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Brief an meinen Bruder
Оглавление„Der Glaube und die Unschuld sind zu finden nur bei den Kleinen.“
Dante Alighieri
An meinen Bruder,
Du warst da, um mich zu schützen. Du hast es immer und immer wieder versucht, aber es ist Dir nicht gelungen. Nein, ich war diejenige, die Dich schützen musste. Ich stellte mich vor Dich, wenn Du gelogen hast. Ich stellte mich vor Dich, wenn Du bedroht wurdest. Und ich stelle mich immer noch vor Dich, obwohl Du etwas falsch gemacht hast.
Ich stelle mich vor Dich, weil Du mein Bruder bist.
Ich stelle mich vor Dich, weil Du beschützt werden musstest und musst.
Ich stelle mich vor Dich, weil mein Erinnern und meine Verzweiflung nichts anderes für mich zulassen.
Bis ich drei Jahre alt war, warst Du mein Gott. Danach, nachdem ich gelernt hatte, dass ich vergänglich bin, habe ich den Schutz für Dich übernommen. Ich gab Dir meine Ruhe, meinen Trotz und meinen Verstand. Ich gab Dir vor allem meine Gefühle. So wurde ich neun Jahre alt und lernte körperliche „Liebe“, die ich nicht verstand und nicht haben wollte. Aber ich schützte Dich. So lange ich konnte. Nach dem Tod von Mama 2006 konnte ich es nicht mehr. Ich liebte Dich abgöttisch. Ich verließ mich auf Dich. Ich eiferte Dir nach. Und Du hast mir gegeben, was ich niemals wollte. Warum hast Du das getan?
Ich lebte in Angst, meine Emotionen gingen falsche Wege und mein Vertrauen in das Geliebt-Sein wurde erschüttert, bevor es sich aufbauen konnte. Warum hast Du das getan?
Keine Geschwister auf der Welt hatten sich so lieb wie wir. Warum hast Du mich nicht Kind sein lassen? Warum wolltest Du mir Deine „erwachsenen“ Gedanken und Gefühle aufdrängen? Warum musstest Du Dir beweisen, dass Du funktionierst? Warum hast Du MICH „geliebt?“
Mein natürlicher Glaube wurde mir durch Dich genommen. Meine Unschuld wurde mir durch Dich genommen. Aber durch Dich lernte ich auch, mich zu absentieren. Durch Dich lernte ich, später Aidans Folter zu widerstehen. Aber... was wäre gewesen, wenn Du mir nicht das Erwachsenwerden genommen hättest?
Wäre Aidan dann gewesen?
Wäre mein Sohn dann gewesen?
So weiß ich also nicht, was gut oder was schlecht war. Und ich weiß es heute noch nicht.
Ich liebe Dich immer noch, aber ich habe Distanz zu Dir. Es fällt mir schwer, Dir in die Augen zu sehen. Liebe ich Dich noch? Ich weiß es wirklich nicht. Aber Du bist mein Bruder.
Dein Schwesterlein,
Deine Luna