Читать книгу Savitri – Eine Legende und ein Symbol - Sri Aurobindo - Страница 85
ОглавлениеErster Canto
Die Weltentreppe
Alleine ging er, beobachtet von der Unendlichkeit
Um ihn herum und dem Unbekannten darüber.
Alles konnte gesehen werden, was sterblichem Auge sich entzieht,
Alles konnte gewusst werden, was das Mental nie begriffen hat;
Alles konnte getan werden, was kein sterblicher Wille wagen kann.
Eine grenzenlose Bewegung durchdrang einen grenzenlosen Frieden.
In einem tiefgründigen Dasein jenseits dem der Erde,
Erzeuger oder Verwandter unserer Ideen und Träume,
Wo Raum ein riesiges Experiment der Seele ist,
In einer unstofflichen Substanz, die mit unserer verbunden ist
In einer innigen Einheit aller Dinge, die sind,
Erhob sich das Universum des Unbekannten.
Eine Selbst-Erschaffung ohne Ende oder Rast
Enthüllte die Herrlichkeiten des Unendlichen:
Er warf in die Risiken seines Spiels
Millionen Stimmungen, Myriaden Energien,
Die Welt-Gestaltungen, die Fantasien seiner Wahrheit sind
Und die Formeln der Freiheit seiner Kraft.
Sie goss in das Fließen des Immerbeständigen
Eine bacchantische Verzückung und ein Schwelgen von Ideen,
Eine Leidenschaft und Bewegung von Unvergänglichkeit.
Dort stiegen ungeboren in des Unwandelbaren Wogen
Gedanken auf, die in ihrer todlosen Konsequenz verharren,
Worte, die obwohl verklungen, unsterblich bleiben,
Taten, die dem Schweigen seinen stummen Sinn entrangen,
Linien, die das Unausdrückbare vermitteln.
Die Stille des Ewigen sah in ungerührter Freude
Seine universale Macht bei ihrem Werke zeigen
In Schauspielen von Schmerz und Dramen der Freude
Das Wunder und die Schönheit ihres Willens zu sein.
Alles, selbst der Schmerz, war hier das Vergnügen der Seele;
Alle Erfahrung war hier ein einziger Plan,
Der tausendfache Ausdruck des Einen.
Alles kam auf einmal in seinen einzigen Blick;
Nichts entging seinem weiten intuitiven Sehen,
Nichts kam nah, was ihm nicht verwandt erschien:
Er war mit jener Unermesslichkeit von einem Geist.
Bilder in einem überirdischen Bewusstsein,
Die den Ungeborenen verkörpern, der niemals stirbt,
Die strukturierten Visionen des kosmischen Selbstes,
Vom Hauch der Ewigkeit des Seins belebt,
Blickten ihn an wie an die Form gebundene spirituelle Gedanken,
Gestaltend die Bewegungen des Unbeschreibbaren.
Aspekte des Seins legten Weltumriss an; Formen,
Die bewegliche Türen für göttliche Dinge öffnen,
Wurden seiner stündlichen Sicht vertraut;
Die Symbole von des Geistes Wirklichkeit,
Die lebenden Körper des Körperlosen
Kamen als seiner Tage Begleiter ihm innig nah.
Die unerschöpflichen Gesichte des schlaflosen Mentals,
Schriftzeichen seines Kontakts mit dem Unsichtbaren,
Umgaben ihn mit unzähligen hinweisenden Zeichen;
Die Stimmen von tausend Reichen der Lebensmacht
Überbrachten von ihr ihm mächtige Botschaften.
Die Himmelszeichen, die in unser irdisches Leben dringen,
Die grässlichen Vorstellungen, erträumt von Hölle,
Die, wenn verwirklicht und erfahren hier,
Unser abgestumpftes Empfindungsvermögen bald nicht mehr fühlen
Oder unsere sterbliche Gebrechlichkeit nicht lange ertragen könnte,
Waren dort in ihre sublimen Proportionen gesetzt.
Gelebt dort in ihrer aus dem Selbst geborenen Atmosphäre,
Erlangten sie neu ihre unermessliche Höhe und angestammte Macht;
Ihr bestärkender Druck auf die Seele
Ätzte tief in den Boden des Bewusstseins
Die Leidenschaft und Reinheit ihrer Extreme ein,
Die Absolutheit ihres einzigen Rufes
Und die hoheitsvolle Süße oder gewaltvolle Poesie
Ihrer schönen oder schrecklichen Freude.
Alles, was Denken wissen oder weitestes Sehen erkennen kann,
Und alles, was Denken und Sehen nie begreifen können,
All die okkulten und seltenen Dinge, fern und fremd,
Waren dem Herzen nah, gespürt vom Geist-Sinn.
Um Einlass bittend an den Pforten seiner Natur
Bevölkerten sie die geweiteten Räume seines Mentals,
Seiner Selbst-Entdeckung flammende Zeugen,
Anbietend ihr Wunderwerk und ihre Mannigfaltigkeit.
Diese wurden nun zu neuen Teilen seiner selbst,
Die Figuren im größeren Leben seines Geistes,
Die bewegte Szenerie seines weiten Zeit-Wanderns
Oder das buntbestickte Gewebe seiner Sinne:
Diese nahmen den Platz vertrauter menschlicher Dinge ein
Und zogen als enge Begleiter seiner Gedanken mit
Oder waren die natürliche Umgebung seiner Seele.
Unermüdlich des Herzens Abenteuer der Freude,
Endlos die Königreiche von des Geistes Seligkeit,
Erklangen zahllose Töne von den Saiten dieser einen Harmonie;
Jeder brachte seiner weitgeschwingten universalen Ausgewogenheit,
Seinem unergründlichen Gefühl von dem Ganzen in Einem,
Noten einer noch ungesehenen Vollkommenheit,
Sein einziger Rückzug in Verschwiegenheiten der Wahrheit,
Sein frohes Streiflicht auf das Unendliche.
Dort fand sich, was der Einzigartige erträumt und erschaffen hat,
Färbend mit unaufhörlicher Verzückung und Überraschung
Und einer opulenten Schönheit von leidenschaftlicher Andersartigkeit
Den wiederkehrenden Takt, der Gott momentweise in der Zeit bestimmt.
Es fehlte nur das eine zeitlose Wort,
Das Ewigkeit in seinem einsamen Laute trägt,
Die Idee, selbstleuchtender Schlüssel zu allen Ideen,
Die Ganzzahl von des Geistes vollkommener Summe,
Die das ungleiche Ganze dem gleichen Einen gleichsetzt,
Das einzige Zeichen, das jedes Zeichen deutet,
Den absoluten Hinweis auf das Absolute.
Dort ummauert und abgeschottet durch seine eigene Innerlichkeit
In einem mystischen Wall von dynamischem Licht
Sah er ein einsames riesiges hochgewölbtes Weltengebäude,
Aufgerichtet wie ein Berg-Triumphwagen der Götter,
Bewegungslos unter einem unergründlichen Firmament.
Wie vom Sockel und unsichtbaren Grund der Materie
Zu ebenso unsichtbarem Gipfel, erhob ein gemeißelt Meer von Welten
Sich mit schaumgekrönten Wogen dem Allerhöchsten zu,
Empor gen unermessliche Breiten;
Es hoffte in das Reich des Unbeschreibbaren zu steigen:
Hundert Stufen hoben es zum Unbekannten.
So türmte es sich auf in ungreifbare Höhen
Und verschwand in der stillen bewussten Weite,
Wie ein vielstöckiger Tempelturm zum Himmel aufsteigt,
Erbaut von des Menschen strebender Seele,
Um nahe an seinem Traum vom Unsichtbaren zu leben.
Unendlichkeit ruft es, während es träumt und steigt;
Seine Turmspitze berührt den Scheitelpunkt der Welt;
Hinaufsteigend in große stimmlose Schweigsamkeiten
Vermählt es die Erde mit abgeschirmten Ewigkeiten.
Inmitten der vielen Systeme des Einen
Geschaffen durch eine deutende schöpferische Freude,
Weist es uns allein den Weg zurück
Aus unserer langen Selbstverlorenheit in den Tiefen der Natur;
Auf Erden angelegt, enthält es in sich alle Reiche:
Es ist ein bündiges Kompendium des Weiten.
Dies war die einzige Treppe zum Ziel des Seins.
Eine Zusammenfassung der Stufen des Geistes,
Schuf sein Abbild der kosmischen Hierarchien
In unserer geheimen Luft des Selbstes
Ein feines Muster des Universums neu.
Es ist innen, unten, außen, oben.
Einwirkend auf diesen Plan der sichtbaren Natur,
Erweckt es den dumpfen Schlummer unseres Erdenstoffs
Zu Denken und Fühlen und auf Freude zu reagieren;
Es modelliert in uns unsere göttlicheren Teile,
Erhebt das sterbliche Mental in eine größere Luft,
Lässt dies Leben des Fleisches sich sehnen nach ungreifbaren Zielen,
Knüpft den Tod des Körpers an den Ruf der Unsterblichkeit:
Aus der Ohnmacht des Nichtbewussten heraus
Müht es sich hin zu einem überbewussten Licht.
Wäre die Erde alles und dieses nicht in ihr,
Könnte es weder Denken noch der Lebens-Freude Antwort geben:
Nur materielle Formen könnten dann ihre Gäste sein,
Angetrieben von einer leblosen Weltenkraft.
Aus dieser goldenen Überfülle gebar die Erde
Dieses übergeordnete Schema des Seienden ist unsere Ursache
Dieser höhere Plan des Seins ist unsere Ursache
Und enthält den Schlüssel zu unserem aufsteigenden Schicksal;
Es ruft aus unserer dichten Sterblichkeit
Den bewussten Geist, der genährt wird im Hause der Materie.
Das lebende Symbol dieser bewussten Ebenen,
Seine Einflüsse und Gottheiten aus dem Ungesehenen,
Seine nicht gedachte Logik der Taten des Wirklichen,
Entsprungen der unausgesprochenen Wahrheit in Dingen,
Dies hat unseres Innenlebens langsam steigende Grade festgelegt.
Seine Stufen sind Schritte für die Rückkehr der Seele
Aus dem tiefsinnigen Abenteuer der stofflichen Geburt,
Eine Leiter des befreienden Aufstiegs
Und Sprossen, auf denen die Natur zur Göttlichkeit emporklimmt.
Einst, in der Vigilie eines todlosen Blickes,
Hatten diese Stufen ihren gigantischen Absturz markiert,
Den weiten und vornüberfallenden Sprung einer Gottheit Fall.
Unser Leben ist ein Holocaust des Höchsten.
Die große Welten-Mutter hat durch ihr Opfer
Ihre Seele zum Körper unseres Zustandes gemacht;
Auf sich nehmend Kummer und Unbewusstheit
Wob der Gottheit Fall aus ihren eigenen Herrlichkeiten
Den reich gemusterten Untergrund von allem, was wir sind.
Ein Abgott des Selbstes ist unsere Sterblichkeit.
Unsere Erde ist ein Fragment und ein Überbleibsel;
Ihre Macht ist voll mit dem Stoff größerer Welten
Und in deren Farbglanz getaucht, den ihr Schlummer trübt;
Ein Atavismus von höheren Geburten ist ihr zu eigen,
Aufgewühlt wird ihr Schlaf von ihren vergrabenen Erinnerungen
An die verlorenen Sphären, denen sie einst entfielen.
Unbefriedigte Kräfte regen sich in ihrer Brust;
Sie sind Mitwirkende an ihrem größeren wachsenden Geschick
Und ihrer Rückkehr zur Unsterblichkeit;
Sie willigen ein, ihr Los von Geburt und Tod zu teilen;
Sie entfachen Glanzsplitter des Alls und drängen
Ihren blinden arbeitsamen Geist,
Ein dürftiges Abbild des mächtigen Ganzen zusammenzustellen.
Der ruhige und leuchtende Vertraute im Inneren
Stimmt ihrem Werke zu und lenkt die nicht sehende Macht.
Sein ungeheurer Plan erlaubt einen kümmerlichen Start.
Ein Entwurf, eine halbfertige Zeichnung ist das Leben der Welt;
Seine Linien zweifeln am eigenen verdeckten Sinn,
Seine Kurven finden nicht ihren hohen vorgesehenen Abschluss.
Doch ein erstes Bild von Größe zittert dort,
Und wenn die vieldeutig zusammengewürfelten Teile
Die vielfarbige Einheit getroffen haben, auf die sie sich hinbewegten,
Dann soll die Freude des Künstlers über die Regeln der Vernunft lachen;
Die göttliche Absicht soll plötzlich sichtbar werden,
Das Ziel die sichere Technik der Intuition rechtfertigen.
Ein Schaubild von vielen sich treffenden Welten soll es geben,
Einen Würfel und vereinigenden Kristall der Götter;
Ein Mental soll denken hinter der mentallosen Maske der Natur,
Eine bewusste Weite den alten stummen rohen Raum ausfüllen.
Diese blasse und verschwommene Skizze einer Seele, Mensch genannt,
Soll vor dem Hintergrund der langen Zeit
Als strahlender Inbegriff der Ewigkeit dastehen,
Als kleiner Punkt die Grenzenlosigkeiten enthüllen.
Das Universum ist der Prozess eines Mysteriums.
Zuerst ward ein seltsames anomales Fundament gelegt,
Ein Leeres, eine Ziffer von irgendeinem geheimen Ganzen,
Wo eine Null in ihrer Summe die Unendlichkeit enthielt
Und Alles und Nichts ein und dasselbe waren,
Ein ewig Negatives, ein Nichts als Matrix:
In seine Formen gebiert sich ewig das Kind,
Das in den Weiten Gottes auf ewig lebt.
Dann kam es zu einer langsamen Umkehrung der Bewegung:
Ein Gas stieß aus einem unsichtbaren Feuer hervor,
Aus dessen dichten Ringen diese Millionen Sterne wurden;
Auf dem neugeborenen Boden der Erde ward Gottes Schritt gehört.
Durch den dicken Qualm der Erde Unwissenheit
Begann ein Mental zu sehen und Formen zu betrachten
Und tastete nach Wissen in der nichtwissenden Nacht:
Gefangen in einem blinden steinernen Griff schuf Kraft an ihrem Plan
Und machte im Schlaf diese gewaltige mechanische Welt,
Damit Materie der eigenen Seele bewusst werde
Und die Lebens-Macht, gleich einer tüchtigen Hebamme,
Die Null entbinden möge, die Trägerin von Allem.
Weil ewige Augen den Abgründen der Erde
Die leuchtende Klarheit eines reinen Blickes zuwandten
Und einen Schatten des Unerkennbaren
Im grenzenlosen Schlaf des Nichtbewussten gespiegelt sahen,
Begann die aufgeregte Suche der Schöpfung nach dem Selbst.
Ein Geist träumte im rohen kosmischen Wirbel,
Ein Mental strömte ahnungslos im Saft des Lebens
Und die Brüste der Materie nährten die göttliche Idee.
Ein Wunder des Absoluten ward geboren;
Unendlichkeit legte eine endliche Seele an,
Ein ganzes Meer lebte in einem wandernden Tropfen,
Ein zeitgeschaffener Körper ward zum Hause des Unbegrenzbaren.
Um dies Mysterium auszuleben, kam unsere Seele hierher.
Ein Seher im Innern, der den geordneten Plan kennt,
Der sich hinter unseren momentanen Schritten verbirgt,
Inspiriert unseren Aufstieg zu unsichtbaren Höhen,
Wie einst den abgrundtiefen Sprung zur Erde und zum Leben.
Sein Ruf hatte den Wanderer in der Zeit erreicht.
Für sich in einer unergründeten Einsamkeit,
Wanderte er in seiner lautlosen und alleinigen Stärke,
Tragend die Bürde des Verlangens der Welt.
Eine formlose Stille rief, ein namenloses Licht.
Über ihm war der weiße reglose Strahl,
Um ihn herum die ewigen Schweigsamkeiten.
Dem hochgespannten Versuch war keine Grenze gesetzt;
Eine Welt nach der anderen enthüllte ihre gehüteten Mächte,
Ein Himmel nach dem anderen seine tiefen Glückseligkeiten,
Doch noch weiter zog der unsichtbare Magnet seine Seele.
Als einsame Gestalt auf der riesigen Treppe der Natur
Stieg er hinauf zu einem nicht erkennbaren Ziel
Auf dem kahlen Gipfel erschaffener Dinge.
Ende des ersten Cantos