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Kapitel 4

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Die Seefahrt erwies sich tatsächlich als ruhig und ereignislos. Beinahe eine Woche fuhren sie außerhalb der Sichtweite der Küste dahin. Lediglich hin und wieder blitzten in der Ferne Lichter einer Küstenfestung oder einer kleineren Stadt auf. Sie kamen jedoch nie nah genug, um Einzelheiten ausmachen zu können. Das spielte Christian gut in die Pläne. Wenn sie nichts ausmachen konnten, dann konnte man das an Land im Gegenzug auch nicht.

Die Templer kamen lediglich nachts an Deck, und auch dann nur kurz und nie in Gruppen, die größer waren als fünf Mann. Unter der Besatzung wurde bereits getuschelt und es machten Gerüchte die Runde. Es war nicht nötig, sie noch zusätzlich zu befeuern.

Christian erhob sich aus seiner Hängematte und streckte sich ausgiebig. Die Nacht brach mal wieder herein. Er ließ den Kopf von einer Seite zur anderen rollen, um die verkrampften Nackenmuskeln zu lockern. Das Ruhen in den Hängematten tat seinem Hals nicht besonders gut.

Er begab sich ins Achterschiff und öffnete dort ein Fenster. Die kühle Brise belebte seine erschöpften Geister. Karl trat zu ihm und legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter.

»Na? Gut geschlafen?«

»Nicht wirklich. Du weißt, ich schlafe nie besonders viel.«

Das war nur ein Teil der Wahrheit. Vampire nutzten die Tagesstunden, um Energien während des Schlafens zu regenerieren. Aber Christian bildete eine Ausnahme. Er schlief nie viel. Die meiste Zeit des Tages verbrachte er mit Grübeln. Es machte ihn eigenbrötlerisch und auch ein wenig einsam. Er konnte jedoch nicht anders. Seit inzwischen zehn Jahren war er ein Vampir, doch er hielt immer noch an seinem früheren menschlichen Dasein fest.

Mehrmals innerhalb der letzten Jahre hätte er beinahe seine Familie in Orléans aufgesucht. Jedes Mal hatte er sich gerade noch zurückhalten können. Was sollte er ihnen sagen? Sie hielten ihn für tot. Und das war auch gut so. Sie würden ihn nicht akzeptieren. Schlimmstenfalls würden sie in ihm ein Wesen der Nacht sehen und versuchen ihn umzubringen. Und eine bösartige Stimme im hintersten Winkel seines Verstandes sagte ihm, dass sie damit auch recht hatten.

Er wandte sich um und musterte die Männer, die ihm auf seinem Kreuzzug gegen das Böse bereitwillig folgten. Sein Blick fiel auf drei Templer, die Karten spielten und dabei ein Fass als Tisch benutzten.

Ein großer, dunkelhaariger, breitschultriger Kerl war ein Landsmann von Christian. Pascal de Gascogne, der Sohn eines kleinen Landadligen in einer abgeschiedenen Provinz. Der Ritter war ein guter Kämpfer, aber auch aufbrausend. Falls er jemals sein Temperament unter Kontrolle brachte, würde er sehr wertvoll für die Templer im Schatten sein.

Pascal hatte sich mit seinem Vater entzweit und war Richard Löwenherz auf den Dritten Kreuzzug gefolgt. Dort hatte er während einer Schlacht ein Haus gestürmt, um zu plündern. Aber statt Reichtümern hatte er ein Nest Vampire vorgefunden, die ihn verwandelten. Er war anschließend mit den Überlebenden des Kreuzzugs nach Europa zurückgekehrt. Während des langen Marsches hatte er sich an seinen nichts ahnenden Kameraden gelabt. Wenn auf der Reise hin und wieder ein Soldat verschwand, so fiel das keinem groß auf. Derartige Verluste wurden quasi einkalkuliert.

Als Christian ihm begegnete, hatte sich der Mann in den Armenvierteln von Toulouse ausgetobt. Christian hätte ihn beinahe getötet. Es war Karl gewesen, der ihn überredet hatte, dem gefallenen Ritter eine Chance zur Rehabilitation zu geben. Von diesem Moment an hatte Karl ihn unter seine Fittiche genommen. Christian behielt Pascal gut im Auge, aber es gab zumindest bisher kaum Grund zur Klage. Der Ritter machte sich recht gut und schien sich auch mit der Versorgung durch Nagetiere – wenn auch mürrisch – abzufinden.

Christian vermutete, Karl sah in dem jungen Ritter ein verzerrtes Abbild seiner selbst. Immerhin war es noch gar nicht lange her, da war Karl von Braunschweig der Blutsucht erlegen. Es waren Heinrichs Fürsprache und Christians Geduld gewesen, die ihn zurückgeholt hatten. Nun tat Karl dasselbe für den jungen Franzosen.

Rechts von Pascal saß Franz Berger und ärgerte sich über sein grottenschlechtes Blatt, sehr zum Vergnügen seiner beiden Mitspieler. Der Krieger besaß viele bewundernswerte Eigenschaften, aber eine ausdruckslose Miene gehörte nicht dazu.

Franz war eigentlich kein Ritter. Er war gewöhnlicher Soldat in der Armee des Herzogtums Westfalen gewesen. Als die Templer im Schatten auszogen, um Männer für ihre Sache zu rekrutieren, da hatte Franz beinahe schon begeistert zugestimmt. Selbst die Verwandlung schien ihn nicht zu stören, anders als bei den meisten anderen Rekruten. Der Mann war gerade in der Ausbildung und würde unter Umständen irgendwann ein passabler Ritter sein, falls er jemals verinnerlichte, mit einem Schwert nicht umzugehen, als wäre es eine Holzfälleraxt.

Der Dritte im Bunde war Matthew Blackthorne aus London, ebenfalls ein Rückkehrer aus dem Dritten Kreuzzug. Er war auf dem Weg zurück in seine Heimat gewesen. Doch er hatte das Pech gehabt, auf einer Landstraße einer Bande Vampire in die Arme zu laufen.

Christian und einige Templer im Schatten waren hinzugekommen und hatten die Vampire vernichtet. Sie waren jedoch nicht rechtzeitig genug da gewesen, um Matthew zu retten. Als Christian ihn fand, da lag der Ritter am Boden und war am Verbluten. Der Tod schwebte bereits unheilvoll über ihm. Christian hatte ihn kurzerhand verwandelt, um ihm das Leben zu retten. Anschließend hatte sich Matthew ihnen angeschlossen. Das war weniger als ein Jahr her. Er war der neueste Zugang bei den Templern im Schatten.

Die übrigen etwa vier Dutzend Ritter lungerten mehr oder weniger im Laderaum des Schiffes herum und wussten nicht wirklich etwas mit der freien Zeit anzufangen, die ihnen zur Verfügung stand. Einige unterhielten sich gedämpft, wiederum andere hingen in ihren Hängematten und starrten mit stumpfer Mimik Löcher in die Luft. Der weitaus größte Teil war jedoch mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt. Und das ängstliche Quieken kleiner Nagetiere hing über der ganzen Szenerie. Die Überreste würden sie später im Meer entsorgen, und zwar auf eine Weise, die sicherstellte, dass die ohnehin schon misstrauische Besatzung nichts mitbekam.

Karl stieß ihn leicht an. »Wo bist du denn mit deinen Gedanken?«

Christian stieß einen Schwall Luft zwischen den Vorderzähnen aus. »Nicht so wichtig. Mir ist nur gerade bewusst geworden, wie schnell die Zeit vergeht.«

»Und das wird dir erst jetzt klar?« Karl schmunzelte.

Christian durchschaute allerdings die Maske, die sein Freund trug, und blickte tiefer. Wie viele andere auch war Karl nicht freiwillig Vampir geworden. Seine Verwandlung war ein Gewaltakt von Frederick DiSalvatino gewesen, der Heinrich lediglich etwas hatte beweisen wollen.

Christian drehte sich um, lehnte sich mit beiden Unterarmen schwer auf das Fensterbrett und sah hinaus auf das leicht aufgewühlte Meer. Er überlegte, was er seinem langjährigen Freund darauf antworten sollte, als ihm etwas am Horizont auffiel.

Er kniff die Augen zusammen. Ein kurzer Lichtschein erschien, nur um nach einer oder zwei Sekunden wieder zu verschwinden. Christian deutete in die Ferne. »Siehst du das auch?«

Karl kam näher und folgte dem Wink. Er wirkte im ersten Augenblick verwirrt, doch dann sah auch er den fernen Lichtschein.

»Ist das ein Schiff?«

»Ja«, erwiderte Christian. »Es hält sich dicht hinter dem Horizont, um nicht gesehen zu werden. Die Wellen heben ab und zu den Mast an. Was wir dort sehen, ist vermutlich eine Lampe im Krähennest. Ich glaube, wir werden verfolgt.«

Karl schürzte die Lippen. »Das kann auch nur Zufall sein. Wir befinden uns auf einer viel befahrenen Handelsstraße.«

Christian dachte einen Augenblick über Karls Worte nach. Es war viel Wahres in ihnen enthalten. Trotzdem durfte er kein Risiko eingehen. Nicht angesichts der heiklen Mission, auf der sie sich befanden.

»Ich gebe dennoch Moreau Bescheid. Er soll dieses Schiff im Auge behalten. Wenn es uns weiterhin folgt, dann ist das ein Grund zu großer Besorgnis.«

»Wie du meinst«, erwiderte Karl wenig überzeugt.

Christian drängte sich an seinen Männern vorbei und begab sich eilig an Deck. Der Wind frischte merklich auf. Bereits mit dem ersten Schritt erkannte er, dass etwas nicht stimmte. Das Deck war merkwürdig leer. Nur wenige Besatzungsmitglieder waren zu sehen. Zwei von ihnen lehnten sich an den Hauptmast und schienen sich zu unterhalten. Sein Blick glitt nach oben. Der Ausguck war besetzt. Oberflächlich betrachtet, gab es keinen Grund für Misstrauen. Dennoch mahnten ihn seine inneren Alarmglocken zur Vorsicht. Irgendetwas war definitiv faul.

Moreau stand auf dem Achterdeck am Ruder. Christian lockerte sein Schwert in der Scheide und ging auf den Kapitän zu. Der Templer stieg die steilen Stufen zum Achterdeck hinauf. Beißender Geruch stieg ihm in die Nase, den er nicht gleich einzuordnen wusste.

Je näher er Moreau kam, desto lauter schrillten die Alarmglocken in seinem Kopf. Christian streckte die Finger nach dem Kapitän aus und berührte diesen leicht an der Schulter. Der Körper des Mannes sackte zur Seite. Christian riss die Augen auf. Moreaus Kehle war durchgeschnitten. Der Mann war mittels eines Seils am Ruder festgebunden und das Ruder selbst mit einem zweiten Seil fixiert worden.

Außerdem war alles mit einer ekelhaft schmierigen Substanz überzogen. Sie klebte an seinen Fingern. Er roch daran. Es handelte sich um Öl.

Christian fluchte und sprang vom Achterdeck. Mit einem Satz war er bei den zwei Besatzungsmitgliedern am Hauptmast. Auch ihnen war die Kehle durchgeschnitten worden. Nur einige Seile hielten sie aufrecht, um den Eindruck zu vermitteln, sie würden stehen. Nun, da seine Sinne hellwach waren, erkannte er allerorts auf dem Schiff den unverwechselbaren metallischen Geruch nach Blut. Der Gestank des Öls hatte diesen übertüncht.

Christian fluchte. Der Feind verfolgte sie nicht. Er war längst hier. Und er hatte vor, sie alle abzufackeln. Der Templer hob die Hand und betätigte die Alarmglocke, deren heller Klang durch die Luft hallte.

»Templer an Deck!«, schrie er. »Wir werden geentert!«

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als die Schatten lebendig zu werden schienen und vermummte Gestalten auf ihn zuströmten. Sie alle waren mit Messern oder Schwertern bewaffnet. Ihr Duft stieg Christian in die Nase. Es handelte sich unzweifelhaft um Menschen. Und ganz offensichtlich hatten sie keine Ahnung, mit wem sie sich anlegten. Sein Schwert glitt zischend aus der Scheide.

Zwei vermummte Gestalten stürzten sich auf ihn. Christians Nasenflügel blähten sich auf, als er den verführerischen Duft ihres Blutes auffing. Er knurrte. Menschen gegen Vampire in den Kampf zu schicken – genauso gut konnte man Lämmer zur Schlachtbank führen.

Christian musste sich nicht einmal groß anstrengen. Er wich dem ersten Hieb mit nur einem Bruchteil seiner verfügbaren Geschwindigkeit aus. Sein Schwert kam in einer geraden Linie hoch, wurde aber mit solcher Kraft geführt, dass sein Gegner praktisch in zwei Teile gespalten wurde.

Der unschöne Tod seines Kameraden ließ den zweiten Mann für einen Moment unsicher zögern. Es spielte keine Rolle. Sein Tod war so oder so beschlossene Sache. Christian holte mit der linken Faust aus und im nächsten Moment segelte der Körper seines Gegners in hohem Boden über die Reling und verschwand in den tosenden Fluten. Der Mann versank, ohne einen Laut von sich zu geben und ohne zu strampeln, unter den Wassermassen. Christians Schlag hatte ihm den Kiefer gebrochen und die Luftröhre eingedrückt.

Der Kampflärm lockte die anderen Templer an Deck. Die nächtlichen Angreifer sprangen sie mit blitzenden Klingen an, in der irrigen Annahme, sie hätten leichtes Spiel mit gerade aus dem Schlaf erwachten Soldaten. Als ihnen bewusst wurde, wie ihnen geschah, war es längst zu spät.

Karl durchstieß mit seiner Klinge den Hals eines Angreifers und brach einem zweiten den Schädelknochen, indem er diesem seinen im Helm steckenden Kopf gegen die Stirn rammte.

Die Vampirritter huschten über das Deck und metzelten nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Einer der Gegner nahm eine brennende Fackel und wollte sie auf das Deck werfen. Franz war zur Stelle, fing sie ab und warf sie über die Reling ins Meer. Matthew riss dem verhinderten Feuerteufel mit bloßen Händen den Kopf ab. Nur ein Funke, und das ganze Schiff würde in Flammen stehen. Unter Deck wieherten die Pferde, angestachelt durch Kampflärm und Blutgeruch.

Etwas zischte an Christian vorbei. Direkt neben seinem Fuß steckte ein immer noch zitternder Pfeil im Gebälk. Er hob den Blick. In diesem Moment prallte ein weiteres Geschoss von seinem Brustpanzer ab. Im Krähennest saß ein feindlicher Bogenschütze. Christian verfluchte sich selbst. Er hatte den Mann im ersten Moment übersehen, da der Geruch des toten Besatzungsmitglieds den Duft dieses frechen Kerls überdeckt hatte.

Ein weiterer Pfeil kam geflogen. Er verfehlte Christian nur um Haaresbreite und fügte ihm eine Schramme auf der rechten Wange zu. Die Wunde brannte für einige Sekunden, dann war sie auch schon wieder verheilt. Trotzdem ärgerte ihn der Pirat. Christian hob ein Schwert vom Deck auf, holte durch eine weite Bewegung Schwung und warf die Klinge in steilem Winkel nach oben. Ein erschrockener, schmerzerfüllter Ruf belohnte seine Bemühungen und der Bogenschütze fiel herab. Er prallte mit dumpfem Geräusch auf das Deck auf.

Es blieb ihm aber keine Zeit, sich auf seinem Erfolg auszuruhen. Pascal beugte sich über einen immer noch strampelnden Piraten und mit einem entschlossenen Ruck entblößte er dessen Hals. Pascal fletschte die Zähne und seine Reißzähne kamen zum Vorschein.

Christian reagierte blitzschnell. Er bewegte sich mit übermenschlicher Geschwindigkeit zu seinem Waffenbruder und hielt diesen gerade noch rechtzeitig davon ab, seine Hauer in das weiche Fleisch seines Opfers zu versenken.

Pascal sah stirnrunzelnd und mit deutlicher Verärgerung auf. Christian musterte diesen ebenso unnachgiebig. »Du kennst die Regeln«, erklärte er ihm. »Wir trinken nicht von Menschen.«

»Das ist nur ein Pirat«, zischte Pascal zornig zurück. »Der ist nichts wert.«

Christian spürte das Verlangen des anderen nach dem Blut seines Opfers. Er wusste, er stand kurz davor, den Mann zu verlieren, wenn er diesen nicht sofort seine Grenzen aufzeigte. Er erwartete, dass keiner seiner Templer gegen die eine unveränderliche Regel verstieß: nämlich nie von einem Menschen zu trinken. Hatte man einmal diesen Weg eingeschlagen, dann war es schwer, wieder umzukehren. Er erinnerte sich noch allzu gut an Karl und dessen Blutsucht. Für seinen Freund wäre es damals beinahe zu spät gewesen. So etwas wollte er nie wieder erleben.

»Spielt keine Rolle, wer er ist.« Christian streckte die Hand aus und brach dem Piraten in einer spielend einfachen Bewegung das Genick. Der Mann hatte nicht einmal die Zeit, etwas zu fühlen. Der Leichnam sank zu Boden und entzog sich damit Pascals Griff. Dieser starrte seinen Anführer mit einem Ausdruck an, den man nur als Hass bezeichnen konnte.

»Der gehörte mir. Du hattest dazu kein Recht.«

»Es wird nicht von Menschen getrunken!«, wiederholte Christian. »Hast du das jetzt endlich kapiert?«

Pascals Blick richtete sich gierig auf die vor ihm liegende Leiche. »Er ist noch warm. Vielleicht geht es noch.« Er bückte sich, aber ein fester Griff Christians hielt den Ritter zurück.

»Erst von einem Menschen, dann auch noch von einem Toten. Bist du von Sinnen?«

»Es duftet so verführerisch«, keuchte der Ritter.

Christian steckte seine Klinge weg und packte sein Gegenüber in einer beinahe zärtlichen Geste an beiden Wangen. »Komm wieder zu dir, Pascal!«

Zorn und Verlangen schwanden zusehends aus dem Blick des Ritters, als Christian ihn fixierte und den anderen Templer zwang, ihm in die Augen zu sehen. Pascal schüttelte leicht den Kopf. Er keuchte abermals. Fast machte der Ritter den Eindruck, aus einem bösen Traum zu erwachen. Pascal blickte auf. Seine Stirn war schweißnass. »Es … es tut mit leid. Ich … ich weiß nicht …«

Christian ließ ihn los. »Ist schon gut. Ich kenne das Gefühl. Ich weiß, womit du zu kämpfen hast. Aber dafür sind deine Brüder und ich da. Wir helfen dir. Wir sind für dich da. Immer und unter allen Umständen.«

Pascal nickte abgehackt und erschöpft. Karl trat zu ihnen mit finsterer Miene. »Alles in Ordnung?«

Nach einem letzten Blick auf Pascal nickte Christian und wandte sich dem ehemaligen Johanniter zu. »Alles bestens.«

Karl entspannte sich etwas. »Sie sind alle tot.«

»Die Besatzung?«

»Ist ebenfalls tot. Neben dem Schiff liegen einige Beiboote. Sie müssen im Schutz der Dunkelheit übergesetzt und die Mannschaft überrascht haben. Es ging so schnell, dass keiner Alarm schlagen konnte.«

Eine Nebelbank zog langsam vor ihnen auf. Nicht mehr lange, und sie würde das Schiff verschlucken. Christian wandte den Blick Richtung Ufer. »Wir sind etwa einen Kilometer von der Küste entfernt.«

»Woran denkst du?«, wollte Karl wissen.

»Wir könnten es schaffen, wenn wir die Beiboote der Piraten nehmen.«

Karl runzelte die Stirn. »Du meinst, das Schiff verlassen?«

Christian wandte sich um. »Das ist die beste Möglichkeit. Es sei denn, du weißt, wie man segelt.«

Karl stutzte. »Daran hatte ich nicht gedacht.«

Christian nickte. »Wer auch immer uns diese Piraten auf den Hals gehetzt hat, er ist noch nicht fertig mit uns.«

Karl legte den Kopf leicht schief. »Wie meinst du das?«

Christian drehte sich um und starrte über das Meer in Richtung des Verfolgerschiffes. »Spürst du es nicht? Auf dem Schiff dort befindet sich ein Vampir. Ich verstehe nicht, warum ich seine Anwesenheit nicht bereits von Anfang an gespürt habe.«

Addison Pembroke senkte mit gehässigem Grinsen das Fernrohr. Die Schutzzauber, die er rezitiert hatte, verloren langsam ihre Wirkung. Er konnte die Templer an Bord des anderen Schiffes deutlich spüren. Im Umkehrschluss bedeutete es, diese vermochten, ihn ebenso wahrzunehmen. Er schüttelte leicht den Kopf. Diese Information würde ihnen jedoch nichts nützen.

Pembroke steckte das Fernrohr in seinen Gürtel zurück und warf dem Mann neben sich einen kurzen Blick zu. Der Anführer der Piraten wusste, mit wem er es zu tun hatte. Er war der Einzige an Bord. Pembroke bediente sich seiner Leute von Zeit zu Zeit, um Probleme aus der Welt zu schaffen.

»Holt Eure Bogenschützen an Deck. Die Arbeit ist fast getan.«

Der Piratenkapitän runzelte die Stirn. »Was haben Sie vor?«

»Eure Männer haben das Deck des anderen Schiffes in Öl getränkt. Wir versenken es jetzt.«

Der Mann kam drohend einen Schritt näher, doch ein warnender Blick Pembrokes ließ ihn innehalten. »Was ist mit meinen Leuten? Sie sind noch an Bord.«

Pembrokes überhebliches Lächeln kehrte zurück. »Vergesst sie. Die sind längst tot.«

»Was?« Die Augen des Kapitäns wurden groß.

»Tut, was ich Euch sage, Kapitän. Ruft Eure Bogenschützen.«

Die Wangenknochen des Piraten mahlten angestrengt, hin- und hergerissen zwischen dem Verlust seiner Männer und seiner Verpflichtung, Pembroke zu Diensten zu sein.

Als der Kapitän sich nach mehreren Sekunden immer noch nicht rührte, richtete sich Pembroke auf und starrte diesen auffordernd an.

»Sind das Vampire auf dem Schiff?« Der Kapitän flüsterte, damit seine Besatzung die Worte nicht aus Versehen auffangen konnte.

»Und wenn es so wäre?«

»Davon habt Ihr uns nichts gesagt.«

Pembroke schnaubte. »Es war nicht geplant, dass Eure Leute ihnen über den Weg laufen. Sie hätten schon längst wieder von Bord sein müssen, bevor auch nur einer der Vampire an Deck kommt. Ich gehe jede Wette ein, der Abschaum, den Ihr Mannschaft nennt, konnte nicht widerstehen und hat geplündert. Sie haben Zeit vergeudet, die sie lieber mit der Erledigung des Auftrags zugebracht hätten.«

»Was sicher nicht geschehen wäre, wenn Ihr uns gesagt hättet, wer dort auf uns lauert.«

Pembroke wandte sich abermals um und stützte sich auf die Reling. »Ihr seid sehr gut entlohnt worden. Seht es mal positiv. Jetzt gibt es weniger Hände, durch die die Belohnung geteilt werden muss.«

Der Kapitän zögerte erneut. Schließlich schrie er halb über die Schulter: »Bogenschützen an Deck! Holt die Kohlepfannen! Schürt das Feuer!«

Es dauerte einen Augenblick, doch dann stürzten zwanzig Bogenschützen die Treppe vom unteren Deck hinauf. Kohlepfannen wurden aufgestellt und das Feuer angefacht. Die Glut flammte karmesinrot auf.

Die Schützen stellten sich in einer Reihe auf und entfachten die Spitzen ihrer Pfeile. Auf ein Zeichen des Kapitäns legten sie das Geschoss auf die Sehne ihres Bogens, nahmen Ziel und zogen die Sehne bis zur Wange zurück.

Der Kapitän hob die Hand hoch über den Kopf. Er warf Pembroke einen Erlaubnis heischenden Blick zu. Dieser nickte. Die Hand kam herunter und zwanzig Brandpfeile flogen in Richtung des anderen Schiffes. Pembroke verfolgte deren Flugbahn mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht.

»Brandpfeile!« Matthews Ruf hallte durch die Luft. Alle erstarrten für einen Moment. Christian wirbelte herum, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Pfeile den höchsten Punkt ihrer Flugbahn erreichten und auf das Deck niederstürzten.

Mehr als die Hälfte der Geschosse verfehlten ihr Ziel. Doch diejenigen, die das Schiff erreichten, genügten vollkommen. Segel, Takelage und Vorschiff standen augenblicklich in Flammen. Dort, wo Holz, Seile oder Segeltuch von Öl getränkt war, breiteten sie sich in Windeseile aus.

Zwei von Christians Templern fingen Feuer. In Panik drehten sie sich um die eigene Achse und schlugen wild mit den Armen. Ihre bedauernswerten Schreie hallten schrill in den Ohren ihrer Kameraden wider.

Diese versuchten ihnen zu helfen, kamen aber nicht nah genug heran. Schließlich sprangen beide Ritter über Bord ins Wasser. Christian eilte an die Reling, verlor sie allerdings bereits nach wenigen Sekunden aus den Augen. Es war unwahrscheinlich, dass sie überlebten. Selbst für Wesen mit der Stärke und Ausdauer eines Vampirs war es auf die Dauer unmöglich, sich in voller Rüstung über Wasser zu halten. Das beträchtliche Gewicht hatte sie mit Sicherheit längst in die Tiefe gezogen.

Karl machte Anstalten, sich auszuziehen, um ihnen hinterherzuspringen. Christian hielt ihn zurück. »Du kannst ihnen nicht mehr helfen. Sie sind wahrscheinlich schon tot.«

»Aber irgendwas müssen wir doch tun.«

»Wir können nur noch uns selbst retten.« Christian erhob die Stimme. »Alles in die Boote! Wir müssen hier weg.«

Die Ritter machten sich eilig daran, das zum Untergang verurteilte Schiff zu verlassen. Pascal und Franz öffneten den Zugang zum Unterdeck. Von dort hallte das panikerfüllte Wiehern ihrer Pferde herauf.

»In die Boote mit euch!«, wies Christian sie an.

»Aber die Pferde …«, hielt Franz dagegen.

»Wir können nichts tun. Selbst wenn wir sie rauslassen, werden sie ertrinken.«

Franz zögerte. Christian nahm ihn am Arm. »Tut, was ich euch sage! Geht! Na los!«

Die beiden Templer wechselten einen unschlüssigen Blick, drehten sich aber gehorsam um und hangelten sich die Leiter zum nächsten Boot hinab. Christian hob den Blick. Eine zweite Salve Pfeile bombardierte das malträtierte Schiff. Durch einen Glückstreffer versenkte sich eines der Geschosse in den Zwischenraum zwischen Schulterplatte und Brustpanzer Christians. Er schrie auf. Das Feuer versengte seine Haut. Er riss das Geschoss heraus. Die Spitze war mit Widerhaken versehen, sodass er sich ein Stück Fleisch mit herausriss. Er biss die Zähne zusammen und bemühte sich, den Schmerz zu ignorieren. Die Wunde würde heilen. Es würde lediglich eine Weile dauern – falls er diese Nacht überlebte.

Christian schwang sich über die Reling und landete neben Karl im letzten Boot, das ablegte. Die Templer nutzten die Riemen, um sich von dem brennenden Schiff zu entfernen, gerade als eine dritte Salve angeflogen kam. Einer der Pfeile traf einen der Templer im Auge. Die Spitze drang aus dem Hinterkopf. Der Mann erstarrte und zerfiel vor ihren Augen zu Asche.

Die Boote nahmen langsam Fahrt auf, als sich die Templer ins Zeug legten. Christian sah sich um. Die Nebelbank war nicht fern. Mit etwas Glück konnten sie ihrem Verfolger darin entkommen. Eine weitere Salve der gefährlichen Geschosse kam angeflogen. Sie landeten jedoch allesamt im Wasser. Christians Mundwinkel zuckten erleichtert. Sie waren außer Reichweite. Das Verfolgerschiff setzte Segel, um an Fahrt zu gewinnen. Wer auch immer dort drüben das Sagen hatte, er hatte versagt. Das Schiff würde sie nicht einholen, bevor sie die Nebelbank erreichten. Und anschließend war es nur noch ein Katzensprung bis zur Küste.

Christian dachte an die drei Templer zurück, die er heute verloren hatte. Und dabei hatten sie noch nicht einmal einen Fuß an Land gesetzt. Dafür würde jemand bezahlen. Er wusste nicht, was in diesem verfluchten Land genau vor sich ging. Aber wenn jemand alles daransetzte, sie am Betreten der Insel zu hindern, dann musste es wahrlich gewaltig sein. Und diese Person wollte nicht, dass die Templer im Schatten sich einmischten.

Bevor sein Boot in der Nebelbank verschwand, musterte Christian das Verfolgerschiff, das hinter ihnen zurückblieb. Er konnte den Blick des anderen Vampirs spüren, wie dieser die fliehenden Templer beobachtete und sein eigenes Versagen erkannte. Christian würde ihn wiedersehen, da war er sich ganz sicher. Und dann würde der Kampf anders ausgehen.

Pembroke schlug frustriert mit der Hand auf die Reling, als das letzte Boot in der Nebelbank verschwand. Er konnte den Anführer der Templer spüren, wie er dort stand und Rache schwor. Na gut. Sollte er. Das war nicht das Problem.

Pembroke machte sich eher Sorgen, wie er seinem Meister von diesem Missgeschick berichten sollte. Es war äußerst unwahrscheinlich, dass sie die Templer im Nebel wiederfanden, selbst mithilfe der Wahrnehmung, über die alle Vampire verfügten. Er konnte sie zwar spüren, aber anhand dessen nur ihre ungefähre Position anpeilen. Bis er sie tatsächlich fand, waren sie längst an Land. Und dort waren sie zweifelsohne im Vorteil. Er war allein in der Begleitung von Menschen.

Die Templer würden erst die Piraten und anschließend ihn mit genüsslicher Leichtigkeit abschlachten. Nein, er hatte wirklich nicht die Absicht, in die Reichweite ihrer Schwerter zu kommen. Pembroke seufzte und konzentrierte sich. Besser, er sagte seinem Meister die volle Wahrheit und überließ es diesem, die richtigen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Er würde nicht erfreut sein. Nein, er würde ganz sicher nicht erfreut sein.

Die Templer im Schatten 2: Blutregen

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