Читать книгу Vom Internet ins Ehebett - Sophie Berg - Страница 10
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Als wir das Hotel erreichten, in dem Carlas Club tagte, war eine der Frauen soeben dabei, die Anwesenden zu begrüßen. Wir huschten zu zwei Stühlen in der vorletzten Reihe. Carla peinlich bemüht, möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Sie grüßte flüsternd nach allen Seiten und winkte verstohlen zu weiter weg sitzenden Bekannten hinüber. Ich nickte ihr höflich lächelnd hinterher.
Bea wurde begrüßt. Sie trat ans Podium, begleitet von freundlichem Applaus. Ich bewunderte immer wieder, wie selbstsicher sie sich präsentierte. Sie verstand es, bereits mit den ersten Worten das gebannte Interesse ihres Publikums zu wecken.
»Im 18. Jahrhundert wusste man genau, wie eine anständige Frau zu sein hatte«, begann sie ohne lange Begrüßung und zitierte ein bekanntes Nachschlagewerk: »Sie beschränkt sich auf die Pflichten der Frau und Mutter und opfert ihre Tage der Praktizierung ruhmloser Tugenden …«
Bea spannte darauf den geschichtlichen Bogen vom Mittelalter in die Gegenwart und kannte in jeder Epoche Beispiele mutiger Frauen, die sich nicht in das enge Korsett der Konventionen hatten schnüren lassen. Ihre Worte regten zum Nachdenken, aber auch zum Lachen an. Und so waren die Teilnehmerinnen in angeregter Stimmung, als wir uns schließlich ins Restaurant begaben, um gemeinsam zu Abend zu essen. Runde Tische für jeweils acht Personen waren vorbereitet. Ich setzte mich zu Bea, die bereits durstig über ein Glas Mineralwasser hergefallen war, und gratulierte ihr zu dem gelungenen Vortrag. Andere Damen schlossen sich dem an, und so war unser Tisch rasch besetzt.
»Hallo, wir kennen uns noch nicht. Ich bin Franziska Querulin, die Vorsitzende des Clubs. Sie interessieren sich für unser Netzwerk?«, fragte die Frau zu meiner Linken mit einem herzlichen Lächeln.
Ich nickte: »Ich bin eine Freundin von Carla Martens und Bea, der heutigen Vortragenden. Mein Name ist Steinberg, Rosalind Steinberg.«
»Steinberg? Sie waren nicht zufällig mit Peter Steinberg verwandt?«, erkundigte sich eine der Frauen von gegenüber. »Ich bin auch Rechtsanwältin. Ihr Mann und ich haben so manchen Rechtsstreit ausgefochten.«
»Warum sind Sie Mitglied bei EWMD geworden?«, fragte sie eine blasse Blonde, die anscheinend ebenfalls neu hier war.
»Dafür gibt es eine Menge Gründe. Der wichtigste war, dass einer allein nie so stark sein kann wie eine Gruppe. Männer machen es uns doch seit Jahrhunderten erfolgreich vor: Sie bilden Clubs und Lobbys und helfen sich gegenseitig auf der Karriereleiter«, die Rechtsanwältin kam voll in Fahrt, »warum sollten wir sie uns da nicht zum Vorbild nehmen? Ich hatte es endgültig satt, als Einzelkämpferin durch die Welt zu gehen.«
Ja, warum sollten wir wirklich dem Vorbild nicht folgen?
»Was meinen Sie, wie froh ich bin, diesen Club gefunden zu haben!« Das Gesicht zu ihrer Linken strahlte. »Ich bin vor einem Jahr in diese Stadt gezogen. Als Selbstständige habe ich es besonders schwer, in einer neuen Umgebung Fuß zu fassen. Wo sonst hätte ich je so schnell und unkompliziert neue Freundinnen und Geschäftspartnerinnen finden können wie hier? Übrigens: Mein Name ist Margarite Meiner. Ich bin Färb- und Stilberaterin.«
»Wie kamen Sie dazu, sich mit der Geschichte der Frauen zu befassen?«, wollte die Rechtsanwältin von Bea wissen.
Bea erzählte mit launigen Worten. Alle Damen steuerten Überlegungen und Anekdoten aus ihrem Berufsleben bei. Das Essen war ausgezeichnet. Alles in allem wirklich ein gelungener Abend. Und als ich schließlich wieder in Carlas Auto stieg, hatte ich eine Reihe neuer, interessanter Bekannter gewonnen.
»Danke fürs Mitnehmen«, sagte ich, als wir in Richtung Heimat unterwegs waren.
»Bea ist ein As im Redenhalten«, bestätigte Carla, »sie sollte das viel professioneller nutzen. Daraus ließe sich gutes Geld machen.«
»Mir hat nicht nur der Vortrag gefallen, sondern auch die Stimmung allgemein. Und einige der anwesenden Damen. Ich hatte mir deinen Club immer viel steifer vorgestellt. Ich sah den Saal voll von eiskalten Businessladys und dachte, ich würde mir fehl am Platz vorkommen. Aber ich habe mich wohl gefühlt. Ich bin froh, dass ihr mich überredet habt mitzukommen. Ich komme gerne wieder einmal mit.«
Bea war begeistert: »Ein Kongress in Wien! Das ist ja eine großartige Neuigkeit. Wenn ich an die vielen passenden Männer denke. All die Zahnärzte und Kieferchirurgen. Das ist doch traumhaft für dein Vorhaben. Wenn man Leute kennen lernen will, dann sage ich immer: ›Seminare sind das Wahre.‹ Aber ein Kongress, ein Kongress … Verflixt, was reimt sich auf Kongress?«
Sie schwang sich auf die Anrichte in meiner Küche und ließ die Beine baumeln. Die Tücher über ihrem schwarzen Rolli waren diesmal grün: grasgrün, tannengrün, flaschengrün, olivgrün, giftgrün. Sie schnappte sich ein Salatblatt aus der Schüssel. Dann kaute sie gedankenverloren darauf herum, während ihre Rechte mit wilder Geste durch die Luft dirigierte, als wäre sie dabei, eine nie da gewesene, philosophische Meisterleistung zu erbringen.
»Kongresser sind besser!«, rief sie schließlich aus.
Ich holte eben die Essigflasche aus dem Schrank. »Bravo! Fürwahr ein poetischer Geniestreich! Den solltest du unbedingt in deinem nächsten Roman verwenden.« Dann schlug ich ihr mit der Hand auf die Finger. »Und iss nicht den ganzen Salat auf. Den brauchen wir noch fürs Abendessen.« Ich stellte die Schüssel sicherheitshalber außer Reichweite.
»Holzi lässt mich immer naschen«, murrte meine Freundin und klang wie ein kleines Kind, »wann kommt denn die Gute endlich aus dem Urlaub zurück?«
Die gute Holzi war unsere Haushälterin. Frau Maria Holzinger aus Niederösterreich. Eine wahre Perle, die gerade mit ihrer Schwester auf den Kanaren Urlaub machte und erst in elf Tagen zurückerwartet wurde. Als Carla vor zwei Jahren bei uns einzog, da brachte sie nicht nur Marie und eine Anzahl Designermöbel mit, sondern auch besagte Holzi, eine gemütliche, runde Frau mit zeitlosem Aussehen und einer gestreiften Kittelschürze. Als Carla die Scheidung einreichte, hatte Maria Holzinger zuerst gezögert, Oliver allein zu lassen (»Der arme junge Doktor!«). Aber die Tatsache, dass ein großer, gut gebauter Barkeeper in Zukunft den Haushalt leiten sollte, war ihr doch etwas seltsam erschienen. Sie bezog also ein geräumiges Zimmer neben Carlas Wohnung im Dachgeschoss und übernahm ganz selbstverständlich neben deren Haushalt auch den meinen. Sie nannte mich immer »Frau Doktor«. (»Aber natürlich, Frau Doktor. Wie denn sonst? Wo Sie doch eine wirkliche Frau Doktor sind. Bei uns daheim nennt man sogar die Frau von einem Doktor Frau Doktor. Sonst ist die beleidigt.«) Es dauerte nicht lange und die Jungen (»Nein, zwei so liebe Buben!«) hatten sie ebenso ins Herz geschlossen wie Marie. Ich hatte mich bisher mit mehr oder weniger verlässlichen jungen Haushaltshilfen herumgeschlagen. Da genoss ich es natürlich, verwöhnt zu werden. Und vermisste Holzi zutiefst, wenn sie nicht da war.
Bea wandte sich wieder ihrem eigentlichen Thema zu: »Wie viele Teilnehmer sind denn bei so einem Kongress?«
Ich wusste es auch nicht genau. Einige Hundert?
»Alles Männer?« Sie klatschte begeistert in die Hände.
Ich musste grinsen und schüttelte den Kopf: »Wohl kaum. Kannst du bitte diese drei Zwiebeln schneiden? Ich muss dabei immer heulen wie ein Schlosshund.«
Bea rutschte vom Küchenschrank herunter und griff nach einem Schneidebrett. »Mit wem ist Holzi im Urlaub?«, erkundigte sie sich, wie immer etwas sprunghaft.
»Mit ihrer Schwester.«
»Nicht mit ihrem neuen Bekannten, dem höheren Beamten?«
»Ist eine ehrbare Frau, unsere Holzi.«
»Wo sagtest du, hat sie den Herrn kennen gelernt?«
»Auf dem Flohmarkt der Pfarre. Sie hat dort Gläser ihrer berühmten Stachelbeermarmelade verkauft, die sie vorsorglich schon letzten Sommer eingekocht hatte.«
Bea legte ihren Kopf schief und überlegte: »Sieh an, sieh an. Vielleicht solltest du auch Stachelbeermarmelade einkochen. Oder zumindest verkaufen …«
Zack, zack, zack, mit raschen, zügigen Schnitten rückte sie den Zwiebeln zu Leibe. Ich verzog mich in die äußerste Ecke der Küche: »Den Teufel werde ich tun. Und überdies habe ich mit höheren Beamten nichts im Sinn.«
Bea nickte: »Vielleicht passt ein Zahnarzt wirklich besser. Wo sollen die Zwiebeln hin?«
Das Telefon läutete. Es war schon ein Reflex, dass ich zusammenzuckte. Seit Tagen wartete ich auf den Anruf des »biederen Geschiedenen«. Ich wollte alles lieber, als vor Beas neugierigen Ohren zu telefonieren. Es war wirklich höchste Zeit, dass ich mir ein Handy zulegte. Ich war die Einzige in meinem Bekanntenkreis, die keins besaß. Aber Peter war immer dagegen gewesen …
Es läutete abermals.
»Soll ich rangehen?«, fragte Bea, die schon fast zum Haushalt gehörte.
Ich beeilte mich, ins Wohnzimmer zu kommen. »Nein, nein, das mache ich schon. Die Zwiebeln bitte in die Pfanne.«
Ich schloss die Küchentür hinter mir. Durchatmen, die Anonymität nicht vergessen: »Hallo?«
Doch es war nur Tony. Ob Marie zufällig bei mir sei. Er habe eine Überraschung für sie. Marie war in der Musikstunde. Sie hatte vor einigen Monaten begonnen, Querflöte zu lernen. Sehr zu unser aller Leidwesen. Ihre Übungsversuche ließen sich wahrlich nur mit Ohropax aushalten. Oder mit Technogedröhne im Kopfhörer. Ich versprach Tony, Marie den Anruf auszurichten. Dann plauderten wir noch ein bisschen. Er war ein charmanter, liebenswerter Kerl. Ich mochte ihn besser leiden als Oliver. Bei weitem.
»Es war Tony«, informierte ich Bea, als ich in die Küche zurückkehrte. »Um deine Überlegungen zu kommentieren: Ich fahre nach Wien, weil man mich eingeladen hat, einen Vortrag zu halten, und nicht um dort einen Mann kennen zu lernen.«
»Das finde ich ganz toll«, Bea glaubte mir kein Wort, »es ist dir doch recht, dass ich diese Tomaten in Scheiben geschnitten habe? Weißt du übrigens, dass ich früher furchtbare Angst hatte, vor Leuten zu sprechen?«
Ich war ehrlich überrascht:. »Aber du bist extrem kontaktfreudig. Du lernst ja sogar auf der Rolltreppe zur U-Bahn Leute kennen.«
»Mit einzelnen Personen oder kleinen Gruppen zu sprechen ist etwas anderes, als einen Vortrag vor Publikum zu halten. Da wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Ich dachte, jeder würde erkennen, wie unsicher ich war.«
Ich war dabei, die Teller vorzubereiten, um sie ins Wohnzimmer zu tragen. Wir würden heute acht Personen bei Tisch sein: Bea und ihr Mann Richie, die Zwillinge und ich, Carla, Marie und Carlas Freund Konrad. Ein seltener Gast zur Essenszeit. Seine Frau war mit ihrer Mutter in Bad Wiessee.
»Um ehrlich zu sein, ich fürchte mich nicht vor dem Vortrag selbst«, gestand ich ein, »aber vor dem Gang aufs Podium.«
»Willst du wissen, wie ich meine Scheu überwunden habe?«, fragte Bea. »Mit einer äußerst wirksamen Übung. Die habe ich in einem meiner vielen Seminare gelernt. Sie heißt: ›Walk with Grace and Power‹«.
»Hat das etwas mit der ehemaligen Fürstin von Monaco zu tun?« Ich brachte die Gläser ins Wohnzimmer.
Bea besuchte jedes Jahr die verschiedensten Kurse und Workshops. Und sie versuchte stets, erlerntes Wissen sofort in die Tat umzusetzen. Nun folgte sie mir mit den Tellern. »Quatsch. Mit Grace Kelly hat das nichts zu tun. Obwohl die den Walk super drauf hatte. Es geht um deinen Auftritt mit Anmut und Energie. Stell doch bitte die Gläser ab.«
Ich zögerte: »Carla kommt in wenigen Minuten.«
»Es dauert nicht lange«, Bea ließ nicht locker, »Roli, bitte stell die Gläser ab.«
Ich tat, wie mir geheißen.
Bea stellte sich neben mich: »Gut, und nun erinnere dich an eine Situation, wo dir etwas besonders gut gelungen ist. Wo du dich ganz stark und selbstbewusst gefühlt hast.«
»Als ich mein Abiturzeugnis erhielt?«, schlug ich vor. Ich war damals mit einem Notendurchschnitt von 1,1 die Beste der Klasse gewesen. Seltsam, dass mir das gerade jetzt einfiel.
»Gut«, sagte Bea. »Denk dir, du bist wieder die Rosalind mit neunzehn Jahren. Und du holst dir dein Zeugnis ab. Wo steht die Lehrerin?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht dort beim Fensterbrett?« Ich konnte sie wirklich vor mir sehen. Ihr strenges, schlichtes, graues Kleid. Die flachen Schuhe. Die Haare zu einem Knoten aufgesteckt. Eine Halbedelsteinkette um den sehnigen Hals. Die große, behaarte Warze neben dem Mundwinkel. Frau Dr. Felsbrat. Studiendirektorin.
»Und nun geh zu ihr hinüber und hol dir das Zeugnis«, befahl Bea, meine neue Trainerin.
Ich ging hinüber.
»Aber doch nicht so.« Bea seufzte.
»Nicht? Wie denn dann?«
Ich stellte mich wieder neben sie an den Tisch.
»Du bist neunzehn«, sagte Bea eindringlich, »und du hast gerade ein ganz tolles Abitur hingelegt. Und nun holst du dir dein Zeugnis ab. Du bist wirklich stolz auf dich …«
Ich spürte, wie meine Schultern sich strafften und sich mein Kopf aufrichtete. Mein Gesicht begann zu strahlen.
»Und nun geh und hol dir dein ehrlich verdientes Zeugnis ab. Aber vergiss nicht, mit Anmut und Energie zu gehen.«
Bea klatschte rhythmisch Applaus, während ich erhobenen Hauptes und strahlenden Blickes durch mein Wohnzimmer schritt.
Ich war grenzenlos begeistert: »Das ist ja Wahnsinn!«, rief ich aus, als ich das Fensterbrett erreicht hatte. »Ich habe mich so wohl und sicher gefühlt. Und das geht nur, weil ich es mir vorstelle?«
Bea nickte. Sichtlich erfreut, weil die Übung so gut gelungen war.
»Fantastisch. Ich versuche es gleich noch einmal.«
Das Telefon läutete. Ich schritt hin mit »Grace and Power«. »Steinberg.«
»Ja, guten Abend, hier Steuerthal. Sie haben sich vor einiger Zeit auf meine Anzeige gemeldet.«