Читать книгу Die Templer im Schatten 2: Blutregen - Stefan Burban - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеChristian und seine Mitstreiter betraten zwei Stunden später erstmals die englische Küste. Sie waren erschöpft, durchnässt und hungrig. Christian betrachtete den Himmel. Er fluchte unterdrückt.
»Die Sonne geht bald auf. Wir müssen uns einen sicheren Unterschlupf suchen.« Er wandte sich um. »Karl? Schick Jagdtrupps aus. Vielleicht finden sie etwas, das uns als Nahrung dienen kann. Wir haben unseren gesamten Reiseproviant verloren. Und wir müssen wieder zu Kräften kommen.«
Karl nickte und teilte mehrere Trupps ein, die die Umgebung durchsuchen sollten. Christian berührte leicht die Wunde in seiner Schulter. Sie brannte wie Feuer. Ohne Blut würde sie nicht gut heilen. Er hoffte, dass die Männer etwas fanden, sonst würde es ein extrem unangenehmer Aufenthalt werden.
Christian spürte Wärme in seinem Nacken. Er wandte sich ruckartig um. Am Horizont war bereits das Morgenrot zu sehen. Er fluchte abermals. »In den Wald!«, schrie er. »Sofort!«
Die Templer bewegten sich mit unfassbarer Geschwindigkeit, schneller, als es einem sterblichen Menschen jemals möglich gewesen wäre. Sie erreichten das dichte Blätterdach des Waldes, als die Sonne sich langsam erhob.
Karl trat neben ihn und betrachtete mit einigem Misstrauen die Bäume ringsum. »Wird uns das ausreichend vor der Sonne schützen?«
Christian schüttelte leicht den Kopf. »Das können wir nur hoffen.« Sein Blick richtete sich zu Boden. »Lass Holz sammeln. Wir bauen uns einen Unterschlupf, bis es Nacht wird. Und sag den Männern, sie sollen vorsichtig sein. Die Bäume stehen hier zum Glück sehr dicht. Das heißt aber nicht, dass wir in Sicherheit sind.«
Karl nickte und machte sich Anweisungen gebend davon. Christian nutzte die kurze Ruhepause und lehnte sich gegen einen Baumstamm. Die Rinde schabte an seiner Rüstung, aber es war ein gutes Gefühl, etwas Starkes, Beständiges im Rücken zu fühlen. Er ließ sich langsam zu Boden gleiten und blieb mit geschlossenen Augen in der Hocke sitzen.
Er musste etwas geschlafen haben, denn als er die Augen wieder aufschlug, stand die Sonne bereits hoch über ihnen am Zenit. Seine Männer waren nicht untätig geblieben. Sie hatten eine behelfsmäßige Behausung gebaut. Franz Berger schritt auf ihn zu, ein kleines Wiesel in der Hand.
Christian rieb sich die Augen. »Wie lange war ich weg?«
»Drei Stunden«, erklärte der deutsche Templer. »Aber wir waren der Meinung, dass du den Schlaf nötig hattest.« Er reichte ihm das Nagetier. Es lebte noch und versuchte sich verzweifelt aus dem unerbittlichen Griff des Tempelritters zu befreien.
Christian nahm es dankbar, aber nicht ohne Widerwillen an. Das arme Tier tat ihm leid. Doch was wäre die Alternative gewesen? Einen Menschen auszusaugen, kam nicht infrage. Auf gar keinen Fall!
Er erinnerte sich mit Schaudern und einem Aufwallen von schlechtem Gewissen daran, wie er das erste Mal menschliches Blut gekostet hatte. Es waren christliche Deserteure des Kreuzfahrerheeres gewesen. Unwürdige, ehrlose Kreaturen, aber nichtsdestoweniger Menschen. Danach hatte er jedoch das Blut unschuldiger Pilger gekostet. Abgeschlachtet hatte er sie, in einer Blutorgie, deren Durst er zum damaligen Zeitpunkt noch nicht einmal verstanden hatte. Getrieben von einer Gier, der er nie wieder erliegen wollte.
Christian nahm all seine Überwindung zusammen und biss in den Körper des Nagetiers. Das Geschöpf quiekte vor Angst und Schmerz. Seine schlanke Gestalt versteifte sich für einen Moment, nur um bereits eine Sekunde später zu erschlaffen.
Christian fühlte das Blut seine Kehle herablaufen. Es war nicht so gehaltvoll und nahrhaft wie Menschenblut. Dennoch spürte er unwillkürlich, wie seine Lebensgeister zurückkehrten. Der Ritter fühlte sich belebt, seine Muskeln wurden nahezu augenblicklich mit neuer Energie gefüllt. Die durch den Pfeil geschlagene Wunde heilte, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Er erhob sich und folgte Franz zum Rest der Truppe, die sich unter dem notdürftig gezimmerten Dach aneinanderdrängten, als würde die gegenseitige Nähe irgendeine Art von zusätzlichem Schutz bieten.
Christian lächelte amüsiert. Vampire unterschieden sich im Prinzip nicht viel von Menschen. Natürlich waren sie schneller und stärker. Aber auch sie suchten Schutz in der Gruppe. Auch sie konnten sich einsam fühlen, wenn sie von ihren Freunden getrennt waren. Und auch sie sehnten sich nach dem Trost eines geliebten Menschen.
Christian kauerte sich unter seine versammelten Krieger und gemeinsam warteten sie auf den Einbruch der Nacht.
Er musste erneut eingeschlafen sein. Christian wurde durch einen sanften Stoß gegen die Schulter geweckt. Er schreckte auf. Es herrschte tiefe Dunkelheit. Ein Mensch hätte nicht einmal die Hand vor Augen sehen können. Bei Christian setzte allerdings sofort die Nachtsicht ein. Er wusste, seine Augen glühten jetzt in strahlendem, Unheil verkündendem Gelb.
Christian sah auf. Karl stand neben ihm. »Wie spät?«, wollte er von seinem Freund wissen.
»Eine Stunde nach Einbruch der Nacht. Wir sollten aufbrechen.«
Christian nickte und erhob sich in einer geschmeidigen Bewegung. Seine Templer hatten bereits alles, was sie vom Schiff hatten retten können, zusammengepackt. Er seufzte. Ihre Pferde würden ihnen fehlen, aber schaffen würde sie es auch ohne sie.
»Wie lange bis Nottingham?«, fragte Christian. Seine Worte waren allgemein in die Runde gesprochen, zielten jedoch auf ein bestimmtes Mitglied seiner Truppe.
Matthew Blackthorne wandte sich um. »Für Menschen? Etwa zwei Tagesreisen. Wir sollten es allerdings noch innerhalb dieser Nacht schaffen.«
Christian überlegte. »Falls nicht, brauchen wir einen neuen Unterschlupf. Gibt es etwas auf unserem Weg?«
Matthew schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Wälder sind in diesem Teil Englands weit verbreitet, aber ich kann nicht garantieren, dass wir einen Ort wie diesen hier finden, wo uns das dichte Blätterdach einen gewissen Schutz bietet. Es gibt aber mit Sicherheit Gasthäuser auf unserem Weg. Da könnten wir unterkommen.«
Christian rümpfte die Nase. »Das würde ich eigentlich gern vermeiden. Eine Gruppe wie die unsere erregt zu viel Aufmerksamkeit. Wir halten uns am besten von größeren Menschenansammlungen fern.«
Matthew zuckte die Achseln. »Dann müssen wir uns beeilen, ansonsten wird es knapp.«
Christian bedeutete den Templern mit einer Handbewegung, ihm zu folgen, und setzte sich gleichzeitig in Bewegung. Die Vampirritter bewegten sich durch die Nacht wie Gespenster. Nahezu unsichtbar. Unberührbar. Lediglich Schatten.
Von den wenigen Menschen, denen sie begegneten, wurden sie gar nicht wahrgenommen, wohl aber von der Tierwelt. Rehe, Vögel, kleine Tiere im Unterholz: Sie alle verfügten über einen Sinn, der den Menschen fehlte. Sie wichen der Panik nahe der Prozession dunkler Gestalten aus, die sich ihnen näherte.
Die Templer im Schatten wären schnell genug gewesen, sie einzuholen und Beute zu machen. Sie verzichteten aber darauf. Sie waren wohlgenährt und hatten anderes im Sinn. Immer weiter drangen Christian und seine Mitstreiter ins Landesinnere von Nordengland vor. Er war noch nie hier gewesen. Nur zu gerne hätte er verweilt, um seine Augen an der wunderschönen Landschaft zu laben. Für derlei Dinge hatte er zu wenig Zeit, seit er sich dem Kampf gegen das Böse verschrieben hatte.
Christian kam schlitternd zum Stehen. Seine Nüstern blähten sich erwartungsvoll. Der schwere, nach Metall duftende Geschmack menschlichen Blutes hing in der Luft, und zwar einer Menge davon.
Seine Templer verteilten sich um ihn. Christian behielt sie gut im Auge. Einige waren noch nicht lange Vampire und bedurften besonderer Führung.
Karl gesellte sich zu ihm. Er warf Christian einen leicht irritierten Blick zu. »Was denkst du? Eine Schlacht?«
Christian war sich nicht sicher. »So hoch im Norden? Wer kämpft hier gegen wen?« Der Vampirritter hob erneut den Kopf und sog den Duft des Blutes tief in seine Lungen. Der Geschmack, der mit einem Mal auf seiner Zunge lag, war beinahe zu verführerisch. Er stoppte sich selbst, bevor er dem Durst erliegen konnte. Auch er war nicht gegen die Verlockungen menschlichen Blutes gefeit.
Aber mit dem Geruch nach Blut schwang noch ein anderer Duft mit. Einen, den er nur zu gut kannte: Angst. In diesem Augenblick wusste er, worauf sie treffen würden. Das hier war kein Schlachtfeld. Es war etwas viel Schrecklicheres.
Er setzte sich langsam in Bewegung und konnte sicher sein, dass seine Vampirtempler ihm bereitwillig folgen würden. Die meisten aus Loyalität und Pflichtbewusstsein. Einige wenige vielleicht, weil das Blut unglaublich verlockend roch.
Nach einer Weile erreichten sie eine kleine Lichtung. Sie erstreckte sich inmitten einer Talmulde, die zu allen Seiten von Feldern und vereinzelten Bäumen gesäumt wurde. Und dort fanden sie den Ausgangspunkt der Fährte, der sie gefolgt waren.
Der Überfall auf das Dorf war schon seit Stunden vorbei. Die Häuser schwelten noch. Braun verkohltes Gebälk ragte unter zerstörten Strohdächern hervor. Und überall lagen Leichen. Christian bewegte sich wie betäubt unter den Überresten des Massakers. Männer, Frauen und Kinder waren mit gleicher grausamer Beiläufigkeit dahingeschlachtet worden.
Dank seiner überragenden Sehkraft nahm Christian jede Einzelheit in sich auf und wünschte zum ersten Mal seit seiner Verwandlung, er hätte diese Fähigkeit nicht besessen. Einige Dorfbewohner hatten versucht, sich zu wehren. Mit Heugabeln und Dreschflegeln hatten sie sich den Schwertern von Soldaten und Rittern in den Weg gestellt.
Christian schüttelte leicht den Kopf. Arme, heldenhafte, bewundernswerte, törichte Narren! Einer seiner Templer fiel vor einer Frau auf die Knie. Die Kleider hingen nur noch in Fetzen am Leib. Sie war geschändet worden, bevor man sie getötet hatte.
Der Vampirtempler entblößte seine Hauer, bereit, sie in das weiche Fleisch der Frau zu schlagen. Karl trat hinter den Mann, riss ihn an der Schulter herum und verpasste diesem einen schallenden Rückhandschlag, der den Ritter zu Boden schickte.
»Wir trinken nicht von Menschen«, herrschte er nicht nur den gefallenen Ritter, sondern auch jeden anderen ihrer Begleiter an. »Und wir trinken auf gar keinen Fall von den Toten. Das könnte euch umbringen. Beherrscht euch! Besinnt euch auf eure Aufgabe und eure Pflicht! Ihr gehört zum Templerorden im Schatten. Vergesst das niemals!«
Der Mann erhob sich und senkte beschämt das Haupt. Er brachte kein Wort heraus, sondern neigte den Kopf in stiller Zustimmung nach vorne.
Ein solches Schlachtfeld wirkte auf einen Vampir wie Alkohol oder Opium auf einen Sterblichen. Das Blut nährte ein fast unstillbares Verlangen. Christian war insgeheim froh, dass es nur einer war, der seinem Durst beinahe nachgegeben hätte. Es hätte durchaus schlimmer kommen können.
Auf einen Wink Christians trat Karl näher. »Sie kamen von Norden«, erklärte er ohne Umschweife. »Ungefähr dreißig Mann zu Fuß und halb so viele Berittene. Sie haben die Menschen bei der Abendandacht in der kleinen Dorfkirche überrascht.«
Christian kannte seinen Freund lange genug, um zu wissen, dass dieser noch nicht fertig war mit seinem Bericht. Er wartete geduldig, bis der ehemalige Johanniter fortfuhr.
»Das ist noch nicht alles«, meinte Karl. »Sieh dir den Hals der Frau an.«
Christian drehte sich halb um. Sein Blick glitt zielsicher über den Körper der ermordeten Dorfbewohnerin. Er wusste sofort, worauf sein Freund hinauswollte.
Am Hals der Frau, genau dort, wo die Schlagader verlief, prangten zwei nahezu kreisrunde Löcher im Fleisch. Christian wandte sich von Ekel erfüllt ab. »Es waren Vampire dabei«, flüsterte er.
Karl nickte. »Den Spuren nach nur einer. Vermutlich der Anführer.«
Christian rieb sich über das nur unzureichend rasierte Kinn. »Und die anderen? Blutsklaven vielleicht?«
»Ist anzunehmen. Warum sonst sollten sie einem Vampir folgen?«
Christian schnaubte. »Du weißt, wieso. Vampire fanden schon immer großen Gefallen daran, Menschen für ihre Drecksarbeit einzusetzen. Das hier ist möglicherweise nicht anders. Du weißt, wie es läuft: Wenn der Preis stimmt, wird es immer Abschaum geben, der die eigenen Leute verrät.«
Karl nickte langsam. »Wie gehen wir vor? Der Duft der Angreifer liegt noch immer in der Luft. Wir könnten sie verfolgen und erledigen. Ich hätte gute Lust, ein paar Hälse zu brechen.«
Christian hob den Blick gen Himmel. »Verführerischer Gedanke, aber nein. Die Sonne geht bald wieder auf. Wir sind zwar in der Nähe von Nottingham, werden die Stadt aber wohl nicht vor Tagesanbruch erreichen. Ich halte es für sinnvoller, eines der Gasthäuser aufzusuchen, die Matthew erwähnt hat.«
Karl verzog die Miene. »Schade. Die Menschen hier verdienen Gerechtigkeit. Und wenn das nicht zu erreichen ist, dann doch wenigstens Rache.«
»Keine Sorge, Bruder. Wir werden sie nicht vergessen. Ihre Zeit wird kommen.«
Karl sah sich vielsagend um. »Was ist mit den Leichen? Nehmen wir uns die Zeit, sie zu beerdigen?«
Christian verzog schmerzhaft berührt die Miene. »Auch darauf müssen wir verzichten. Es wäre für jeden, der vorüberkommt, ein sicheres Zeichen, das wir hier waren. Und wir wissen nicht, ob uns die unbekannten Angreifer von diesem Schiff gestern Nacht immer noch folgen. So leid es mir tut, aber wir müssen diese Menschen liegen lassen.«
Karl erwiderte nichts darauf und trottete mit gesenktem Kopf verdrossen davon. Christian konnte ihm das sehr gut nachempfinden. Das hier waren hart arbeitende, einfache Leute gewesen. Und irgendjemand hatte es für nötig befunden, mit verachtenswerter Beiläufigkeit ein Exempel an ihnen zu statuieren. Aus welchem Grund auch immer.
Christian straffte seine muskulöse Gestalt. Er hatte allerdings jedes Wort ernst gemeint. Diese Menschen würden ihre Gerechtigkeit bekommen. Er würde dieses Massaker nicht vergessen – und ganz sicher würde er es nicht vergeben.
Die kleine Truppe erreichte etwa eine halbe Stunde vor Tagesanbruch einen kleinen Gasthof. Der Stallknecht machte große Augen, dass eine Gruppe Ritter ohne Pferde das Anwesen betrat und sich sofort in den Schankraum begab.
Karl warf ihm eine kleine Münze zu, die vermutlich mehr wert war, als er in einem ganzen Jahr verdiente. Der Stallknecht bedankte sich überschwänglich und zog sich rückwärts in den Stall zurück, sich immer wieder so tief verneigend, dass Christian sich wunderte, warum er nicht mit der Stirn auf den Boden schlug.
Der Schankraum war relativ klein, aber warm und – was noch wichtiger war – der Wirt war kein Freund von Sonnenlicht. Alle Läden waren geschlossen. Die einzigen Lichtquellen stellten Kerzen auf den Tischen, ein paar an der Wand angebrachte Kerzenhalter sowie ein prasselndes Feuer im Kamin dar. Über dem Feuer briet ein ganzes Schwein. In früheren Zeiten hätte der Geruch Christian das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Nun jedoch löste er fast schon Übelkeit aus.
Der Schankraum war gut besucht. Außer einigen Tagelöhnern, die hier ihren spärlichen Lohn ausgaben, saßen noch einige Söldner an zwei Ecktischen.
Die Templer um Christian hielten den Kopf gesenkt oder so weit wie möglich im Schatten einer Kapuze verborgen. Niemand sollte ihre gelben Augen sehen. Die Söldner musterten die Neuankömmlinge aufdringlich. Sie waren offenbar auf Streit aus, doch die grobschlächtigen Kerle widmeten sich wieder ihrer Mahlzeit, als keiner der Ritter die unausgesprochene Herausforderung annehmen wollte.
Der Wirt eilte herbei und wischte sich die Hände an seiner vor Fett triefenden Schürze ab. Christian fragte sich, ob die Hände dadurch nicht vielleicht schmutziger werden würden, als sie zuvor gewesen waren.
»Darf ich den Herren etwas Bier und ein Stück vom Spanferkel anbieten?«, erklärte er eifrig. »Ganz frisch und ganz heiß.«
Christian schüttelte den Kopf. »Nur Wasser.«
Der Schankwirt stutzte. »Wasser? Für Euch alle?«
»Du hast ihn gehört«, meinte Matthew und funkelte den Wirt böse an. Dabei blitzten seine gelben Augen unter der Kapuze hervor. Auf einen strengen Blick Karls senkte der Ritter das Haupt erneut. Es war aber schon zu spät.
Der Wirt erbleichte auf der Stelle. »Nur Wasser«, stotterte er. »Sehr wohl, die Herren.« So schnell seine kurzen Beine ihn trugen, eilte er davon.
Einige der Templer befingerten nervös ihre Waffen. Christian warf Karl einen schnellen Seitenblick zu. »Eine seltsame Reaktion.«
Karl runzelte die Stirn. »Von dem? Dem Wirt?«
Christian nickte. »Die meisten sind verwundert, verwirrt oder neugierig, wenn sie zum ersten Mal unsere Augen bemerken. Aber er hatte Todesangst.«
Karl merkte auf. Die Erkenntnis zeichnete sich auf dessen Gesicht ab. »Er wusste, was Matthews Augen bedeuten.«
Christian presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie erschienen wie ein einzelner blutleerer Strich. »Der Wirt hat schon einmal Vampire gesehen. Er wusste sofort, was die Augenfarbe bedeutet.« Christian sah sich unter diesem Gesichtspunkt noch einmal im Schankraum um. Die Sonne war bereits aufgestiegen. Man konnte schmale Streifen Licht durch die Fensterläden aufblitzen sehen. Dennoch machte niemand auch nur Anstalten, sie zu öffnen, um etwas Licht hereinzulassen.
Christian stieß einen derben Fluch aus. »Meine Freunde, ich befürchte, wir sind direkt in die Höhle des Löwen marschiert.«
Karl griff unter dem Tisch nach dem Heft seines Schwertes, aber Christian beugte sich hinüber und packte ihn am Arm. »Noch nicht. Kein Streit, wenn es nicht notwendig ist.«
»Aber es sind Vampire hier«, zischte Karl. »So muss es sein. Die Fensterläden sind ihretwegen verschlossen.«
»Warten wir erst einmal ab. Ich will keinen Kampf, wenn wir es vermeiden können.«
»Wer immer die sind, sie werden nicht unbedingt auf unserer Seite sein.«
»Sehr gut möglich, aber wir finden vielleicht mehr heraus, wenn wir auf Besonnenheit setzen statt auf rohe Gewalt.«
Eine junge Frau Anfang zwanzig kam aus der Küche mit einem Tablett voller Krüge. Sie trug sie an den Tisch, stellte sie ab und machte sich davon, um weitere zu holen. Diesen Vorgang wiederholte sie, bis jeder von Christians Begleitern ein Gefäß mit Wasser vor sich stehen hatte.
Christian bedankte sich mit einem Nicken. Die junge Frau lächelte scheu. Er vermutete, sie war die Tochter des Wirts. Der Feigling traute sich nicht mehr aus der Küche und hatte sein Kind vorgeschickt. Was für ein armseliges Abziehbild von einem Mann! Seine Angst konnte man ihm nicht vorwerfen, wohl aber seine Neigung, sich selbst aus der Gefahrenzone zu bringen und seine Tochter dieser Bedrohung auszusetzen.
Christian nahm einen vorsichtigen Schluck Wasser. Vampire benötigten derlei Flüssigkeit nicht. Zuweilen war es aber nützlich vorzugeben, dass man menschliche Nahrung und Getränke zu sich nahm. Auch wenn es ihm – und auch vielen seiner Mitstreiter – den Magen schier umdrehte.
Die Tochter des Schankwirts machte sich davon, um auch die Söldner zu bedienen, allerdings mit deutlichem Widerwillen. Kurz darauf zeigte sich auch, weshalb. Die Söldner fingen an, das Mädchen zunächst mit derben Sprüchen zu bedenken. Einige gingen sogar so weit, die Kleine zu betatschen. Einer von ihnen packte sie schließlich und zog sie auf seinen Schoß.
Karl wäre an diesem Punkt beinahe aufgestanden und auch nicht wenige der Templer schienen geneigt, das Gebot der Vorsicht außer Acht zu lassen.
Christian hob den Kopf und schnupperte. Bei den Söldnern handelte es sich eindeutig um Menschen. Sie stellten keine ernst zu nehmende Bedrohung dar. Dennoch schrillten in seinem Kopf die Alarmglocken. Die Läden geschlossen zu halten, ergab nur dann Sinn, wenn auch ein Vampir zugegen war.
Ein fremder Geruch mischte sich unter den der Söldner. Eigentlich waren es sogar zwei. Einer war betörend blumig und erinnerte Christian an eine Wiese nach einem Regenschauer, der andere war unangenehm und eindeutig männlich. Und beide stammten von Vampiren.
Die Treppe quietschte, als jemand herabkam. Christian drehte sich um. Ein Mann in einer Rüstung schritt in sein Sichtfeld, gefolgt von einer umwerfend aufregenden Frau. Sie trug ein langes, wallendes Kleid, das ihre Konturen perfekt umschmeichelte. Christians Aufmerksamkeit galt aber ausschließlich dem Ritter, der sie begleitete.
Er war von großer sowie breiter Statur. Seine Augen blickten stechend und funkelten in strahlendem Gelb. Ihre Blicke kreuzten sich und Christian wurde unwillkürlich klar, dass er es hier mit einem Killer zu tun hatte.
Der Ritter blieb stocksteif auf der Treppe stehen. Die Frau verharrte ebenfalls. Christian erhob sich, seine Templer folgten dem Beispiel ihres Anführers nur eine Sekunde später. Stahl scharrte über Leder, als Schwerter gezogen wurden.
Die Söldner fuhren in die Höhe. Die Tochter des Schankwirts konnte sich endlich befreien und rannte weinend in die Küche zurück. Christian hoffte, ihre Familie und sie würden dort bleiben. Das versprach gleich sehr hässlich zu werden.
Der Ritter hob Einhalt gebietend die Hände. Seine Handflächen wiesen nach außen, um dessen friedliche Absichten zu symbolisieren. Christian ließ sich davon zu keinem Moment täuschen. Der Ritter war bereit, seinen Leuten den Angriffsbefehl zu erteilen.
»Willkommen in Nottingham!«, begann der Ritter. »Darf ich fragen, welchem Zweck Eure Anwesenheit dient?«
»Er ist unsere Sache und geht Euch nicht das Geringste an«, gab Christian unwirsch zurück.
Der Ritter lachte leise. »Na, wer wird denn so unfreundlich sein? Unsereins sollte doch einen gewissen Respekt voreinander wahren.«
»Respekt habe ich nur vor jenen, die ihn auch verdienen«, schoss Christian zurück.
Das Lächeln gefror auf den Lippen des Ritters. In dessen Augen blitzte Zorn auf. »Das war sehr unhöflich. Zumal Ihr hier Gäste auf dem Land meines Herrn sind. Das bedeutet, Ihr seid mir sehr wohl Rechenschaft schuldig.«
»Und Euer Herr ist …?« Christian ließ den Satz vielsagend ausklingen.
Die Miene des Ritters gefror zu Eis. »Prinz John. Wer seid Ihr und wo kommt Ihr her, dass Ihr das nicht wisst?«
Christian wechselte einen schnellen Blick mit Karl. Dieser lockerte seine Klinge bereits in der Scheide. Er tat dies äußerst vorsichtig und unauffällig. Der fremde Ritter bemerkte es dennoch.
»Das würde ich an Eurer Stelle lieber sein lassen. Meine Männer sind versiert im Umgang mit Euresgleichen.« Er lächelte kalt und entblößte dabei seine rasiermesserscharfen Reißzähne. »Oder vielleicht sollte ich eher sagen, mit unseresgleichen.«
Christians Miene versteinerte. Bis zu diesem Augenblick hatte er gehofft, die Sache würde ohne Gewalt ablaufen. Die unverhohlene Drohung des Vampirs jedoch ließ die ganze Angelegenheit in anderem Licht erscheinen. Sein Gegenüber war nicht bereit, Christians kleine Schar so einfach davonkommen zu lassen. Vor allem, da er nun wusste, dass sie nicht hierhergehörten.
In diesem Moment machte der Vampirritter eine kurze, kaum wahrnehmbare Geste. Dessen Söldner setzten sich in Bewegung. Christian war versucht, die Bedrohung einfach mit einem Schulterzucken abzutun. Dann aber kam er ins Grübeln. Die Söldner mussten wissen, mit wem sie es zu tun hatten. Der Ritter wusste es ganz sicher. Warum sollte er seine eigenen Leute also sehenden Auges zur Schlachtbank führen? Das ergab keinen Sinn. Christian bewertete die Aussage seines Kontrahenten unter diesem neuen Gesichtspunkt. Was hatte er noch mal gesagt? Seine Leute seien versiert im Umgang mit Vampiren?
Schwerter wurden gezogen. Die Söldner des Ritters rückten vor. Die Templer stellten sich ihnen mit blankem Stahl in den Händen, in dem Glauben, sie hätten es mit einem leichten Gegner zu tun. Christian riss die Augen auf und erkannte noch in der derselben Sekunde die Falle dahinter. Er öffnete den Mund, um seine Leute zu warnen. Aber noch bevor der erste Laut aus seiner Kehle drang, griffen die Söldner unter ihr Wams. Jeder von ihnen holte etwas hervor: eine Rune zur Bekämpfung von Vampiren.
Christian spürte den Zug, der von den Runen ausging. Er fühlte sich mit einem Mal, als würde er durch Wasser waten.
Sein Blick glitt suchend umher. Alle seine Männer litten unter denselben Symptomen. Sie bewegten sich unfassbar langsam. Einige verharrten auf der Stelle und rührten sich nicht mehr.
Dennoch waren sie bei vollem Bewusstsein. Christian begegnete Karls verzweifeltem Blick, der sich abmühte, gegen den unwiderstehlichen von der Rune ausgehenden Drang anzukämpfen. Dicke Schweißperlen standen auf der Stirn seines Freundes.
Die Söldner feixten und lachten. Sie kamen langsam näher. Die Kerle hatten keine Eile. Der Vampirritter schlenderte die letzten Stufen herab, zog einen Dolch und stach ihm einem der Templer ins Auge. Der Krieger ächzte. Er war nicht einmal in der Lage, einen Schmerzensschrei auszustoßen. Und in der nächsten Sekunde zerfiel er vor Christians Augen zu Staub. Zurück blieb lediglich die leere Rüstung, die scheppernd zu Boden fiel.
Einer der Söldner schlug dem Templer direkt neben Christian den Kopf ab. Auch dieser zerfiel. Der Anführer der Templer im Schatten musste hilflos danebenstehen und dabei zusehen.
Der Vampirritter kam näher. Die Runen schienen auf ihn keinerlei Einfluss zu haben. Christian bemühte sich, gegen den Einfluss anzukämpfen. Seine Schwerthand hob sich quälend langsam. Sein Gegenüber grinste spöttisch. »Ich habe sehr viel Zeit und Mühe darauf verwendet, mich gegen die Runen zu immunisieren. Ihre Zauberkraft macht mir nichts mehr aus. Gleichwohl ich mich an das Gefühl durchaus erinnere. Es ist – wenn ich es noch richtig im Kopf habe – sehr unangenehm. Ein Gefühl der Hilflosigkeit und Frustration. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie Ihr Euch jetzt fühlen müsst. Immerhin habt Ihr Eure Leute in den Tod geführt.«
Beiläufig holte er mit seinem Schwert aus und erschlug einen weiteren Templer im Schatten. »Falls es Euch ein Trost ist, Ihr müsst nicht lange mit Eurer Schuld leben.«
Ein Pfeil durchschlug einen der Fensterläden und fällte den Söldner, der Christian am nächsten stand. Der Mann fiel. Der Schaft des Pfeils ragte noch immer zitternd aus dessen Nacken. Wichtiger jedoch: Die Rune klapperte nutzlos zu Boden. Christian war frei.
Seine Schwerthand kam in einer schnellen Riposte hoch und hätte seinen Gegner um ein Haar niedergestreckt. Diesem gelang es mehr durch Glück als durch alles andere, dem tödlichen Hieb auszuweichen.
Weitere Pfeile flogen in die Taverne. Mehrere Söldner fielen, ihre Runen mit ihnen. Der Bann war gebrochen. Die Templer im Schatten gingen zum Gegenangriff über. Christians nächster Schlag drang dem Söldner zu seiner Rechten in den Nacken. Als dieser zu Boden stürzte, hing dessen Kopf nur noch an einem dünnen Hautfaden am Rumpf.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung. Sein Schwert kam gerade noch rechtzeitig hoch, um einen tödlichen Hieb auf seinen eigenen Kopf abzuwehren. Der Vampirritter holte zu einem wuchtigen Tritt aus, der Christian durch den halben Raum schleuderte. Er prallte schmerzhaft gegen die Wand, was ihm fast die ganze Luft aus den Lungen trieb.
Er bemühte sich hochzukommen. Sein Kontrahent bewegte sich allerdings selbst mit einem für einen Vampir ungewohnt hohen Maß an Geschwindigkeit und Eleganz. Christian sah die Klinge auf sein Gesicht niederfahren. Er erkannte im selben Moment, dass er nichts tun konnte, um das zu verhindern.
Plötzlich tauchte eine Gestalt direkt vor ihm auf und fing den Schlag mit dem eigenen Körper ab. Christian sah auf. Es handelte sich um den Templer, der beinahe von der toten Frau getrunken hatte. Ihre Blicke begegneten sich. Was Christian dabei am meisten verstörte, war der gelöste Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes. Er hatte sich bewusst zu dieser Tat entschlossen, wohl wissend, was das für ihn bedeuten würde.
Die Lippen des Templers verzogen sich zu einem schmalen Lächeln – nur eine Sekunde bevor dessen Körper zerfiel. Christian ergriff seine Klinge und sprang mit einem Wutschrei auf den Lippen auf.
Mit weit ausholenden, wütenden Schlägen trieb er seinen Gegner zurück. Ihm war wohl bewusst, dass sein Kontrahent der bessere Kämpfer war. Vermutlich war er älter, erfahrener, aber vor allem war er technisch besser. Doch ein Gegner, der seine ganze Wut, seine ganze Kraft in den Angriff legte, konnte auch durch einen besser ausgebildeten Krieger nicht überwunden werden.
Christian trieb den dunkel gekleideten Ritter immer weiter zurück. Wie aus weiter Ferne registrierte er dessen Pupillen, die mit jeder Sekunde, die verging, immer größer wurden. Der Mann stank nach Verzweiflung. Er schwitzte sie aus jeder Pore aus. Und mit einem letzten Hieb schlug er seinen Gegner von den Füßen und dieser prallte schwer auf den Rücken. Die Holzdielen knirschten unter dessen Gewicht.
Vampire waren nicht leicht aus der Puste zu bringen. Nach diesem Schlagabtausch atmete Christian allerdings nur noch stoßweise. Er hob das Schwert und seine Klinge deutete auf die Kehle seines Gegners.
»Wer seid Ihr?«, verlangte er zu wissen.
Sein am Boden liegender Kontrahent jedoch lächelte lediglich völlig ruhig. »Die Zukunft«, antwortete er. Der Vampirritter hob einen Arm und entblößte ein linkes Handgelenk. Dort prangte ein seltsames Zeichen. Es ähnelte Vampirrunen, schien aber wesentlich älter zu sein. Die Tätowierung erinnerte an den Buchstaben B in schnörkeliger Schreibweise.
Christian runzelte die Stirn – und stieß seine Klinge in die Kehle des Mannes. Dieser gurgelte kurz, bevor sein Körper sich auflöste und die edle Rüstung leer zurückließ.
Christian sah sich um. Der Kampf war vorbei. Die Söldner waren geschlagen, doch auch seine Templer hatten hohe Verluste erlitten. Sogar ungewöhnlich hohe Verluste, wenn man bedachte, dass sie gegen Menschen gekämpft hatten.
Sein Blick zuckte zur Treppe, aber die Dame, die der Ritter begleitet hatte, war verschwunden.
Die Tür flog auf und Männer in einfacher Kleidung, aber mit Bögen und Schwertern bewaffnet stürmten die Taverne. Die Hälfte von ihnen hatte einen Pfeil auf die Sehne gelegt. Nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass keine Gefahr mehr drohte, machten sie einem hochgewachsenen jungen Mann respektvoll Platz.
Der Wirt wagte sich endlich aus der Küche. Beim Anblick des Anführers der Waldläufer brach er beinahe in Tränen aus. »Das ist Robin Hood. Robin Hood ist gekommen, um uns alle zu retten.«
Christian entspannte sich etwas beim Anblick seines alten Freundes. Er bedeutete den Templern, das Schwert wegzustecken, und bedachte den Mann, der da vor ihm stand, mit einem amüsierten Blick. »Robin Hood?«, meinte er verschmitzt.
Der Anführer der Waldläufer trat in die Mitte des Raumes. Den Bogen hielt er dabei locker in der Hand. Aus Erfahrung wusste Christian, dass dieser Mann meisterhaft damit umzugehen verstand.
Robin von Locksley seufzte. »Das zu erklären, dürfte nicht ganz einfach werden, alter Freund.«