit unseren Idolen gemeinsam Videos drehen! Ercan, der heute in der Türkei lebt, hat unseren Erfolg jüngst (also 2020) in einem Interview mit dem YouTube-Channel Gannikus Germany so beschrieben: »Als Sophia zum ersten Mal in mein Studio kam, habe ich zu meinem Kameramann gesagt: Das ist sie! (…) Das ist mein verlängerter Arm in die Wohnzimmer derer, die ich bisher mit meinem Aussehen nicht erreichen konnte (…) Ich habe gesehen, dass die Sophia ein ehrgeiziges und braves Mädchen war, das sehr gut trainieren konnte. Wir haben erst auf meinem Kanal gemeinsam trainiert und dann auf ihrem, und das ist so explodiert, damit hatten wir beide nicht gerechnet.« Plötzlich wurde »Ercan’s Body Gym« zu einem Treffpunkt für YouTuber – und für Frauen! Charly, Ercan und ich – das unschlagbare Trio auf Erfolgskurs!

Von da an sind wir fast täglich von Rosenheim nach München zu Ercan gefahren, eine Stunde Hin-, eine Stunde Rückfahrt, doch das war es uns Wert! Ercan weihte mich in sein »Volumentraining« ein: Pro Tag wird nur eine Muskelgruppe trainiert – also erst nur Beine, am nächsten Tag dann Schultern, dann Brust, dann Rücken, dann Arme –, um die jeweiligen Muskelgruppen maximal zu belasten. Wenn man dann diesen 5er-Split einmal durch hat, fängt er wieder von vorn an, wie in Dauerschleife. Pausetage werden nur in absoluten Notfällen eingelegt, was bedeutet: tägliches Training. Ich trainierte also als Frau genauso wie Ercan als Mann und das gefiel mir! Ich wollte mich unter diesen ganzen Hardcore-Bodybuildern beweisen und keine Schwäche zeigen. Und das als blondes 19-jähriges Fliegengewicht – eine lustige Vorstellung, oder? Dass ich im Training mithalten konnte, hat Ercan imponiert. Und so wurde er sogar mein Trainingspartner, was mich wiederum extrem ehrte, da er in der Vergangenheit eigentlich nur mit richtigen Größen zusammen trainierte. Wir forderten uns gegenseitig heraus, nach dem Motto: Wer von uns beiden kann härter trainieren, wer geht mehr über seine Grenzen hinaus?

Nur zwei Monate später sollte in Augsburg mein erster Wettkampf, die Süddeutsche Meisterschaft in der Bikini-Klasse, stattfinden. Ercan entwarf einen detaillierten Ernährungsplan: Dort stand aufs Gramm genau, wie viele Makronährstoffe ich täglich zu mir nehmen sollte, also wie viele Gramm Kohlehydrate, Fett und Eiweiß. Für die optimale Wettkampfform und die nötige Definition ist ein geringer Körperfettanteil ideal. Um das zu erreichen, ist ein Zusammenspiel vieler Faktoren wichtig, aber zusammengefasst geht es schlicht um eine negative Kalorienbilanz – also weniger Kalorien aufzunehmen, als der Körper verbraucht – in Kombination mit intensivem Kraft- und Cardiotraining. Meine Energie für den Kraftsport habe ich hauptsächlich aus Kohlehydraten gewonnen, auf Fett habe ich weitestgehend verzichtet. Anfangs waren 1800 Kalorien mein Tageslimit, das später auf 1600 Kalorien reduziert wurde. Ob ich mich damit schwertat? Im Gegenteil: Es war ja wesentlich mehr als bei meiner Salatdiät. Damals war ich ja permanent im Hungermodus. Jetzt hatte ich ganze fünf Mahlzeiten, genau alle drei Stunden (immer um 9 Uhr, 12 Uhr, 15 Uhr, 18 Uhr und 21 Uhr) und so quasi das Gefühl, den ganzen Tag nur zu essen. Und dann konnte ich auch noch Lebensmittel zu mir nehmen, die mir schmeckten! Es mag aus heutiger Sicht vielleicht absurd klingen, aber ich fühlte mich wie im Schlaraffenland. Noch. Bei dieser Diät gab es keine ungewissen Komponenten mehr wie früher, wo ich mir nie sicher sein konnte, ob meine »selbst gebastelte« Diät auch wirklich funktionierte. Jetzt war es wie bei einer mathematischen Formel: Wenn ich mich exakt an die Pläne hielt, erzielte ich auch das erwünschte Ergebnis. Wie eine Maschine.

Natürlich hatte ich auch mal Durchhänger, doch ich sah Erfolge und das trug mich. Ich hatte gefunden, wonach ich so lange suchte, und wollte es nie mehr verlieren. Die quälende Unsicherheit und ständige Suche schienen ein Ende zu haben. Ich hatte einen neuen Lebensmittelpunkt (Ercans Studio, das schnell mein zweites Zuhause wurde) und ich hatte eine Struktur. Es war wie ein Gerüst, an welchem ich mich auch in Zeiten des Zweifelns festhalten konnte.

Ercan führte bei mir und anderen Athleten regelmäßige Formchecks durch, um zu sehen, ob sich der Körper zum Wettkampf hin planmäßig entwickelte. Zugegeben, am Anfang war das schon komisch, mich da als 19-jähriges Mädel im Bikini begutachten zu lassen, doch Charly war immer dabei und filmte den gesamten Prozess für unseren Kanal mit. Ich wusste, wir sind ein Team und ziehen alle am selben Strang. Nach so einem Formcheck werden Training und Ernährung an die bisherigen Fortschritte angepasst.

Parallel dazu bildete ich mich im Bereich Ernährung weiter, wälzte Ratgeber und Studien. Daneben bespielten Charly und ich Facebook, YouTube und Instagram und luden dort nicht nur mein Trainingsprogramm mit Ercan hoch, sondern auch Kochvideos aus unserer Küche. Da ich ohnehin jeden Abend meine Mahlzeiten für den nächsten Tag vorkochen musste, filmten wir dabei gleich gesunde Rezepte und Ernährungstipps für meine Kanäle mit. Ich erläuterte in den Videos die Vorteile frischer, unverarbeiteter Lebensmittel und erklärte, wie man Gerichte für unterwegs vorkocht oder versteckte Figurkiller meidet. Wir wollten einfach so viele hilfreiche Videos wie möglich hochladen, für Anfänger wie auch für Fortgeschrittene. Unsere ersten Amateurvideos bringen mich heute nur noch zum Schmunzeln. Wir produzierten zunächst mit unserer Handkamera total verwackelte Clips, die Lichter befestigten wir provisorisch mit Panzerband an den Wänden und der Sound ließ ganz schön zu wünschen übrig. Ich weiß noch ganz genau, wie unglaublich nervös ich bei einem meiner ersten YouTube-Videos war, in welchem ich mein Rezept für gesunde Protein-Muffins zeigte. Dass die Videos immer öfter geklickt wurden, hat uns selbst überrascht. Der Traum, unser Hobby zum Beruf zu machen, schien in Erfüllung zu gehen.

Der 11.11.2014 – dieses Datum werde ich nie vergessen! Am Tag des Wettkampfs wog ich bei 1,72 m Körpergröße 56 Kilo, 24 Kilo weniger als noch vor zwei Jahren. Es war circa sieben Uhr morgens und ich saß frierend im Bademantel mit Ercan und Charly in einem kleinen Nebenzimmer der Wettkampfhalle. Ich war total euphorisch, aber auch gleichzeitig schwach und müde von der monatelangen Diät. In den zwei Wochen zuvor ging es mir wirklich an die Substanz, und während mir 1600 Kalorien pro Tag anfangs wie das Paradies vorkamen, reichten mir diese am Ende hinten und vorn nicht mehr. Durch das hohe Kaloriendefizit hatte mein Körper so lange auf seine Reserven zurückgegriffen, bis irgendwann schlichtweg keine mehr übrig waren. Auf meine körperliche Form war ich stolz wie Oskar. Ich konnte nicht glauben, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, so auszusehen wie die Athletinnen, die ich so bewunderte. Vor einem Jahr hätte ich es mir nicht träumen lassen, je in solch einer Form zu sein und im Glitzerbikini auf eine Bühne gerufen zu werden! Aber nun saß ich hier, von oben bis unten mit brauner Farbe bestrichen, und würde gleich in meine zierlichen High Heels schlüpfen (das Gehen und Posen darin habe ich zuvor lange üben müssen, war ich doch noch nie in solchen Schuhen gelaufen. Das war für mich fast schwieriger als die Diät oder die Trainingsvorbereitung!). Auch meine Eltern und Bella waren trotz ihrer anfänglichen Vorbehalte gegen meinen Sport zu meinem ersten Wettkampf gekommen und feuerten mich aus dem Zuschauerbereich an. Kurz vor meinem Bühnenauftritt motivierten sie mich und sagten zu mir: »Du siehst einfach toll aus, Sophia!« Mit dabei war sogar ein Fernsehteam von Pro Sieben, die meinen Werdegang »Vom Moppelchen zum Muskelpaket« für die Sendung »Galileo« drehen wollten. Wegen unserer rasant ansteigenden Bekanntheit in den sozialen Medien war eine ebenfalls fitnessbegeisterte Redakteurin von »Galileo« auf mich aufmerksam geworden. Das Kamerateam vor meiner Nase hat meine Nervosität nicht gerade gedämpft. Dass ich zum ersten Mal vor der Fernsehkamera stand und interviewt wurde, habe ich Gott sei Dank gar nicht richtig wahrgenommen, denn ich fühlte mich irgendwie abwesend. Wegen der langen und strengen Diät war ich den ganzen Tag sehr müde, vergesslich und fast schon taub. Noch schnell ein paar Übungen mit dem Expander (ein starkes Widerstandsband mit Griffen), um die Muskeln sichtbar »aufzupumpen«, einölen und los geht’s. Dann wollte ich nur noch raus auf die Bühne, damit die Anspannung endlich vorbei ist. Ich sollte tatsächlich auf Anhieb den dritten Platz machen, worüber ich mich wahnsinnig freute. Die ganze Disziplin, das Kämpfen – es hatte sich gelohnt! Aber nicht nur für diesen Sieg. Ich hatte mir die Tür für eine neue Zukunft geöffnet: Zwei Wochen darauf erreichte ich den zweiten Platz bei der Bayerischen Meisterschaft und qualifizierte mich damit als Newcomer für die Deutsche Meisterschaft in Bochum.


Für mich bedeutete dies: knallhartes Wettkampftraining und Wettkampfdiät nonstop. Hinzu kam, dass wir auf Social Media immer mehr Follower und Abonnenten dazu gewannen – und auch die wollten wir zeitgleich mit neuem Content versorgen. Charly war jetzt vollends damit beschäftigt, sich Konzepte zu überlegen und Fotos sowie Videos mit mir zu produzieren. Unsere Rollen waren nun klar verteilt: Er war hinter, ich vor der Kamera. Wir wollten jede freie Minute in das Projekt »Sophia Thiel« investieren: Nach dem Aufstehen machte ich als Erstes eine Runde Cardio, danach produzierten wir bis nachmittags Content für Social Media, dann ging es mit dem Ernährungsplan in der Hand zum Einkaufen, gegen Abend fuhren wir zu Ercan zum Training nach München, später kochte ich noch meine Mahlzeiten für den nächsten Tag vor. Oft war ich so müde, dass mir vor dem Fernseher schon nach kurzer Zeit die Augen zufielen. Für etwas anderes als abends auf der Couch zu liegen hatte ich keine Kraft mehr. Wir sahen kaum mehr Freunde, auch meine Familie sah ich immer seltener. Unser Hobby war jetzt zum Fulltime-Job geworden. Auch wenn wir außer den Einnahmen aus YouTube-Ads vor unseren Videos noch nicht wirklich Geld damit verdienten und deshalb auf die Unterstützung unserer Eltern angewiesen waren. Aber das sollte noch nicht das Ende der Fahnenstange sein: Einen extremen »Push« bekamen wir, als die »Galileo«-Reportage im Fernsehen ausgestrahlt wurde, im Februar 2015 zur besten Sendezeit, direkt vor dem Start der neuen Staffel von »Germany’s Next Topmodel«. Unser E-Mail-Postfach explodierte. Ich konnte es kaum glauben, wie viele Leute plötzlich auf mich aufmerksam wurden und mich um Rat und Tipps baten!

2012 noch der moppelige, unzufriedene Teenager, zwei Jahre später die stolze, selbstbewusste Frau mit Sixpack. Seit ich meine erfolgreiche Transformation mit radikalen Vorher-Nachher-Bildern ins Netz gestellt hatte, schrieben mir immer mehr Frauen, die unter ähnlichen Problemen litten wie ich damals. Sie schickten mir Fotos von sich, schrieben teilweise ihre komplette Lebensgeschichte und schütteten mir ihr Herz aus. Viele waren frustriert, hatten schon zahlreiche Diäten ausprobiert, waren immer wieder gescheitert. Plötzlich war ich in die Rolle des Vorbilds gerutscht, was ich ja eigentlich gar nicht geplant hatte. Weshalb habe ich mein Ziel erreicht, was ist mein »Warum«? Darüber habe ich viel und oft nachdenken müssen. Ein guter Ernährungsplan und auf den individuellen Körper abgestimmtes Training sind die eine Sache. Aber die richtige Überzeugung und der feste Wille zum Ziel die andere. Wollte ich vielleicht all die Jahre mit Fitness nur vor meinen eigenen Unsicherheiten fliehen, um weniger verletzlich zu sein und gleichzeitig glücklicher? Doch war ich mit diesem Körper jetzt wirklich glücklich? Anerkennung, Respekt und Erfolg gaben mir jedenfalls die Bestätigung …

Ich wurde so oft gefragt, wie man im Kopf diesen »Schalter« umlegt. Antwort: Diesen Schalter kann man umlegen, doch das geschieht nicht von heute auf morgen. Dieser Schalter lässt sich dann auch nicht so einfach für immer »fixieren«, wie man vielleicht glaubt. Mit einer Entscheidung ist die Arbeit nicht getan – es ist eine schrittweise Umstellung seiner Gewohnheiten, bis es sich zu einer neuen langfristigen Routine festigt. Ein Marathon, kein Sprint. Heute weiß ich, dass man jeden Tag Arbeit investieren muss, damit dieser Schalter auch umgelegt bleibt. Um mich auf so eine »exotische Sportart« als Lifestyle einzulassen, musste ich mein Denken radikal ändern: Meine Prioritäten im Leben mussten angepasst werden, die Komfortzone aufgebrochen. Ich schlüpfte in einen »Tunnelmodus«. Nach dem Motto: Ich bin meines eigenen Glückes Schmied!

Natürlich haben wir alle Phasen, in denen wir unser Ziel mal aus den Augen verlieren. In denen wir uns fragen, was das eigentlich alles soll. Ob es das Ziel wirklich wert ist, dass man auch manchmal auf Dinge verzichtet, die man jetzt lieber tun würde. Vom Weg abzukommen ist vollkommen menschlich. Und nach einer »Selbstsabotage«, die immer mal vorkommen kann, sollte man sich nicht dafür verurteilen (doch mehr über dieses wichtige Thema und meine persönlichen Selbstsabotagen später), sondern gnädig mit sich sein, dem Frust oder Ärger über sich selbst keinen Raum geben, sondern zügig wieder in alte Bahnen zurückkehren. Merke: Sich für eine Sache zu entscheiden bedeutet nun mal, sich gleichzeitig gegen etwas anderes zu entscheiden, das ist das Wesen einer Entscheidung. Mein Fokus lag immer auf dem Gesamtbild, dem »Bigger Picture«. Fühlte ich mich schlecht oder lustlos, malte ich mir in Gedanken aus, wie großartig es sich anfühlen würde, wenn ich mein Ziel erreicht habe. Das hat mich immer wieder motiviert, weiterzumachen.

Transformation bedeutet Veränderung – und Veränderung macht immer Angst, auch das liegt in der Natur der Sache, denn sie bedeutet, seine Komfortzone zu verlassen. Veränderung bedeutet auch irgendwo Stress! Aber man muss unterscheiden zwischen negativem Stress – der, der einen blockiert und die Angst mobilisiert – und positivem: der, der einem Energie gibt, der einen hellwach macht und zu Höchstleistungen befähigt, wie ein Motor, der einen antreibt.

Der Moment, in dem man auf die Wettkampfbühne tritt, ist wirklich unbeschreiblich, da stimmen mir sicher viele Wettkampfathleten zu. Das Adrenalin durchströmt den gesamten Körper und man fühlt sich so lebendig, es ist fast wie ein Rausch. Auf der Bühne hatte ich das Gefühl, dass ich brutal gewackelt und gezittert habe – Ercan aber meinte, vom Publikum aus gesehen hätte man es nicht bemerkt und es sei eine gute Performance gewesen.

Zu dieser Wettkampfzeit kam ich dann auch zum ersten Mal mit richtigem »Hate« in Kontakt: Kommentare wie »Siehst aus wie ein Typ«, »Bist wohl magersüchtig!« und »Echt keine Titten mehr!« waren noch von der harmloseren Sorte.

Solche negative Resonanz hat mich erschüttert, aber auch darüber reflektieren lassen, wer ich wirklich sein will: Wollte ich inzwischen nicht mehr Fitness-Influencerin sein als reine Bodybuilderin? Meine Follower sahen in mir ein Fitnessvorbild, doch ich merkte schnell, dass viele die Wettkampfwelt als zu extrem und nicht erstrebenswert empfanden. So entschied ich mich für den Fitness-Lifestyle und Charly und ich beschlossen, von den extremen Bodybuilding-Wettkämpfen Abstand zu nehmen. Am 4. April 2015 nahm ich an meinem letzten Wettkampf in Berlin teil, der Deutschen Juniorenmeisterschaft, wo ich den vierten Platz belegte.

Und nur wenige Tage später sollte etwas auf mich warten, das gefühlsmäßig alles übertreffen würde, was ich bisher erlebt hatte: Meine allererste FIBO (Abkürzung für Fitness und Bodybuilding), die größte internationale Messe für Fitness, Wellness und Gesundheit, die jedes Jahr in Köln stattfindet. Damals hatte ich noch keinen eigenen Stand, doch gemeinsam mit Ercan wurde ich von Karl Ess eingeladen, am Stand seines Klamottenlabels zu stehen. Die Fibo fand vom 9. bis 12. April statt und es haute mich in den vier Tagen regelrecht um, wie viele Fitnessbegeisterte es gibt: Zur Fibo kommen jährlich 145.000 Leute! Das Messegelände ist eines der größten der Welt, mit elf riesigen Hallen und einem Freigelände von 100.000 m² drum herum. Es ist einfach gigantisch.

Auf dem Weg zur Messe, am ersten Tag, war ich höllisch aufgeregt. Mich kannte doch niemand … Was, wenn keine*r mich besuchen käme? Aber es hatte sich herumgesprochen, dass ich am Stand sein würde – und plötzlich bildete sich tatsächlich eine Menschentraube um mich herum. Und das, obwohl ich erst seit kurzer Zeit auf Social Media präsent war. Ich konnte es kaum fassen: Das waren also meine Follower! Bisher kannte ich sie ja nur von »Daumen hoch« und »Daumen runter« und den Kommentaren. Nun standen sie leibhaftig zum Anfassen vor mir, wollten Fotos machen, Autogramme haben und mir sagen, dass sie meine Videos toll finden und Respekt vor meiner Leistung haben. Dass ich solche Anerkennung »nur für ein bisschen Abnehmen« erfahren würde, hätte ich nie gedacht! Es war schon ein krasses Gefühl, zu realisieren, dass ich mit meinem neuen Lebensstil, meinem Willen, ein Ziel zu verfolgen, interessant für sie war: Ich konnte anderen auf ihrer Fitnessreise helfen, hatte eine Vorbildrolle eingenommen (bei dem Gedanken wurde mir gleichzeitig ganz mulmig. Ich dachte: Ich habe wirklich die besten, die nettesten, die liebsten Fans. Hoffentlich werde ich sie nie enttäuschen!).

Meine Therapeutin

ÜBER ERWARTUNGSDRUCK IN DEN SOZIALEN NETZWERKEN

Sophia und ihr Ex-Freund haben ihr Projekt – also die Vermarktung ihrer Person auf den Social-Media-Kanälen – schon mit einer gewissen Ambition und einem Hang zur Optimierung begonnen – es sollte perfekt sein. Das bedeutet auch, sie wollten bzw. brauchten – in ihren Augen – maximale Kontrolle über das, was sie tun und zeigen. Ich würde aber sofort unterschreiben, dass Social Media einem automatisch auch eine gewisse Kontrolle nimmt. Da kommt nämlich zu den eigenen Erwartungen an mich selbst, noch das unkontrollierbare Element durch die Beurteilung der anderen dazu. Und damit eben auch noch mehr Druck, weil ich denke, die anderen erwarten etwas Bestimmtes von mir. Zum Beispiel, dass ich eine bestimmte Figur haben muss.

Und wenn man in einem sehr jungen Alter damit beginnt – Sophia war ja zusätzlich auch quasi noch Pionierin im Influencer*innen-Business –, dann kommt zwangsläufig eine gewisse Unerfahrenheit dazu, die dazu führen kann, dass man die Gefahren zu spät erkennt.

Zum Beispiel gab es bei Sophia von Beginn an eine Gefahr bzw. eine »unheilvolle« Verknüpfung zweier Faktoren: den Perfektionismus-Anspruch an die Marke Sophia und den des Bodybuildings, welches von sich aus schon eine perfektionistische Komponente hat. Also ich muss eine bestimmte Leistung bringen bzw. eine bestimmte Körperform erreichen, um mit meiner Marke erfolgreich zu sein. Das ist ein Teufelskreis. Bodybuilding und Social Media sind in diesem Fall – fachlich gesprochen – »aufrechterhaltende Faktoren« gewesen. Das heißt, sie haben ein sich selbst Druck machendes System stabilisiert und damit eben auch selbstschädigendes Verhalten.

Das gilt natürlich nicht nur für Influencer*innen. Sondern für alle, die sich in dieser Social-Media-Welt so bewegen, dass sie auch so sein möchten wie die anderen bzw. alle, die meinen, das erreichen zu müssen, was andere vorgeben. Und auch diejenigen, die anderen immer nur gefallen möchten und ihren Wert an der Fremdwahrnehmung und der Anerkennung anderer festmachen.

Ein Weg heraus kann Authentizität sein. Also zu lernen, authentisch zu sein. Das heißt, sich zunächst ganz bewusst klar zu werden: »Wer bin ich selbst eigentlich?«, »Was macht mich aus?« Also: »Wer bin ich mit all meinen Stärken und eben auch meinen Schwächen?« Wichtig ist dabei, ganz ehrlich zu sich zu sein. Und dann kann ich z. B. mithilfe von Akzeptanz- und Dankbarkeitsübungen lernen, mich so anzunehmen, wie ich nun mal bin, und das auch vor anderen zu zeigen.

Wenn aber – wie z. B. bei Sophia – auch der wirtschaftliche Erfolg so eng mit der eigenen Person verknüpft ist, kann das natürlich noch schwieriger sein. Der Witz am Influencer*innen-Sein ist ja: Ich zeige so viel wie möglich von mir – was auch bedeutet: Es muss alles »vorzeigbar« sein. Ich bekomme aber mehr Freiheit, wenn ich entscheide, dass auch das »Unperfekte« vorzeigbar ist. Dann entsteht weniger Druck. Auch hier geht es wieder um Authentizität. Das heißt, den Mut und die Stärke zu haben, sich so – auch auf Social Media – zu zeigen, wie man ist. Mit seinen Stärken, aber eben auch all den Schwächen und Ambivalenzen, die zum Menschsein dazugehören. Theoretisch hat man ja die Freiheit, seine »Marke« selbst zu formen.

Ich glaube fest daran, dass wir uns das alle mehr trauen sollten – auch im analogen, echten Leben –, um uns gegenseitig Erwartungsdruck zu nehmen.

In meinen Augen ist es nämlich in Wahrheit das Stärkste, was wir machen können: offen zu unseren eigenen Schwächen zu stehen.

Die FIBO hielt noch andere Überraschungen für mich bereit: Auch ich hatte die Möglichkeit, meine Fitnessidole, denen ich schon einige Zeit im Netz gefolgt war, persönlich kennenzulernen! Vor allem Michelle Lewin, die zu den bekanntesten weiblichen Fitnessikonen weltweit gehört, privat zu treffen, hat mich vollkommen umgehauen. Sie war so süß und nett zu mir und nahm sich viel Zeit für mich. Ich war nun keine Einzelkämpferin mehr – wir waren alle eine fitnessbegeisterte Gemeinschaft. Da merkte ich: Mein Traum ist Wirklichkeit geworden. Meine ganze Anstrengung war es wert, um diese Momente zu erleben. Hinzu kam der große Zuspruch, den ich nun aus meinem Umfeld erhielt. Nicht nur Charly und Ercan waren total geflasht davon, was wir erreicht hatten, auch meine Familie konnte nun viel besser verstehen, was für eine enorme Power hinter all dem steckte und was ich bewirken konnte, wie vielen Menschen ich helfen konnte. Von diesem Zeitpunkt an standen auch sie komplett hinter mir und meiner Zukunftsvision und unterstützten mich mit voller Kraft. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich nach den vier Tagen Messe zurück in Rosenheim draußen meine Runde laufen war. Um mich herum die Natur, ich atmete die frische Luft, ich sah die Sonne langsam in einem dramatischen Rosa-orange hinter den Bergen aufgehen und plötzlich hatte ich einen Augenblick, wie man ihn nur aus Erzählungen kennt, von irgendwelchen erleuchteten Menschen oder so: Mich durchströmte ein sagenhaftes Gefühl. Ich hatte meine Leidenschaft zu meinem Beruf gemacht. Ich war glücklich.

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