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Die Scheiben des Stadtbusses waren so verschmiert, daß man die Konturen der Häuser durch den Dreck nur ahnen konnte, aber die Route der Linie 3 von Nørrebro zur Musikersiedlung im Südhafen war auch nicht gerade eine Sightseeingtour.

Obwohl Fahrräder wieder in Mode gekommen waren, hatte Poul Olsen keine Lust, von und zur Arbeit in die Pedale zu treten. Bei seinem Job als Möbelpacker bekam er Bewegung genug. Aber heute schien es ihm ein bißchen zu langsam zu gehen, obwohl die Busfahrerin verdammt gut fuhr, das mußte er ihr lassen.

Poul Olsen war ungeduldig, denn ausnahmsweise hatte er Birte und den Jungen etwas Interessantes zu erzählen, wenn er nach Hause kam. Er saß im Bus und überlegte, wie er die Neuigkeit verkünden sollte. Sollte er sagen: »Hier kommt der Möbelpacker Olsen von der Mada Transport – der neue Star der Fernsehnachrichten«, oder sollte er den Mund halten, bis sein Bild auf dem Schirm im Wohnzimmer erschien? Die zweite Variante war verlockend, wirkte aber so beabsichtigt. Das lag ihm nicht. Nein, er würde damit am Abendbrottisch herausrücken, er würde ganz aufrichtig sein und sagen, daß er vielleicht in den Nachrichten kam. Es war ja nicht hundertprozentig sicher.

»Ich weiß nicht, was die damit machen«, hatte der Kameramann gesagt. »Wir versuchen, ein paar Gags aufzunehmen. Machst du mit? Es kann aber auch sein, daß das nie in den Äther geht. Manchmal ist es ziemlich schwer herauszukriegen, was die in der Redaktion haben wollen. Die schmeißen immer irgendwas raus, soviel ist sicher.«

Der Kameramann vom Fernsehen hatte geredet wie ein Wasserfall, und seine Ausdrucksweise hatte es Poul Olsen nicht gerade einfacher gemacht, ihm zu folgen. Das waren fixe Jungs. Schnell mit den Antworten und gut funktionierenden Wechselstrom in der Birne. Verflucht. Schon der Mozartvej – er mußte doch raus an der nächsten Haltestelle.

Erst als Poul Olsen die letzten hundert Meter ging, bemerkte er, daß seine Sinne schärfer geworden waren. Als wäre er mit einer neuen und besseren Antenne verbunden. Er war immer damit zufrieden gewesen, im Straussvej zu wohnen. Die Miete war nicht zu hoch, die Häuser hatten kleine Vorgärten, und genau dahinter lagen der Valbypark und die Kleingartenkolonie. Aber an diesem Abend Anfang März kam ihm das ganze Viertel heruntergekommen vor. Die niedrigen Wohnblöcke waren gelblichgrau vom Rauch der Stadt und vom Dreck in der Luft aus den Fabriken im Südhafen.

»Es hat sein Gutes und sein Schlechtes, wenn man aus dem Alltag herausgerissen wird«, murmelte er vor sich hin, als er durch die Gartenpforte ging.

»Ich hab gutes Rindfleisch gefunden, im Angebot«, sagte Birte, als Poul in die Küche kam und ihr einen Kuß auf die Backe gab. »Sieht doch gut aus, oder? Normalerweise schrumpelt Fleisch aus dem Angebot ja immer völlig zusammen.«

»Ich finde, wir sollten uns ein Bier zum Essen genehmigen. Die Kinder können ’ne Limo kriegen. Ich hab was Interessantes zu erzählen, wenn wir was auf die Rippen bekommen haben.« Poul grinste und bekam etwas rötere Backen.

»Hast du dreizehn Richtige im Lotto oder ’ne Lohnerhöhung gekriegt? Du bist ja ganz aus dem Häuschen.«

»Nein, reich werden wir wohl nie. Aber beim Film hab ich vielleicht ein bißchen Zukunft.«

»Was soll das heißen, Poul?«

»Daß ihr mich heute abend möglicherweise in den Nachrichten seht.«

»Nun erzähl schon die ganze Geschichte. Laß dir nicht alles einzeln aus der Nase ziehen.«

»Ja, also, heute haben wir mit dem Umzug vom Außenministerium angefangen. Ich hab vorher nichts davon gewußt, bis heute morgen der Transportchef ein paar von uns erfahreneren Jungs zusammenrief. Vier von uns – darunter ich – wurden zum Polier befördert. ›Verantwortungsvolle Arbeit ist das‹, erklärte der Transportleiter. ›Unsere Firma soll das ganze Inventar und sämtliches Archivmaterial des Außenministeriums von den verschiedenen Büros, die überall in der Stadt verteilt sind, ins neue Gebäude des Ministeriums am Asiatisk Plads bringen. Das Ministerium hat die komplette Planung übernommen. Läuft alles per EDV.‹ Tja, Birte, was sagst du nun? Umzug per EDV!«

Poul griff sich symbolisch an den Kopf. Na ja, solange Computer noch nicht imstande waren, die Treppen rauf und runter zu rennen, interessierte ihn die Datenverarbeitung eigentlich einen Scheißdreck.

»Wir wurden also eingewiesen und ermahnt. ›Kein Bier im neuen Ministerium. Ihr habt einen guten und effektiven Eindruck zu hinterlassen. Für die Firma steht viel auf dem Spiel. Wenn alles klappt, könnt ihr mit einer sauberen Zulage in bar rechnen. Natürlich gehört eine Pinkelpause zum normalen Arbeitsrhythmus, das ist klar.‹

Von drei Adressen muß die Mada Transport umziehen, von der Stormgade 10–12 und der Stormgade 2. Die liegt ganz unten am Frederiksholm Kanal. Abteilung für internationale Wirtschaftsbeziehungen heißt der Laden. Ich hab gehört, das hat was mit der EG und mit Energie zu tun, aber für Möbelpacker ist es jedenfalls kein Energiesparprogramm. In den alten Kästen gibt es nämlich keine Aufzüge, und draußen auf der Straße fahren einem die Busse fast den Arsch ab. Wenn ich mit ’nem Loch in der Hose nach Hause komme, weißt du warum.«

»Laß die ganzen Nebensächlichkeiten, Poul. Ich bin so neugierig.« Birte begann, sich über seine umständliche Art zu ärgern.

»Na ja, nachmittags tauchte das Fernsehen auf. ›Habt ihr was dagegen, wenn wir ein bißchen drehen?‹ fragte einer von denen. ›Uns stört das nicht‹, hab ich gesagt, ›wenn ihr die Erlaubnis aus dem Ministerium habt?‹

›Immer mit der Ruhe, wir haben ganz oben an der Spitze, beim Direktor persönlich gefragt. Wir schießen hier jetzt ein bißchen, während ihr die Kisten schleppt, und dann würden wir gern einem Wagen nach Christianshavn hinterherfahren und zusehen, wie ihr abladet. Ich denke nicht, daß ihr Ärger mit eurem Boss bekommt, wenn wir aus reinem Zufall den Firmennamen mit auf den Film kriegen.‹ Der Produzent grinste.

Die folgten uns, und ich wurde gefragt, ob ich nicht das Ministeriumsschild abschrauben könnte. Tja, das konnte ich wohl, denn es stand in der feinen EDV-Liste. ›Ich habe nämlich eine bestimmte Idee‹, sagte der Kameramann.«

Das graublaue Licht des Bildschirms breitete sich im Wohnzimmer am Straussvej aus, eine von hunderttausend Familien war vor der elektronischen Zeitung versammelt. Es ging um das übliche Gerangel in Christiansborg, düstere Aussichten für die Landwirtschaft und schlechtes Wetter vom Nordatlantik. Endlich erschien die letzte Überschrift: Umzug des Außenministeriums.

Ja, es war alles klar. Auch im Fernsehen zog das Außenministerium um. Alles lief im Stummfilm-Tempo ab, die Begleitmusik, ein alter Ragtime, paßte prima. Die Kamera zoomte auf das Schild des Ministeriums, das gerade abgeschraubt wurde. Kisten wurden auf die Straße geschleppt und in den großen Möbelwagen der Mada verladen, der zur Feier des Tages im Parkverbot hielt.

Die tiefe Kameraführung, als der Möbelwagen im dichten Verkehr über die Knippelsbro fuhr, beim zügigen Ausladen vor dem Warenaufzug des neuen Außenministeriums und schließlich beim Transport in die einzelnen Stockwerke, bewirkte, daß die kleine Filmeinspielung, die höchstens ein paar Minuten dauerte, eine ganz besondere Stimmung ausstrahlte. Sie sprang auch auf den Ansager im Studio über.

»Bei diesem Tempo ist es nur schwer verständlich, daß der Umzug des Außenministeriums volle vierzehn Tage dauern soll«, sagte er, bevor er zum Wetterbericht überleitete.

»Das war doch ganz lustig«, sagte Birte. »Es ist übrigens lange her, daß was Komisches in den Nachrichten kam. Und du hast dich doch auch nicht bei den Antworten blamiert.« In Wahrheit hatte Poul nicht ein Wort gesagt, aber sein Bild war zu sehen gewesen.

Auch jetzt war er still, aber bevor die Pause peinlich wurde, klingelte das Telefon. Birte saß am nächsten.

»Dürfen wir dem Starpaar einen ausgeben? Wir möchten so gern dabeisein, wenn ihr jetzt im ›Billed Bladet‹ und ›Se & Hør1‹ auftaucht«, zwitscherte Lise.

»Das mit den leeren Kisten hatte ich vergessen.« Poul hatte seine Stimme wiedergefunden. Der Satz blieb in der Luft hängen. Lise war noch immer am Apparat.

»Ja, ja, dann kommen wir für ein, zwei Stunden. Nicht länger – wegen der Kinder.« Birte legte auf.

»Wir gehen noch auf einen Sprung rüber zu Lise und Niels, nicht wahr, Poul?«

»Ja, ich komme schon«, antwortete Poul, aber in Gedanken war er weder im Strauss- noch im Schubertvej. Er war am Asiatisk Plads und versuchte, sich das Bild in Erinnerung zu rufen, als der Lastwagen am Warenaufzug des neuen Ministeriums hielt. Svend Åge und Peter sollten anfangen, die verschlossenen Kisten abzuladen, die fertig gepackt in der Stormgade gestanden hatten.

»Da waren ein paar leere Kisten dazwischen«, erzählte Svend Åge hinterher. »So viel Aufwand wäre doch für die Fernsehtypen wirklich nicht nötig gewesen.«

Poul hatte wie ein großes Fragezeichen ausgesehen. »Was meinst du damit?«

»Ich meine klipp und klar, daß es Blödsinn ist, wenn wir mit leeren Kisten herumrennen, nur um ein flottes Tempo vorzulegen und ein paar Typen zu imponieren, die sich bei ihrer täglichen Arbeit sicher nicht überanstrengen.«

»Ich weiß nichts von leeren Kisten«, wehrte Poul ab.

Doch hinterher hatte er sich schon seine Gedanken gemacht: es war etwas merkwürdig, daß die Leute vom Außenministerium volle und leere Kisten durcheinander gestellt hatten.

Bei Lise und Niels mußte er die Erlebnisse des Nachmittags in allen Einzelheiten erzählen, und Poul genoß es ein bißchen, im Mittelpunkt zu stehen. Das geschah nun wirklich nicht so oft. Niels zeigte sich allerdings weniger beeindruckt.

»Du hast ja für den Beitritt in die EG gestimmt. Deshalb ist es auch ganz richtig, daß du einer von denen bist, die sich einen Buckel von all dem politischen Papierscheiß holen müssen«, spottete er.

»Alles ging so fix, daß wir sogar mit ein paar leeren Kisten gefahren sind.« Obwohl Poul seine Offenheit verfluchte, es war bereits zu spät. Niels hatte sofort einen Spruch auf Lager.

»Na, das war doch ’n Ding, wenn dieser ostdeutsche Spion das Ministerium um geheime Dokumente erleichtert hätte.« Niels schlug sich vor Lachen auf die Schenkel, fügte aber dann versöhnlich hinzu: »Lise, haben wir nicht noch ein paar Bier? Man wird ganz durstig, wenn man mit solch einem Fernsehhelden zusammensitzt.«

Der radioaktive Mann

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