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Auf der Übersichtskarte von Kopenhagen und Umgebung ist das Dreieck zwischen Frederikssundsvej, Hulgårdsvej und der Schnellstraße Borups Allé kaum zu erkennen. Und doch haben hier wichtige kommunale und staatliche Institutionen ihren Sitz.

Wer im Verborgenen lebt, lebt gut, sagt ein altes arabisches Sprichwort.

Das Polizeirevier 3, eines der größten des Landes, ist in einem anonymen Bürogebäude untergebracht. Gebaut aus Betonelementen, die Fassade mit Strandkieseln verkleidet, wirkt der Komplex so ausreichend phantasielos, daß darin die Steuerbehörde, das Arbeitsamt oder ein großer Konzern untergebracht sein könnten.

Und hierher kommen auch die Polizeianwärter. Für diejenigen, die keine juristische Ausbildung vorweisen können, ist der Start als Ordnungspolizist auf Probe sowieso obligatorisch. Die Cleversten der Aspiranten werden danach von der Kriminalpolizei rekrutiert. Und der Nachrichtendienst, der sich als Eliteabteilung versteht, bezieht seine Leute aus der Kripo. Auf diese Weise passiert es schon mal, daß einer, der im Parterre der Borups Allé 266 angefangen hat, in die Etage über dem dritten Revier aufsteigt. Der PET hat nämlich die gleiche Adresse.

Die wichtigste Aufgabe des dänischen Geheimdienstes besteht darin, durch Gegenspionage zu verhindern, daß Spione anderer Länder sich einen Einblick in die Geheimnisse des Staates verschaffen können. Außerdem führt der PET Karteien über Bürger, von denen angenommen wird, daß sie in einer Krisensituation möglicherweise bedrohlich für die innere Sicherheit des Landes werden könnten. Absicht dieser Buchführung ist natürlich, daß die Registrierten unter Umständen in Verwahrung genommen werden können. Personaluntersuchungen sind die dritte und letzte Hauptaufgabe des PET. Angestellte im Öffentlichen Dienst, die sich mit einer Materie beschäftigen, die für die nationale Sicherheit von Bedeutung ist, oder Angestellte in Firmen, die Waffen für die Verteidigung produzieren, möglicherweise unter NATO-Regie, müssen damit rechnen, daß ihr Lebenslauf vom PET auf den Kopf gestellt wird. Fällt die Sicherheitsuntersuchung negativ aus, merkt der Betroffene wahrscheinlich nichts. Finden sich in seiner Vergangenheit aber Umstände, die die Einstufung in die Risikogruppe zulassen, so wird sich seine Karriere ändern, im schlimmsten Falle wird sie abgebrochen.

Dieser verborgene Einfluß, den der PET auf das Dasein anderer haben kann, ist von ziemlicher Bedeutung, aber in der Hierarchie der staatlichen Institutionen ist der Dienst nicht sonderlich hoch angesiedelt. Der Chef ist lediglich Polizeimeister in der 37. Gehaltsstufe. Der stellvertretende Chef des PET ist Vizepolizeimeister, und der Rest der Führung setzt sich aus einem älteren Kriminalkommissar sowie drei jungen Polizeibevollmächtigten zusammen. Diese Namen können im Hof- und Staatskalender nachgeschlagen werden, aber versucht man andere zu finden – zum Beispiel den Namen des Kriminalassistenten Anders Bojskov –, sucht man in allen Nachschlagewerken vergeblich. Die Mannschaft des PET – Kripobeamte und ein nicht unbedeutender Verwaltungsapparat – sind anonyme Diener.

»Ich habe einmal im Dienst eine Dummheit gemacht, ich wurde aus der Ermittlungsarbeit herausgenommen und hinterher in die interne Administration versetzt. Jetzt beschäftige ich mich mit dem Ankauf von Kaffeemaschinen, Büromöbeln und der Anstellung des Reinigungspersonals. Wir können ja nicht jemand x-beliebigen in den Büros herumlaufen lassen.«

So klingt die kurze und traurige Geschichte, die Anders Bojskov gewöhnlich erzählt, wenn jemand wissen will, was er bei der Polizei macht. Die Erklärung ist so entwaffnend langweilig, daß Bojskov selten hinzufügen muß, daß er Kriminalbeamter zweiten Grades ist und im dritten Revier arbeitet.

Als junger Kripomann war Anders Bojskov von Polizeiinspektor Arne Nielsen für den PET ausgewählt worden. Nielsen hatte seine eigene Rekrutierungspolitik, die sicherstellte, daß junge, talentierte Kripoleute einen diskreten Wink bekamen, beim PET anzusuchen. Anzusuchen – das war die Einstellungsprozedur.

»Obwohl die Augen der Öffentlichkeit uns kritisch verfolgen, gibt es große Möglichkeiten im Dienst«, sagte der Polizeiinspektor, als Bojskov damals in das alte PET-Hauptquartier am Hørhusvej auf Amager kam, um sich vorzustellen. »Und bedenken Sie, wenn Sie jemals Lust darauf bekommen, die Dienststelle zu wechseln, schadet es keineswegs, daß Sie hier waren.«

Bojskov wagte den Sprung, und von 1968 an war er PET-Mann. Außer der Anziehungskraft, die die Geheimdienstarbeit an und für sich auf einen achtundzwanzig Jahre alten Kriminalbeamten ausübte, spielte es für Bojskov auch eine Rolle, daß er für einen jungen Chef arbeitete. Arne Nielsen war erst vierzig. Bei anderen Abteilungen der Polizei steigt man nur langsam auf, und es ist nicht ungewöhnlich, wenn junge ›Genies‹ erst einmal ein paar ordentliche Nackenschläge hinnehmen müssen. Sie sollen sich nicht einbilden, sie wären was.

Im Oktober 1970 war Arne Nielsen auf einer Dienstreise in Brüssel. Eines Morgens wurde er in seinem Hotelzimmer bewußtlos aufgefunden, und vier Tage später starb er im Saint-Pierre-Hospital. Die PET-Leute waren erschüttert, aber als die Regierung vierzehn Tage später den Nachfolger ernannte, war der Schock total. Der jüngere Stellvertreter Nielsens, Jørgen Bro, wurde übergangen. »Zu grün«, hieß es in den Fluren, aber natürlich gab es einen anderen Grund. Die Regierung hatte sich für einen siebenunddreißigjährigen Karrieremacher aus dem Justizministerium, Jørgen Skat-Rørdam, entschieden.

Der neue PET-Chef wußte nur sehr wenig über den Dienst, aber als Sekretär eines sozialdemokratischen und eines konservativen Justizministers hatte er sich dadurch ausgezeichnet, daß er die Wünsche seiner Chefs schon erriet, ehe sie formuliert wurden. Aus einer kurzen Amtszeit in der 5. Abteilung des Justizministeriums wußte er auch, was vom Geheimdienst erwartet wurde. Wenn es ihm gelang, seine Karriere mittels der Fähigkeit zur Voraussage fortzusetzen – das hieß, den PET etwas weniger unabhängig zu leiten, als es Arne Nielsen getan hatte –, konnte er ziemlich sicher sein, ein Polizeimeisteramt zu bekommen, bevor er zu alt war, es zu genießen.

1975 wurde Jørgen Skat-Rørdam dann Polizeimeister im idyllischen Hillerød, und sein Nachfolger wurde wiederum ein Karrieremann aus dem Justizministerium, Oluf Trapp Madsen. Jørgen Bro war gebrandmarkt. Zweimal übergangen zu werden war mehr, als er ertragen konnte; doch bevor Bro die Tür zuschlagen konnte, wurde ihm ein Angebot präsentiert, das er nur schwer ausschlagen konnte. Ein Polizeimeisterposten wartete auf ihn, vorausgesetzt, er zeigte einmal mehr Langmut und wies einen neuen Chef in die ungewöhnliche Arbeit ein.

Und während Jørgen Bro Polizeimeister in Middelfart wurde, ein Posten, von dem aus ein weiterer Aufstieg durchaus nicht ausgeschlossen ist, wurden die Verbindungen zwischen dem PET und dem Justizministerium so eng geknüpft, daß man heutzutage ohne Übertreibung sagen kann, das Ministerium steuere den PET.

Oluf Trapp Madsen, der PET-Chef, hält sehr engen Kontakt mit Staatssekretär Viggo Nielsen. Die Tage, an denen der PET größere Operationen auf eigene Faust starten konnte, sind definitiv vorbei. Der Staatssekretär ist für den PET-Chef und den Minister zur Schlüsselfigur geworden. Allein der Staatssekretär entscheidet, ob eine informelle Konsultation ausreicht, oder ob weitere Stellen hinzugezogen werden müssen.

Das Kunststück des Staatssekretärs Viggo Nielsen besteht darin, daß es ihm gelungen ist, durch Ernennungen von Vorgesetzten, Versetzungen und häufigen Kontakt, sich selbst – und damit dem Ministerium – vollkommene Kontrolle über den PET verschafft zu haben. Vertraut der Minister seinem Staatssekretär, braucht er nicht mit der ständigen Angst herumzulaufen, daß der Geheimdienst Dummheiten macht oder ungesetzliche Dinge tut und daß der Sachverhalt zu irgendeinem Zeitpunkt–natürlich immer zu den politisch unpassendsten Gelegenheiten – durch die Presse aufgedeckt wird.

Nur wenige Staatssekretäre haben den gleichen Einfluß wie Viggo Nielsen, wenn es darum geht, den Minister so zu beraten, daß der Politiker das tut, was der Staatssekretär schon vorher beschlossen hat. Nur wenige können wie Viggo Nielsen den Mund halten, aber gerade Diskretion ist eine Voraussetzung dafür, daß diese Kunst von Minister zu Minister weitergeführt werden kann – mit dem Ergebnis der Anerkennung quer durch alle Parteien.

Nur halb soviel Zurückhaltung ist erforderlich, wenn Viggo Nielsen die Vaterrolle gegenüber seinen Untergebenen, zum Beispiel vor Oluf Trapp Madsen, weiterspielt. Hier herrscht immer größtes Entgegenkommen auf beiden Seiten, denn Oluf Trapp Madsen weiß genau, wer ihm den Job verschafft hat, und er weiß auch ganz genau, daß nur eine plötzliche Krankheit Viggo Nielsen daran hindern kann, auch weiterhin darüber zu entscheiden, ob er weiterkommt.

Was während der informellen Gespräche zwischen dem Staatssekretär und dem PET-Chef konkret beschlossen wird, bleibt unter vier Augen, aber viele PET-Leute – insbesondere die älteren – meinen, daß die Auswirkungen bis ganz nach unten zu spüren sind. Es ist ein einfaches physikalisches Gesetz, daß der Druck auf die untersten Steine größer wird, je höher die Pyramide gebaut ist.

Auf den unteren Rängen des PET war Bojskov einer der Mitarbeiter, die sich in der Atmosphäre des Amtes unwohl fühlten, nachdem die Karrierejuristen nach und nach die vollständige Kontrolle übernommen hatten.

Wollte man die Mitarbeiter, denen Arne Nielsen und Jørgen Bro noch ihren Stempel aufgedrückt hatten, ganz diskret aus dem Verkehr ziehen? Jedenfalls konnte man es so einrichten, wenn man umtriebige Leute mattsetzte.

Bojskov war jetzt im zweiten Jahr bei der ›Putzkolonne‹. Die Arbeit war zur Routine geworden, und es gab nicht sonderlich viel zu tun – eine Situation, die psychisch mindestens ebenso belastend sein kann wie Stress durch zuviel Arbeit. Es war fast komisch, aber für Bojskov eine subjektive Wahrheit, daß der aufregendste Augenblick der Woche am Mittwochnachmittag kam, wenn er in aller Ruhe dasaß und seinen Totoschein ausfüllte. Für zweimal sechzehn Reihen hatte er Geld, vorausgesetzt, daß er sich beim Kantinenbesuch absolut beherrschte – im übrigen eine schwierige Kunst, wenn die tägliche Arbeit so ohne Spannung ist.

In der letzten Arbeitsstunde jedes Mittwochnachmittags kam der Moment, wo sich Bojskov seinen Tippsystemen und Tagträumen hingab, und wo er sich folglich auch nicht gerne stören lassen wollte. Nur die engsten Kollegen wußten von Bojskovs Leidenschaft. Der stellvertretende Chef, Vizepolizeimeister John Møller, war nicht in das kleine Geheimnis des Kriminalassistenten eingeweiht. Sonst hätte er sicher einen anderen Zeitpunkt als ausgerechnet den Mittwochnachmittag gewählt, um Anders Bojskov eine neue und fachlich interessante Aufgabe vorzuschlagen.

Vizepolizeimeister John Møller sieht nicht aus wie ein fünfunddreißigjähriger Polizeiassessor, der den Geheimdienst als Sprungbrett für andere und größere Aufgaben gewählt hat. Er sieht überhaupt nicht aus wie ein Beamter, sondern eher wie der wohlgenährte Marketingdirektor einer mittelgroßen Firma. Während lockere Kleidung, Jeans, Cordhosen und Pullover längst an der Tagesordnung waren, kam John Møller immer noch im korrekten Anzug zur Arbeit. Ihm fehlte nur die ›Börsenzeitung‹ in der Tasche, um das Bild des modernen, dynamischen Geschäftsmannes abzurunden.

Die Kombination von dunklem Anzug, Goldbrille und einer natürlichen Freundlichkeit hatten bewirkt, daß man sowohl in der Öffentlichkeit wie auch im Dienst mehr auf den stellvertretenden Chef als auf den obersten Boss, Oluf Trapp Madsen, hörte.

Wenn die Presse informiert wird, was selten genug geschieht, ist es John Møller, der vortritt. Er tritt in Gerichtsverhandlungen auf und macht einen guten Eindruck auf die Richter. Und wenn einem etwas träg gewordenen Mitarbeiter neue Motivation vermittelt werden soll, dann macht das auch John Møller.

Es war daher auch nicht überraschend, daß Bojskov zum stellvertretenden Chef gerufen wurde. Es war nur der Zeitpunkt, der späte Mittwochnachmittag, der ihm ärgerlich erschien.

»Ich habe dich hoffentlich nicht bei was Wichtigem gestört«, leitete John Møller das Gespräch in seinem wie üblich zuvorkommenden Ton ein. In diesem Fall war die Bemerkung jedoch weniger atmosphäreschaffend als beabsichtigt.

Er weiß doch ganz genau, daß ich einen Scheißdreck zu tun habe, dachte sich Bojskov, jedenfalls nichts, was mich interessiert – und der Kriminalassistent antwortete ironisch: »Es ist immer wieder erfrischend, in der Routine unterbrochen zu werden, wie wichtig sie auch sein mag.«

»Gut, daß du es so siehst, denn wir haben in der Tat eine erweiterte Reinigungsaufgabe, auf die wir dich gern ansetzen möchten.« John Møller machte eine kleine Kunstpause. »Eine Art Folgeerscheinung der Affäre Jörg Meyer.«

»Sehr interessant. Ich bin wahrscheinlich einer der ganz wenigen in der Abteilung, die nicht auf die eine oder andere Art mit dem Fall zu tun hatten, und ich freue mich natürlich, daß ich das Versäumte jetzt nachholen kann, da die Geschichte von anderen schon erledigt worden ist.«

Es war deutlich, daß der spitze Tonfall John Møller zu irritieren begann, aber der Kriminalassistent machte unangefochten weiter: »Aber beim Fußball kann man ja das Spiel auch ganz gut von der Reservebank aus mitverfolgen. Wenn man da sitzt, kommt man jedenfalls nicht aus der Puste oder macht sich schmutzig.«

»Nicht so giftig, Bojskov. Wenn wir im Fußballjargon bleiben wollen, dann zeichnet sich eine gute Mannschaft der 1. Liga ja dadurch aus, daß auf der Reservebank auch gut spielende Leute sitzen.«

»Völlig richtig, und ich kann durchaus die Zeit, die ich über habe, mit dem Ausfüllen von Totoscheinen verbringen.«

»Privat kannst du so viele Scheine ausfüllen, wie du Lust hast, aber wenn wir unser Gespräch beendet haben, ist es völlig ausgeschlossen, daß du dafür während des Dienstes noch Zeit haben wirst.«

»Ja also, dann bin ich gespannt«, sagte Bojskov und machte gleichzeitig ein erwartungsvolles Gesicht.

»Wie du möglicherweise weißt, habe ich alle Gerichtsverhandlungen des Falles Meyer besucht, und hier im Hause war ich natürlich auch sehr eng in den Fall eingebunden. Die Geschichte ist jetzt beendet, darüber brauchen wir nicht mehr zu reden. Zurückgeblieben ist inzwischen nur die offene Frage, ob wir daraus gewisse Erfahrungen ziehen können. Wir glauben, wir können es.«

John Møller machte eine seiner gut einstudierten Kunstpausen. »Ja, wir können vielleicht im Fußballjargon bleiben. Ich bin ganz bestimmt kein Experte, aber mir ist doch aufgefallen, daß einem Tor sehr oft der Ausgleich folgt, weil die in Führung gegangene Mannschaft bloß ein paar Sekunden lang im Freudentaumel die Abwehr vernachlässigt.«

Bojskov nickte bestätigend.

»Mir liegt nicht daran, eine künstliche Dramatik zu schaffen, aber wir haben eine ganz besondere Idee. In aller Einfachheit, es geht darum, daß wir das Außenministerium gern auf den Kopf stellen wollen.«

»Welche Personalgruppen sollen anvisiert werden?« Bojskov stellte seine Frage so geschäftsmäßig, daß John Møller seinen unterbrochenen Gedanken wieder aufnahm.

»Jörg Meyer war ein echter Profi. Bei der Raffinesse, mit der östliche Geheimdienste betrieben und koordiniert werden, ist es nicht auszuschließen, daß irgendeine Filiale es ausgenutzt hat, als wir alle Hände voll zu tun hatten. Jedenfalls gibt es diese theoretische Möglichkeit.«

»Ich weiß immer noch nicht, wie umfassend die Untersuchung sein soll. Sollen wir ein bißchen mit dem Staubtuch wedeln oder . . .«

»Ich denke, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt, Bojskov. Das ganze Ministerium muß von Kopf bis Fuß untersucht werden. Wir können uns nicht damit zufriedengeben, daß nur studentische Aushilfen und Büromädchen erpreßbar sind. Es gibt nur ein Ausnahme, für die ich die Verantwortung übernehme. Vom Außenminister sehen wir ab.«

»Und du erwartest, daß ich diese Aufgabe allein schaffe?«

»Nein, das ist selbst für dich eine Nummer zu groß, Bojskov. Zuallererst geht es darum, daß du bitte einen Arbeitsplan erstellst. Das erledigt am besten ein erfahrener Kripomann.«

»Und dann?«

»Dann stellen wir eine Arbeitsgruppe zusammen. Auch hier werden Vorschläge dankend angenommen, aber ich will dir gern verraten, daß wir bereits daran gedacht haben, die Polizeibevollmächtigte Bente Riskjær unbedingt mit in die Gruppe zu nehmen.«

»Wohl als Leiter der Gruppe?« Bojskov versuchte, seiner Stimme einen Tonfall zu geben, als stelle er eine dienstliche Routinefrage, aber John Møller verstand genau, was dahinter steckte.

»Denk nicht in so ausgetretenen Bahnen. Das ist kein militärisches Trainingslager, wo wir uns gegenseitig herumkommandieren und Schnüre oder Sterne auf den Schulterklappen tragen. Persönlich halte ich sehr viel von Teamwork, und auch von dir, Bojskov, halte ich so viel, daß ich überzeugt bin, du kannst sowohl einen funktionierenden Arbeitsplan erstellen als auch dazu beitragen, eine funktionstüchtige Arbeitsgruppe zusammenzustellen. Die Aufgabe erfordert eigentlich mehr, als ich jetzt vielleicht sagen kann. Es geht darum, daß eine kleine Gruppe sich diplomatischer erweisen muß als das ganze königliche Außenministerium mit seinen 1400 Angestellten.«

»Gibt es noch etwas, woran ihr bereits gedacht habt, und das vielleicht jetzt bereits an mich weitergegeben werden kann?«

»Ja, es ist eine absolute Bedingung, daß nichts – aber auch gar nichts – an das Personal des Ministeriums durchsickert.«

»Ich hatte eigentlich schon von roten Teppichen und Cocktails zu träumen begonnen.«

»Hinterher, wenn alles glücklich überstanden ist, können wir uns sicher ein paar Flaschen genehmigen, aber der Ausschank findet hier auf unserem langweiligen grauen Nadelfilz statt. Es ist nämlich so, daß unsere Sicherungsgruppe das Ministerium beraten hat; und diese Arbeit haben sie so perfekt erledigt, daß es sehr schwer für ein Mitglied deiner Arbeitsgruppe werden wird, sich im Ministerium zu zeigen, ohne daß die Untersuchung dadurch kompromittiert wird.«

»Zum Teufel.« Bojskov sah grimmig aus.

»Ich weiß auch, daß die Arbeit dadurch nicht gerade einfacher wird, aber so sind die Arbeitsbedingungen, und du sollst auch hören, warum. Nachdem die westdeutschen Terroristen die Botschaft in Stockholm gestürmt und den Militärattaché ermordet hatten, sah die Diplomatie ein, daß die Sicherheitsanlagen der Botschaften und Ministerien ausgebaut werden mußten. Ja, genaugenommen gab es gar keine Sicherheitsvorkehrungen. Man konnte im wahrsten Sinne des Wortes einfach von der Straße aus hineingehen und fast jeden Botschafter kidnappen. Darum bekam Christiansborg kugelsichere Scheiben, aber die Sicherheitssysteme waren noch immer ziemlich primitiv. In dem neuen Gebäude ist alles diskreter und raffinierter, und das bringt es mit sich, daß sich zum Beispiel dein Gesicht in dem Moment, wo du, Bojskov, zum Haupteingang am Asiatisk Plads Nr. 2 hereintrittst, auf dem Bildschirm des Wachtmeisters zeigt. Wenn du Lust hast, es auszuprobieren, die Kamera sitzt rechts vom Eingang unterm Dach, aber das würde zur Folge haben, daß wir dich aus der Arbeitsgruppe nehmen müßten.

Aus Sicherheitsgründen läuft nämlich nicht nur eine interne Fernsehkamera. Unsere Sicherheitsgruppe empfahl dem Ministerium, alle Aufnahmen auf Video mitzuschneiden, so daß man bei ungesetzlichem Eintreten – im schlimmsten Fall einer Terroraktion – immer gute Bilder von den Tätern hat.

Ob die Videoanlage wirklich läuft, weiß ich nicht, das gebe ich zu, aber du mußt damit rechnen.«

»Sehr witzig. Ich soll einen Krieg gegen die Sicherheitssysteme führen, die der PET eigenhändig mit aufgebaut hat.«

»So würde ich es nun auch nicht sagen«, antwortete John Møller. »Ich finde, es ist doch für dich von Vorteil zu wissen, worauf du aufpassen mußt.«

»Unter diesen Bedingungen wird es schon ein paar Tage dauern, bis ich mit einer vernünftigen Skizze kommen kann.«

»Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Hauptsache, der Plan wird gut. Dann macht es auch nichts, wenn du dich zwischendurch mit Totospielen entspannst. Übrigens, schließen nicht gleich die Läden ihre Kassen für diese Spielrunde?«

»Das läuft aber hart auf den Vorwurf des Dienstversäumnisses hinaus. Ich werde mir überlegen, ob ich nicht mit meinem Vertrauensmann darüber spreche.« Bojskov sah todernst aus, obwohl er einen Witz machen wollte.

Aber John Møller hatte ganz offensichtlich seine tägliche Dosis an Humor verbraucht. Er ignorierte, daß es ein Witz sein sollte. »Und wenn Sie mit Ihren Giftigkeiten und nur schlecht verheimlichten Querelen nicht aufhören, werde ich dafür sorgen, daß wir sehr bald eine neue Kartei aufbauen müssen. Ihr Name wird dann ganz oben auf der Anwärterliste stehen.«

»Unentschieden«, lächelte Bojskov und erhob sich.

»Denk dran, Systemspiel bringt am meisten.« Jetzt lachte auch John Møller.

Der radioaktive Mann

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