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2.

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Zumindest Ulla Bojskov war zufrieden, als Anders nach seinem Autounfall wieder mit Routinearbeiten bei der Politischen Polizei beschäftigt war. Jetzt kam er wieder zu normalen, bürgerlichen Zeiten zum Essen. Er half im Haushalt und beschränkte sich nicht nur darauf, am Samstag die Steaks zu braten. Ihr Alltag hatte sich verändert. Anders war abgelenkt und geistesabwesend, wenn er schwierige Fälle zu bearbeiten hatte.

Ulla war der Ansicht, daß die Persönlichkeitsveränderung ihres Mannes mit seiner langen Krankheit und der quälenden Ungewißheit zusammenhing, ob er im Rollstuhl enden würde, von Kopf bis Fuß gelähmt. Sie hatte Angst, ihn danach zu fragen. Sie wartete, bis Anders mehr Abstand zu der Sache bekommen hatte und selbst darüber reden wollte.

Endlich hatte Anders erkannt, daß die Karriere ihren Preis hatte, und daß dieser Preis für manchen nicht nur ein gesteigertes Prestige und Gehaltsaufbesserung zur Folge hatte, über die sich das Finanzamt freut.

Sie waren sich wieder nähergekommen, und Anders hatte endlich wieder ein vernünftiges Verhältnis zu den Kindern. Eigentlich war er bloß noch ein Wochenend- und Feierabendvater gewesen. Sie kannte die Schäden, die diese amputierte Form des Familienlebens bei Kindern anrichten konnte, nur zu gut.

Es war kurz vor elf. Anders räumte das Teegeschirr ab. Ulla stand auf, um den Fernseher abzuschalten. Vorsichtshalber rief sie in Richtung Küche:

»Willst du die Nachrichten sehen?«

Anders klapperte mit dem Geschirr.

»Willst du die Nachrichten sehen oder nicht?«

»Nein, mach aus.«

Das Farbbild schrumpfte auf einen kleinen Punkt zusammen, dann wurde der Schirm mattgrau. Ulla wollte die Lampe in der Sitzecke ausschalten. Das Geräusch eines bremsenden Autos ließ sie aufhorchen. Als sie die Gardine ein Stück zur Seite zog, um zu sehen, was sich draußen abspielte, hörte sie feste Schritte auf dem Gartenweg.

»Anders, da kommt jemand.«

Keine Reaktion aus der Küche, nur das Geräusch des laufenden Wasserhahns. Ulla lief in den Flur. Sie wollte noch vor dem Klingeln öffnen. Die Kinder brauchten nicht wach zu werden. Sie schaltete das Außenlicht ein.

Auf der Treppe stand ein junger, gutgekleideter Mann.

»Guten Abend, Kriminalassistent Mogens Svendsen. Entschuldigen Sie die Störung, ist Ihr Mann zu Hause?«

»Ja, bitte kommen Sie herein.«

Der unscheinbare Ford Fiesta fuhr auf der Autobahn in Richtung Hillerød und bog an der Ausfahrt zum Frederiksundsvej ab. Anders Bojskov registrierte die Festbeleuchtung im Bürotrakt des PET1, der ›geheimen‹ Etage über den Räumen des 3. Reviers.

»Wenigstens einmal müssen auch die hohen Herren noch arbeiten«, bemerkte er. Selten genug waren sie um diese Zeit noch anwesend. Eine Ausnahme war Kriminalinspektor Laurids Jansen, nur half ihm das wenig. Mit den leitenden Juristen der Abteilung kam er deshalb trotzdem nicht klar.

»In der ganzen Hütte geht’s zu wie im Bienenschwarm«, antwortete Svendsen. »Übrigens wußte ich gar nicht, daß du bei der Anti-Terrortruppe bist.«

»Ist auch etwas übertrieben, ich war bloß auf ’nem Kurs.«

Svendsen parkte auf einem der reservierten Parkplätze hinter dem anonymen Bürokomplex, der sowohl den dänischen Geheimdienst als auch das größte Polizeirevier Kopenhagens beherbergt.

»Du sollst dich bei Jansen melden«, sagte Svendsen formell.

»Weißt du, ob unsere Leute schon da sind?«

»Kein Ahnung. Ich bin bloß der Chauffeur.«

Ob sie mich noch mal zur Mordkommission versetzen, überlegte Anders Bojskov, als er die langen Korridore des 3. Reviers entlangging. Mit dem Kriminalassistenten Bruno Frederiksen hatte er sich damals angefreundet. Bei der Aufklärung des Mordes an dem Call-Girl Annette Theiler hatten sie zusammen ein gutes Stück Arbeit geleistet. Dafür waren seine Erinnerungen an den Chef der Mordkommission, Valdemar Henriksen, eher gemischt. Anders Bojskov mochte Henriksens brüske Art nicht. Als Neuling in der Abteilung bekam man leicht den Eindruck, als Rekrut eingezogen worden zu sein.

Laurids Jansen telefonierte, als Bojskov in sein Büro trat. Der Kriminalinspektor signalisierte ihm, sich zu setzen. Dichter Zigarillorauch brannte in Anders Bojskovs Augen. Eigenartig, daß der Rauch anderer Leute so schnell unangenehm werden kann, wenn man selbst aufgehört hat zu rauchen.

Jansen nahm darauf keine Rücksicht. Der Inspektor rauchte bereits die zweite Schachtel des Tages, wie Anders sah. Caminante. Groß und dick wie Zigarren und kaum die richtige Stimulanz für einen Mann, der gerade aus dem Genesungsurlaub zurück war.

Jansen legte auf und lächelte.

»Hoffentlich mußte Svendsen dich nicht aus eurem Doppelbett zerren.«

»Nein, nein. Wir waren noch nicht im Bett.«

»Gut. Zum Glück haben wir dich zu Hause erwischt. Hat Svendsen dir erzählt, worum es geht?«

»Keine Details. Nicht einmal den Namen des Toten. Er sagte nur, daß wir es vermutlich mit einem Attentat zu tun haben.«

»Viele Details haben wir auch nicht, Anders.« Jansen strich sich übers Kinn. Der Bart kratzte wie eine borstige Kokosmatte. »Wir sind in höchster Alarmbereitschaft. Ein Unbekannter hat den Ingenieur Ole Kramer erschossen, als er nach Hause fahren wollte. Ich nehme an, du weißt, wer Kramer war?«

»Ich kenn den Namen aus der Zeitung. Er hatte gewaltigen Erfolg, ich weiß nur nicht mehr, womit.«

»Viele dürften es auch nicht sein, die das wissen. Kramer war Experte auf dem Gebiet der militärischen Datenverarbeitung und so gut, daß ihn sogar die Amis respektierten. Møller hat mir heute abend erzählt, daß Kramer innerhalb der NATO ein ziemlich hohes clearing2 hatte.«

Jansen griff zu seinen unentbehrlichen Zigarillos, erwischte aber die leere Packung. Gereizt warf er sie in den Papierkorb. »Na, wir müssen zu Møller. Die Ermittlungen werden auf höchster Ebene geleitet.«

Vizepolizeimeister John Møller war Laurids Jansens neuralgischer Punkt, seit sich Møller das Recht vorbehalten hatte, in alle wichtigen Ermittlungen eingeschaltet zu werden oder sie selbst zu leiten. Selbständiges Arbeiten war für Jansen seitdem kaum noch möglich, obwohl sein Job auf dem Papier zu den höchsten bei der Kripo und im Nachrichtendienst gehörte. Überall hatten diese Juristen ihre Finger drin. Und hinter ihnen stand Viggo Nielsen, der Staatssekretär im Justizministerium. Ihm hatte PET-Chef Oluf Trapp Madsen alle wesentlichen Ermittlungsergebnisse mitzuteilen.

Doch auch John Møller hatte seine Probleme. In Krisensituationen, die seine Anwesenheit weit über die normale Dienstzeit hinaus erforderten, fürchtete er zuweilen, verrückt zu werden: gespalten zwischen den Operationen, die ihn beschäftigten und die er möglichst genau kontrollieren mußte, und seinem Privatleben. Normalerweise war Tove Møller eine vernünftige Frau. Mußte John aber Überstunden machen oder saß er in langwierigen Konferenzen, brach ihre Eifersucht mit einer Gewalt hervor, die jeden Psychoanalytiker begeistert hätte, wäre er Tove Møller begegnet. Abgerichtet, immer das Richtige zu tun und zu sagen, konnte Møller die wilden Gefühlsausbrüche seiner Frau nur mit Mühe ertragen.

Am schlimmsten war allerdings, daß ausgerechnet John Møller, der sich nicht einmal im Privatleben einen Fehltritt leistete, die lebhaften amourösen Aktivitäten und alkoholischen Exzesse seines Chefs, Oluf Trapp Madsen, decken mußte. Beides durfte sich nicht einmal ein Polizeimeister erlauben, für den PET-Chef war es ein ständiger Balanceakt am Rande des Abgrunds.

Jansen hätte den kalten Perfektionismus Møllers besser verstanden, wenn er die Qualen des Vizepolizeimeisters in all ihren Details gekannt hätte. Doch trotz lebenslanger Erfahrung hatte er seinen Plagegeist nie durchschaut.

Obwohl die südlich gelegenen Büros des PET-Gebäudes dunkle Sonnenblenden vor den Fenstern haben, wird es unerträglich in ihnen, wenn die Wärmeabsorbation der dicken Betonelemente im Hochsommer ihr Maximum erreicht. Die Sicherheitsbestimmungen verbieten zudem offene Fenster – es könnten ja interne Papiere herausfliegen.

Daher war es nur gerecht, wenn die Führungskräfte unter der Hitzewelle am meisten zu leiden hatten. Schließlich hatten sie die schönsten Büros belegt und die internen Sicherheitsbestimmungen zusammen erarbeitet.

Wenn das Gebäude nicht mehr zu ertragen war, verkürzten sich die Arbeitstage von Oluf Trapp Madsen auf eine noch gerade zu vertretende Länge. Allerdings hinterließ er immer die Telefonnummer seiner diversen Sommeradressen im Büro.

Zurück blieb in aller Regel nur John Møller, von dem böse Zungen behaupteten, daß er sogar im Nadelstreifenanzug Tennis spielte. An diesem heißen Sommerabend sahen Bojskov und Jansen den stellvertretenden Chef zum ersten Mal in Hemdsärmeln und roten Hosenträgern.

Auf seinem kleinen Bürotisch stand eine Thermoskanne. Gedeckt war für vier Personen.

»Bitte«, forderte Møller auf, »ich glaube, eine Tasse Kaffee können wir gut gebrauchen, bevor wir den Fall noch einmal durchgehen. Trapp muß jeden Moment kommen.«

Jansen wußte, daß der Chef so spät kam, weil er aus einem Wochenendhaus bei Hornbaek hergerufen werden mußte. Eine neue Freundin, dachte der Kriminalinspektor. In dienstlichem Interesse müßte man eigentlich Buch führen.

Anders Bojskov war unsicher. Er war zum ersten Mal allein mit der Führung der PET.

»Bevor wir uns den anstehenden Problemen widmen, möchte ich Bojskov danken.« Møller lächelte dem schlanken Kriminalassistenten, der in Cordhosen und Gesundheitslatschen steckte, freundlich zu.

»Ohne daß es jemand bisher direkt ausgesprochen hat, habe ich doch das Gefühl, daß sich unser Verhältnis zur Mordkommission durch dich erheblich verbessert hat. Valdemar Henriksen ist von allein gekommen, um uns von Anfang an in diesen Fall einzuweihen. Wir alle kennen Henriksen. Von ihm akzeptiert zu werden, ist bestimmt genauso schwierig wie der Gang des Kamels durchs Nadelöhr.«

Henriksen hat uns doch bloß informiert, um sich für den Fall abzusichern, daß er mit einem ungeklärten Mord sitzen bleibt, dachte Jansen. Wenn etwas schiefgeht, kann er es jetzt dem Geheimdienst in die Schuhe schieben.

Die Tür wurde aufgerissen. In den leichten Sommerhosen und dem karierten Hemd sah Trapp Madsen wirklich aus wie ein Chef, dem ein sorgfältig vorbereitetes Wochenende ziemlich plötzlich kaputtgemacht worden ist. Sein Auftritt ließ allerdings keinen Zweifel daran, daß er gekommen war, um die Führung zu übernehmen.

»Ich brauch ’nen Kaffee. Gibts ’ne Tasse für mich?«

Jansen guckte sich Trapp genau an. Er hatte getrunken. Trotzdem war er bestimmt über die Autobahn gebraust wie der Henker.

»Ja bitte«, Møller schien ganz ruhig. Ärgerte er sich, daß Trapp so schnell erschienen war?

Trapp goß sich ein. »Wie weit sind wir, John?«

»Ich bin die Akte des Ingenieurs Ole Kramer durchgegangen. Wir haben ihm einmal eine Sicherheitsbescheinigung ausgestellt. Nach der Lage der Dinge muß ich sagen, die Akten stützen Henriksens Theorie, daß wir es mit einem Terrorakt zu tun haben.«

»Wieso?« fragte Trapp Madsen, während er sich den Bart kratzte.

»Ole Kramer war einer der führenden Experten für EDV-Anlagen, unter anderem für militärische Kodes. Vielleicht der einzige dänische Industrielle, für den sich die internationale Rüstungsindustrie interessierte. Die Kleinigkeiten, die seinerzeit für den Starfighter geliefert wurden, hatten doch bloß symbolische Bedeutung.«

»Deshalb braucht man doch noch lange nicht von einem Terrorakt zu reden. Von Kramers Arbeit für die NATO wußten doch offensichtlich nur wenige Fachleute. Ich glaube, Valdemar Henriksen hat eine Nummer mit uns vor.« Trapp stand auf und begann, auf und ab zu gehen.

»Ole Kramer wurde nicht erschossen, er wurde geschlachtet. Henriksen sagt, er hätte, seit die Armenier versuchten, den ersten Sekretär der türkischen Botschaft zu ermorden, so etwas nicht mehr gesehen.«

»Es kann aber auch eine verlassene Liebhaberin gewesen sein. Oder seine Frau hat genug von ihm gehabt. Wenn sie die Aktien an die Amerikaner oder die Japaner verkauft, ist sie doch sicher Multimillionärin. Vielleicht war es auch sein Kompagnon, der sich die Aktienmehrheit in der Firma sichern wollte. Es gibt da ziemlich viele Möglichkeiten von der bekannten, gutbürgerlichen Sorte. Die sollten wir erst einmal untersuchen, bevor wir uns mit Theorien über terroristische Vereinigungen befassen. Warum gerade jetzt und noch dazu in Dänemark? Die Rote Armee Fraktion sitzt hinter Schloß und Riegel, jedenfalls die Mitglieder, die noch am Leben sind ... und die Infrastruktur der Roten Brigaden in Italien ist geknackt. Wer hätte das Organisationstalent und die Waffen, um sowas mitten in Kopenhagen durchzuziehen?«

Jansen mußte sich beherrschen, um Møller nicht merken zu lassen, wie er die Situation genoß. Der Inspektor konnte sich der versteckten Kritik, die in Trapps Fragen lag, nur anschließen. Terror in Dänemark schien Jansen ausgeschlossen.

Nur Anders Bojskov fühlte sich unwohl in seiner Rolle als Schaf im Wolfsrudel.

»Möglicherweise ist das alles richtig«, räumte John Møller ein, »nur ändert es nichts an der Tatsache, daß die Mordkommission um unsere Unterstützung gebeten hat. Ich befürchte, wir schneiden uns ins eigene Fleisch, wenn wir nein sagen. Außerdem, so bescheiden brauchen wir wohl in der Beurteilung unserer eigenen taktischen Möglichkeiten nicht zu sein, daß wir schon vor Valdemar Henriksen Angst haben.«

Trapp unterbrach seine Wanderung. »Was schlägst du konkret vor, John?«

»Wir schicken zwei Mann in die Mordkommission, meinetwegen Bojskov und Winther. Wenn der Fall wirklich keine nachrichtendienstlichen Aspekte hat, ziehen wir uns ganz ruhig wieder zurück.«

»Was hälst du davon, Jansen?«

»Sehr vernünftiger Vorschlag.«

»Und du, Anders.«

Trapps Frage überrumpelte den Kriminalassistenten, er war nicht gewohnt, in Chefkonferenzen seine Meinung zu äußern.

»Es ist ja noch nicht lange her, daß ich bei der Mordkommission war, also ...«

Trapp fing seinen Blick auf und sagte überraschend heftig:

»Das will ich nicht hören. Ich weiß, du tust, was man dir sagt – und manchmal auch etwas mehr. Die Frage ist, ob du Valdemar Henriksen so gut kennst, daß du ihn erwischst, bevor er uns den schwarzen Peter zuschiebt.«

»Ich werde mein Bestes tun. Ich habe ein ausgezeichnetes Verhältnis zu Bruno Frederiksen.«

»Du willst also nicht eindeutig ja oder nein sagen?« bohrte Trapp Madsen weiter.

Anders Bojskov wußte nicht, was er sagen sollte. Møller kam ihm zu Hilfe. »Ich meine, du solltest Henriksen anrufen. Wenn wir noch mehr Zeit mit taktischen Überlegungen verschwenden, löst sich die Frage von allein, und weder Bojskov noch Winther werden an den Ermittlungen beteiligt.«

Trapp sah auf seine Digitaluhr. Beinahe Mitternacht. Møller hatte Recht, die Zeit drängte.

Am Stadsgraven rauschte das Schilf im warmen Abendwind.

Ein amerikanischer Geschäftsmann stand am offenen Fenster im 12. Stock des Hotels Scandinavia und schaute auf das Wasser und den merkwürdigen Stadtteil gegenüber, wo der Freistaat Christiania liegen sollte. Ein Freistaat mitten in der Hauptstadt eines wohlgeordneten Landes, ein Freistaat auf ehemals militärischem Gebiet. Losgelöst von dem Gemeinwesen, das ihn umgab. Selbst Polizisten trauten sich angeblich nicht allein dorthin. Es klang wie ein Witz.

Der Amerikaner löste seinen Schlips, während er am Fenster stand. Gleich würde das Call-Girl kommen. Er lächelte. Das Mädchen hatte behauptet, die Bar des Hotels gehöre nicht zu den einschlägigen Orten, hier könnten sie nur zusammen reden. Über den Preis? Nein, da gab es nichts zu diskutieren. Statt dessen hatte sie ihm von Christiania erzählt. Süß und naiv. Sie mußte neu in der Branche sein, wenn sie nicht wußte, daß in allen ordentlichen internationalen Hotels Nutten verkehren. Ihm war es recht. Eine unerfahrene Hure ist heutzutage beinahe genauso selten wie eine Jungfrau, die das Mindestalter für strafrechtliche Handlungen bereits überschritten hat. Er wollte es auf eine Probe ankommen lassen. Der Amerikaner packte den zollfreien Whisky aus. Zum Glück fanden sich im Badezimmer zwei billige Wassergläser.

Er wollte ihr einen Drink anbieten. Lehnte sie ab, war ihre Unsicherheit nichts anderes als Komödie. Routinierte Huren rühren keine harten Sachen an.

Es klopfte.

»Yes.«

Das Mädchen ging zum Fenster und baute sich so auf, daß er nur noch den Arm um sie zu legen brauchte. Er unterließ es.

In Kastrup startete ein Jumbojet mit den letzten Passagieren dieser Nacht und brummte wie eine riesige Hummel über die Stadt.

Tief unter den Hotelfenstern lief eine schlanke Gestalt mit schnellen, katzenhaften Schritten über die feuchten Kiesel des Stadtwalls. Als der Jumbo über ihr dröhnte, blieb sie stehen und orientierte sich an der dunklen Silhouette des Hotels und den kleinen, erleuchteten Fenstervierecken. Kein Laut war zu hören. Dann blitzte ein Gegenstand auf und irgend etwas klatschte ins dunkle, algige Wasser.

Die Lichtreflexe der Straßenlaternen und Scheinwerfer auf der anderen Seite des Walls fingen sich in den Ringen, die sich auf dem Wasser ausbreiteten. Die letzten Wellen brachen sich sacht im Schilf.

Der Amerikaner und das Call-Girl sahen den Ringen zu. Als die letzten Reflexe vom Schilf verschluckt wurden, schlossen sie das Fenster. Sie redeten nicht darüber, warum die trübe Wasseroberfläche einen Moment lang in Bewegung geraten war. Das oberflächliche Gerede hatten sie an der Bar hinter sich gebracht.

Die Marmortaube

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