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Prolog

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Der Kampf zwischen Herz und Verstand hält ewig an, doch beide wollen nur schützen was man liebt. Das Herz tut das unmittelbar, ohne zu fragen, es braucht keine Argumente. Der Verstand hingegen, sucht den vermeintlich besten Weg.“

Dennis Bardutzky

Tagebuch von Luna: Mittwoch, 16. Januar 2008

Da fällt mir noch ein...Giorgio hat sich wohl gefragt, warum ich so offen ihm gegenüber bin? Das ist eine Frage, die kann ich auch nicht so einfach beant-worten. Ich denke es ist so, wenn ich für jemanden ein Gefühl entwickle, wenn Worte mich berühren, da, wo sie es sollen, wenn mir mein Instinkt, mein Bauchgefühl sagt: schreib einfach, du kannst nichts falsch machen. Wenn ich bei allem, was ich in diese Person hinein “empathiere“ ein gutes und behütetes Gefühl habe, dann hoffe ich, dass ich richtig handle...“

Herbst 1979

„Mein lieber Bruder, ich habe eine Frage an Dich:

Weißt Du, was Du mir angetan hast? Weißt Du, dass meine Augen seitdem nervös zucken, dass ich dauernd Magenschmerzen habe?

Weißt Du warum ich mir meine schönen langen Haare abschneiden ließ?

Nein, Du weißt es nicht!

Denn ich kann es in Deinen Augen nicht sehen. Kann es nicht fühlen in Dir. Ich habe Dir völlig vertraut, habe Dich geschützt, habe immer wieder Dinge für Dich hingenommen. Ich habe Dich behütet, nicht Du mich, wie es sich für einen älteren Bruder gehört. Was machst Du mit mir? Ich kenne das nicht, es verunsichert mich, aber ich lasse es zu, weil ich Dir doch vertraue! Du wirst mir niemals etwas Böses antun wollen, das ist mein fester Glaube. Du bist mir so nah, doch jetzt gerade viel zu nah. Ich schließe am besten meine Augen, damit ich Dir nicht ins Gesicht sehen muss. Es wird alles so richtig sein, denn ich vertraue Dir!

Ich bin jetzt zwar schon in der dritten Klasse, aber ich kenne das nicht, was Du mit mir machst. Auch Du bist doch für mich auch noch wie ein Kind, obwohl Du schon in der siebten Klasse bist! Und ich glaube, ich soll, nein, ich darf es niemandem erzählen, denn es fühlt sich falsch an. Du bist doch mein Bruder! Du wohnst doch unter einem Dach mit uns allen!

Ich kann Dir doch vertrauen? Ja, ich kann Dir vertrauen. Trotzdem wäre ich viel lieber ein Junge... Warum sind Mama und Papa nie da, nie in der Nähe, wenn es geschieht? Niemand ist in der Nähe, der mir helfen könnte. Aber ich lasse es zu, denn ich vertraue Dir so sehr...über vier lange Jahre...“

Acht Jahre später schreibt Luna in ihr Tagebuch:

Aidan, ich wollte nicht, dass Du so tief in mich eindringst. Ich sagte Dir „Nein, ich will das nicht“. Ich wollte nichts, gar nichts. Du hast meine Naivität brutal missbraucht, mich vergewaltigt und meinen Körper benutzt. Ich habe Dich immer wieder weggestoßen, weggedrückt. Ich habe es nicht geschafft. In mir arbeitest Du, wühlst Du, schmerzt Du. Ich weine vor Schmerzen, lasse es Dich aber nicht wirklich sehen, weil es mir meinen letzten Halt nehmen würde. Ich habe Angst vor Deinem Jähzorn, Deinen Ausbrüchen. Habe Angst, wieder einmal Schläge einstecken zu müssen, noch mehr erniedrigt und misshandelt zu werden.

Danach hatte ich Angst vor der Schwangerschaft und all den Konsequenzen daraus. Ich wollte niemals ein Kind von Dir haben, wollte niemals, dass Du in mich ein­dringst. Nicht in meinen Körper, ich hatte am Anfang gehofft, vielleicht irgendwann in mein Herz. Aber mein Herz oder gar meine Seele haben Dich nie interessiert, im Gegenteil, Du hast mein Herz nie berührt und mir meine Seele immer noch mehr vergiftet, Du hast mich immer mehr erniedrigt, mich misshandelt, mir alle meine noch verbliebenen Werte geraubt.

Mehr als drei lange Jahre habe ich es über mich ergehen lassen. Ich hatte nicht die Kraft zu gehen. Angst vor Dir, der Trotz meinen Eltern gegenüber, und der Missbrauch durch meinen Bruder, sie hatten mir die Kraft dazu geraubt - ich wollte es so oft, aber ich habe es nicht aus eigener Kraft geschafft.

Nun, Du hast mir dann endlich diese Entscheidung abgenommen, als Du verschwunden bist - es ist das Einzige, wofür ich Dir in meinem Leben dankbar bin... Wer bin ich jetzt?

Ich habe danach mein Leben geordnet, es strukturiert. Ich habe auch künstlerische Erfolge erzielt, große musikalische Erfolge. Ich leitete mehr als zehn Jahre lang eine Abteilung, die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Dann kam der Abgrund und ich war anderthalb Jahre krank.

Seit Kurzem habe ich eine neue Arbeitsstelle. Es ist ein schöner Job, doch bin ich keine leitende Angestellte mehr und arbeite nur noch 25 Stunden in der Woche. Das war nur eines der kleinen Dinge, die meiner Krankheit Tribut gezollt haben. Ich habe meinen Sohn großgezogen, meistens allein, aber auch mit viel Hilfe meiner Eltern. Alles das habe ich geschafft. Alles irgendwie erledigt…

Im Februar 2006 ist meine Mutter gestorben. Der Abgrund öffnete sich fast unmerklich, der Sturz aus schwindelnder Höhe kam im Mai des darauf folgenden Jahres. Seitdem kann ich nicht mehr „leben“. Ich existiere nur noch. Frage mich, warum ich kämpfe, weil ich doch gar nicht mehr leben will.

Ich habe doch schon alles getan, alles erlebt. Mein Körper lässt mich im Stich, gepeinigt vom Alkohol. Von Selbstverletzungen. Von Drogen.

Meine Musik habe ich seitdem verloren...ich kann sie nicht mehr finden.

Auch die Liebe habe ich verloren, die Liebe zu mir selbst, die Fähigkeit, Liebe zu empfinden und Liebe zu geben. In mir existieren vier Menschen und ich höre deren Stimmen. Darf ich auf sie hören? Wollen sie mir Gutes?

Es sind gewisse Dinge, die sich das Schicksal hartnäckig vornimmt, verge-bens, dass Vernunft und Tugend, Pflicht und alles Heilige sich ihm in den Weg stellen; es soll etwas geschehen, was ihm recht ist, was uns nicht recht scheint; und so greift es zuletzt durch, wir mögen uns gebärden, wie wir wol-len. Doch was sag ich!

Eigentlich will das Schicksal meinen eigenen Wunsch, meinen eigenen Vor-

satz, gegen die ich unbedachtsam gehandelt, wieder in den Weg bringen.“

(Charlotte an den Major im 14. Kapitel des zweiten Teils aus Goethes „Wahlverwandschaften, 1809)

Schwester des Mondes - Teil meines Lebens

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