Читать книгу Vom Internet ins Ehebett - Sophie Berg - Страница 8
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Sonntag war der einzige Tag der Woche, an dem sich »die gesamte Familie« zu einem gemeinsamen Frühstück versammelte. Man traf sich in meinem Wohnzimmer, das groß genug war für einen überdimensionalen Buchenholztisch. An diesem fanden nicht nur sämtliche Hausbewohner, sondern auch gern gesehene Gäste ohne Mühe Platz. Im Sommer wurde die breite Tür mit den weißen Sprossen weit geöffnet, und der Blick war frei auf den kleinen Garten vor dem Haus, mit dem stets kurz geschnittenen saftigen Rasen und den von Tim liebevoll gepflegten Blumenbeeten. Dann waren die Hecken ringsum dicht belaubt, und kein neugieriger nachbarlicher Blick konnte die Idylle des Sonntagsfrühstücks stören.
Doch noch war es nicht so weit. Noch war Anfang Februar. Der Morgen präsentierte sich grau und trüb wie die Tage zuvor. Und der Wetterbericht versprach keine Besserung für die kommende Woche. Die Büsche und Hecken waren zum großen Teil kahl. Und außer ein paar vereinzelten Schneeglöckchen war weit und breit noch nichts Blühendes zu entdecken.
Das Frühstücksgeschirr war bereits abgeräumt. Ich hatte den linken Ellbogen auf den Tisch gestützt und blickte nachdenklich in die Runde. Und wie immer, wenn ich gedankenverloren vor mich hinstarrte, kaute ich an einem Daumennagel. Eine Angewohnheit, die Peter jedes Mal ein ärgerliches »Du bist doch kein Baby mehr, Linda« entlockt hatte. Peter. Natürlich hatte er mich bisweilen genervt. Und doch, es gab Tage, da vermisste ich ihn so sehr. Auch mehr als zwei Jahre nach seinem Tod fehlte mir sein Lachen, wenn er mit der Welt im Reinen war. Seine ernsten Augen, wenn er über ein Problem grübelte. Seine rasche Auffassungsgabe. Sein Witz. Die kumpelhafte Art, wie er mit den Zwillingen umging. Sein Stolz. Sein Stil. Natürlich war er arrogant gewesen. Unerträglich arrogant, wenn er es sein wollte. Wenn ich nur an die Streitereien zwischen ihm und Bea dachte. Wahre Wortgefechte waren das gewesen. Die beiden hatten einander nur sehen müssen, und schon hatte es gekracht. Ein Funke genügte für eine gewaltige Explosion. Nicht, dass Peter Bea nicht mochte, Es war ihre Selbstständigkeit, die ihn reizte. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie es mit jedem Mann aufnahm. Der Mangel an Zurückhaltung. Das völlige Fehlen von dem, was für ihn »Frausein« bedeutete: all das Damenhafte, die Verletzlichkeit, eine gewisse Scheu vor Unbekanntem, das Schutzsuchende und das Gefallenwollende. All das war bei Bea von jeher nicht zu finden.
Ich blickte zu Carla hinüber. Sie war eben dabei, die langen rotblonden Locken ihrer Tochter zu bürsten. Die silberne Spange, die sie abschließend auf Maries Hinterkopf befestigen würde, baumelte aus ihrem Mundwinkel.
Mit Carla hatte sich Peter ausgezeichnet verstanden. Sie war elegant, gepflegt und als Enkelin einer ostpreußischen Großmutter stets Herrin über ihre Gedanken und Gefühle. Eine Dame vom Scheitel ihres rotblonden Pagenkopfes bis hin zur Sohle ihrer schlichten 300-Euro-Pumps. Vielleicht hätte Carla viel besser zu Peter gepasst. Hatte sie nicht selbst zu Bea gesagt, sie sei scharf auf ihn gewesen? Ich musste lächeln. Welch ungewöhnlicher Ausdruck aus Carlas vornehmem Mund. Ich war stolz darauf, dass so viele bildschöne Frauen Peter umschwärmt hatten wie die Motten die einzige Lichtquelle. Er war von Kindesbeinen an gewohnt gewesen, dass man ihn liebte. Ein dunkler Lockenkopf, dunkle große Augen – »Kirschenaugen«, wie seine Mama (mit Betonung auf dem zweiten »a«) nicht müde wurde zu betonen. Sein gewinnendes Lächeln. Ihn zu sehen und hingerissen zu sein war eins. Das traf nicht nur auf Mama zu, sondern auch auf seine damals noch lebende Großmama (natürlich ebenfalls mit Betonung auf dem zweiten »a«) mütterlicherseits. Auf Tanten, Lehrerinnen. Doch nicht nur Frauen liebten Peter Steinberg. Auch seine männlichen Verwandten, Lehrer und Freunde (und davon gab es unzählige) waren angezogen von seinem Charme, seiner Zielstrebigkeit und von der Selbstverständlichkeit, mit der er sein Leben nach seinen Vorstellungen gestaltete.
Nur Hubert schien nie so recht in dieses Bild zu passen. Hubert Steinberg, der gestrenge Vater. Sohn eines Offiziers. Enkel eines Offiziers. Er war kurz vor dem Zweiten Weltkrieg geboren worden. Als tief gläubige Katholiken hasste seine Familie das Nazi-Regime von ganzem Herzen. Als der Krieg zu Ende war, war Hubert sieben Jahre alt gewesen. Er wuchs zu einem Mann mit festen Grundsätzen und zähem Pflichtbewusstsein heran. Sein Vater war aus russischer Gefangenschaft nie zurückgekehrt. Er selbst hatte den Krieg außer einigen innerlichen und äußerlichen Schrammen heil überstanden. Obwohl seine Mutter und er kaum Geld hatten, hatte er das Abitur geschafft. Ein Umstand, der ihn mit ebenso großem Stolz erfüllte wie Mama später die Kirschenaugen ihres Sohnes. Er hatte Glück und bekam eine Anstellung als Sachbearbeiter in einer kleinen Fabrik, die Suppen in Konservendosen herstellte. Mit Fleiß und unermüdlichem Einsatz diente er sich die Karriereleiter hoch. Und doch wäre er wohl nie über die dritte Führungsebene hinausgekommen, wäre ihm nicht eines Tages Konstanze, die hübsche Tochter des Firmeninhabers, über den Weg gelaufen. Ich war mir nie klar darüber geworden, was die verwöhnte Unternehmerstochter veranlasst haben konnte, sich in Hubert zu verlieben. Dennoch war es geschehen. Nach einem Jahr Verlobungszeit wurde geheiratet. Nach einigen Jahren übernahm Hubert von seinem Schwiegervater die Leitung des Betriebes. Zum Leidwesen von Konstanzes jüngerem Bruder Felix, der sich fortan um die neu gegründete Produktionsstätte in Italien kümmerte. Man brachte es zu Ansehen und Wohlstand. Und bereits im zweiten Ehejahr wurde ihr einziges Kind geboren. Ein Sohn, Stammhalter und Erbe. Er wurde Peter genannt, nach seinem inzwischen verstorbenen Großvater. Peter, der Vielgeliebte, der Vielbewunderte. Der alle in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllte und zu einem gut aussehenden jungen Mann heranwuchs. Der Jura studierte und schließlich als Krönung zum Doktor der Rechte promoviert wurde. Die akademische Laufbahn seines Sohnes, die ihm selbst verwehrt geblieben war, erfüllte Hubert mit tiefer Freude und Befriedigung. Peter wurde rasch Juniorpartner der hoch angesehenen Rechtsanwaltskanzlei Berendt & Ployer, und Huberts Glück wäre perfekt gewesen – hätte Peter nicht mich getroffen, die ungeliebte Schwiegertochter.
Ich seufzte und blickte zu meinem Schwiegervater hinüber. Dieser hatte sich, wie immer nach dem Sonntagsfrühstück, in den Lehnstuhl neben dem Kamin zurückgezogen und studierte eingehend die Wochenendausgabe der Zeitung. Wer hätte wohl gedacht, dass wir einmal auf so engem Raum zusammenleben würden? Ohne Mama als schützenden Prellbock zwischen uns. Ohne Peter, dem Grund, dass wir überhaupt miteinander zu tun hatten.
Peter und ich hatten uns auf einem Studentenfest kennen gelernt. Ich war damals zwanzig, er zweiundzwanzig Jahre alt. Die Musik war laut gewesen, die Stimmung ausgelassen. Ich hatte mich soeben am improvisierten Tresen angestellt, um im Gewühl ein kaltes, erfrischendes Getränk zu ergattern, als sich eine Hand auf meinen Arm legte und eine bislang unbekannte Stimme sagte: »Ich hole dir etwas. Sag mir, was du möchtest.« Mit großen Augen hatte ich zugesehen, wie sich die Menge vor dem jungen Mann zu teilen schien. In Windeseile war er mit zwei Gläsern wiedergekommen.
Peter Steinberg hatte eine kleine Kostprobe seines Talents gegeben. Dass ich mich auf der Stelle in ihn verliebte, verwunderte keinen. Dass er jedoch mir in den nächsten Wochen und Monaten nicht von der Seite wich, verwunderte alle, die uns beide kannten. Am meisten natürlich mich selbst. Peter war aus »gutem Hause« – ich kam aus einfachen Verhältnissen. Er war das gewandte Kind der Großstadt – ich ein schüchternes, etwas verschlossenes Mädchen aus der Provinz. Er hatte eine verwöhnte, allseits beliebte, stets nach einem Hauch Chanel No. 5 duftende Mama (die Betonung auf dem zweiten »a«, bitte schön) – ich eine verhärmte, abgearbeitete, allein erziehende Mutter, die nach Kernseife und billigen Zigaretten roch. Er war verzärtelter Mittelpunkt des Familieninteresses – ich die ältere Schwester eines kleinen, lästigen Bruders. Für ihn war das Studium eine selbstverständliche Sprosse auf der vorprogrammierten Leiter des Erfolgs – für mich ertrotzte Freiheit. Die ich mir nur leisten konnte, weil ich in den Ferien in der Gastwirtschaft meines Onkels dutzendweise Krüge mit Bier schleppte. Peter hatte ebenmäßige Gesichtszüge mit griechischem Profil und Kirschenaugen – meine Augen sind nicht auffällig und überdies hinter einer Brille gegen Kurzsichtigkeit versteckt. Und mein Profil – schrecklich. Meine Nase ist nicht griechisch, sie ist schlicht und einfach groß, breit und lang. Heinrich, mein Bruder, hatte sich schon vor Jahren einen Reim zurechtgelegt, mit dem er mein Selbstbewusstsein gezielt untergraben konnte: »Die Rosi kann mit ihrem Zinken fliehenden Burschen prima winken.«
Jedes Mal, wenn er diesen Spruch aufsagte, und er sagte ihn oft, sank mein Selbstwertgefühl ein Stück tiefer. Ich hasste ihn dafür. Und es kränkte mich, dass meine Mutter immer wieder schallend, mit von vielen Zigaretten rau gewordener Stimme darüber lachen konnte. Ich habe Heinrich schon lange nicht mehr gesehen. Er ist Polizist geworden und sieht nun im Schwarzwald nach dem Rechten.
»Herr Gott, Rosalind! Kannst du denn deinem Sohn nicht einmal sagen, er soll gerade sitzen? Man lümmelt sich nicht am Frühstückstisch.« Huberts strenge Worte ließen mich auffahren. Mein Schwiegervater hielt die Zeitung gesenkt und blickte mahnend zu mir herüber. Die Lesebrille baumelte an einem goldenen Kettchen über dem dunkelblauen Pullunder. Ich zuckte schuldbewusst zusammen. Meine Söhne reagierten meist viel gelassener.
»Bitte, Gropa, sag’s uns doch selbst«, forderte Sebastian auch schon und erhob sich. Er angelte mit dem Fuß unter dem Tisch nach seinem Pantoffel. Dann schnappte er seinen Walkman und stöpselte seine Ohrmuscheln zu: »Macht’s gut, Leute. Ich schau bei Jordy vorbei. Mal sehen, was geplant ist. Kommst du mit, Tim?«
Dieser schüttelte überraschenderweise den Kopf. »Geh schon vor. Ich muss noch für Geografie lernen. Du weißt, die Lehrerin hat mir für morgen eine Prüfung über die skandinavischen Länder angekündigt.«
»Die skandinavischen Länder sind ein wesentlicher Teil Europas«, dozierte Hubert. »Ihr wisst doch, dass ich eine Vorliebe für den Norden, insbesondere für Schweden habe. Wenn du mit mir kommst, Tim, ich habe unten in meiner Wohnung einige Bildbände über Skandinavien. Die solltest du dir unbedingt ansehen.«
Tim warf seinem Bruder einen vielsagenden Blick zu. »Das werde ich bis morgen nicht mehr schaffen, Gropa.«
Sebastian verkniff sich ein Grinsen.
Tim und freiwillig etwas lesen, das in der Schule nicht unbedingt verlangt wurde? Undenkbar. Die Lehrer waren schon froh, wenn er ein Minimum des Stoffes wusste. Tim war sicher so intelligent wie sein Bruder. Doch das Lernen konnte ihn, im Gegensatz zu Sebastian, selten begeistern. Seine Talente lagen im außerschulischen Bereich, wie er nicht müde wurde zu erklären.
Hubert wandte sich wieder seiner Lektüre zu. Mochte er auch mit mir streng ins Gericht gehen, so war er seinen Enkeln gegenüber milde gestimmt. Er hatte sich zwar von Anfang an verbeten, dass sie ihn »Opa« nannten. Ein »verweichlichter« Ausdruck, der eines erwachsenen Mannes unwürdig war. Er hatte auf »Großpapa« bestanden. Als die Jungen sprechen lernten, wurde aus »Großpapa« »Gropa«, und dabei ist es geblieben.
Die Jungen waren der Anlass, dass Peter und ich heirateten, fünf Jahre nach unserem Kennenlernen. Eine Tatsache, die mir Hubert nie verziehen hatte. Die schönsten Frauen hätte sein Sohn haben können. Die reichsten und natürlich solche aus den ersten Familien des Landes. Aber Peter musste sich ja an die Nächstbeste vergeuden. Nur weil sie ihm ein – nein, sogar zwei – Kinder anhängte und ihn damit fest in ihren Fängen hatte. Nicht einmal eine ansehnliche Mitgift hatte ich, die Landpomeranze, mitgebracht. Dabei wären andere Väter bereit gewesen, ihre Töchter standesgemäß auszustatten. »Mit mindestens hundert Kamelen«, wie Bea einmal spöttisch bemerkte.
Hubert mochte Bea nicht. Er mochte mich nicht. Seinen Enkeln konnte er sich jedoch nicht verschließen. Je älter die beiden wurden, desto mehr eroberten sie sein Herz. Er war stolz auf Sebastians Leistungen. Und er verzieh Tim jede Unzulänglichkeit, weil er ihn in seiner fröhlichen, charmanten Art an Peter erinnerte.
»Marie, du siehst richtig bescheuert aus, wenn du dich so zurechtmachst.« Sebastian war bereits auf dem Weg zur Tür.
»Sebastian!«, rief ich entsetzt. Nur jetzt kein Heulkonzert am Frühstückstisch! Was war denn bloß in meinen sonst so besonnenen Sohn gefahren? Er verstand sich doch gut mit Marie. Und er wusste, dass sie seit kurzem bei jeder Kleinigkeit beleidigt reagierte. Doch zu meiner Überraschung nahm ihm Marie seine offenen Worte nicht übel. Sie drehte und wendete sich, sodass das duftige Röckchen ihres Kleides und der Ponyschweif hin und her flogen. Normalerweise war sie ein sportliches Mädchen in praktischen Jeans. Doch jedes zweite Wochenende verwandelte sie sich in eine sittsame Prinzessin.
»Papi mag es am liebsten, wenn ich mich für ihn hübsch mache«, sie wandte sich Tim zu, der sie bisher nicht beachtet hatte, »und ich bin doch hübsch, was sagst du, Tim?«
»Nicht schlecht«, er hob seinen Blick nur kurz von seinem Schulheft. »Sieht aus, als könnte aus dir noch etwas werden.«
Marie verstand das als Kompliment.
»Na, wenn’s dein Papi will, ist natürlich alles klar«, murmelte Sebastian, hob grüßend die Hand und schloss die Tür hinter sich. Weder er noch sein Bruder konnten Maries Vater Oliver Martens ausstehen. Aber sie waren fair genug, es Marie nicht merken zu lassen.
Ich blickte wieder in die Runde. Wir waren eine richtige Großfamilie geworden.
Wie anders war es gewesen, als Peter und ich vor mehr als sechzehn Jahren, gleich nach der Hochzeit, hierher gezogen waren. Das Haus gehörte Peters betagter Großtante, einer Schwester seiner verstorbenen Großmama. Diese lebte damals mit einer Pflegerin in der Souterrainwohnung. Diese Wohnung hatte keine Fenster zur Straße hin, dafür eine breite Glastür zum kleinen Garten hinter dem Haus. Für uns war die Erdgeschosswohnung frei geworden. Das Dachgeschoss war an ein betagtes Ehepaar vermietet. Wie still war es damals hier gewesen. Doch dann kamen die Zwillinge, und mit ihnen kam Leben in die alte Villa. Bald darauf starb die Großtante und vermachte Peter das Haus. Einige Jahre später zog das Ehepaar aus dem Dachgeschoss ins Altenheim. Mir gegenüber hatten sie erklärt, das Treppensteigen sei ihnen zu anstrengend geworden. Sicherlich hatten aber auch das Toben der Zwillinge und ihre Vorliebe für laute Musik maßgeblich zu ihrem Entschluss beigetragen.
Etwa zur gleichen Zeit verstarb Peters Mama an Krebs, und Hubert blieb allein und verlassen im weitläufigen Haus auf dem Fabrikgelände zurück. Er war zwar weiterhin Direktor des Unternehmens, Alleinerbe der Firma war jedoch Felix, Mamas Bruder. Es kam, wie es kommen musste. Felix kehrte aus dem Ausland zurück und setzte alles daran, sich seinen unliebsamen Schwager vom Hals zu schaffen. Er köderte die Belegschaft mit Versprechungen, widerrief Huberts Entscheidungen und traf sich hinter dessen Rücken mit wichtigen Geschäftspartnern. Alle, die jahrelang mit Huberts autoritärer Art schlecht zurechtgekommen waren, liefen mit fliegenden Fahnen zu Felix über. Hubert musste zur Kenntnis nehmen, dass sein Einflussbereich immer mehr beschnitten wurde. Und er saß stundenlang bei seinem Anwalt, um rechtliche Schritte gegen den verhassten Schwager zu überlegen. Schließlich siegte jedoch beider Sorge um das Ansehen von Fabrik und Familie. Man einigte sich gütlich. Hubert bekam eine stattliche Abfindung ausbezahlt. Und nahm im Gegenzug dazu sein chronisches Bandscheibenleiden zum Anlass, um mit achtundfünfzig vorzeitig in den trotzdem wohlverdienten Ruhestand zu gehen. Natürlich konnte und wollte er nicht länger auf dem Fabrikgelände wohnen bleiben. Er sprach mit seinem Sohn – der hatte nichts einzuwenden. Und ehe ich mich versah, zog Hubert mit Sack und Pack in der Souterrainwohnung ein. Peter hatte mein Einverständnis als selbstverständlich vorausgesetzt. Und hätte ich einem einsamen Mann, dem man auf rüde Weise sein Lebenswerk entrissen hatte, wirklich seine Bitte abschlagen können? Wohl kaum. Dennoch war ich eine Zeit lang ziemlich verärgert gewesen.
Das Zusammenleben gestaltete sich nicht reibungslos, doch auch nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Hubert wollte keinesfalls mit mir, seiner ungeliebten Schwiegertochter, mehr zu tun haben als unbedingt nötig. So fiel er mir nicht zur Last. Eine eigene Wirtschafterin kümmerte sich um seinen Haushalt. Er wurde Mitglied im Schachclub und blieb eifriger Rotarier. Als solcher genoss er es, an den vielen Veranstaltungen und Reisen teilzunehmen, die dieser Club veranstaltete. Wollten Peter und ich ausgehen, so spielte Hubert ohne zu zögern Babysitter. Und schenkte dabei seinen Enkeln all die Zeit und Aufmerksamkeit, die er seinem nicht weniger geliebten Sohn aus Karrieregründen hatte verweigern müssen.
So lebten wir einige Jahre zu fünft in der großen Villa. Das Dachgeschoss stand leer und wurde von den Jungen als zusätzlicher Spielbereich genutzt.
Und dann war jener vierzehnte September vor gut zwei Jahren gekommen. Ich musste damals erst am Nachmittag in die Praxis gehen. Die Jungen waren in der Schule, und ich war eben dabei, den Frühstückstisch abzuräumen. Seltsam, ich wusste noch genau, wie der Tisch ausgesehen hatte. Die dottergelben Sets aus Bastgeflecht. Das dezent geblümte Geschirr, das uns Mama zur Hochzeit geschenkt hatte. Marmeladenreste klebten an den Messern, der Abdruck meines malvenfarbenen Lippenstifts an meiner Tasse. Peter hatte eine letzte Scheibe Schinken auf seinem Teller zurückgelassen. Wie immer war er am Morgen zu hektisch gewesen, um den Tag geruhsam zu beginnen. Eine Tasse starker, schwarzer Kaffee, ein rascher Flug durch die Zeitung, ein paar von mir aufgedrängte Bissen. Das wars dann auch schon. Um elf Uhr wurde er in einer Stadt erwartet, die mehr als hundert Kilometer entfernt war. Irgendein wichtiger Termin mit irgendeinem wichtigen Klienten. Peter hatte mir nie viel von seiner Arbeit erzählt.
»Mach’s gut, Linda.« Ein geübter Griff zum ledernen Aktenkoffer. Ein prüfender Blick in den Spiegel. Ein rasches Zurechtrücken des Krawattenknotens. Ein schneller Kuss.
»Vergiss nicht, wir haben Karten fürs Theater heute Abend.«
»Keine Sorge, ich bin rechtzeitig zurück.«
Der flache Sportwagen war sein großer Stolz. Nicht rot lackiert, das hatte damals jeder. Nicht silbergrau, das war ihm zu affektiert. Nein, ein schlichtes Dunkelblau, satt wie das Dröhnen seines Motors. Gekonntes Understatement.
Als das Telefon klingelte, ließ ich mir Zeit mit dem Abheben. Ich brachte erst das Tablett in die Küche und stellte die Butterdose in den Kühlschrank. Ich erwartete keinen Anruf. Später wurde ich oft gefragt, ob ich keine Vorahnung gehabt hätte? Ein banges Gefühl, als ich den Telefonhörer berührte? Doch beim besten Willen, da war keine Vorahnung. Oder auch nur ein Verdacht, dass Peter etwas passiert sein könnte. Er schien immer so stark, so glanzvoll, so unverwundbar. Ein Sonntagskind, dem das Glück in den Schoß fiel …
»Sankta-Barbara-Krankenhaus, Schwester Doris am Apparat. Spreche ich mit Frau Steinberg? Der Gattin von Dr. Peter Steinberg?«
Ich bestätigte dies, noch nicht wirklich beunruhigt. War Peters Klient im Krankenhaus?
»Da bin ich aber froh, dass ich Sie antreffe«, fuhr die Schwester fort »Ihr Gatte ist vor wenigen Minuten bei uns eingeliefert worden. Unser Chefarzt möchte, dass Sie umgehend zu uns kommen. Werden Sie das Auto nehmen? Ich beschreibe Ihnen den Weg …«
Ich kritzelte eine Nachricht für die Zwillinge auf die Tafel in der Küche. Aber ich vergaß, Hubert zu verständigen. Ein Umstand, den er mir bis heute nicht verziehen hat. Ich schlüpfte in die Leinenjacke meines grünen Kostüms und eilte zur Garage. Natürlich war ich jetzt aufgeregt. Natürlich hatten mich die Worte der Schwester beunruhigt. Und doch hatte ich keinen Augenblick lang angenommen, dass sich Peter in ernster Gefahr befand.
Aber als ich das Krankenhaus erreichte, war es zu spät. Peter war während einer Notoperation gestorben, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Innere Blutungen durch einen Autounfall. Er hatte mit einem riskanten Überholmanöver an einem Lastzug vorbeifahren wollen. Mit überhöhter Geschwindigkeit, wie ich vom anwesenden Polizeiinspektor erfuhr. Schleudern auf nasser, mit Blättern übersäter Fahrbahn. Kollision mit einem Brückenpfeiler. Fremdverschulden ausgeschlossen.
Der Oberarzt drückte mit steinerner Miene sein Beileid aus. Ein Polizist drückte mir den verbeulten Aktenkoffer in die Hand.
Wie hätte ich wohl die darauf folgenden Tage und Wochen ohne meine Freundinnen überstanden? Carla nahm die Organisation der Beerdigung in die Hand, half mir, Peters Papiere zu sichten, und beruhigte gleichzeitig Hubert, der seinen Schmerz durch ungerechtfertigte Attacken gegen mich zu lindern suchte. Bea kümmerte sich um die Jungen, sprach mit den Lehrern und bot mir eine starke Schulter zum Ausweinen. Ein knappes Jahr später war ich es dann, die Carla tröstete. Wer hätte je angenommen, dass Oliver Martens …
»Roli! Hallo! Rosalind! Sag einmal, träumst du? Es hat an der Tür geläutet!« Carlas laute Worte brachten mich mit einem Schlag in die Gegenwart zurück. Sie hatte inzwischen den Nähkorb geholt und war dabei, einen Knopf an Maries Kleid anzunähen. Mit dem Rücken zu ihr stand ihre Tochter und zappelte ungeduldig. Ich eilte zum Eingang.
»Sieh an, die Hausherrin persönlich. Guten Tag, Rosalind.« Oliver Martens beugte sich zu mir hinunter und deutete einen Kuss auf die Wange an. »Du siehst blass aus. Nerven dich deine Jungen? Oder gar meine Damen?«
Er nannte seine Tochter und seine geschiedene Frau gern »seine Damen«. Ich wusste, dass er nicht wirklich Interesse an meinem Befinden hatte. Also lächelte ich nichtssagend und führte ihn ins Wohnzimmer.
»Papi, Papi!« Begeistert stürzte Marie auf ihren Vater zu. Er fing sie auf und wirbelte sie im Kreis herum.
»Na, meine Süße? Fertig zum Ausgehen? Du siehst wieder einmal zauberhaft aus. So schön wie deine Mama.« Er trat auf Carla zu. »Als sie jung war«, fügte er hinzu und reichte ihr die Hand.
»Das war wieder typisch Oliver Martens«, dachte ich angewidert. Er konnte keinen freundlichen Satz sagen, ohne eine versteckte, meist aber auch offene Spitze daran anzuschließen.
Carla schien dies nicht mehr zu stören. Sie begrüßte ihren Exmann mit freundlicher Distanz. Es war wirklich erstaunlich, wie freundlich die beiden sich wieder begegneten. Niemand hätte nach dem dramatischen Verlauf ihrer überstürzten Scheidung darauf zu hoffen gewagt.
»Bring sie nicht zu spät nach Hause. Morgen ist Schulausflug, und sie muss bereits um sieben Uhr am Bahnhof sein.«
Oliver hörte ihr nur mit halbem Ohr zu. Er hatte Tim achtlos zugenickt und war dann zu Hubert hinübergegangen und grüßte ihn mit einer formvollendeten Verbeugung. Ich musste wider Willen lächeln. Oliver verstand es, sich beliebt zu machen, wenn er es wollte. Er war alles andere als ein schöner Mensch, der Herr Doktor. Ein kleiner, untersetzter Mann mit gedrungenem Körperbau. Und kugelrundem, stets leicht gerötetem Gesicht. Seine großen, wässrig blauen Augen fielen ebenso auf wie seine vor Gel glänzenden, aus der Stirn gekämmten schwarzen Locken.
»Wo ist Tony?«, meldete sich Marie zu Wort. »Ist er nicht mitgekommen?«
Tony war der Scheidungsgrund. Oder, wie Carla nach tiefem Nachdenken und vielen Gesprächen mit uns Freundinnen ehrlich feststellen musste, eher der unmittelbare Anlass, dass sie sich zu diesem tiefgreifenden Schritt entschlossen hatte.
In Wahrheit war ihre Liebe schon längst gestorben und das Zusammenleben nur noch ein Nebeneinander gewesen. Lange bevor Tony auf der Bildfläche erschienen war. Olivers neuer Lebensgefährte. Die beiden waren ein ungleiches Paar. Tony war so groß, wie Oliver klein war. Er war so muskulös wie Oliver dick. So gut aussehend wie Oliver hässlich und so dumm wie Oliver klug. Behauptete zumindest Bea. Der Vergleich war allerdings nicht ganz korrekt. Hielt sie doch den Chirurgen selbst auch nicht für überragend intelligent.
Die Liebe der beiden Männer dauerte nun schon fast zwei Jahre. Carla war entsetzt gewesen, als sie davon erfuhr. Obwohl sie es im Nachhinein Oliver hoch anrechnete, dass er nicht auf einen Zufall gewartet hatte, der seine Frau über die neue Tatsache informierte. Er selbst hatte sie ihr eines Abends offen und schonungslos dargelegt. Er habe bereits im Internat bemerkt, dass er latent homosexuell veranlagt ist. Nein, er habe keinen Grund gesehen, sie davon in Kenntnis zu setzen. Er habe gedacht, dies sei eine längst überwundene, pubertäre Verirrung. Doch dann habe er Tony kennen gelernt. Dieser hatte eine Kollegin in die Klinik begleitet, die sich einer Brustkorrektur unterziehen wollte. Keiner Vergrößerung, sondern einer Straffung. Denn die Dame war Tänzerin, Stripteasetänzerin um genau zu sein. Und da war es nicht angebracht, wenn die schlaffen Brüste bei jeder Bewegung um die Rippen schlackerten. Oliver war ein Freund derber Wortwahl. Carla hatte ihren Mann daraufhin fassungslos gefragt, ob Tony etwa auch Stripteasetänzer sei. Tony war Barkeeper. Ein ganz ausgezeichneter, wie Oliver in den Wochen nach dem Kennenlernen feststellen konnte. Seine »Bloody Mary« war köstlich, seine anderen Cocktails waren hinreißend. Doch noch viel hinreißender waren feste, knackige Pobacken in hautengen, schwarzen Lederhosen. Und eine muskulöse, behaarte Brust unter dem geöffneten Seidenhemd. Ob sich Carla vorstellen konnte, wie erregend ein gut gebauter männlicher Körper war? Carla konnte. Ob sie sich vorstellen konnte, seine Affäre zu tolerieren und dennoch weiter mit ihm zusammenzuleben? Carla konnte nicht.
Kurz nach diesem Gespräch fanden Oliver und Tony eine geräumige Altbauwohnung nahe der Klinik. Die Scheidung war nur mehr Formsache. Marie blieb bei der Mutter.
Carla hatte Tony kennen gelernt. Und wider Erwarten, gegen ihren Willen, mochte sie ihn. Er war charmant und zuvorkommend, und er verstand sich bestens mit Marie. Oliver war ungeduldig und sehr auf sich konzentriert. Er wollte seine Tochter pflegeleicht. Hübsch herausgeputzt, ein Vorzeigeobjekt, das er stolz seinen Freunden und Bekannten präsentieren konnte. Wie ein Stück aus seiner heiß geliebten Porzellansammlung. Tony akzeptierte Marie, wie sie war. Er ging auf ihre Wünsche ein, besuchte sie, wenn sie krank war, half ihr bei Schularbeiten und ging mit ihr ins Marionettentheater.
»Tony liegt noch im Bett«, Oliver verzog die Mundwinkel, »er hatte heute Nacht schon wieder Dienst und ist erst gegen acht Uhr nach Hause gekommen. Höchste Zeit, dass ich dem Treiben ein Ende setze.«
Das fanden Carla und ich wirklich amüsant. Wie oft hatte ihr Oliver in den Ohren gelegen, sie solle ihren Beruf an den Nagel hängen und nur für ihn da sein. Er konnte sich eine nicht berufstätige Ehefrau aus finanzieller Sicht spielend leisten. Sie hatte sich stets erfolgreich dagegen gewehrt. Und jetzt war anscheinend Tony an der Reihe. Vorbei waren die Zeiten, da Oliver ihn bewundernd beobachtete, wie er bunte Flüssigkeiten im silbernen Shaker schüttelte. Und wie er diese dann in hohem Bogen in bereitgestellte Gläser goss. Vorbei die Zeit, da er Tonys »Bloody Mary« köstlich fand. Jetzt fand er Tonys Zwiebelrostbraten köstlich. Und er wollte, dass Tony in der Bar Schluss machte und sich nur noch um den Haushalt und den dazugehörigen Hausherrn kümmerte. Zu seinem Leidwesen weigerte sich Tony jedoch, seine Selbstständigkeit aufzugeben und sich vollends in die Abhängigkeit von Oliver zu begeben. Eine Entscheidung, die Carla und ich gut nachempfinden konnten.
»Komm, Papi. Lass uns fahren und Tony aufwecken.« Marie versuchte, ihren Vater mit sich zu ziehen. »Er hat mir versprochen heute Nachmittag mit mir ins Kino zu gehen und ›Arielle, die Meerjungfrau‹ anzusehen.«
»Na dann«, Oliver machte eine Geste, als gäbe er sich geschlagen, »dann wollen wir mal dringend los. Einen schönen Sonntag noch allen Anwesenden. Und lerne brav, Sebastian, du Musterbeispiel eines Schülers. Dein Bruder kann sich eine Scheibe von deinem Fleiß abschneiden.« Er klopfte dem lernenden Jungen im Vorbeigehen wohlwollend auf die Schulter.
Tim schüttelte seine Hand ab ohne sich umzudrehen. »Du hast wirklich den Durchblick, Oliver.« Sein Spott klang beißend.
Doch Oliver hatte sich bereits uns Damen zugewandt. Er küsste mir die Hand, obwohl er genau wusste, dass ich das nicht ausstehen konnte. Er gab Carla einen kleinen Kuss in den Nacken. Was diese noch weniger mochte. Dann legte er den Arm um die schmalen Schultern seiner Tochter und schob sie in Richtung Vorzimmer.
»Warten Sie, Herr Doktor! Ich führe Sie hinaus.« Hubert hatte sich von seinem Lehnstuhl erhoben und war eben dabei, seine goldgefasste Lesebrille in einem soliden Etui zu verstauen. Mit geübtem Griff schob er es dann hinter die Bücherreihe auf dem mittleren Regalbrett. Es war seine Zweitbrille, die er nur benutzte, wenn er sich bei uns aufhielt.
»Es ist ohnehin Zeit für meinen Sonntagsspaziergang. Die Jungs sind schon zu groß, mich zu begleiten. Es ist jammerschade.« Hubert wirkte älter als andere Männer mit fünfundsechzig Jahren. Außer seinen täglichen Spaziergängen betrieb er keinerlei sportliche Betätigung. »Vielleicht sollte ich mir doch einen Hund zulegen. Meine Schwiegertochter mag ja dagegen sein. Aber dennoch – was meinen Sie, Herr Doktor?«
»Du lieber Himmel, nicht schon wieder die Hundediskussion«, dachte ich und verdrehte die Augen zur Decke.
»Au ja, toll Gropa! Ich möchte auch einen Hund. Bitte, Gropa, kauf einen Hund!« Marie strahlte vor Begeisterung und begann vor Aufregung hin und her zu hüpfen. Sie nannte Hubert Gropa, wie die Jungen es taten.
Natürlich kannte ich die Sehnsucht meines Schwiegervaters nach einem Vierbeiner. Und ich fürchtete, er könnte seinen Plan tatsächlich wahr machen. Mein Widerstand würde ihn auf die Dauer nicht davon abhalten. Und die Tatsache, dass mir das Haus gehörte, auch nicht. Ich sah schon den tapsigen Bernhardiner vor mir, der mich mit blutunterlaufenen Augen anstarrte und seine Haare büschelweise auf den Teppichen hinterließ. Oder einen sabbernden Boxer Schlieren über den Parkettboden ziehen. Oder einen deutschen Schäferhund, der mir zähnefletschend den Zutritt zu meiner eigenen Wohnung verwehrte. Mein Bruder Heinrich hatte eine Zeit lang einen Schäferhund besessen. Dieser war neurotisch und auf einem Ohr taub gewesen. Er hatte am liebsten meine Schuhe zerfleischt und gern nach meinen Waden geschnappt. Wenn er mich auch nie wirklich gebissen hat, so waren meine Strumpfhosen regelmäßig im Eimer. Und ich konnte mir die Vorwürfe meiner Mutter anhören. Und mir von meinem kargen Taschengeld neue besorgen. Diese Erfahrung genügte mir fürs Leben.
Wider Erwarten kam mir Oliver zu Hilfe. »Hunde machen Arbeit und stinken, wenn sie nass werden«, erklärte er kategorisch, »zudem sind sie in höchstem Maße unhygienisch.«
Man hörte die beiden debattieren, bis die schwere Haustür hinter ihnen ins Schloss fiel.
»Ich hoffe, es gelingt Oliver, Hubert zu überzeugen. Sonst schleppt er eines Tages wirklich so ein Riesenvieh an.« Ich stand auf und schnappte mir die Zeitung, die mein Schwiegervater fein säuberlich zusammengelegt auf dem Tischchen neben dem Kamin abgelegt hatte.
»Ich mag Hunde an und für sich sehr gern. Allerdings braucht man viel Zeit für sie. Darum hoffe ich das auch«, Carla legte ihre Beine auf den Stuhl vor sich. Eine Handlung, die wohltuend für ihre Venen war. Die sie sich aber in Gegenwart eines männlichen Wesens niemals gestattet hätte. Die Zwillinge ausgenommen. »Obwohl Oliver noch selten zu etwas wirklich nützlich war. Gibst du mir einen Teil der Zeitung?«
Tim packte seine Lernsachen zusammen und verschwand zu Jordy, dem Schulfreund, der im Haus gegenüber wohnte. Und mit dem meine Söhne einen Großteil ihrer Freizeit verbrachten.
Die nächsten Minuten vergingen in einmütigem Schweigen. Beide hatten wir unsere Blicke auf die eng bedruckten Seiten des unhandlichen Blattes gerichtet. Was ich da las, war hochinteressant. Bisweilen aber auch haarsträubend:
»Das kann wohl nicht wahr sein. Carla, hör dir das an, der hat doch nicht alle Tassen im Schrank: ›Attraktiver, muskulöser Steinbockmann, siebenundzwanzig, einszweiundachtzig, an junges Gemüse fantasielos gebunden, sucht reife, gut situierte Lady ab fünfunddreißig zur Verwirklichung ihrer geheimen Wünsche.‹«