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›Die Glücklichen mit Aussicht über die Stadt können auf Kopenhagens Skyline blicken, aber die Unglücklichen, die zum Hof hin oder in den geschlossenen Trakten sitzen, müssen das Gefühl eines Gefängnisaufenthaltes bekommen.

Alles ist gedrängt und gepreßt.‹

Jens Krog Petersen, der Direktor des Außenministeriums, verbrachte seine Arbeitszeit normalerweise nicht damit, Architekturkritiken zu lesen, aber die Kritik der ›Politiken‹ an dem neuen Außenministerium am Asiatisk Plads war in seine Morgenlektüre geraten. ›Feine Details‹, das war alles, was Henrik Sten Møller von der ›Politiken‹ an Positivem bei dem Rundgang gesehen hatte, zu dem er zusammen mit anderen Journalisten eingeladen gewesen war. Ansonsten kein lobendes Wort. Auch in der ›Berlinske Tidende‹ standen nur kritische Bemerkungen, die durch das Zitat eines unbekannten Mitarbeiters im Ministerium – ›Hier werden wir durchgezählt, danach gehen wir zurück in die Zellen. Es ist grauenvoll.‹ – noch unterstrichen wurden.

Jens Krog Petersen hatte keinerlei Zweifel, daß gerade die Mitarbeiter, die von Christiansborg hierher gezogen waren, das Bürogebäude am Asiatisk Plads als einen unangemessenen Rückschritt empfanden.

Die Adresse Christiansborg wurde intern als eine der besten angesehen, denn man saß zusammen mit dem Staatsminister und dem Außenminister unter einem Dach. Aber der Direktor und einige ältere Mitarbeiter hatten allmählich doch das Gefühl, daß die Unannehmlichkeiten das Prestige überwogen.

Die politischen Krisen, die mit der gleichen unabänderlichen Sicherheit und Häufigkeit zu kommen schienen wie Regenschauer in den Schulferien, brachten es mit sich, daß die ehrwürdigen Gänge des Ministeriums von politischen Unterhändlern und dem ihnen nachfolgenden Schwanz von Journalisten und Photographen besetzt gehalten wurden. Letztere hatten weder diplomatische, geschweige denn gewöhnliche bürgerliche Manieren vorzuweisen – meinte der Direktor. Es war nicht ungewöhnlich, daß die Journalisten auf dem Fußboden herumlagen, wenn sich Konferenzen des Staatsministers bis in die Nacht hinzogen. Damit das Ministerium nicht allzusehr an die ›Strøget‹ an einem warmen Sommertag erinnern sollte, mußten die Beamten gelegentlich das Botschafterzimmer zur Verfügung stellen oder in ihrer eigenen Wachstube Bier ausschenken.

Nein, dann doch lieber die kleine Distanz, die die Lage am Asiatisk Plads jetzt mit sich brachte, dachte der Direktor. Sie würde größere Arbeitsruhe bringen, und in einigen Monaten wird kaum noch jemand Witze über Gefängnisgänge und Zellen reißen. Was wäre denn die Alternative gewesen? Ein teureres Projekt – hier direkt an der Hafengrenze durchaus verlokkend – hätte ganz einfach wie eine Herausforderung gewirkt, wenn der Staat, die Ämter und die Kommunen an allen Ecken und Enden sparen sollten.

Die Fernseh- und Zeitungsreportagen über das neue Ministerium liefen der leidigen Affäre um den ostdeutschen Spion, der die Liebe einer weiblichen Aushilfe, einer Studentin, ausgenutzt hatte, völlig den Rang ab. Über die Geschichte war sehr breit in der Presse berichtet worden, aber jetzt war das endgültige Urteil des Obersten Gerichtshofes gefallen, und es gab keine neuen Aspekte mehr. Die Architekturkritiker hatten die größten Überschriften, nicht die Gerichtsreporter.

Der Direktor wurde durch das Brummen des grauen Tastentelefons in seinen Gedanken unterbrochen. Der Anruf kam vom Staatssekretär Viggo Nielsen im Justizministerium.

»Eigentlich habe ich darauf gewartet, daß du anrufst und die Verbrechensvorsorge zu einem Studienbesuch einlädst, denn obwohl Brydensholt Richter am Landgericht geworden ist, haben wir doch nicht aufgehört, uns für die Verhältnisse in modernen Gefängnissen zu interessieren.«

Der Direktor reagierte gemessen: »Hast du nichts anderes zu tun, als einen sehr beschäftigten Kollegen mit perfiden Bemerkungen zu belästigen?«

»O ja, aber du bist doch wohl durch die Umzieherei nicht so beschäftigt, daß du vergessen hast, deinen Sinn für Humor mitzunehmen? Aber wenn du so streng geschäftlich bist, will ich gleich zur Sache kommen. Kurz und gut, ich meine, wir sollten ein kleines, informelles Gespräch über die Folgewirkungen des Falles Jörg Meyer führen. Bei der Gelegenheit kannst du mich ein bißchen in euren neuen, feinen Büros herumführen.«

»Wenn du mich zum Wirt bestimmst, möchte ich gern den Sicherheitschef dabei haben, jedenfalls bei dem Teil unseres Treffens, wo es um Jörg Meyer geht.«

»Laut Protokoll bestimmt der Wirt die Tischordnung, das ist richtig«, antwortete Viggo Nielsen, »aber das Informelle geht ein bißchen flöten, wenn ein Dritter dabei ist, es kann sich um einen noch so vertrauenswürdigen Mitarbeiter handeln. Kann es nicht unter vier Augen bleiben?«

»Wenn du so darum bittest. Sagen wir Mittwoch um vierzehn Uhr.«

Was hat er vor? dachte der Direktor und legte den Hörer auf. Der Sicherheitschef des Ministeriums hatte allen Verhandlungen beigewohnt, zuerst im Østre Landsret und dann vor dem Obersten Gerichtshof. Das Ministerium hatte mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet, und Viggo Nielsen hatte keinerlei Andeutungen darüber gemacht, daß der Sicherheitschef lästig gewesen wäre.

Als eine übliche Beendigung der ganzen Angelegenheit hatte der Sicherheitschef vorgeschlagen, die Sicherheitsvorkehrungen des Außenministeriums zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Auf diese Weise wäre man vorbereitet, wenn der Fall später noch einmal von der Regierung aufgegriffen würde, das Außenministerium könnte dann eine weniger willkommene Initiative erfolgreich abwehren.

Der Direktor hatte zugestimmt. Der Vorschlag klang vernünftig. Wenn es wirklich etwas zu korrigieren gab, war es das beste, wenn das Ministerium von sich aus die Initiative dazu ergriff. Viggo Nielsen kam wahrscheinlich nur, weil er als Staatssekretär dazu neigte, seine Effektivität unter Beweis zu stellen. Na, bereits morgen würde es sich zeigen, ob Viggo Nielsen Mit- oder Gegenspieler war. Die zweite Möglichkeit schlug sich Krog Petersen sofort aus dem Kopf.

»Bitte sehr, der Direktor erwartet Sie«, sagte die Sekretärin im Vorzimmer und schenkte dem Staatssekretär Viggo Nielsen ein professionelles Lächeln.

Der Staatssekretär ist ein kleiner drahtiger Mann. Von seiner einstigen Haarpracht ist nur ein dunkler Kranz geblieben, wodurch sein Kopf größer wirkt, als er eigentlich ist. Aber optischer Betrug oder nicht: Niemand bezweifelt die Begabung des Staatssekretärs, und wenn jemand diesen Fehler machen sollte, ist dies eine der Fehleinschätzungen, die man sehr schnell bedauert.

»Darf ich dir eine Tasse Kaffee anbieten?« fragte der Direktor zuvorkommend.

»Ja, das ist genau das, was ich brauche. Unterdessen werde ich die Aussicht genießen und mich vom Wasser beruhigen lassen.«

»Daß du das Bedürfnis hast, ruhig zu werden, erscheint mir neu«, bemerkte Krog Petersen lächelnd.

»Oh, zieh lieber keine allzu weitgehenden Schlüsse daraus. Eigentlich ist es doch dein Ministerium, das ein wenig beraten werden muß, was Ruhe und Sicherheit angeht.«

»Worauf willst du hinaus? Es geht für uns beide am schnellsten, wenn du die Abschweifungen läßt.«

»Sehr gern. Ich habe über den Fall Jörg Meyer nachgedacht, und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Sonderkontrolle deines Personals angemessen wäre, damit wir ganz sicher sein können, daß weder Sekretärinnen noch höhergestellte Mitarbeiter es riskieren, den Verlockungen der ›Kundschafter des Friedens‹ aus der DDR nachzugeben – was sagst du dazu?«

»Werden die wirklich so genannt? Entschuldigung – du mußt es ja am besten wissen«, sagte der Direktor trocken.

»Ja, das ist die Dienstbezeichnung für die vom Ministerium für Staatssicherheit abgesandten Don Juans in der DDR.«

»In der Tat hat der Sicherheitschef mir vor einiger Zeit vorgeschlagen, daß wir unsere verschiedenen Verfahren abspulen, um festzustellen, ob wir irgend etwas korrigieren müssen. Die Arbeiten sind bereits angelaufen, und wir sind uns doch wohl einig, daß wir doppelte Arbeit vermeiden können.« Krog Petersen lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück.

»Das ist reine Routine«, fertigte Viggo Nielsen ihn ab. »Ich glaube, wir werden gar nicht umhin können, in einer anderen Dimension zu arbeiten, als du dir das vorstellst. Und ich komme hierher, um friedlich mit dir darüber zu reden. Du könntest mir mit Recht Vorwürfe machen, wenn ich diese Frage ohne Vorwarnung meinem Minister oder dem Sicherheitsausschuß gegenüber aufwerfen würde.«

»Ich schätze deine Loyalität, aber was stellst du dir eigentlich vor?«

»Ganz ernsthaft, ich meine, daß wir gezwungen sind, den PET2 die gesamte Belegschaft durchgehen zu lassen, im Prinzip dürftest du von der Untersuchung nicht ausgenommen werden.«

»Warum nicht auch den Minister einbeziehen?«

»Nein, für den Minister kann ich gern die Verantwortung übernehmen, den überspringen wir.«

»Spaß beiseite. Geht das nicht noch immer ein bißchen zu weit?«

Der Staatssekretär runzelte die Stirn.

»Oberflächlich gesehen hast du vollkommen recht. Aus einem professionellen, das heißt kontranachrichtendienstlichen Blickwinkel gesehen, hast du unrecht. Nun gut, es war eine untergeordnete Mitarbeiterin, die Jörg Meyer ins Netz ging, und die Dokumente, die er nach Hause schickte, kompromittierten Dänemark nicht in internationalen Zusammenhängen. Da haben wir ja euer Wort. Für mich beweist die Geschichte allerdings, daß die Ostblockstaaten im allgemeinen und die DDR im besonderen auf breiter Front spionieren, und da wir zur Zeit den Vorsitz zum Beispiel in der EG haben, gehen wichtige Akten durch dein Ministerium.«

»Das klingt ja fast, als hättest du angefangen, an Kommunistenangst zu leiden – ja, vielleicht ist es eine gute alte McCarthy-Infektion.«

»Überhaupt nicht. Ich gehe von den tatsächlichen Verhältnissen aus, wie man so sagt. In jedem anderen Land, in dem man einen Spion wie Jörg Meyer gefaßt hätte, wäre die Gegenspionage längst im Gang. Und du kannst mit Sicherheit davon ausgehen, daß das Außenministerium des Landes X nicht vorher einen Höflichkeitsbesuch abgestattet bekommen hätte, wie du ihn von mir bekommst. Frag deine Botschafter, wie das in der großen weiten Welt vonstatten geht.«

»Ich meine noch immer, daß dein Vorschlag drastisch klingt. Ich möchte jedenfalls gern die Gelegenheit haben, das mit dem Sicherheitschef zu besprechen. Er ist es doch, der die Probleme kriegt, wenn das Personal davon Wind bekommt, was los ist.«

»Vergib mir meine freimütige Bemerkung, aber dein Sicherheitschef ist in diesem Zusammenhang ein ganz untergeordneter Mitarbeiter.« Viggo Nielsen verkniff sich mit einem Schlag jede Ironie und Nachsicht. »Selbst wenn er Büro- und Sicherheitschef ist, bitte ich dich, ihn über unsere Unterredung nicht in Kenntnis zu setzen. Kein Mitarbeiter des Außenministeriums darf auch nur das Geringste davon erfahren, daß der PET mit einem generellen Check anfängt. Obwohl du die Ausnahme bleibst, die die Regel bestätigt, bedaure ich es beinahe, daß ich dich sozusagen unter der Hand orientiert habe.«

»Nun, nun, spar dir die Munition. Kannst du Loyalität von deinen engsten Mitarbeitern erwarten, wenn du ihnen selbst mit Mißtrauen begegnest? Ich denke, das leuchtet ein.«

»Wir brauchen uns wohl kaum über Personalpolitik zu verständigen«, sagte der Staatssekretär, immer noch mit einem scharfen Unterton. »Hier dreht es sich darum, daß ihr in ein neues Gebäude eingezogen seid; und da ihr, soweit ich weiß, die Versicherungsgesellschaft nicht gewechselt habt, komme ich im Namen der Gesellschaft, um mich davon zu überzeugen, daß die Konstruktion in Ordnung ist, damit Hausböcke und Pilze nicht unmittelbar angreifen können.«

»All right, ich steuere nicht den Geheimdienst. Das machst du, und wenn ich mich nicht irre, hast du deine Entscheidung getroffen, bevor du den ersten Schritt über die Knippelsbro gemacht hast – ja möglicherweise, bevor du mich angerufen hast.«

»Du irrst. Ich würde nie wagen, einen guten Kollegen so zu behandeln. Du vergißt, daß eine Operation, die so viel Fingerspitzengefühl erfordert, vom Justizminister genehmigt werden muß.«

»Und wann hat der Minister das letzte Mal nein zu dir gesagt?«

»Tja, das ist lange her, ich kann mich im Augenblick gar nicht daran erinnern.«

»Na siehst du! Aber denk an eins, wenn du den Fall vorbringst. Sag nicht, daß du meine Zustimmung hast, denn die hast du nicht. Ich mag den Plan nicht – da ist zuviel Blödsinn dabei und zu viele blaue Brillen, jedenfalls ist er nicht nach meinem Geschmack.«

»Ich halte mich exakt an das, was passiert ist. Du – du allein – bist orientiert«, sagte Viggo Nielsen gelassen.

»Wenn nun bei der Durchführung dem PET ein kleines unvorhergesehenes Mißgeschick passiert – und über solche Fälle habe ich in den Zeitungen gelesen, wenn ich mich recht erinnere –, dann bin ich niemals informiert worden.«

»Nein, für diesen Fall haben wir andere, auf die wir die Schuld schieben können, das ist doch klar.« Jetzt lächelte der Staatssekretär ganz verbindlich. »Auch das gehört zur Routine«, ergänzte er.

»Zu eurer Routine«, entgegnete der Direktor. »Sind wir ansonsten am Ende? Ich habe leider noch ein paar Amtspflichten.«

»Ja, für heute sind wir am Ende. Ich hoffe, es war das erste und das letzte Mal, daß wir über diese Operation reden müssen. Aber es war doch gemütlich, dein neues Büro zu sehen.«

Der radioaktive Mann

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