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1. Epeisodion (251–471)
ОглавлениеCH.
Ich bin, o Kind, im Eifer um dein Wohl
wie um mein eigenes gekommen; ist jedoch mein Wort
nicht richtig, gelte deines; denn wir folgen dir.
EL.
Wohl schäm ich mich, ihr Frauen, wenn ich euch
mit meinen vielen Klagen gar zu ungestüm erscheine.255
Doch da Gewalt mich nötigt, dies zu tun,
verzeiht! Wie sollt’ denn eine Frau von edler Art,
die Leiden, die ihr Vater litt, vor Augen, anders handeln,
wie ich sie immer Tag und Nacht
weit eher blühen als hinwelken seh.260
Denn erstens ist der Umgang mit der Mutter,
[17]die mich gebar, von schlimmstem Hass geprägt; dann lebe ich
in meinem eignen Haus zusammen mit des Vaters
Mördern, und von ihnen werde ich beherrscht, von ihnen hängt
es ab, ob etwas ich bekomme oder darben muss.265
Und weiter: Was für Tage, meinst du wohl, verbringe ich,
wenn ich Aigisthos sitzen sehe auf dem Thron,
dem väterlichen, sehe ihn die gleichen
Gewänder tragen, die er trug, und an dem Herde
Trankopfer bringen, wo er ihn erschlagen hat,270
und seh – das Äußerste von alledem an Dreistigkeit! –
den Mörder uns im Bett des Vaters
mit der verworfnen Mutter – wenn denn »Mutter«
man die soll nennen, die mit diesem schläft!274
Doch sie, so unverfroren, dass sie mit dem Mordbefleckten
zusammenlebt und keine Rachegöttin scheut,
nein, als ob sie sich lustig machte über das, was sie getan:
Hat sie den Tag ermittelt, an dem damals
sie meinen Vater tückisch hingemordet hat,279
führt sie an diesem Reigentänze auf und schlachtet Schafe
zum Opfer allmonatlich für die Rettergötter.
Doch ich, wenn ich es seh, ich Unglücksel’ge,
wein im Gemach, schwind hin vor Gram, beklag dabei
das Unglücksmahl, das nach dem Vater
den Namen trägt – allein für mich allein! Denn auch zu weinen ist285
mir nicht erlaubt so viel, wie es mein Herz gelüstet.
Sie nämlich, die angeblich edle Frau,
deckt, ihre Stimm’ erhebend, mich mit schlimmer Schmähung ein:
[18]»Du gottverhasste Ausgeburt, ist dir allein der Vater
tot? Gibt es keinen andern Menschen, der in Trauer ist?290
Verrecke elend! Mögen nie vom jetz’gen Wehgeheul
die Götter drunten dich befreien!«
So kränkt sie hemmungslos, allein, wenn sie von jemand hört,
Orestes werde kommen, rasend dann
tritt sie zu mir und schreit: »Bist du nicht mir an diesem schuld?295
Ist dies nicht dein Werk, die aus meinen Armen
Orestes du geraubt und heimlich weggebracht?
Doch sei gewiss: Du wirst noch büßen, wie du es verdienst!«
So bellt sie, und daneben steht und hetzt
in gleicher Art wie sie ihr löblicher »Gemahl«,300
er, dieser Feigling durch und durch, der Schädling sondergleichen,
der nur mit Weiberhilfe Schlachten schlägt.
Ich aber, immer harrend, dass Orestes kommen wird,
um alledem ein End’ zu setzen, geh zugrund in meiner Pein.
Denn immer schiebt er’s vor sich her zu handeln und löscht so305
mir jede nahe oder ferne Hoffnung aus.
In solcher Ausweglosigkeit, ihr Lieben, ist nicht Mäßigung,
nicht ehrfurchtsvolle Scheu erlaubt: O nein, in schlimmer Lage
kann man nicht anders, als auch Schlimmes zu verüben!
§1.
Doch sage, ist Aigisthos in der Nähe, während du310
so zu uns redest, oder ist er außer Haus?
[19]EL. Ja klar! Denk ja nicht, wär er in der Näh, ich käme
zur Tür hinaus! Jetzt aber weilt er auf dem Land.
CH.
So kann mit größerem Vertrauen ich mit dir
mich unterhalten, wenn sich’s so damit verhält.315
EL.
Da er jetzt fort ist, frage nur! Was ist’s, das dir beliebt?
CH.
So frage ich dich, was du von dem Bruder meinst:
Kommt oder schiebt er es hinaus? Ich will es wissen.
§1.
Er sagt es, ja, doch sagt er’s auch, tut nichts von dem er, was er sagt.319
CH.
Zu zaudern liebt der Mann, der sich an Großes wagt.
EL.
Doch ich hab ihn gerettet ohne Zaudern.
CH.
Mut! Edel ist er, so, dass er den Seinen hilft.
EL.
Ich bau darauf, denn sonst hätt ich nicht lange Zeit gelebt.
CH.
Sag jetzt nichts mehr! Ich sehe deine Schwester,
Spross vom selben Vater, von derselben Mutter,325
Chrysothemis, aus dem Hause Totengaben
in ihren Händen tragen, wie man sie nach Brauch den Untern weiht.
CHR.
(tritt aus dem Palast). Was denn für Reden kamst du an des Torwegs Ausgang
nun wieder hier zu führen, Schwester,
und willst auch nach so langer Zeit nicht lernen,330
sinnlosem Zorn nicht wirkungslos zu frönen?
Indes, so viel ist mir bewusst, dass mich
der jetz’ge Zustand quält, so dass, bekäme ich
die Macht, ich zeigen wollte, wie ich denke über sie!
Jetzt aber in der Not reff ich die Segel lieber,335
will nicht zu handeln scheinen, wo ich doch nicht schaden kann.
[20]Ich wünschte, dass auch du dich so verhältst.
Das Recht ist freilich nicht bei dem, was ich da sage,
es ist bei deinem Urteil. Aber wenn ich frei soll leben,
muss ich in allem hören auf die Mächtigen.340
EL.
Empörend wirklich ist’s, dass du, die Tochter deines Vaters, ihn
vergisst und nur zu deiner Mutter hältst.
Denn all die Vorhaltungen, welche du mir machst,
hat sie dir beigebracht, und aus dir selber sagst du nichts.
So wähle eins von beiden: Ob du unklug sein,345
ob klug und deiner Lieben nicht gedenken willst.
Zwar sagst du eben: Fändest du die Kraft,
du wolltest deinen Hass auf sie wohl offenbaren;
doch will um jeden Preis ich meinen Vater rächen,
wirkst du nicht mit und hältst mich ab von meiner Tat.350
Gesellt sich so zu allen Übeln nicht noch Feigheit?
Denn lehre du mich oder lern von mir, welch ein
Gewinn mir würde, hörte ich mit meinen Klagen auf!
Leb ich denn nicht? Zwar schlimm, ich weiß, jedoch genügt es mir.
Die aber kränke ich, so dass ich den Verstorbenen355
mit Ehren würdige – falls dort es einen Sinn für Ehren gibt.
Doch du, du meine »Hasserin«, du hassest nur
dem Wort nach, in der Tat jedoch spannst du zusammen mit des Vaters Mördern.
Ich freilich würde nie, und böte einer mir359
die dir bescherten Gaben an, mit denen du jetzt prunkst,
mich denen unterwerfen. Aber dir sei reich
der Tisch bestellt, dein Leben ström’ im Überfluss dahin!
Dass ich mich selber nicht betrübe, dieses Wissen sei
[21]allein mir Nahrung. Deine Vorzugsstellung reizt mich nicht.
Noch wärest du erpicht darauf, wärst du besonnen. Aber jetzt, da dir365
es freigestellt, des allerbesten Vaters Kind zu heißen,
sei du geheißen nach der Mutter! So erweist du dann den meisten dich als schlecht,
hast du den toten Vater doch verraten und die Deinen!
CH.
Ja nichts im Zorne, bei den Göttern! Denn es liegt in eurer beider Reden
Gewinn, wenn du nur lernen wolltest,370
dich ihrer zu bedienen und der deinen sie.
CHR.
Ich für mein Teil, ihr Frauen, bin ganz gut vertraut
mit ihren Reden und hätt nichts davon erwähnt,
wenn ich nicht wüsste, dass sehr großes Unheil sie
bedroht, das ihre langen Klagen enden soll.375
EL.
So sprich’s denn aus, das Schreckliche! Denn wenn du größre Not
mir nennen kannst als diese hier, verzicht ich fortan auf das Widerwort.
CHR.
So will ich dir denn alles sagen, was ich weiß.
Sie haben vor, stellst du nicht ein dein Wehgeschrei,
dorthin dich zu verschicken, wo du niemals mehr380
der Sonne Licht erblicken sollst, nein, lebend in gewölbter Gruft,
entrückt der Heimat, Klagearien singen magst.
Bedenke dies und laste später nie das Leid mir an,
das du erlitten! Denn Vernunft tut nunmehr not!
§1.
Mir dieses anzutun ist also ihr Beschluss?385
CHR.
Gewiss, sobald Aigisthos heimgekommen ist.
EL.
Ist’s weiter nichts, so komme er in Eile her!
[22]CHR. Was wünschtest du, Unselge, da auf dich herab?
EL.
Dass er nur komme, wenn dergleichen er zu tun gedenkt.
§1.
Damit dir was geschieht? Wo steht dir nur der Kopf?390
EL.
Damit von euch ich möglichst weit entfliehen kann.
CHR.
Und ist dein Leben hier dir nicht der Rede wert?
EL.
Schön ist wahrhaft mein Leben, zum Erstaunen schön!
CHR.
Nein, wäre es, wenn du verstündest, klug zu sein.
§1.
Das lehr mich nicht, zu meinen Lieben schlecht zu sein!395
CHR.
Ich lehr dich’s nicht, nur, dich den Mächtigen zu beugen.
EL.
Kriech du nur so! Was du da vorschlägst, ist nicht meine Art.
CHR.
Doch trefflich ist es, nicht durch Unverstand zu fallen.
EL.
Wenn es denn sein muss, falle ich, den Vater rächend.
§1.
Doch wird, ich weiß, der Vater dies verzeihn.400
EL.
Das sind die Reden, die nur Feige loben!
CHR.
So hörst du nicht auf mich und pflichtest mir nicht bei?
EL.
Nein! Möge nie ich so vernunftlos sein!
CHR.
So geh ich weiter den mir anbefohlnen Weg.
§1.
Wo ziehst du hin? Wem bringst du diese Totenopfer?405
CHR.
Die Mutter schickt mich, auf dem Grab des Vaters Totenopfer auszugießen.
EL.
Wie sagst du? Auf dem Grabe ihres allerschlimmsten Feinds?
[23]CHR. Den selber sie erschlug! Das ist’s doch, was du sagen willst.
EL.
Von welchem Freund dazu beredet? Wem gefiel dies so?
§1.
Von einem Nachtmahr, denke ich.410
EL.
Ihr Götter meiner Väter, steht jetzt endlich bei!
CHR.
Du schöpfst ein bisschen Mut aus diesem Schreckgebilde?
EL.
Erzählst du mir ihr Traumgesicht, dann sag ich’s dir!
CHR.
Doch ist’s nur wenig, was ich dir zu sagen weiß.
§1.
So sage dies! Oft haben Worte über kleine Dinge schon415
zu Fall gebracht und aufgerichtet Sterbliche.
CHR.
Es wird erzählt, dass sie gesehen, wie der Vater,
der deine wie der meine, an das Licht gekommen,
erneut an ihrer Seite war; dann habe er den Herrscherstab ergriffen,
den einst er selber trug, jetzt aber Aigisthos,420
und ihn dem Herde eingepflanzt. Und aus dem Szepter sei emporgesprossen
ein üppig knospendes Gezweig, durch das
Mykenes ganzes Land sei überschattet worden.
So hört’ ich einen, der zugegen war, als sie
den Traum dem Sonnengott eröffnete, erzählen.425
Mehr aber als das weiß ich nicht, es sei denn dies,
dass sie mich wegen ihres Schrecks zum Grab hinschickt.
[So fleh ich bei den Göttern unsres Stamms dich an,
auf mich zu hören, dass nicht Unverstand dich stürzt!429
Stößt du mich weg – im Leid suchst du mich wieder auf.]
EL.
Nein, meine Liebe, von den Dingen, die du hältst in Händen,
[24]leg nichts aufs Grab! Nicht ist es richtig vor den Menschen
wie vor den Göttern, dass im Namen des verhassten Weibs
du Totengaben hinstellst und dem Vater Sühneopfer bringst.
Nein, wirf sie in die Winde oder scharr sie tief435
im Sande ein, wo nie zu Vaters Ruhestätte
etwas davon gelangen kann! Doch wenn sie stirbt,
sei es als Schatz für sie da unten aufbewahrt!
Und überhaupt: Wär sie von allen Frauen nicht
die allerfrechste, diese hasserfüllten Totenspenden brächte sie440
nie dem dar, den sie selbst ermordet hat.
Denn überlege: Glaubst du wohl, es nehme
ihr wohlgesinnt im Grab der Tote diese Gaben an
von ihr, durch die er ehrlos starb, die ihn wie einen Feind
verstümmelte und dann an seinem Haupt zur Reinigung445
das Blut abwischte? Glaubst du gar,
was du da bringst, entsühne sie von Mord?
Unmöglich! Drum hinweg damit! Du aber schneide
vom Haupte dir die Spitzen deiner Locken ab,
und von mir Armer – es ist wenig nur,450
doch was ich habe – gib ihm dieses kümmerliche Haar
und meinen Gürtel, den kein Prunk verziert!
Und wirf dich hin und bitte, dass er selber aus der Erde
uns gnädig als ein Helfer gegen seine Feinde komme,
und dass sein Sohn Orestes bald die Oberhand gewinne455
und lebend seine Feinde trete mit dem Fuß,
damit wir künftig ihn mit üppigeren Händen
bekränzen, als wir’s jetzt mit unsern Gaben tun.
[25]Ich glaube, ja, ich glaube, irgendwie war es auch sein Anliegen, ihr
zu senden diese wüsten Traumgesichte.460
Doch gleichwohl, Schwester, leiste diesen Dienst,
der dir und mir hilft, wie auch ihm, dem liebsten aller Sterblichen,
der da im Hades liegt, dem Vater von uns beiden!
CH.
Voll Ehrfurcht sprach die Jungfrau, aber du,
denkst du besonnen, Liebe, wirst dies tun.465
CHR.
Ich will es tun! Denn geht es um gerechtes Handeln, ist es nicht vernünftig,
wenn zwei darüber streiten, sondern ratsam, rasch es auszuführen.
Doch lasse ich mich auf dies Abenteuer ein, so sei, ihr Lieben,
mir euer Schweigen sicher, bei den Göttern!469
Denn wenn die Mutter dies erfährt, dann wird, denk ich,
noch bitter leid mir dieses Wagnis tun.
(Chrysothemis geht, Elektra bleibt auf der Bühne.)