Читать книгу Der Weg des Psychonauten – Band 2 - Stanislav Grof - Страница 15

8. Synchronizität: C. G. Jungs »akausales Verbindungsprinzip«

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Viele von uns haben schon Situationen erlebt, in denen das vermeintlich vorhersagbare Gefüge der Alltagsrealität, das aus komplexen Ursachen- und Wirkungsketten geknüpft ist, zu zerreißen scheint und in denen wir verblüffende und höchst unwahrscheinliche Koinzidenzen erleben. Während Episoden holotroper Bewusstseinszustände treten jedoch sehr häufig verblüffende Koinzidenzen auf, die bedeutungsvoll erscheinen. Die Anhäufung außergewöhnlicher Koinzidenzen kann die Elemente der Magie, des Numinosen und der kosmischen Kunst in die Alltagswirklichkeit transportieren und eine wichtige Rolle im Prozess der spirituellen Öffnung spielen.

Erfahrung von Zufallsketten kann jedoch auch zu ernsthaften Problemen im Leben führen und zu einer gefährlichen Falle werden. Manchmal können diese Zufälle sehr schmeichelhaft, vielversprechend und bestärkend sein und den Einzelnen davon überzeugen, dass er oder sie etwas Besonderes sei und für eine wichtige Rolle in der Welt auserwählt worden sei: ein Heiliger, Prophet, Retter, Führer oder spiritueller Lehrer. Diese Situation – eine gefährliche Aufblähung des Egos – kann irrationales Verhalten auslösen und zu einer Einweisung in die Psychiatrie führen. In anderen Fällen sind diese Koinzidenzen vom Inhalt her bedrohlich und scheinen eine Gefahr oder Katastrophe anzudeuten. Der Betroffene nimmt einen sich rasch schließenden Teufelskreis aus bedrohlichen Situationen wahr und wird ängstlich und paranoid.

Die traditionelle Psychiatrie erkennt das Konzept persönlich bedeutsamer Koinzidenzen nicht an und stempelt alle Patienten, die darüber sprechen, als Patienten ab, die unter »Beziehungswahn« leiden. Der materialistischen Wissenschaft zufolge gibt es keine dem Universum innewohnende Bedeutung, und in einer Welt, die zufällig und entzaubert ist, muss jeder Anschein einer tieferen persönlichen Bedeutung von Ereignissen eine Illusion sein, die durch menschliche Projektion in sie hineingetragen wird. Wie auch immer, jeder, der aufgeschlossen und bereit ist, zuzuhören und etwas über diese Ereignisse zu lernen, muss zugeben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei nur um Zufallsereignisse handelt, astronomisch gering ist.

Solche Verstöße gegen die lineare Kausalität können so häufig auftreten, dass sie ernsthafte Fragen über die Natur der Wirklichkeit und die Weltanschauung aufwerfen, in der wir alle aufgewachsen sind. Dies kann sehr beunruhigend für Menschen sein, die aus dem Glauben, in einer gesetzmäßigen und vorhersehbaren Welt zu leben, ein starkes Gefühl der Behaglichkeit und der Sicherheit schöpfen; jegliche Erfahrungen, die dies in Frage stellen, können die Angst vor Wahnsinn auslösen. Das Phänomen der bedeutungsvollen Koinzidenzen zu verstehen, ist daher für eine sichere Navigation durch außergewöhnliche Realitäten unerlässlich und ist eine unabdingbare Voraussetzung für Psychonauten, die mit psychedelischen Substanzen experimentieren oder sich in einer spirituellen Krise befinden. Wenn man solche Erfahrungen unüberlegt mit den falschen Personen teilt und unter ihrem Einfluss handelt, kann dies der Grund für psychiatrische Diagnosen und Klinikeinweisungen sein.


Carl Gustav Jung (1875–1961), Schweizer Psychiater und Pionier der Tiefenpsychologie.

Der Schweizer Psychiater C. G. Jung war derjenige Wissenschaftler, der das Problem der bedeutsamen Koinzidenzen, die sich einer rationalen Erklärung entziehen, in akademischen Kreisen zur Sprache brachte. Da er sich der Tatsache bewusst war, dass der feste und unerschütterliche Glaube an einen rigiden Determinismus den Eckpfeiler der westlichen wissenschaftlichen Weltsicht darstellt, zögerte er über zwanzig Jahre lang, bis er den Eindruck hatte, genügend unterstützende Beweise gesammelt zu haben, um seine Entdeckung zu veröffentlichen. Da er heftigen Unglauben und harsche Kritik von seinen Kollegen erwartete, wollte er sicher sein, dass er seine ketzerischen Behauptungen mit hunderten von Beispielen untermauern konnte.

Seine bahnbrechenden Beobachtungen beschrieb er schließlich in seinem berühmten Essay Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge und präsentierte sie auf der Eranos-Tagung von 1951. Die Eranos-Tagungen waren Konferenzen herausragender europäischer und amerikanischer Denker, an denen Jung als einer der Hauptinitiatoren und als Mitwirkender teilnahm. Die intellektuelle Weltelite war vertreten, darunter Persönlichkeiten wie Joseph Campbell, Heinrich Zimmer, Karl Kerényi, Erich Neumann, Olga Fröbe-Kapteyn, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli, Daisetz Teitaro Suzuki, Paul Johannes Tillich, Marie-Louise von Franz, Rudolf Otto, Richard Wilhelm, Mircea Eliade und Gershom Scholem.

Jung begann seinen Aufsatz mit Beispielen außergewöhnlicher Zufälle, die sich im Alltag ereignen (JUNG 1960). Er würdigte den österreichischen Lamarck’schen Biologen Paul Kammerer, dessen tragisches Leben durch Arthur Koestlers Buch Der Krötenküsser (KOESTLER 1971) bekannt wurde, als einen der ersten Menschen, der sich für dieses Phänomen und seine wissenschaftlichen Implikationen interessierte. Kammerer untersuchte und beschrieb eine Art auffälligen Zufallsprozess, den er Serialität nannte. Eines der bemerkenswerten Beispiele, von denen Kammerer berichtet hatte, war eine Abfolge von drei Erlebnissen mit der gleichen Nummer am selben Tag – seine Straßenbahnkarte trug die gleiche Nummer wie die Theaterkarte, die er unmittelbar danach kaufte. Später am Abend fragte er dann nach einer Telefonnummer und erhielt die gleiche Ziffernfolge.


Der österreichische Biologe Paul Kammerer (1880–1926), lehrte und vertrat den Lamarckismus, die Theorie, dass Organismen die zu Lebzeiten erworbenen Eigenschaften an ihre Nachkommen weitergeben können.

Kammerer war von diesem Phänomen fasziniert; er verbrachte viele Stunden in Parks und auf anderen öffentlichen Plätzen und beobachtete, wie viele Menschen vorbeikamen und wie viele davon Regenschirme, Hüte, Hunde und so weiter dabeihatten. In seinem Buch Das Gesetz der Serie beschrieb er hundert Anekdoten bemerkenswerter Zufälle (KAMMERER 1919). Sein Biograph Arthur Koestler berichtete, dass er, als er Kammerers Biographie Der Fall der Geburtshelferkröte schrieb, einen »Meteoritenschauer von Zufällen« erlebte, als würde Kammerers Geist zu ihm heruntergrinsen und sagen: »Ich habe es Ihnen ja gesagt!« (KOESTLER 1971).

Jung interessierte sich auch für das Phänomen der Serialität und beschrieb eigene Beispiele dafür. Eines Morgens sah er eine Inschrift mit einer Figur, die halb Mensch und halb Fisch war. Am selben Tag wurde ihm Fisch zum Mittagessen serviert, und jemand machte »einen Aprilfisch« mit einer anderen Person (in Frankreich das Äquivalent zum »Aprilscherz«). Am Nachmittag zeigte ihm ein ehemaliger Patient ein eindrückliches Bild von einem Fisch. Am Abend sah Jung eine Stickerei mit Meeresungeheuern und Fischen darauf. Am nächsten Morgen berichtete ein Patient über einen Traum von einem großen Fisch. Einige Monate später, als Jung über diese außergewöhnliche Serie von Ereignissen schrieb, ging er spazieren und sah einen großen Fisch an der Mauer am Ufer des Sees liegen. Er wies darauf hin, dass er früher an diesem Tag mehrmals an dieser Stelle vorbeigegangen war und den Fisch nicht gesehen hatte, und dass niemand in der Nähe gewesen sei. Jung war sich bewusst, dass dieses Phänomen durch die Verwendung von Statistiken erklärt werden könnte, betonte aber, dass die große Anzahl der Wiederholungen dies höchst unwahrscheinlich mache.

Im selben Essay über Synchronizität erwähnte Jung auch die amüsante Geschichte des berühmten Astronomen Camille Flammarion über den französischen Schriftsteller Émile Deschamps und eine besondere Art von Pflaumenpudding. Als Kind erhielt Deschamps von einem Monsieur de Fontgibu ein Stück dieses seltenen Puddings. Zehn Jahre lang hatte er keine Gelegenheit, diese Delikatesse zu kosten, bis er genau diesen Pudding auf der Speisekarte eines Pariser Restaurants sah. Er rief den Kellner und bestellte ihn, aber der Kellner kam mit der Nachricht zurück, dass sie die letzte Portion davon bereits einem anderen Gast serviert hätten. Er zeigte quer durch den Raum, und dort saß Monsieur de Fontgibu und genoss die letzten Bissen seines Desserts.


Arthur Koestler (1905–1983), ungarisch-britischer Journalist und Schriftsteller, Autor von Der Fall der Geburtshelferkröte.

Viele Jahre später wurde Monsieur Deschamps zu einer Party eingeladen, auf der dieser Pudding als besonderer Leckerbissen serviert wurde. Während er ihn aß, bemerkte er, dass das Einzige, was noch fehlte, Monsieur de Fontgibu war, der ihn mit dieser Delikatesse bekannt gemacht hatte und auch bei seiner zweiten Erfahrung damit im Pariser Restaurant dabei gewesen war. Im selben Moment klingelte es an der Tür, und ein alter Mann betrat den Raum, der sehr verwirrt aussah. Es war Monsieur de Fontgibu, der versehentlich in die Party hineingeplatzt war, weil man ihm eine falsche Adresse gegeben hatte.

Die Existenz solch außerordentlicher Koinzidenzen ist nur schwer mit dem von der materialistischen Wissenschaft entwickelten Verständnis des Universums zu vereinbaren, das die Welt in Form von Ursachen- und Wirkungsketten beschreibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas zufällig geschieht, ist so verschwindend gering, dass sie nicht ernsthaft als Erklärung in Betracht gezogen werden kann. Man kann sich sicherlich leichter vorstellen, dass diese Vorkommnisse eine tiefere Bedeutung haben und dass sie spielerische Schöpfungen einer kosmischen Intelligenz sein könnten. Diese Erklärung ist besonders plausibel, wenn sie ein humoristisches Element enthalten, was oft der Fall ist. Obwohl Koinzidenzen dieser Art an sich schon äußerst interessant sind, hat C. G. Jung diesen herausfordernden, ungewöhnlichen Phänomenen durch seine Arbeit eine weitere faszinierende Dimension hinzugefügt.

Die von Kammerer und Flammarion geschilderten Situationen waren höchst unwahrscheinliche Zufallsereignisse, und die Geschichte um den Pflaumenpudding hat durchaus etwas Humor. Beide Geschichten beschrieben jedoch Zufälle in der Welt der Materie. Jungs Beobachtungen fügten diesem ohnehin schon verblüffenden Phänomen ein weiteres erstaunliches Element hinzu. Er beschrieb zahlreiche Beispiele für das, was er »Synchronizität« nannte – bemerkenswerte Zufälle, bei denen verschiedene Ereignisse in der Realität auf sinnvolle Weise mit innerpsychischen Erfahrungen wie Träumen oder Visionen verknüpft wurden. Er definierte Synchronizität als »ein gleichzeitiges Auftreten eines bestimmten psychischen Zustands in Verbindung mit einem oder mehreren äußeren Ereignissen, die als bedeutsame Parallelen zum momentanen subjektiven Zustand erscheinen«.

Solche Situationen verdeutlichen, dass unsere Psyche mit der vermeintlichen Welt der Materie spielerisch interagieren kann. Die Tatsache, dass so etwas möglich ist, lässt die Grenzen zwischen subjektiver und objektiver Realität effektiv verschwimmen. Als Jung sich mit diesem Phänomen auseinandersetzte, entwickelte er ein intensives Interesse für die Fortschritte in der quantenrelativistischen Physik und das radikal neue Weltbild, auf das sie hindeuteten. Er stand in regem intellektuellem Austausch mit Wolfgang Pauli, einem der Begründer der Quantenphysik, der zunächst sein Klient war und später sein Freund wurde.


Wolfgang Pauli (1900–1958), in Österreich geborener, mit dem Nobelpreis ausgezeichneter schweizerisch-amerikanischer Physiker und einer der Pioniere der Quantenphysik.

Pauli wandte sich mit bizarren Träumen an Jung, die Kombinationen von Zahlen und archetypischen Figuren enthielten, die bis ins Mittelalter zurückreichten, wie zum Beispiel der Wilde Mann, die Verschleierte Frau, der Ouroboros, die Weltuhr, die Quadratur des Kreises und das Perpetuum Mobile. Später, als sie Freunde wurden, erforschten sie verschiedene Probleme an der Schnittstelle zwischen Mathematik, Physik und Psychologie. Arthur Miller schrieb ein bemerkenswertes Buch über die außergewöhnliche Beziehung zwischen Jung und Pauli, insbesondere über ihre Faszination für die Zahl 137 (MILLER 2009). Unter Paulis Anleitung machte sich Jung mit den revolutionären Konzepten der modernen Physik vertraut, einschließlich der Herausforderungen für das deterministische Denken und die lineare Kausalität, welche in der Wissenschaft Einzug gehalten hatten.

Die Synchronizität besitzt in der quantenrelativistischen Physik eine große theoretische Bedeutung aufgrund wichtiger Experimente, die darauf hinzudeuten scheinen, dass das Universum »radikal nicht-lokal« sein könnte. Dies verdient einen kurzen Abstecher in die Geschichte dieser Disziplin. Albert Einstein, dessen Arbeit die Entwicklung der Quantenphysik in Gang gesetzt hatte, zeigte zeitlebens großen Widerstand gegen die Idee der fundamentalen Rolle der Wahrscheinlichkeit in der Natur. Er brachte dies in seiner berühmten Aussage »Gott würfelt nicht« zum Ausdruck. Um zu zeigen, dass Niels Bohrs Interpretation der Quantentheorie falsch war, entwarf Einstein ein Gedankenexperiment, das später als Einstein-Podolsky-Rosen-Experiment (EPR-Experiment) bekannt wurde. Ironischerweise diente dieses Experiment einige Jahrzehnte später als Grundlage für John Bells Theorem, welches beweist, dass das kartesianische Konzept der Realität mit der Quantentheorie unvereinbar ist (BELL 1966, CAPRA 1975).

Die vereinfachte Version des EPR-Experiments handelt von zwei Elektronen, die sich in entgegengesetzter Richtung drehen, sodass ihr Gesamtspin gleich Null ist. Sie werden auseinander bewegt, bis der Abstand zwischen ihnen makroskopisch wird; ihre jeweiligen Spins können dann von zwei unabhängigen Beobachtern gemessen werden. Die Quantentheorie sagt voraus, dass in einem System aus zwei Teilchen mit einem Gesamtspin von Null die Spins entlang jeder Achse immer korrelieren, also gegenläufig sind. Vor der eigentlichen Messung kann man nur von Spin-Tendenzen sprechen. Nach der Messung verwandelt sich dieses Potenzial jedoch in Gewissheit.

Der Beobachter ist frei in der Wahl der Messachse, die unmittelbar den Spin des anderen Teilchens bestimmt, das tausende von Kilometern entfernt sein kann. Nach der Relativitätstheorie kann sich kein Signal schneller als das Licht bewegen, und folglich sollte diese Situation prinzipiell unmöglich sein. Die augenblickliche, nicht-lokale Verbindung zwischen diesen Teilchen kann also nicht durch Signale im Sinne Einsteins vermittelt werden; diese Art der Kommunikation geht über das herkömmliche Konzept der Informationsübertragung hinaus. Ursprünglich sollte das Gedankenexperiment von Einstein die Quantentheorie widerlegen, doch eine Reihe von Experimenten hat inzwischen bestätigt, dass die Teilchen verschränkt bleiben. Das Bellsche Theorem konfrontiert die Physiker mit einem unangenehmen Dilemma; es legt nahe, dass die Welt entweder radikal nicht-lokal durch superluminale Verbindungen vermittelt wird oder objektiv nicht real ist.

Jung veröffentlichte seinen Essay über Synchronizität im Eranos-Jahrbuchvon 1951; Wolfgang Paulis Artikel über ein verwandtes Thema erschien in der gleichen Ausgabe. Jungs Essay über Synchronizität und Paulis Studie über den Einfluss des Sonnen-Archetyps auf das Werk von Johannes Kepler wurden oft in ein und demselben Band veröffentlicht. Es ist interessant, dass in Paulis Leben immer wieder Synchronizitäten auftraten. Physikalische Instrumente versagten zum Beispiel sehr häufig, wenn er sich im Gebäude aufhielt. Der Astronom George Gamow nannte dies den Pauli-Effekt. Er wurde scherzhaft als das zweite Paulische Ausschließungsprinzip bezeichnet, demzufolge »ein funktionierendes Gerät und Wolfgang Pauli nicht den gleichen Raum einnehmen dürfen«. Pauli selbst war überzeugt, dass der nach ihm benannte Effekt echt sei. Er korrespondierte darüber mit dem deutschen Parapsychologen Hans Bender und sah diesen Effekt als ein Beispiel für Synchronizität.

Jung war sich bewusst, dass seine eigenen Beobachtungen vor dem Kontext des sich abzeichnenden neuen Realitätsverständnisses weitaus plausibler und akzeptabler schienen. Zusätzliche Unterstützung für Jungs Ideen kam von keinem Geringeren als Albert Einstein, der Jung bei einem persönlichen Besuch ermutigte, seine Idee der Synchronizität weiterzuverfolgen, da sie mit den neuen Entdeckungen in der Physik vollständig kompatibel sei. Seit der Veröffentlichung von Jungs Essay über Synchronizität hat dieses Konzept in der Wissenschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen und war das Thema vieler Artikel und Bücher. Auf der anderen Seite des Spektrums fördert die Existenz der Synchronizität das Verständnis esoterischer Divinationssysteme, wie Tarot, die Arbeit mit Kaurimuscheln und das I Ging.


Marie-Louise von Franz (1915–1998), Schweizer Psychoanalytikerin und Anhängerin von C. G. Jung.

Wie Marie-Louise von Franz in ihrem Buch Über Wahrsagerei und Synchronizität die Psychologie des sinnvollen Zufalls hervorhob, war das synchronistische Denken die klassische Denkweise im alten China und wurde dort viel stärker entwickelt und differenziert als in jeder anderen Zivilisation (VON FRANZ 2015). Dazu gehörte ein Denken in Form von Feldern und nicht in Form einer linearen Kausalität. Die Frage ist nicht, warum etwas zustande gekommen ist oder was eine bestimmte Wirkung hervorgerufen hat, sondern was im selben Moment auf sinnhafte Weise gleichzeitig geschieht. Der chinesische Philosoph fragt immer: »Was neigt dazu, sich gleichzeitig zu ereignen?«. Im Zentrum ihres Feldkonzepts stünde also derjenige Moment in der Zeit, in dem sich bestimmte Ereignisse zu Clustern zusammenfügen.

In der chinesischen Denkweise fragt man nicht, ob materielle Prozesse psychische Ereignisse ausgelöst haben oder ob die psychischen Prozesse Ereignisse in der materiellen Welt verursacht haben. Erst im späteren Denken findet man eine Differenzierung zwischen den materiellen und psychischen Aspekten der Existenz. Wenn wir also fragen, was dazu neigt, gleichzeitig zu geschehen, können wir sowohl innere als auch äußere Faktoren heranziehen. Für die synchronistische Denkweise ist es wesentlich, beide Bereiche der Realität, den physischen und den psychischen, zu beobachten und festzustellen, dass in dem Moment, in dem man bestimmte Gedanken oder bestimmte Träume hatte, bestimmte physische und psychische Ereignisse stattfanden. Es ist ein bestimmter Moment in der Zeit, der den Brennpunkt und die verbindende Gegebenheit für die Beobachtung dieses Komplexes von Ereignissen darstellt.

Das Konzept der Synchronizität kann nur aus einer Zivilisation hervorgegangen sein, die ein materialistisches Weltbild aufweist und die Welt als eine Ansammlung getrennter Objekte betrachtet, welche in einer Weise interagieren, die dem Prinzip der linearen Kausalität unterliegt. Das Universum wird als ein unendlich komplexes System von Ketten von Ursachen und Wirkungen dargestellt. In der archaischen Weltanschauung, in der alles in einer Mystik der Teilhabe miteinander verbunden ist, wird Synchronizität als ein universales Prinzip gesehen. Die gesamte natürliche Welt ist so durchdrungen von Sinnhaftigkeit und so voller Zeichen und Symbole, dass Synchronizität kein eigenständiges Konzept ist.

Um das Universum zu beschreiben, benutzte die antike Menschheit Worte wie Verbundenheit, Harmonie und Einheit. Im 4. Jahrhundert v. Chr. betrachtete der vorsokratische griechische Philosoph Heraklit von Ephesus alle Dinge als miteinander verbunden. In ähnlicher Weise sagte der berühmte griechische Arzt Hippokrates: »Es gibt einen gemeinsamen Fluss, eine gemeinsame Atmung, alle Dinge sind miteinander verbunden«. Und Richard Tarnas zitiert den römischen Philosophen Plotin, den Begründer des Neoplatonismus und Autor der Enneaden, wie folgt: »Die Sterne sind wie Buchstaben, die sich in jedem Augenblick in den Himmel einschreiben. Alles in der Welt ist voller Zeichen. Alle Ereignisse sind aufeinander abgestimmt. Alle Dinge hängen voneinander ab. Alles atmet zusammen«. Dies sind Beispiele für die klassische Idee, dass das Getrenntsein eine Illusion ist (PLOTIN 1950).

Die Weltanschauungen der indigenen Völker, der Antike, der Klassik und des Mittelalters postulierten ebenfalls die Existenz einer wesentlichen Alternative zur linearen Kausalität in Form einer höheren Kraft. Selbst für Gottfried Wilhelm Leibniz, den deutschen Philosophen des 19. Jahrhunderts, war Kausalität weder die einzige noch die hauptsächliche Auffassung. Beispiele für eine Alternative zur linearen Kausalität sind die Prozesse des Filmemachens und des Betrachtens von Filmen, bei welchen die Kausalität, die wir beobachten, nur scheinbar wahr ist; in Wirklichkeit ist sie nur eine Methode, um eine Geschichte zu vermitteln. Die Personen, die die Filme gestaltet haben, ordneten die Abfolgen von Szenen und Bildern so an, dass wir sie als kausal verbunden wahrnehmen.

Die Hindus, die das Universum als Lila verstehen, ein göttliches Spiel, das von einem kosmischen Bewusstsein geschaffen wurde, das Erfahrungen arrangiert, wenden dieselbe Art des Denkens auf die Welt der Materie an. Alle magischen und divinatorischen Vorgänge früherer Zeitalter basierten auf einem ähnlichen Weltverständnis. Mit dem Aufkommen der physikalischen Wissenschaften verschwand die Entsprechungslehre vollständig, und die magische Welt früherer Zeitalter verschwand. An ihre Stelle trat das Denken in linearen Kausalzusammenhängen, das zum Eckpfeiler der materialistischen Wissenschaft wurde.

Synchronistisches Denken ist außerdem von wesentlicher Bedeutung für ein angemessenes Verständnis der Astrologie der Archetypen. Jung benutzte die Astrologie in seinem Aufsatz, um die vielfältigen synchronistischen Zusammenhänge zwischen der materiellen Welt und der menschlichen Psyche aufzuzeigen. In seinen späteren Lebensjahren befasste er sich regelmäßig mit den astrologischen Horoskopen seiner Patienten, bevor er mit ihnen zu arbeiten begann. Seine Tochter, Gret Baumann-Jung, studierte eigens Astrologie, um für ihn die Horoskope seiner Patienten zu erstellen und um 1974 für den Psychologischen Klub in Zürich eine Arbeit über das Horoskop ihres Vaters vorzustellen. Gegen Ende seines Lebens war Jung von der Bedeutung der Synchronizität in der natürlichen Ordnung der Dinge so überzeugt, dass er sie als Leitprinzip in seinem täglichen Leben verwendete.

Der berühmteste Fall von Synchronizität in Jungs eigenem Leben ereignete sich während einer Therapiesitzung mit einer seiner Patientinnen. Diese Patientin war sehr resistent gegen die Psychotherapie, gegen Jungs Interpretationen und gegen die Vorstellung von transpersonalen Realitäten. Während der Analyse eines ihrer Träume mit einem goldenen Skarabäus, als die Therapie in eine Sackgasse geraten war, hörte Jung, wie etwas gegen die Fensterscheibe prallte. Er schaute nach, was passiert war, und fand auf der Fensterbank einen glänzenden Rosenkäfer (Cetonia aurata), der versuchte, ins Haus zu gelangen. Es handelte sich um ein sehr seltenes Exemplar, die engste Entsprechung zu einem goldenen Skarabäus, der in diesen Breitengraden zu finden ist. Nichts dergleichen war Jung jemals zuvor oder danach begegnet. Er öffnete das Fenster, brachte den Käfer hinein und zeigte ihn seiner Klientin. Diese außergewöhnliche Synchronizität wurde zu einem wichtigen Wendepunkt in der Therapie dieser Frau.


Cetonia aureata, der »Skarabäus« aus der Synchronizitäts-Geschichte von C. G. Jung.

Beobachtungen von Synchronizitäten beeinflussten Jungs Denken und seine Arbeit tiefgreifend, insbesondere sein Verständnis der Archetypen, der universalen Urbilder und der ordnenden Prinzipien des kollektiven Unbewussten. Die Entdeckung der Archetypen und ihrer Rolle in der menschlichen Psyche ist Jungs wichtigster Beitrag zur Psychologie. Über weite Strecken seiner beruflichen Laufbahn war Jung sehr stark von der kartesisch-kantischen Perspektive beeinflusst, welche die westliche Wissenschaft mit ihrer strikten Trennung zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven, dem Innen und dem Außen dominiert. Unter ihrem Einfluss sah er die Archetypen zunächst als transindividuelle, aber im Wesentlichen innerpsychische Prinzipien, vergleichbar mit biologischen Instinkten. Er ging davon aus, dass die Grundmatrix für sie im Gehirn fest verankert ist und von Generation zu Generation vererbt wird.

Die Existenz von synchronistischen Ereignissen ließ Jung erkennen, dass Archetypen sowohl die Psyche als auch die materielle Welt transzendieren. Er war überzeugt, dass es sich um autonome Bedeutungsmuster handelt, die sowohl die Psyche als auch die Materie beeinflussen. Er sah, dass sie eine Brücke zwischen Innen und Außen bilden, und schlug die Existenz einer Grauzone zwischen Materie und Bewusstsein vor. Aus diesem Grund begann Jung, sich auf Archetypen als »psychoide« (psyche-ähnliche) Qualitäten zu beziehen, wobei er den Begriff verwendete, der von Hans Driesch, dem Begründer des Vitalismus, geprägt wurde (DRIESCH 1914). Stephan A. Hoeller beschrieb Jungs vertieftes Verständnis der Archetypen in poetischer Sprache auf prägnante Art und Weise: »Der Archetyp ist, wenn er sich in einem synchronistischen Phänomen manifestiert, wahrhaftig ehrfurchtgebietend, wenn nicht geradezu wunderbar – ein unheimlicher Bewohner auf der Schwelle. Psychisch und zugleich physisch könnte man ihn mit dem doppelgesichtigen römischen Gott Janus vergleichen. Die beiden Gesichter des Archetyps sind in dem gemeinsamen Kopf der Bedeutung vereint« (HOELLER 1982).

Psychiater hören von ihren Patienten oft von »phantastischen Zufällen«; das bemerkenswerte Phänomen der Synchronizität ist jedoch von der konventionellen Psychologie und Psychiatrie nicht erkannt worden. Verweise auf »unglaubliche Zufallsereignisse« werden nicht ernst genommen und als pathologische Verzerrungen der Wahrnehmung und des Urteilsvermögens oder als »Beziehungswahn« angesehen. Wer sich jedoch die Zeit nimmt, die Fakten zu überprüfen, muss zugeben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass viele dieser Koinzidenzen zufällig sind, verschwindend gering ist.

In den sechzig Jahren, in denen ich mich mit Bewusstseinsforschung befasse, habe ich viele außergewöhnliche Synchronizitäten bei meinen Patienten beobachtet, insbesondere bei denen, die sich einer psychedelischen Therapie unterziehen und spirituelle Krisen erleben, sowie bei Teilnehmern an Workshops und Schulungen zum Holotropen Atmen. Ich habe auch viele Geschichten über sie von meinen Kollegen in Forschung und Therapie gehört und hunderte davon persönlich erlebt. Ich möchte diese Erörterung der Synchronizität mit einigen Beispielen illustrieren. Interessierte Leser können in meinem Buch Impossible – Wenn Unglaubliches passiert (GROF 2006) weitere Beispiele für bemerkenswerte Synchronizitäten finden.

Das erste dieser Beispiele ist eine außergewöhnliche Geschichte im Zusammenhang mit meinem verstorbenen Freund und Lehrer, dem berühmten Mythologen Joseph Campbell. Sie weist insofern eine gewisse Ähnlichkeit mit Jungs Begegnung mit dem Goldkäfer auf, als dass sie das Erscheinen eines Insekts zu einer höchst unwahrscheinlichen Zeit und an einem äußerst unwahrscheinlichen Ort zum Inhalt hat. Während einem seiner vielen Workshops am Esalen-Institut in Big Sur, Kalifornien, hielt Joe einen langen Vortrag über sein Lieblingsthema: die Arbeit von C. G. Jung und seine revolutionären Beiträge zum Verständnis der Mythologie und Psychologie. In diesem Vortrag sprach er flüchtig über das Phänomen der Synchronizität. Einer der Teilnehmer, der mit diesem Begriff nicht vertraut war, unterbrach Joe und bat ihn um eine Erklärung.

Nachdem er Jungs kurze, allgemeine Definition und Beschreibung dieses Begriffs dargelegt hatte, beschloss Joe, den Zuhörern ein Beispiel für eine bemerkenswerte Synchronizität aus seinem eigenen Leben zu präsentieren. Bevor er später nach Hawaii gezogen war, hatten Joe und seine Frau, Jean Erdman, in Greenwich Village in New York City gelebt. Ihre Wohnung befand sich im vierzehnten Stock eines Hochhauses am Waverly Place an der Sixth Avenue. Joes Arbeitszimmer hatte zwei Doppelfenster, eines mit Blick auf den Hudson River und das andere zur Sixth Avenue. Das erste Fensterpaar bot einen schönen Blick auf den Fluss, und bei schönem Wetter war es immer geöffnet. Der Blick aus dem anderen Doppelfenster war uninteressant, und die Campbells öffneten es nur sehr selten. Laut Joe hatten sie es in den rund vierzig Jahren, die sie dort lebten, nicht öfter als zwei oder drei Mal geöffnet, außer zum Putzen.

Eines Tages in den frühen 1980er Jahren saß Joe in seinem Arbeitszimmer an seinem monumentalen Werk The Way of the Animal Powers, einer umfassenden Enzyklopädie der schamanischen Mythologien der Welt (CAMPBELL 1984). Er schrieb gerade das Kapitel über die Mythologie der afrikanischen !Kung, einer Untergruppe der San, die in der Kalahari-Wüste leben. Eine der bedeutendsten Gottheiten im Pantheon der San ist die Gottesanbeterin Mantis, welche die Merkmale einer Trickster-Figur und des Schöpfergottes in sich vereint.


Christina und Stanislav Grof mit Jean Erdman und Joseph Campbell bei einem Seminar in Honolulu, Hawaii.

Joe war ganz in diese Arbeit vertieft, umgeben von Artikeln, Büchern und Bildern zum Thema. Besonders beeindruckt war er von der Geschichte, die Laurens van der Post über sein Kindermädchen Klara, eine San-Mischlingsfrau, schrieb, die sich seit seiner Geburt um ihn gekümmert hatte. Van der Post erinnerte sich lebhaft an Fälle aus seiner Kindheit, in denen Klara mit einer Gottesanbeterin (Mantis religiosa) kommunizieren konnte. Wenn sie mit einem Exemplar dieser Art sprach und ihm bestimmte Fragen stellte, schien das Insekt darauf zu antworten, indem es seine Beine und seinen Körper bewegte.


Gottesanbeterin (Mantis religiosa), das Insekt in Joseph Campbells Synchronizitätsgeschichte.

Mitten in seiner Arbeit verspürte Joe plötzlich einen unwiderstehlichen und völlig irrationalen Impuls, aufzustehen und eines der Fenster zur Sixth Avenue (Fenster mit langweiliger Aussicht, die normalerweise die ganze Zeit geschlossen blieben) zu öffnen. Nachdem er es geöffnet hatte, schaute er sofort nach rechts, ohne zu verstehen, warum er das tat. Das Letzte, was man in Manhattan erwarten würde, ist eine Gottesanbeterin. Und doch war sie da, im 14. Stock eines Hochhauses in Lower Manhattan, ein großes Exemplar ihrer Art, das langsam nach oben kletterte. Laut Joe drehte sie ihren Kopf und warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu.

Obwohl diese Begegnung nur wenige Sekunden dauerte, hatte sie etwas Unheimliches und hinterließ bei Joe einen starken Eindruck. Er sagte, er könne bestätigen, was er wenige Minuten zuvor in Laurens van der Posts Geschichte gelesen hatte: Das Gesicht der Gottesanbeterin hatte etwas eigenartig Menschliches an sich; ihr »herzförmig zugespitztes Kinn, die hohen Wangenknochen und die gelbe Haut ließen sie genau wie die eines San aussehen«. Das Erscheinen einer Gottesanbeterin mitten in Manhattan ist an und für sich schon ein sehr ungewöhnliches Ereignis, gelinde gesagt. Betrachtet man jedoch den Zeitpunkt ihres Erscheinens, der mit Joes intensiver Vertiefung in die Mythologie der San und seinem unerklärlichen irrationalen Drang, das Fenster zu öffnen, zusammenfiel, ist die statistische Unwahrscheinlichkeit dieses Ereignisses wirklich astronomisch. Und die Tatsache, dass die San die Mantis als kosmischen Trickster sehen, scheint für diese Situation sehr passend. Nur ein eingefleischter Materialist, der sich seiner Weltsicht mit quasi-religiöser Leidenschaft verschrieben hat, könnte glauben, dass so etwas rein zufällig geschieht.

Die in der folgenden Geschichte beschriebenen Vorfälle ereigneten sich während einem unserer einmonatigen Seminare in Esalen, zu einer Zeit, als Christina ihre spirituelle Krise durchlebte. Ihre spontanen Erfahrungen waren sehr intensiv und ergiebig und kombinierten Elemente aus verschiedenen Ebenen des persönlichen und kollektiven Unbewussten. Eines Tages hatte sie besonders intensive und bedeutsame Visionen mit einem weißen Schwan. Unser Gastdozent für den folgenden Tag war Michael Harner, ein bekannter Anthropologe und lieber Freund. Michael gehörte zu einer oft als »visionäre Anthropologen« bezeichneten Gruppe. Im Gegensatz zu den traditionellen Anthropologen nahmen sie aktiv an den Zeremonien der Kulturen teil, die sie untersuchten, unabhängig davon, ob es sich dabei um bewusstseinserweiternde Substanzen wie Peyote, Zauberpilze, Ayahuasca oder Stechapfel handelte oder um nächtelange Trance-Tänze und andere nicht-pharmakologische »Technologien des Heiligen«.


Michael Harner (1929–2018), berühmter amerikanischer Anthropologe und praktizierender Schamane.

Michaels Entdeckung der Arbeitsweise der Schamanen und ihrer unglaublichen inneren Welt begann 1960, als das American Museum of Natural History ihn einlud, eine ganzjährige Expedition in das peruanische Amazonasgebiet zu unternehmen, um die Kultur der Conibo im Gebiet des Ucayali-Flusses zu studieren. Seine Führer sagten ihm, wenn er wirklich lernen wolle, müsse er das heilige Getränk der Schamanen einnehmen. Ihrem Rat folgend, trank er Ayahuasca, ein Gebräu aus dem Sud der Dschungelliane Banisteriopsis caapi und der Cawa-Pflanze (Psychotria viridis), die die Indios »Seelenranke« oder »Kleiner Tod« nannten. Er unternahm eine erstaunliche visionäre Reise durch zumeist unsichtbare Dimensionen der Existenz, auf der er seinen eigenen Tod erlebte und außergewöhnliche Einsichten und Offenbarungen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit erhielt.

Als er später herausfand, dass ein Conibo-Ältester, ein Meisterschamane, mit allem, was er selbst gesehen hatte, ziemlich vertraut war und dass seine Ayahuasca-Erfahrungen bestimmten Passagen aus dem Buch der Offenbarung entsprachen, gewann Michael die Überzeugung, dass es tatsächlich eine verborgene Welt gab, die es zu erkunden galt. Er beschloss, alles über den Schamanismus zu lernen, was er konnte. Drei Jahre später kehrte Michael nach Südamerika zurück, um mit den Jívaro, einem ecuadorianischen Kopfjägerstamm, bei denen Michael 1956 und 1957 gelebt und studiert hatte, Feldforschung zu betreiben. Hier erlebte er eine weitere wichtige Initiationserfahrung, die ausschlaggebend für seine Entdeckung des Weges der Schamanen war. Akachu, ein berühmter Jívaro-Schamane, und dessen Schwiegersohn brachten ihn zu einem heiligen Wasserfall tief im Amazonasdschungel und gaben ihm Maikua zu trinken, den Saft einer Brugmansia-Sorte des Stechapfels (Brugmansia arborea), einer Pflanze mit starken psychoaktiven Eigenschaften.

Infolge dieser und anderer Erfahrungen wurde Michael – ein Anthropologe mit guten akademischen Qualifikationen – zu einem versierten Praktiker und Lehrer des Schamanismus. Er und seine Frau Sandra gründeten außerdem die Foundation for Shamanic Studies, eine Institution, die sich der Vermittlung schamanischer Methoden an interessierte Studenten und dem Angebot schamanischer Workshops für die Öffentlichkeit widmet. Michael hatte ein Buch mit dem Titel Der Weg des Schamanen geschrieben, in dem er verschiedene Methoden schamanischer Arbeit aus der ganzen Welt sammelte und sie für den Gebrauch in erfahrungsorientierten Workshops und in der schamanischen Ausbildung für Westler adaptierte (HARNER 1980).

Während unseres einmonatigen Workshops in Esalen führte uns Michael auf eine Heilreise mit der Methode des Geistkanus (Spirit Canoe), wie sie vom Stamm der Salish-Indianer im amerikanischen Nordwesten praktiziert wird. Er eröffnete die Sitzung, indem er auf seine Trommel schlug, und forderte die Teilnehmer auf, sich zu bewegen und zu tanzen, bis sie sich mit einem bestimmten Tier identifizierten. Es dauerte nicht lange, und schon bald kauerten die Menschen, krochen auf allen Vieren, sprangen herum und ahmten dabei zahlreiche Kletter-, Grab-, Greif-, Schwimm- und Flugbewegungen nach. Der Hauptraum im Großen Haus von Esalen war erfüllt von verschiedenen erkennbaren und nicht erkennbaren Tier- und Vogelstimmen.

Als alle die Verbindung zu einem bestimmten Tier hergestellt hatten, bat Michael die Gruppenmitglieder, sich in einer spindelförmigen Anordnung auf den Boden zu setzen, sodass ein imaginäres »Geistkanu« entstand. Dann fragte er, ob es eine Person gäbe, die Heilung benötige, und Christina meldete sich freiwillig. Michael stieg in das »Boot«, hielt seine Trommel, winkte Christina zu sich und wies sie an, sich hinzulegen. Als die Szenerie für die Heilreise bereit war, bat Michael uns, uns vorzustellen, wir seien eine Crew von Tieren, die mit einem Kanu in die Unterwelt fährt, um Christinas Krafttier zurückzuholen. Der spezifische Ort, den Michael für diese imaginäre Expedition wählte, war das System miteinander verbundener, mit heißem Wasser gefüllter unterirdischer Höhlen, das sich angeblich unter einem großen Teil Kaliforniens erstreckt. Der Eingang dazu war leicht zu finden, da dieses System die heißen Quellen von Esalen speist.

Als Kapitän dieses Geistkanus, erklärte Michael, würde er das Tempo des Paddelns durch den Schlag seiner Trommel vorgeben. Während der Fahrt würde er nach Krafttieren Ausschau halten. Wenn ein bestimmtes Krafttier dreimal auftauche, wäre dies das Zeichen dafür, dass er das gesuchte Tier gefunden hatte. An diesem Punkt würde er es packen und der Besatzung des Bootes durch das schnelle Schlagen der Trommel signalisieren, dass es Zeit für eine rasche Rückkehr war. Wir hatten das Salish-Geistkanu schon einige Male mit Michael gemacht. Beim ersten Mal gingen wir ohne große Erwartungen an die Sache heran. Das Ganze klang nach einem harmlosen Vergnügen – eine großartige Idee für ein Kinderspiel, aber eine eher alberne Aktivität für reife Erwachsene.

Doch schon das allererste Erlebnis mit dem Geistkanu brachte uns dazu, unsere Einstellung zu ändern. In der Gruppe befand sich eine junge Frau, die durch ihr Verhalten die gesamte Gruppe gegen sich aufgebracht hatte. Sie war darüber sehr unglücklich, denn das Gleiche war ihr schon früher in ihrem Leben in fast jeder Gruppe passiert, mit der sie zu tun hatte, und sie beschloss, sich freiwillig für die Geistkanufahrt zu melden, um geheilt zu werden. Als das imaginäre Boot durch die »Unterwelt« fuhr, reagierte sie genau in dem Moment sehr heftig, als Michael ihr signalisierte, dass er ihr Krafttier erkannt und eingefangen hatte. Plötzlich setzte sie sich auf, und während Michael mit schnellen Trommelschlägen das Signal zur Rückkehr gab, durchlief sie mehrere krampfartige Episoden von schwallartigem Erbrechen.

Während sie sich übergab, hob sie den vorderen Teil ihres Kleides, versuchte das, was aus ihrem Mund kam, aufzufangen, und füllte ihn vollständig mit ihrem Erbrochenen. Diese Episode, die kaum eine halbe Stunde dauerte, hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf ihre Persönlichkeit. Ihr Verhalten änderte sich so dramatisch, dass sie noch vor dem Ende des einmonatigen Workshops zu einer der beliebtesten Personen in der Gruppe wurde. Zusammen mit vergleichbaren späteren Vorkommnissen ließ uns das diesen Prozess mit Respekt angehen.

Michael begann zu trommeln, und die Reise in die Unterwelt begann. Wir alle paddelten und ahmten die Laute der Tiere nach, mit denen wir uns identifiziert hatten. Christina wurde von intensiven Krämpfen erfasst, die ihren ganzen Körper erschütterten. An und für sich war dies nicht ungewöhnlich, da sie sich mitten im Prozess des Kundalini-Erwachens befand, bei dem Erfahrungen von starken Energien und Zittern (Kriyas) sehr häufig sind. Nach etwa zehn Minuten beschleunigte Michael den Rhythmus seiner Trommelschläge stark und ließ uns wissen, dass es ihm gelungen war, Christinas Krafttier zu finden. Alle begannen schnell zu paddeln und stellten sich eine rasche Rückkehr in die Mittlere Welt vor. Michael hörte auf zu trommeln und deutete an, dass die Reise beendet sei.

Er stellte die Trommel ab, presste seinen Mund auf Christinas Brustbein, blies mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, und machte dabei ein lautes Geräusch. Dann flüsterte er ihr ins Ohr: »Dein Krafttier ist ein weißer Schwan.« Daraufhin forderte er sie auf, vor der Gruppe einen Tanz zu zeigen, der ihre Schwanenenergie zum Ausdruck brachte. Es ist wichtig zu erwähnen, dass Michael keine Vorkenntnisse über Christinas inneren Prozess besaß und dass dieser Vogel bei ihren Erlebnissen am Tag zuvor eine wichtige Rolle gespielt hatte. Er hatte auch keine Ahnung, dass der Schwan ein sehr wichtiges persönliches Symbol für Christina war. Sie war eine glühende Verehrerin von Swāmī Muktananda und eine Schülerin des Siddha-Yoga, in dem der Schwan als Symbol für Brahma eine wichtige Rolle spielte.

Die Geschichte setzte sich am nächsten Morgen fort, als Christina und ich zu unserem Briefkasten am Highway 1 gingen, um unsere Post zu holen. Christina erhielt einen Brief von jemandem, der einige Monate zuvor an einem Workshop von uns teilgenommen hatte. Darin befand sich ein Foto von Christinas spirituellem Lehrer, Swāmī Muktananda, von dem der Absender dachte, dass es Christina interessieren könnte. Es zeigte ihn, wie er mit schelmischem Ausdruck auf einer Gartenschaukel neben einem großen Blumentopf in Form eines weißen Schwans saß. Der Zeigefinger seiner linken Hand zeigte auf den Schwan; die Spitzen seines rechten Daumens und seines Zeigefingers waren miteinander verbunden und bildeten das universelle Zeichen, das für einen Volltreffer und Begeisterung steht. Obwohl es zwischen Christinas inneren Erfahrungen, Michaels Wahl des weißen Schwans als ihr Krafttier und dem Foto von Muktananda keine kausalen Zusammenhänge gab, bildeten sie doch eindeutig ein bedeutungsvolles psychologisches Muster. Dieses erfüllte die Kriterien für Synchronizität oder ein »akausales Verbindungsprinzip«, wie es C. G. Jung definiert hat.

Im Zusammenhang mit einem unserer Ausbildungsmodule kam es zu noch bemerkenswerteren Ereignissen. Es wurde in einem wunderschönen Seminarzentrum namens Pocket Ranch in der Nähe von Healdsburg, Kalifornien, nördlich von San Francisco abgehalten. Das Zentrum befand sich in den Bergen, in einer Naturlandschaft, in der es von Wildtieren wie Hirschen, Kaninchen, Klapperschlangen, Waschbären, Stinktieren und verschiedensten Vögeln nur so wimmelte. Eine der Teilnehmerinnen hatte eine sehr kraftvolle und bedeutungsvolle Sitzung mit vielen schamanischen Motiven. Ein wesentlicher Teil davon war die Begegnung mit einem Virginia-Uhu; sie hatte das Gefühl, dass der Uhu ihr persönliches Krafttier geworden war.

Nach der Sitzung machte sie einen Waldspaziergang und kam mit den Überresten (Knochen und Federn) eines Virginia-Uhus zurück. Zwei Tage später, als sie von der Ausbildung nach Hause fuhr, bemerkte sie, dass sich im Graben am Straßenrand etwas bewegte. Sie hielt an und fand einen großen verwundeten Virginia-Uhu. Der Uhu erlaubte ihr, ihn aufzuheben, nach Hause zu fahren und ihn wieder gesund zu pflegen. Dies war ein äußerst seltenes Ereignis, aber in Kombination mit ihrer bewegenden und wichtigen Erfahrung, einen Uhu als Krafttier zu erhalten, ergibt dies sicherlich eine außergewöhnliche Synchronizität.

Wie ich bereits erwähnt habe, hatte Jung ein so großes Vertrauen in die Authentizität und Zuverlässigkeit der Synchronizität, dass er sie als Leitprinzip in seinem Leben anwandte. Ich habe im Laufe der Jahre ebenfalls gelernt, Synchronizitäten in meinem Leben zu würdigen, aber etwas zurückhaltender, indem ich ihre überwältigende Wirkung durch kritisches intellektuelles Urteilen mildere. Ich habe festgestellt, dass es besonders wichtig ist, nicht unter ihrem Einfluss zu handeln, wenn ich mich in einem holotropen Bewusstseinszustand befinde, und ich rate meinen Freunden, Auszubildenden und Patienten dasselbe. Wie ich auf die harte Tour gelernt habe, mit Synchronizitäten und archetypischen Erfahrungen umzugehen, habe ich in meinem Buch Impossible – Wenn Unglaubliches passiertim Kapitel »Die Regenbogenbrücke der Götter: Im Reich der nordischen Sagen« (GROF 2006) beschrieben.

Die ersten fünf Wochen meiner Beziehung mit der Anthropologin Joan Halifax aus Florida, die schließlich ihren Höhepunkt in unserer Hochzeit in Island fand, waren voll von außergewöhnlichen und herrlichen Synchronizitäten, die darauf hinzudeuten schienen, dass unsere Verbindung eine »Ehe wie im Himmel« sein würde. Die Hochzeitszeremonie fand während der Ersten Internationalen Transpersonalen Konferenz statt, und 74 enthusiastische Teilnehmer teilten unsere Euphorie. Unser Tischgenosse war Huston Smith, der bekannte Philosoph, Religionswissenschaftler und Verfasser von The World’s Religions (SMITH 1991). Joseph Campbell und der isländische Mythologe Einar Pálsson rekonstruierten für uns ein altes Ritual der Wikinger, das in Island seit der Ankunft der Christen auf der Insel nicht mehr vollzogen worden war.


Joan Halifax und Stanislav Grof bei der Feier ihrer Wikingerhochzeit in Bifrost, Island, im Jahr 1972.

Das zentrale archetypische Symbol für dieses Hochzeitsritual war der Regenbogen, den die Wikinger als die Vereinigung von Vater Himmel und Mutter Erde ansahen. Es war im Juni jenseits des Polarkreises, in der Zeit der sagenhaften Weißen Nächte. Während des Dinner-Banketts, das dem Hochzeitsritual vorausging, erschien und verschwand dreimal ein prächtiger Doppel-Regenbogen. Und zudem fanden wir heraus, dass Bifrost, der Name des Ortes, an dem die Hochzeit stattfand, »Regenbogenbrücke der Götter« bedeutete. Zu unserer Enttäuschung kam die glorreiche Ehe, die dieser »Meteorschauer der Synchronizitäten« (um den Ausdruck von Arthur Koestler zu verwenden) vorherzusagen schien, nicht zustande. Nach drei schwierigen und herausfordernden Ehejahren kamen wir zu dem Schluss, dass wir zu verschieden waren, und beschlossen, unsere Verbindung aufzulösen.

Auf der anderen Seite des Spektrums gab es eine bemerkenswerte Synchronizität, die sehr positive Ergebnisse hervorbrachte und ebenfalls mit einer Internationalen Transpersonalen Konferenz verbunden war. Ich gründete die International Transpersonal Association (ITA) als eine Vereinigung, welche die Kluft zwischen der modernen Wissenschaft und den spirituellen Traditionen der Welt und zwischen dem westlichen Pragmatismus und der alten Weisheit überbrücken sollte. Da das oberste Ziel der ITA darin bestand, ein globales Netzwerk des gegenseitigen Verständnisses und der Zusammenarbeit zu schaffen, vermissten wir während unserer internationalen Konferenzen besonders die Teilnehmer aus den Ländern jenseits des Eisernen Vorhangs, die damals nicht ins Ausland reisen durften und nicht über die finanziellen Mittel verfügten, sich uns anzuschließen.

Als sich die Situation in der Sowjetunion änderte und Michail Gorbatschow das Zeitalter von Glasnost und Perestroika verkündete, schien es plötzlich denkbar, dass das nächste ITA-Treffen in Russland stattfinden könnte. Als Christina und ich als offizielle Gäste des sowjetischen Gesundheitsministeriums nach Moskau eingeladen wurden, um Workshops zum Holotropen Atmen durchzuführen, nutzten wir unseren Aufenthalt, um die Möglichkeit zu prüfen, eine solche Konferenz in Russland abzuhalten. Wir bemühten uns wirklich sehr, aber ohne Erfolg; die Situation war offenbar noch zu instabil und unberechenbar, um das Risiko einzugehen. Die Bemühungen, unsere Konferenz nach Russland zu bringen, fühlten sich an, als ob wir durch zähflüssige Melasse waten würden.

Im November 1989 war ich auf Reisen, als Christina mich anrief und fragte, ob ich wüsste, was in meinem Heimatland gerade geschah. Unsere Ausbildung war sehr intensiv und umfasste drei Sitzungen pro Tag. Wir waren ganz in den Prozess vertieft, und keiner von uns hatte die Zeit oder das Interesse, fernzusehen oder die Nachrichten zu verfolgen. Christina teilte mir mit, dass in Prag die Samtene Revolution im Gange sei und dass das tschechoslowakische kommunistische Regime sehr wahrscheinlich zusammenbrechen würde. Das bedeutete, dass wir möglicherweise in der Lage sein würden, die nächste ITA-Konferenz in Prag abzuhalten, meiner Geburtsstadt.

Wenige Wochen später war die Tschechoslowakei ein freies Land, und der ITA-Rat beschloss, seine nächste Tagung in der Tschechoslowakei abzuhalten. Da ich in Prag geboren bin, schien es nur logisch, mich als diplomatischen Vertreter in die Tschechoslowakei zu entsenden, um einen Tagungsort zu finden und den Weg für diese Konferenz zu ebnen. Die Jahre, die ich in meinem Heimatland verbracht hatte, erwiesen sich jedoch als weitaus weniger vorteilhaft, als der Rat erwartet hatte. Ich hatte die Tschechoslowakei in der Zeit einer großen Liberalisierungsbewegung verlassen, die einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« zum Ziel hatte.

Als der Prager Frühling 1968 durch die Invasion der Tschechoslowakei durch sowjetische Panzer brutal niedergeschlagen worden war, befand ich mich mit einem Stipendium an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, in den Vereinigten Staaten. Nach der Invasion befahlen mir die tschechischen Behörden, sofort zurückzukehren, aber ich beschloss, mich dem Befehl zu widersetzen und in den Vereinigten Staaten zu bleiben. Aus diesem Grund war es mir mehr als zwanzig Jahre lang nicht möglich, mein Heimatland zu besuchen. Während dieser Zeit konnte ich mit meinen Freunden und Kollegen in der Tschechoslowakei keinen offenen Kontakt pflegen. Es wäre für sie politisch gefährlich gewesen, mit einem illegalen Emigranten Briefwechsel oder Telefongespräche zu führen.

Aufgrund meiner langen Abwesenheit hatte ich alle meine persönlichen Kontakte mit Ausnahme meiner nahen Verwandten verloren, war mit der neuen Situation nicht vertraut und wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Meine Mutter holte mich am Prager Flughafen ab, und wir nahmen ein Taxi zu ihrer Wohnung. Nachdem wir etwas Zeit miteinander verbracht hatten, verließ sie die Wohnung, um eine Nachbarin zu besuchen und ein paar Besorgungen zu machen. Allein in der Wohnung setzte ich mich in einen Sessel, trank eine Tasse Tee und dachte über meine Mission nach. Ich überlegte etwa zehn Minuten lang, kam aber nicht sehr weit.

Plötzlich unterbrach ein lautes Klingeln an der Tür meine Gedanken. Ich öffnete die Tür und erkannte Tomáš Dostál, einen jüngeren Psychiaterkollegen und früheren engen Freund von mir. Vor meiner Abreise in die Vereinigten Staaten hatten wir gemeinsam holotrope Bewusstseinszustände erforscht und uns in unseren LSD-Sitzungen gegenseitig unterstützt. Tomáš hatte von einem Bekannten von meinem Besuch in Prag gehört und war hier, um mich willkommen zu heißen.

Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, dass bei Tomáš im selben Moment, als er seine Wohnung verlassen wollte, das Telefon geklingelt hatte. Es war Ivan M. Havel, ein prominenter Forscher auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und der Bruder des damaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel. Er war außerdem der Leiter einer Gruppe progressiver Wissenschaftler, die während der kommunistischen Ära geheime Untergrundtreffen abgehalten hatten, um verschiedene neue Wege in der westlichen Wissenschaft zu erkunden. Ihr besonderes Interesse galt dem neuen Paradigmendenken, der Bewusstseinsforschung und der transpersonalen Psychologie. Ivan Havel und Tomáš waren Klassenkameraden im Gymnasium gewesen und seither enge Freunde geblieben.

Tomáš war ein häufiger Gast im Haushalt der Havels und kannte auch Ivans Bruder Václav. Die Gruppe von Ivan Havel hatte durch den Vortrag von Vasily V. Nalimov, den sie als Gastdozent nach Prag eingeladen hatte, von meiner Arbeit erfahren. Vasily war ein brillanter russischer Wissenschaftler, Mathematiker und Philosoph; als ehemaliger sowjetischer Regimekritiker hatte er achtzehn Jahre in einem sibirischen Arbeitslager verbracht. Durch einen merkwürdigen Zufall lautete der Titel seines berühmtesten Buches Realms of the Unconscious (NALIMOV 1982), was dem Titel meines ersten Buches Realms of the Human Unconscious (GROF 1975; dt. Topographie des Unbewussten) sehr nahekommt.

Vasily hatte einen ausführlichen Bericht über meine psychedelischen Forschungen in sein Buch aufgenommen und meine Arbeit in seinem Vortrag für die Prager Gruppe ausführlich besprochen. Nach Vasilys Vortrag wuchs das Interesse der Prager Gruppe, mich als Gastredner einzuladen. Ivan Havel wusste, dass Tomáš und ich alte Freunde waren, und rief ihn an, um sich zu erkundigen, ob er meine Adresse oder Telefonnummer hätte und den Kontakt zwischen der Prager Gruppe und mir vermitteln könnte. Er war verblüfft, als Tomáš ihm sagte, dass ich zufällig gerade in Prag sei und er gerade aus seiner Wohnung gehen wollte, um mich zu besuchen.

Diese höchst unwahrscheinliche Verkettung von gleichzeitigen Ereignissen gab uns das Gefühl, »auf einer mächtigen Welle zu surfen«, anstatt »gegen die Stromschnellen zu paddeln«, so wie es sich in Moskau angefühlt hatte. Diese spektakuläre Reihe von Zufällen vereinfachte meine Rolle als Gesandter für die ITA-Konferenz enorm. Unter ungewohnten Umständen benötigte ich nur zehn Minuten, um den idealen Kontakt und die ideale Unterstützung für unser bevorstehendes Treffen zu finden: eine Gruppe hochkompetenter, mit dem Universitätssystem verbundener Akademiker, die ein lebhaftes Interesse daran hatten, eine hochkarätige Besetzung ausländischer Wissenschaftler, die sie seit Jahren bewunderten, nach Prag zu bringen. Umgekehrt hatte ich auch Zugang zum Präsidenten des Landes gefunden, der zufällig ein erleuchteter und zutiefst spirituell orientierter Mensch war, offen für die transpersonale Perspektive. Angesichts dieser Umstände hatten wir das Gefühl, dass wir eher zur Durchführung der Konferenz berufen wurden, als uns um ihre Organisation bemühen zu müssen.

Die Konferenz fand 1993 im Prager Smetana-Konzertsaal und im Stadthaus unter der Schirmherrschaft von Präsident Václav Havel statt. Präsident Havel war ein idealer Ehrengast für eine ITA-Konferenz. Er war kein gewöhnlicher Politiker, sondern jemand, den man viel passender als »Staatsmann« bezeichnen könnte, ein Staatsoberhaupt mit einer breiten, spirituell geprägten, globalen Vision. Er war ein bekannter Dramatiker, aber er wurde nicht als Ergebnis eines jahrelangen Kampfes um politische Macht zum Präsidenten gewählt. Er nahm die Wahl nur sehr widerstrebend an und reagierte damit auf den dringenden Ruf des tschechischen Volkes, das ihn als mutigen Regimekritiker im kommunistischen Regime verehrte, der viele Jahre in kommunistischer Gefangenschaft verbracht hatte. Als eine seiner ersten Amtshandlungen nach seiner Wahl erkannte er den Dalai Lama als Oberhaupt Tibets an und lud ihn zu einem dreitägigen Staatsbesuch ein. Wo auch immer er hinkam, beeindruckte er seine Zuhörer mit seinem eloquenten Appell für eine spirituell geprägte Demokratie und für globale Solidarität.


Václav Havel (1936–2011), Schriftsteller, Dramatiker, Gegner des kommunistischen Regimes und tschechoslowakischer Präsident.

Die Prager ITA-Konferenz, auf der sich zum ersten Mal östliche und westliche Vertreter der transpersonalen Bewegung treffen und Informationen austauschen konnten, war ein großer Erfolg. Der Höhepunkt des Programms war der Auftritt des Yorùbá-Sängers Babatunde Olatunji mit zehn Trommlern und Tänzern aus Afrika. Nachdem sie für ihre umwerfende Darbietung begeisterte stehende Ovationen erhalten hatten, beschlossen die Künstler, sich nicht hinter den Vorhang zurückzuziehen, sondern weiter durch die Mitte des Saals und durch den vorderen Eingang des Gebäudes hinaus in die Straßen Prags zu tanzen. Gefolgt von einem Großteil des Publikums sangen, trommelten und tanzten sie über die Celetná ulice, eine kleine Straße im historischen Teil von Prag, bis zum Altstädter Ring. Unterwegs schlossen sich ihnen zahlreiche Prager Bürger aus den Nachbarhäusern an, die von dem bacchantischen Spektakel angelockt wurden. Die jubelnde Menge füllte den Platz und tanzte zu den Klängen afrikanischer Trommeln und Lieder bis in die frühen Morgenstunden. Nach vierzig Jahren kommunistischer Unterdrückung, in denen selbst der Twist als inakzeptabler Luxus gegolten hatte, war dieses Fest ein treffendes Symbol für die gerade erst wiedergewonnene Freiheit.

Die Häufigkeit von Synchronizitäten scheint im Umfeld von Ereignissen, die mit transpersonaler Psychologie zu tun haben, zuzunehmen; sie treten bei den Teilnehmern unserer Workshops und Ausbildungen äußerst häufig auf. Die bemerkenswerteste Synchronizität, die ich je erlebt habe, ereignete sich bei meinem ersten Besuch in China. Zu unserer kleinen Gruppe gehörten mehrere Facilitatoren des Holotropen Atmens, mein Bruder Paul mit seiner Partnerin Mary, die Kamerafrau Sally Li, ich selbst sowie Bill Melton und Mei Xu, die die Expedition inspirierten und unterstützten. Der Zweck dieser Reise war es, transpersonale Psychologie und Holotropes Atmen in China bekannt zu machen.

Bevor ich diese Geschichte erzähle, muss ich etwas Wichtiges erwähnen. 1978 gründeten meine Frau x und ich die ITA. Wir verbrachten einige Zeit damit, das beste Logo für diese Organisation auszuwählen, und entschieden uns schließlich für eine stilisierte Darstellung des Gemeinen Perlbootes (Nautilus pompilius), eines perfekten Beispiels für die heilige Geometrie. Wir verwendeten dieses Logo über Jahrzehnte hinweg auf den Broschüren aller unserer Konferenzen (bis heute waren es zwanzig), in den Werbematerialien und auf unserem Briefpapier.


Das Perlboot-Logo der International Transpersonal Association.

Unser erster holotroper Atemworkshop fand in Jinan statt, der Geburtsstätte des chinesischen spirituellen Lehrers und Philosophen Konfuzius. Während der Dinnerpause kam eine der Teilnehmerinnen, Frau Meng (was »Traum« bedeutet), mit einer kleinen schönen blauen Samttasche in der Hand zu mir. Sie erzählte mir, dass ihr ihre Urgroßmutter im Traum erschienen sei und ihr gesagt habe, dass sie seit mehreren Generationen einen ganz besonderen Stein in ihrer Familie aufbewahrt hätten und dass sie ihn zu »Dr. Grof« bringen solle. Dann übergab sie mir den Gegenstand. Es handelte sich um ein Fossil eines Perlbootes, einer Meeresweichtierart; aber sie war auf dem Gipfel des Mount Everest gefunden und gesammelt worden. Ich hatte noch nie davon gehört, dass auf dem Gipfel des Mount Everest fossile marine Lebensformen gefunden wurden. Ich beschloss, die geologische Geschichte des Himalayas zu studieren, und fand heraus, dass man das Alter dieser berühmten Gebirgskette auf etwa fünfzig Millionen Jahre schätzte, als die großen tektonischen Platten kollidierten, eine Reihe von Vulkanexplosionen auslösten und den Meeresboden anhoben. Der Gipfel des Mount Everest enthält daher Schichten von unterschiedlicher Herkunft, darunter auch solche, die vom Meeresboden stammen. Das versteinerte Perlboot musste also vor der Entstehung des Himalajas auf dem Meeresboden gelegen haben und war daher mindestens fünfzig Millionen Jahre alt.


Ein versteinertes Perlboot (Ammonit), das auf dem Gipfel des Mount Everest gefunden wurde.

Das Ziel unserer Expedition war es, die transpersonale Psychologie nach China zu bringen. Dass Frau Mengs Urgroßmutter ihr im Traum erschien und sie bat, mir das Symbol der ITA zu bringen, ein Perlboot, das versteinert und vor zig Millionen Jahren vom Grund des Ozeans auf den höchsten Berg der Welt gehoben worden war, war wirklich eine wundersame Synchronizität. Ich erwähnte sie kurz in meinem Vortrag an der Universität Peking, und in der chinesischen Presse fand sie mehr Beachtung als alles andere in meinem Vortrag. Dies war jedoch nicht die einzige bemerkenswerte Synchronizität, die uns auf dieser Reise begegnete; es schien, als wären wir in eine magische Welt eingetreten, in der es keine lineare Kausalität mehr gab.


Jack Kornfield (*1945), Lehrer des Vipassana-Buddhismus, transpersonaler Psychologe und Gründer des Spirit Rock Insight Meditation Center in Woodacre, Kalifornien, mit Stanislav Grof in der Verbotenen Stadt in Peking, China.

Ich möchte nur noch zwei dieser denkwürdigen Zufälle erwähnen. Wir fanden heraus, dass die Organisatoren der China-Reise einen Auftritt an der Peking-Universität für meinen engen und lieben Freund Jack Kornfield, einen Vipassana-Buddhismus-Lehrer, für denselben Abend vorgesehen hatten, an dem auch die Organisatoren unserer Reise ganz unabhängig davon versucht hatten, mich einzuplanen. Als dies entdeckt wurde, beschlossen die Organisatoren, einen gemeinsamen Abend mit dem Titel »Grof im Gespräch mit Kornfield« für uns zu veranstalten. Jack und ich hatten in den letzten vierzig Jahren gemeinsam viele Veranstaltungen geleitet, aber wir hatten uns noch nie irgendwo getroffen, es sei denn, wir hatten es gemeinsam geplant. Die zweite dieser Synchronizitäten betraf eine unserer Übersetzerinnen und einen Atempädagogen, die uns im Zug von Jinan nach Peking begleiten sollten. Obwohl sie ihre Fahrkarten unabhängig voneinander kauften, eine in Nordchina und die andere im Süden, saßen sie am Ende nicht nur im gleichen Waggon und Abteil wie unsere Gruppe, sondern sogar auf benachbarten Sitzplätzen.

Als ich miterlebte, wie diese Serie von Synchronizitäten ein magisches Element in unsere Gruppe brachte, musste ich an die Worte des tschechisch-französischen Schriftstellers Milan Kundera denken, des Verfassers von Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins: »Es ist falsch, den Roman dafür zu tadeln, dass er von mysteriösen Zufällen fasziniert ist … Aber es ist richtig, den Menschen dafür zu tadeln, dass er für solche Zufälle in seinem täglichen Leben blind ist. Denn dadurch beraubt er sein Leben einer Dimension der Schönheit«.

Die Kenntnis des Synchronizitäts-Phänomens ist nicht nur für Psychonauten und archetypische Astrologen von grundlegender Bedeutung, sondern auch für Wissenschaftler, die noch immer dem materialistischen Weltbild anhängen. Es ist eine der offensichtlichsten und schwierigsten Herausforderungen für die monistisch-materialistische Philosophie. Eine Bemerkung, die Jung 1955 in einem Brief an Richard F. C. Hull machte, zeigt, dass er sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst war: »Die neueste Äußerung zur ‚Synchronizität‘ ist die, dass sie nicht akzeptiert werden kann, weil sie die Sicherheit unserer wissenschaftlichen Grundlagen erschüttert, als ob dies nicht genau das Ziel wäre, das ich anstrebe.« Am selben Tag schrieb er an Michael Fordham über »die Auswirkungen der Synchronizität auf die fanatische Einseitigkeit der wissenschaftlichen Philosophie«.

Marie-Louise von Franz, die sich des paradigmendurchbrechenden Potenzials der Synchronizität bewusst war, sagte in einem Interview gegen Ende ihres Lebens: »Die Arbeit, die jetzt getan werden muss, besteht darin, das Konzept der Synchronizität auszuarbeiten. Ich kenne die Leute nicht, die diese Arbeit fortführen werden. Es muss sie geben, aber ich weiß nicht, wo sie sind.« Glücklicherweise ist die Literatur über Synchronizität und ihre zentrale Bedeutung für eine Reihe von Disziplinen seither exponentiell gewachsen, und dieses Konzept ist zu einem integralen Bestandteil des entstehenden neuen Paradigmas in der Wissenschaft geworden.

Der Weg des Psychonauten – Band 2

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