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Wenn alle ihre Position im System kennen, gibt es für Vorgesetzte keinen Grund, sich aufzuregen oder zu kommandieren. Das geht bloß auf die Stimmbänder und vermittelt Besuchern einen wenig glücklichen Eindruck. Im PET-Hauptquartier über dem dritten Revier kennen alle ihren Platz, und daher ist es eine Ausnahme, wenn direkte Befehle gegeben werden. Die Chefs bitten oder sagen – je nach Jahrgang und Temperament: »Wollen Sie oder du nicht mal . . .« Eine zivilisierte Hackordnung, eine Hackordnung, bei der es keine offenen Wunden gibt.

Wer das Recht hat, um dieses oder jenes zu bitten, und auch erwarten darf, daß es ausgeführt wird, das geht nicht aus Bekleidung und Tonfall hervor, sondern aus der Anordnung der Schreibtische der Beteiligten. Die Anzahl der Fenster eines Büros, kleine Unterschiede in der Einrichtung und nicht zuletzt die Lage eines Büros markieren die Rangunterschiede im hierarchischen System.

Was die Bekleidung angeht, ist John Møller die Ausnahme – eine Ausnahme, die die Regel bestätigt. John Møller läuft immer wie ein Boss verkleidet herum, aber erst, wenn man sein nach Süden gelegenes Büro mit den vier Fenstern gesehen hat, weiß man um seinen Rang. Polizeimeister Oluf Trapp Madsen hat nämlich fünf Fenster, und nur er verfügt über ein eigenes Konferenzzimmer.

Die Südseite ist die feine Seite. Von hier aus kann man die kleine grüne Anlage übersehen, die zwischen dem Hulgårdsvej und der Borups Allé liegt.

Auf der anderen Seite des PET-Gebäudes bekommt man derartige grüne Illusionen nicht. Will man die Aussicht genießen, kann man zwischen einem asphaltierten Parkplatz und der grauen, einem Fort nicht unähnlichen Wachstation der Staatlichen Elektrizitätswerke wählen. Seit die Privatwagen des PET-Personals in immer längeren Intervallen – und jedesmal gegen kleinere Modelle – ausgewechselt werden, ist der Parkplatz uninteressant. Die graue Tristesse der Wachstation ist hier auf der Schattenseite also das aufregendste Moment.

Bojskovs Gespräch mit John Møller hatte der Apathie des Kripoassistenten ein Ende gesetzt. Er war wieder zur Biene geworden, die von allen Seiten her Frühlingsdüfte wahrnimmt.

Der kleine Schreibtisch in dem Zweifenster-Zimmer war mit Papieren übersät. Obendrauf lag ein ungewöhnlich dickes Buch, in festes hellgrünes Leinen gebunden, das Reichswappen auf der Titelseite eingeprägt. Bojskov war dabei, den Hofund Staatskalender zu studieren, eines der offiziellsten Werke, das überhaupt in Dänemark erschien.

In diesem Buch kann man zum Beispiel nachlesen, wann der PET-Chef geboren wurde, wann seine Ernennung stattfand, und wann er zum Ritter des Danebrog-Ordens geschlagen wurde. Es gibt Tabellen über die Familienverhältnisse des Königshauses, sämtliche Namen der drei obersten Rangklassen im Königreich sind verzeichnet, der Text des Grundgesetzes, die Adressen der Ministerien, Übersichten über die Geschäftsbereiche der einzelnen Abteilungen, Verzeichnisse über die verschiedenen akademischen Mitarbeiter der Abteilungen und eine Vielzahl weiterer nützlicher Informationen findet man hier.

Anders Bojskov war dabei, die ehemaligen Adressen und die Personenverzeichnisse des Außenministeriums durchzugehen, aber es fiel ihm schwer, sich auf die alten Adressen in Kopenhagen zu konzentrieren. Für einen Kriminalassistenten des zweiten Grades hatte das Buch etwas von einem Märchenbuch, wenn er den Abschnitt über das Außenministerium aufschlug. Im Grunde war auch nichts dagegen zu sagen, daß er an eine kleine dienstliche Rundreise dachte, als er die Adressen und Telefonnummern sämtlicher Botschaften Dänemarks überflog und das weltumspannende Netz von London bis Tokio verfolgte. Aber Bojskov vergaß seine Träumereien. Das läuft doch nur darauf hinaus, daß sie sagen, ich soll den Stadtbus zur Stormgade nehmen, dachte er. Daß die Chefs in Europa herumreisen, ist eine andere Geschichte.

Bevor das Außenministerium zum Asiatisk Plads gezogen war, gab es sechs verschiedene Adressen. Der Minister, der Direktor und die besseren Abteilungen hatten selbstverständlich in Christiansborg residiert, aber Bojskov interessierten die drei Adressen in der Stormgade am meisten.

In der Stormgade 2 ging es um die drei Büros der Verwaltung. Besonders die Büros A I und A III waren für einen Geheimdienstmann heiße Adressen. Zu A I, dem Personalbüro, gehörten ›personelle Angelegenheiten, sämtliche Abteilungen betr., darunter Anstellungen, Einsatz und Ausbildung‹. Unter den Bereich A III fielen ›Kommunikation, Kurierdienst, Telekommunikation, Chiffrierdienst, Postversand und Sicherheitsdienst‹.

Das Büro A I mußte ganz einfach alle Grundinformationen haben, die Bojskov und seine Arbeitsgruppe brauchten. Es war allerdings undenkbar, daß sie sich einfach im Archiv niederließen, alle Akten durchgingen und hinterher um Fotokopien von dem für sie interessanten Material baten.

Nur vier Hausnummern weiter hatte Jörg Meyer seine Nase für den ostdeutschen Sicherheitsdienst ins Ministerium gesteckt. Die Abteilung für internationale Wirtschaftsbeziehungen war ebenfalls in drei Büros aufgeteilt, M I, M II und M III. Und im letzten hatte Meyers Freundin, Katrine Sommer, gearbeitet. Hierher gehörten: ›Internationale Energiezusammenarbeit, worunter die Angelegenheiten der EG und der internationalen Energieagentur (IAE) fielen. Ferner: Energiepolitik, worunter die Kernkraftfrage im generellen energiepolitischen Zusammenhang und die Versorgungsfrage Kernkraft fielen.‹

Es wäre interessant zu wissen, ob auch Jörg Meyer und sein Führungsoffizier mit dem Staats- und Hofkalender dagesessen hatten, um rauszukriegen, wo man Katrine Sommer am erfolgreichsten einsetzen konnte. Der Gedanke setzte sich in Bojskov fest und verschaffte ihm einen unangenehmen Geschmack im Mund. Er griff nach dem halbleeren Kaffeebecher. Pfui, zum Teufel – der Kaffee war nur noch lauwarm und bitter.

Eine unbehagliche Assoziation, aber Bojskov konnte sich nicht von dem Gedanken freimachen. Eifrig blätterte er weiter in den Unterlagen, die ihm John Møller mit der Bemerkung gegeben hatte, daß sie zur prinzipiellen Orientierung gedacht seien, und nicht, um den Fall Meyer neu aufzurollen.

Nur begrenzte Einsicht zu gewähren, kann manchmal ganz vernünftig sein – bei jedem Nachrichtendienst sorgt man dafür, daß keine Einzelperson alles weiß, und daß lediglich die allerobersten Chefs das Recht haben, alles zu erfahren, wenn sie fragen. Dennoch war John Møllers ermahnende Bemerkung völlig überflüssig. Bojskov wußte, worin seine Aufgabe bestand. Er träumte nicht einmal davon, im Fall Jörg Meyer noch einmal herumzuwühlen, ob es nicht doch noch einen kleinen Stein gab, der nicht umgedreht worden war – tja, es hätte höchstens ein Sandkorn sein können, das irgendwo dazwischengerutscht war, ohne daß einer es bemerkt hatte. Soviel hatte er doch aus den Zeitungen herausgelesen, die seine Hauptinformationsquelle gewesen waren.

Aber wenn alles überstanden war, durfte ein Geheimdienstmann des eigenen Dienstes doch nicht auf Hindernisse stoßen, wenn er den Fall durchsehen wollte. Und doch war es so. John Møller hatte die Akten kräftig gesiebt, und Bojskov konnte nur mit Mühe und Not eine Chronologie erstellen.

Am 7. Januar 1973 ging der Seemann Rudolf Samiec in der belgischen Hafenstadt Zeebrügge auf eine ausgedehnte Sauftour. Auf dem Heimweg schwankte Samiec dermaßen, daß er statt in seine Koje ins Hafenbecken fiel. Niemand beobachtete das Unglück oder hörte die Hilfeschreie des Ertrinkenden. Am folgenden Tag wurden im Leichenschauhaus Identität und Todesursache festgestellt. Rudolf Samiec, geboren am 14. Dezember 1941. Die Eltern waren während eines Fliegerangriffs umgekommen, er hatte keine weiteren Angehörigen. Der Fall Samiec war für die belgischen Behörden mit dem Begräbnis abgeschlossen. Die persönlichen Papiere des Ertrunkenen erhielt der westdeutsche Konsul, und durch ihn als Mittelsmann landeten diese Dokumente in Ost-Berlin. Rudolf Samiec war westdeutscher Staatsbürger gewesen, aber geboren wurde er in dem Teil Deutschlands, der nach der Teilung die Deutsche Demokratische Republik genannt wurde. Und vertraglich ist zwischen der BRD und der DDR festgelegt, daß die Papiere eines Toten der Heimatgemeinde ausgehändigt werden müssen.

Am 4. September 1973 saß ein ca. 1,70 cm großer, dunkelgelockter, zweiunddreißigjähriger Mann im Hamburg-Expreß. Er hatte eine einfache Fahrt nach Kopenhagen gelöst. Das war vielleicht ein bißchen optimistisch, denn weder seine Bekleidung noch sein Gepäck ließen vermuten, daß er es sich leisten konnte, länger dort zu bleiben. Der Reisende sah eher wie ein Student aus, für den die Zeit gekommen war, Rebellion und Kneipendiskussionen zu vergessen und sein Studium abzuschließen – sonst würde es bald zu spät für ihn sein.

In Rødby beachtete ihn der Zöllner kaum. Für einen potentiellen Drogenschmuggler wirkte er nicht ausgeflippt genug, und für einen Schnaps- oder Zigarettenschmuggler sah er zu ärmlich aus. Der Paßbeamte war ebenso uninteressiert. Der Name Rudolf Samiec sagte ihm nichts – jedenfalls stand er auf keiner Interpolliste.

Der einsame, unglückselige Seemann war durch einen sicheren, intelligenten Burschen ersetzt, der sich bald an der Kopenhagener Universität einschrieb, nachdem er Dänisch in Abendkursen gelernt hatte. Die Erklärung dafür muß man in der Normannenstraße 21–22 in Ost-Berlin suchen, wo das Ministerium für Staatssicherheit untergebracht ist. Dort werden keine geringen Anstrengungen unternommen, um andere Staaten zu verunsichern. In der Normannenstraße 21–22 hatten ein paar Offiziere geduldig darauf gewartet, daß ein willkommenes Unglück geschieht. Sie hatten nämlich einen jungen Universitätsstudenten für Spezialaufgaben ausgebildet, und eine neue Identität war alles, was noch fehlte, um die Operation anlaufen zu lassen.

Wenn der wirkliche Samiec die Eigenschaft des falschen gehabt hätte, Kontakte zu knüpfen, unvorhergesehene Situationen zu meistern, nette, kluge Mädchen zu finden und für sich einzunehmen, wäre er vermutlich nicht so elend in einem trüben Hafenbecken ums Leben gekommen.

Der zweite Rudolf fand erstaunlich schnell ein Zimmer im Grønjordskollegium auf Amager, und ebenso erstaunlich schnell hatte er eine feste Beziehung mit der Musikstudentin Jonna. Das Verhältnis war eine Zwischenstation für den falschen Rudolf Samiec – er war nicht nach Dänemark gekommen, um seine musikalischen Interessen zu pflegen. Bereits im Herbst 1973 fand Jonna heraus, daß Rudolf nicht der war, für den er sich ausgab. Er hatte erzählt, daß seine Eltern während eines Bombenangriffs der Alliierten umgekommen seien und daß er in Hamburg gewohnt hätte. Ein Telefonat mit dem Einwohnermeldeamt lieferte Jonna den Beweis, daß Rudolfs Geschichte nicht stimmte, jedenfalls nicht in diesem Punkt.

Warum wollte er auf diese Weise seine Spuren verwischen? Jonna überlegte und vertraute sich einer Freundin an, die wiederum Rudi (so wollte er am liebsten genannt werden) in die Entdeckung einweihte.

Die Beziehung zwischen Jonna und Rudi war vorbei. Nicht weil sie versucht hatte, ihn zu überprüfen, sondern weil sie als Musikstudentin nicht das Mädchen war, was er brauchte. Er setzte sein Studium und die Talentsuche fort, und eines Tages, am 1. Mai, hatte Rudi Glück.

Der 1. Mai 1975 war ein besonderer Tag. Die Amerikaner hatten Südvietnam geräumt, Kambodscha war von den Roten Khmer eingenommen, und die provisorische Revolutionsregierung übernahm an ebendiesem Tag die volle Kontrolle über das vom Krieg verwüstete Südvietnam. Jetzt brauchten sich die Studenten in den westlichen Hauptstädten nicht mehr länger vor den amerikanischen Botschaften heiser zu brüllen. In den Kollegien, in den Kneipen und in den engagiertesten Zirkeln beim Maifest im Fælledpark wallte die Revolutionsromantik noch einmal so richtig auf.

Bevor dieser Tag zu Ende ging, waren Revolution und Romantik bei dem falschen Rudolf eine höhere Einheit eingegangen. An diesem Abend traf er Katrine Sommer, sprachenstudierende Arzttochter aus Grindsted.

Rudi setzte alle Segel, und nur sieben Monate später war Katrine Sommer soweit, daß er sie einigen Freunden vorstellen konnte. Den äußeren Rahmen lieferte ein Ärztekongreß in Helsingfors. Rudis ›Arztfreunde‹ waren die Stasioffiziere Jürgen Rogallo und Berndt Gentz.

Als die Stasimänner nach Ost-Berlin zurückkehrten, waren sie sich einig, daß Katrine die richtige Bekanntschaft für Rudi sei. Sie hatte einen bürgerlichen Hintergrund, sie war ideologisch zu motivieren, und sie studierte im Hauptfach Französisch.

Der erste Schritt bestand nun darin, Katrine Sommer zu bewegen, sich um eine Stellung zu bewerben, die für die Ostberliner von ausreichend strategischer Bedeutung war. Das Außenministerium war der Ort – und ihre Französischkenntnisse waren die Eintrittskarte. Auf diesem Gebiet ist in der Zentraladministration die Konkurrenz nicht sonderlich groß.

In einem weiteren Schritt sollte Rudi nach und nach Liebe und Druck mischen, bis Katrine endlich bereit war, Dokumente des Ministeriums zu kopieren oder zu stehlen.

Alles gelang. Katrine Sommer wurde als freie Mitarbeiterin im Energiebereich der Marktabteilung, M III, Stormgade 10, eingesetzt. Am 13. November 1978 um 16.42 Uhr schnappte die Falle zu, als Rudi in seiner Wohnung, Rolfsvej 15 in Frederiksberg, festgenommen wurde.

Wenige Tage später gab der falsche Rudolf zu, daß sein richtiger Name Jörg Hermann Otto Meyer sei und daß er selbst ostdeutscher Staatsbürger war, geboren am 2. Februar 1944 in Oslo im Feldlazarett I/509. Etwas anderes oder mehr bekamen Bojskovs Kollegen nicht aus ihm heraus, obwohl er fast ein Jahr in Isolationshaft verbringen mußte. Bis das Østre Landsret am 5. November 1979 das Urteil fällte: sechs Jahre Gefängnis. Mit Jörg Meyer hatte der PET einen waschechten Perspektivagenten enttarnt. Seine Einsatzmittel bestanden aus der altbekannten Mischung von Liebe und Pression. Und er hätte großen Erfolg damit haben können. Sein Aufstieg wurde gestoppt, weil die Fremdenpolizei bei einer Routineuntersuchung auf seine falsche Identität aufmerksam geworden war. So wurde der Fall jedenfalls offiziell in den Unterlagen des PET dokumentiert, aber Bojskovs private Vermutung ging dahin, daß alles beim Verfassungsschutz in Köln begonnen hatte.

John Møller wird wohl nicht darum herumkommen, den Schlüssel zur Reisekasse zu zücken, dachte Anders Bojskov. Er hatte inzwischen so viele Reisevorschläge, daß er sicher war, mit einigen durchzukommen. Nur das Hauptproblem war noch immer ungelöst.

»Wir brauchen bloß Einsicht in die Verhältnisse von 1400 Angestellten, ohne daß sie etwas davon merken.« Es klang so einfach, als John Møller das sagte, aber wie sollte man es machen? Bojskov mußte die Antwort haben, bevor er den Verlauf der Untersuchung überhaupt nur skizzieren konnte.

»Riskjær, natürlich!« entfuhr es ihm, und er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Sie mußte die Schlüsselperson sein. Gelang sein Plan, würde er unweigerlich einen Teil der Ehre mitabbekommen. Mißlang das Vorhaben allerdings, war die junge Polizeibevollmächtigte als Sündenbock reif.

Bojskov hatte beim PET viel gelernt – vor allem, sich vor Unannehmlichkeiten von oben abzusichern. Nun ging es nur noch darum, die Idee gut zu verpacken und John Møller zu verkaufen.

»Geheim ist sicher die unterste Stufe der Einordnung, die wir in diesem Fall anwenden können«, sagte John Møller und sah über seine Brille hinweg Bojskov an, der gerade seinen fertigen Plan dem stellvertretenden Chef präsentiert hatte. Das war nicht als Frage gemeint, das war eine Feststellung. John Møller fuhr daher auch unangefochten fort:

»Aber ich habe ein paar Fragen, bevor wir im Verfahren weitermachen. Ich bin mir darüber im klaren, daß ich es war, der bei unserem ersten Gespräch Bente Riskjærs Namen ins Spiel brachte, aber an eine so aktive Rolle, wie sie hier vorgeschlagen wird, habe ich ehrlich gesagt nicht gedacht, zumindest nicht in der Anfangsphase. Faß das nicht von vornherein als Ablehnung auf, so ist es nicht gemeint. Ich würde nur gern eine gute Begründung dafür hören.«

Bojskov, der etwas leger in den Sessel gerutscht war, richtete sich auf und legte gleichzeitig seine Pfeife weg. »Sehr richtig, du warst es, der mich auf diesen Gedanken gebracht hat«, begann er. »Wir dürfen doch wegen dieser verfluchten Kameras und Monitore möglichst gar nicht in die Nähe des Außenministeriums kommen. Somit sind uns die primären Quellen verschlossen, wenn ich das mal so sagen darf. Aber ohne die CPR-Nummer3 sämtlicher Angestellter können wir unser Ziel nicht erreichen, und daran hat sich doch nichts geändert, oder?«

»Selbstverständlich nicht. Sonst hättest du es erfahren.«

»Dann dürfte die schmerzfreieste Methode darin bestehen, das Material aus der zentralen Lohnbuchhaltung der Verwaltung oder aber aus dem Steueramt zu holen. Wie du selbst gesehen hast, empfehle ich die letzte Möglichkeit, und genau hierzu brauche ich einen jungen Juristen. Den Namen können wir offenlassen. Ich glaube nämlich nicht, daß irgend jemand im Steueramt – gehen wir vom Steuerdirektorat des Staates aus – sich darüber wundern wird, wenn das Dezernat für Wirtschaftskriminalität darum bittet, einen jungen Bevollmächtigten schicken zu dürfen, damit der etwas über Steuertransaktionen lernen kann. Jeder Jurist weiß, daß gerade die Wirtschaftskripo äußerst schwach dasteht. Ja, die Kollegen im Steuerdirektorat haben vielleicht sogar ein bißchen Mitleid mit der Kleinen, die sich bei der Wirtschaft hat anstellen lassen.«

»Aber du hast mir weder beschrieben noch erzählt, wie Bente Riskjær in den Besitz der Namenslisten kommen soll. Das erfordert mehr als nur durch die Schwingtüren in den Steuerpalast zu treten«, wandte John Møller ein.

»Der Plan ist eine Zusammenfassung. Ich habe nicht damit gerechnet, daß du alle Details schwarz auf weiß willst.«

»Das ist auch nicht nötig, aber mündlich möchte ich die Löcher doch gestopft bekommen.«

»Meine Absicht ist«, erläuterte Bojskov, »Bente Riskjær ans Staatssteuerdirektorat zu versetzen, wenn sie mit einer Tarnfunktion bei der Wirtschaftskripo versehen ist. Im Steuerdirektorat bekommt sie einen Schreibtisch und ein Telefon, damit auch eventuelle Skeptiker herzlich willkommen sind, die ihre Identität checken möchten.«

»Aber bei den Namenslisten und CPR-Nummern sind wir immer noch nicht«, nölte John Møller.

»Das kommt. Ich spanne dich bloß auf die Folter, weil ich glaube, daß ich mir etwas ganz Raffiniertes ausgedacht habe. Jedes Jahr gibt es einige sogenannte Anmerkungen in dem Teil der Haushaltsvorlage, die das Außenministerium betrifft. Eine dieser Anmerkungen gibt dem Ministerium die Handhabe, für Bank- und Sparkassenkredite zu bürgen, wenn im Außendienst arbeitende Mitarbeiter zum Beispiel ein Auto kaufen. Früher war die Regelung noch vorteilhafter. Da vergab das Ministerium nämlich direkte Kredite, zu einem ziemlich niedrigen Zinssatz von sechs Prozent.

Bei einer Privatfirma hätte das Finanzamt vermutlich längst festgestellt, daß es sich hier um unzulässige Zuwendungen handelt, nur hat sich bisher niemand dafür interessiert, was im Außenministerium allgemeine Praxis ist. Hier kommt Bente Riskjær ins Spiel. Sie soll nämlich im Staatssteuerdirektorat bleiben, bis sie eine kleine Untersuchung angefangen hat.«

»Mein lieber Bojskov, hast du jemals was von Aktenzeichen gehört? Hast du daran gedacht, daß jeder Brief – ja, ab und an auch Telefonanrufe – im Staatssteuerdirektorat registriert werden? Deine Idee klingt mir ein wenig nach James Bond.«

»Ich bin über das System der Aktenzeichen orientiert. Mein Mittelsmann hat mir inzwischen aber auch erzählt, daß es so etwas wie Zuwendungen unter der Hand gibt, und daß dieser Verkehr recht bedeutend sei.«

»Ja und?«

»Damit bin ich, mit Verlaub, bei meiner Pointe. Bente Riskjær soll ans Telefon gehen und einem Kollegen der staatlichen Gehaltsstelle von der traurigen Geschichte erzählen, die sich da anbahnt, gemeint ist die Untersuchung der unzulässigen Zuwendungen im Außenministerium. Sie soll fragen, ob sie unter der Hand eine Abschrift aller Lohnstreifen haben kann – im Vertrauen gesagt –, weil es sich erst einmal um einleitende, inoffizielle Stichproben handelt. Hoffentlich fällt das alles auf fruchtbaren Boden, denn Staatsinstitutionen jagen einander gewöhnlich ja nicht, jedenfalls nicht so.«

»Ob das funktioniert?«

»Ich bin überzeugt davon. Bente Riskjær hinterläßt ihre Telefonnummer im Staatssteuerdirektorat, falls der Kollege bei der Gehaltsstelle Zweifel bekommt.«

»Aber es braucht eine verdammt lange Zeit, diese Kulisse aufzubauen.«

»Ich denke mir, daß wir auf zwei Ebenen arbeiten sollten. Während Bente Riskjær im Finanzamt sitzt, arbeiten wir mit den Personen, die wir als offene Kanäle finden können.

Das sind gar nicht mal so wenige. Ein großer Teil ist im Hofund Staatskalender verzeichnet, in anderen Fällen müssen wir – nur ausnahmsweise – unsere Informationen im Ausland holen.«

»Über Reisen sprechen wir im Einzelfall. Das Reisekonto platzt nicht gerade in diesen Zeiten. Allgemein gilt, daß wir engen Kontakt halten. Ich denke insbesondere an Riskjær – und zu meiner Überraschung stehe ich selbst auf der Besetzungsliste. Du nimmst dir ziemlich viel heraus, was, Bojskov?«

»Ich habe mir gedacht, daß Riskjærs Transit über die Wirtschaftskripo zum Finanzamt auf Chefebene laufen muß. Anders wird das kaum klappen.«

»Nein, nein. Ich werde jetzt in aller Ruhe alle Aspekte deines Plans überdenken, und dann kriegst du eine Rückmeldung. Bevor du gehst, da ist noch eine Sache, die ich gern wissen möchte. Was hat dich eigentlich zu dem Codewort ›Operation Schuhmacher‹ gebracht? Man muß doch inzwischen fast ein Paar Schuhe ablaufen, bevor man überhaupt jemanden findet, der noch Schuhe besohlt oder flickt.«

»Es ist ausgezeichnet, daß dich das Codewort verwirrt. In Anbetracht der Empfindlichkeit der Aufgabe fand ich es nur angemessen, eine Bezeichnung zu finden, die nicht die geringste Beziehung zu dem hat, was wir vorhaben. Aber dir gegenüber will ich doch gern zugeben, daß ich an die Seeskorpione im Teich am Asiatisk Plads gedacht habe.«

»Bei uns hießen die Kopenhagener. Ich habe als Junge auch geangelt.« John Møllers Gedanken gingen einen kurzen Moment zurück an das Bollwerk in Nykøbing Falster, wo er als Junge mit einem Stock gefischt hatte. Dann stieß er hervor:

»Verflucht nochmal, du bist gerissen, Bojskov.«

»Woran denkst du im einzelnen, Meister?«

»Ich denke daran, daß die Stachel der männlichen Skorpione in der Paarungszeit giftig werden, und wenn ich mich richtig erinnere, ist der Bauch des Männchens dann auch rotgefleckt. Ich denke, die Vorstellung wird Trapp amüsieren.«

Bojskov schaute etwas desorientiert drein, er verstand nicht recht, was an dem Codewort so komisch war.

»Feine Symbolik, das muß ich dir lassen. Du hörst von mir, Bojskov.«

Der radioaktive Mann

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