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Hauptkampflinien – Frontgebiet

Operation Grabstein

02. April 2899

»Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde …«

William Shakespeare, Heinrich V., 3. Akt, 1. Szene

Auf dem Marsch Richtung Norden verlor Sorokin mehr als sechzig weitere seiner Leute an Eis und Kälte. Beinahe die ganze Zeit über stapften sie durch einen mörderischen Schneesturm. Wind und Eiskristalle bissen allen schmerzhaft ins Gesicht, die nicht über eine Rüstung verfügten.

Sie folgten unablässig dem Signal, das ihnen den Weg wies, ohne zu wissen, was am Ende auf sie warten mochte. Die fünf Marines, die die Spitze bildeten, hielten schlagartig an. Der Sergeant, der den Spähtrupp kommandierte, hob die geballte Faust.

Die Kolonne kam schwerfällig zum Halten. Man konnte kaum drei Meter weit sehen. Alle, die es bis hierhin geschafft hatten, waren durch Seile verbunden, die sich alle um die Hüfte gebunden hatten. Fast ein Drittel der Besatzungsmitglieder war im Sturm verloren gegangen. Sie hatten sich verirrt und waren in dieser lediglich aus Weißtönen bestehenden Einöde verschwunden. Als hätte sich die Eiswüste aufgetan, um wie ein lebendiges Monster die Menschen zu verschlucken.

Sorokin bewegte die Gliedmaßen seiner Rüstung und marschierte schwerfällig an die Spitze. Selbst mit der mechanischen Verstärkung seines Panzers war es mühsam, gegen die Gewalt anzukämpfen, die diese Welt gegen sie entfesselte.

Schlimmer noch, die Gelenke der Rüstungen begannen einzufrieren, wenn sie auch nur ein paar Minuten still standen. Ständige Bewegung war das einzige Rezept dagegen. Doch die nicht armierten Männer und Frauen der Kolonne hielten ein solches Maß an Belastung nicht unbegrenzt durch. Sie standen am Rande der Erschöpfung. Das traf auf sie alle zu.

Sorokin öffnete einen Kanal zum Marine-Sergeant. »Sarge? Was gibt es?«

Der Mann zögerte, ehe er sich seinem Kommandanten zuwandte. »Wir sind da.«

Sorokin sah sich nach allen Seiten um. Aber außer der allgegenwärtigen dicken Schicht aus Eis und Schnee war nichts zu sehen.

»Wie meinen Sie das?«, hakte er nach.

»Das Signal«, gab der Sergeant zur Auskunft. »Es kommt von hier.«

»Aber hier ist doch rein gar nichts.« Sorokin hatte Probleme, seine Verzweiflung nicht in seine Stimme einfließen zu lassen.

»Das müssen Sie mir nicht sagen, Commodore«, erwiderte der Mann, ohne sich provozieren zu lassen. »Aber es kommt definitiv von hier.«

Sorokin löste das Seil von seiner Hüfte und machte ein paar vorsichtige Schritte. Das Gelände war leicht abschüssig. Sie befanden sich auf einer Schneedüne.

»Das würde ich nicht tun, Sir«, warnte der Marine-Sergeant. »Falls Sie verloren gehen, finden wir Sie nie wieder.« Statt einer Antwort aktivierte Sorokin das Peilsignal seiner Rüstung. »Das nutzt auch nicht viel«, gab der Sergeant über Funk durch. »In dieser Suppe verzerrt sich das Signal nach wenigen Metern und scheint von überallher zu kommen.«

Das Argument des Marines war nicht von der Hand zu weisen. Das brachte Sorokin zum Nachdenken. Sie hatten in diesem Sturm eine Menge Leute verloren. Auch solche, die eine Rüstung getragen hatten. Dennoch hatte dieses Signal die Überlebenden hierher geführt. Was also konnte ein Signal von solcher Stärke ausstrahlen, das diesen Sturm und auch die Metallablagerungen in der planetaren Kruste von Tau’irin überwand?

Sorokin machte einige weitere Schritte und wäre beinahe gestürzt, als er über etwas stolperte.

»Sir?«, rief der Marine-Sergeant aufgeregt über Funk. Sorokin wurde sich bewusst, dass er sich außer Sichtweite seiner Leute bewegt hatte. »Sir? Hören Sie mich? Kommen Sie sofort zurück. Das ist eine Sackgasse.«

Sorokin antwortete nicht. Der Verstand des Commodore arbeitete fieberhaft. Es war seiner Meinung nach keine Sackgasse. Es durfte keine sein. Seine Leute folgten ihm. Er war für sie verantwortlich. Und er hatte nicht vor, all jene, die es bis hierher geschafft hatten, in den Tod zu führen.

Er stampfte mit den Füßen nacheinander auf, um den Untergrund zu prüfen. Es fühlte sich seltsam an. Sorokin ging in die Knie und begann mit beiden Händen zu graben. Unter der Schneeschicht kam blankes Metall zum Vorschein. Er grub weiter – und hielt verblüfft inne. Sie standen nicht auf einer Düne. Unter sich – gefangen in Eis und Schnee – lagen die Überreste der Sevastopol. Sorokin konnte die Schrift schwach erkennen. Demnach handelte es sich um das abgestürzte Hecksegment. Der Commodore sah auf.

Was er anfangs für einen kleinen Hügel gehalten hatte, war der seitliche Backbordausläufer mit einem Teil der Torpedoabschussrampen. Das Schiff hatte sich nach dem Absturz in den Boden gebohrt, war von Eis überkrustet worden und der Bordcomputer hatte dann das Einzige getan, zu dem er noch fähig gewesen war: Er rief um Hilfe. Und die Überlebenden hatten das Signal aufgefangen und waren ihm zu seinem Ursprung gefolgt.

Sorokin öffnete erneut einen Kanal. »Kommen Sie her, Sarge. Und bringen Sie alle anderen mit. Ich habe etwas gefunden.«

Er erhielt keine Antwort, aber schon bald kam die Spitze der Kolonne in Sicht und nur wenig später war Sorokin von einer Vielzahl Menschen umringt. Alle starrten aufgeregt auf das Stück Metall, das er freigelegt hatte.

»Ist es das, wofür ich es halte?«, wollte der Sergeant wissen.

»Öffnen Sie das Schott«, ordnete er an. »Wir müssen da rein. Unbedingt.«

»Das wird auch nicht viel mehr Schutz bieten«, zweifelte der Marine.

»Ein bisschen Schutz ist besser als gar keiner.«

Der Marine musste den Kanal gewechselt haben, denn zwei seiner Soldaten machten sich daran, das Schott mit Plasmabrennern aufzuschneiden.

Der Marine-Sergeant behielt derweil die Umgebung fest im Blick. »Ich frage mich, warum den Hinrady das Signal entgangen ist.«

Sorokin zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ist mir im Moment auch egal. Vielleicht überwachen sie diese Frequenz nicht. Oder sie haben im Moment anderes zu tun. Ich wünschte nur, der vermaledeite Sturm würde endlich enden.«

»Im Moment bin ich ganz froh über die Witterungsverhältnisse. Bei einem solchen Wetter verkriechen sich die Jackury in ihre Nester. Deswegen haben wir wenigstens vor denen eine Weile unsere Ruhe.«

Gegen dieses Argument ließ sich kaum etwas einwenden. Die beiden Marines brauchten nicht lange, um das Schott aufzuschneiden. Die Überlebenden der Sevastopol ließen sich nacheinander durch die Öffnung gleiten. Sorokin und der Marine-Sergeant blieben bis zuletzt im Freien und achteten darauf, dass niemand vergessen wurde. Erst dann folgte der Marine und als Letzter der Commodore. Die beiden Soldaten hievten das Schott wieder in Position und schweißten es gerade so weit fest, dass es nicht aus der Verankerung fiel. Gut möglich, dass sie irgendwann schnell wieder verschwinden mussten. Aus diesem Grund war es wichtig, einen Fluchtweg offen zu halten.

Im Inneren des Wracks herrschte beklemmende Dunkelheit. Sorokin aktivierte die beiden Leuchten an seinem Helm. Die Lichtkegel tanzten umher, während sich der Commodore an Bord seines alten Schiffes umsah.

»Wir sind auf dem Backbordwaffendeck«, beschied er. Der Lichtkegel fiel auf ein Besatzungsmitglied. Die Leiche war von einer Eisschicht überzogen. Eiszapfen hingen von Nase und Ohren. Der arme Kerl hatte den Absturz überstanden, nur um anschließend hier elend zugrunde zu gehen.

»Wir müssen einen Teil der Energieversorgung wiederherstellen«, sagte Sorokin. »Wir brauchen die Lebenserhaltung. Ich würde gern vermeiden, dass es uns genauso ergeht.« Er wies mit der gepanzerten Hand in die Richtung des Ausgangs. »Die technische Abteilung ist dort hinten, wenn ich mich nicht irre.« Ein paar Ingenieure machten sich umgehend davon. Sorokin betrachtete erneut die tiefgefrorene Leiche. »Und beeilt euch. Wir müssen unter Umständen einige Zeit hier zubringen.«

Der Angriffsverband, der die feindlichen Stellungen auf und um Tau’irin angriff, wurde von Konteradmiralin Tanja Wagner auf dem Dreadnought Hagen von Tronje befehligt.

Der Verband bestand aus annähernd tausend Schiffen. Ihm folgten Truppentransporter, die fünfundsiebzig Legionen beherbergten. Dabei handelte es sich aber lediglich um die erste Welle. Weitere Truppen standen bereit.

Die Soldaten warteten ungeduldig in ihren Konservendosen darauf, in den Kampf einzugreifen und die Nefraltiristreitkräfte mit einem gewaltigen Tritt aus dem System zu werfen.

Wagner betrachtete ihr taktisches Hologramm, auf dem bereits erste Sensordaten eingespeist wurden. Ihr XO, Commander James Fletcher, begutachtete die Daten parallel auf seinem Pad, bevor er sich der Admiralin zuwandte.

»Eine große Anzahl Jagdkreuzer formiert sich um den fünften Planeten. Mehrere im Orbit platzierte Jägerbasen sind bereits dabei, ihre Kampfmaschinen ins All abzusetzen. Es gibt aber keinerlei Anzeichen von Schwarmschiffen.«

Wagner nickte bestätigend. »Wenigstens etwas. Es wäre jedoch besser, Sensorbojen abzusetzen, die Verschiebungen im Subraum registrieren. Dass wir momentan keine Schwarmschiffe orten können, heißt nicht, dass nicht noch welche auftauchen. Gut möglich, dass sie im Hinterhalt lauern und nur darauf warten, dass wir ins Schwerkraftfeld eindringen.«

Der XO gab die Anweisung weiter. Kleinere Scoutschiffe schwärmten aus und setzten in regelmäßigen Abständen Bojen ab. Einige verharrten an Ort und Stelle, der größere Teil umkreiste die Schiffe auf einem elliptischen Kurs, um die Besatzungen vor unliebsamen Überraschungen zu warnen.

Wagner musterte stillschweigend die feindliche Aufstellung. Ihre Mundwinkel hoben sich leicht. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Sie fangen uns nicht ab«, erklärte sie. Ihre Stimme klang neutral, auch wenn sie gelinde gesagt ein wenig verblüfft über das Verhalten des Gegners war. Es entsprach so gar nicht der Hinradykampfdoktrin, einem Angreifer das Feld zu überlassen. Es musste die Flohteppiche einiges an Überwindung kosten, sich ruhig zu verhalten und den Menschen den ersten Schlag zu überlassen.

Wagners Gedanken überschlugen sich. Das Verharren in einer Verteidigungsposition bot eindeutige Vorteile. Aber auch Nachteile, die man als Befehlshaber nicht ignorieren sollte. Man stellte sich praktisch mit dem Rücken zur Wand. Eigentlich hatte die Admiralin geplant, den Gegner frontal anzugehen. Nun fragte sie sich, ob dies die richtige Vorgehensweise war.

Die von Garner ersonnene Taktik, das Fernkampfgefecht so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, indem man die Distanz entweder hielt oder ausbaute, funktionierte in diesem Fall nicht. Nicht, wenn der Gegner sich weigerte, seine Position nahe dem Planeten aufzugeben. Die Hinrady hatten ganz offenbar Befehl, den Obelisken auf der Oberfläche von Tau’irin III ohne Rücksicht auf eigene Verluste zu schützen. Das verhieß auch für Wagners Vormarsch nichts Gutes.

Sie rümpfte die Nase. »Die taktischen Geschwader 4.8 bis 9.3 nach steuerbord abdrehen. Sie sollen den Gegner an der Flanke umgehen und ihn von der Seite her nehmen. Mal sehen, wie die da drüben reagieren.«

»Sie werden dem Angriff begegnen«, prophezeite Fletcher. »Die Hinrady haben gar keine andere Wahl.«

»Darauf baue ich.«

Noch während ihr XO die Anweisung weitergab, änderte sich die Aufstellung der terranischen Linien. Mehrere schwere Geschwader unter der Führung der Dreadnoughts Agamemnon und Calypso schwenkten nach steuerbord ab und setzten einen anderen Kurs, der sie um den sechsten Planeten herumführen, aber letztendlich wieder zum dritten Planeten zurückbringen würde.

Noch während die Flottenverschiebung im Gange war, änderte sich auch die Zusammensetzung der feindlichen Hauptkampflinie. Mehrere Hinradygeschwader sowie umfangreicher Jägergeleitschutz änderten ihre Position, sodass sie in der Lage sein würden, die beiden republikanischen Dreadnoughts und ihre Begleiteinheiten unter Feuer zu nehmen, sobald sie in Reichweite kamen.

Dadurch waren die Hinrady aber gezwungen, ihre Linien zu überdehnen. Etwas, das gut in Wagners Pläne passte. Die nächsten Stunden passierte nicht viel. Beide terranischen Verbände näherten sich dem dritten Planeten auf unterschiedlichen Vektoren, während die Hinrady einfach abwarteten. Nach einem fast zehnstündigen Flug tief ins Schwerkraftfeld des Systems befanden sich Wagners Einheiten erstmals in Reichweite der feindlichen Kampfschiffe.

Wagner grinste auf beinahe bösartige Weise. »Es wird Zeit. Feuer frei!«

Der Hauptverband, der sich immer noch dem Gegner frontal annäherte, eröffnete auf das Kommando hin beinahe gleichzeitig den Beschuss. Tausende von Fernlenkgeschossen verließen die Abschussrohre und hielten auf den Gegner zu. Die Kommandanten waren allesamt Veteranen vergangener Schlachten gegen die Sklaven der Nefraltiri. Sie wussten, was nun folgen würde. Die Besatzungen der Waffendecks luden die Rohre schnellstmöglich nach. Bereits weniger als zwei Minuten später folgte die zweite Torpedowelle, anschließend die dritte. Die terranische Flotte ging zum Dauerfeuer über.

Die Reaktion der Hinrady ließ dieses Mal etwas auf sich warten. Sie hielten ihr Abwehrfeuer zurück, bis die erste Torpedowelle sich bis auf zweitausend Klicks an ihre vorderen Linien herangearbeitet hatte. Erst dann lösten sie ihre Energiewelle aus. Die Fernlenkgeschosse der ersten Welle wurden komplett vernichtet. Tausende Explosionen sprenkelten den Weltraum zwischen den beiden Todfeinden.

Der zweiten und dritten Welle erging es ebenso. Bei der vierten Welle schafften es immerhin zwanzig Prozent der Geschosse durchzubrechen. Der Feind erlitt erste Schäden. Sie waren nicht so schwerwiegend, wie Wagner sich das gern gewünscht hätte, doch es war ein Anfang.

Der zweite Teilverband unter der Führung von Agamemnon und Calypso griff in den Kampf ein und attackierte die linke Flanke des Gegners. Auch hier hämmerten die Kampfschiffe mit wilden Salven auf die Flohteppiche ein. Mit jeder Welle näherten sie sich dem Gegner mehr an, bis die Hinrady erste Schäden und Verluste verzeichneten.

Wagner wusste, ihren Leuten stand ein harter Kampf bevor. Sie war sich jedoch auch darüber im Klaren, dass die Hinrady ein solches Bombardement unmöglich auf Dauer durchhalten konnten. Die Zeit arbeitete gegen den Feind – und die Admiralin war in dieser Hinsicht äußerst zufrieden.

Die republikanischen Schiffe näherten sich unaufhörlich, während die Hinrady ein ungemein großes Maß an Disziplin bewiesen und die Stellung hielten. Erste Schiffe fielen aus. Sie detonierten oder drifteten manövrierunfähig aus ihrer Position.

»Geschwindigkeit auf ein Drittel reduzieren!«, ordnete sie an. Die Schiffe unter ihrem Kommando verlangsamten ihren Schub, was die Zeit erhöhte, in der sie den Gegner bombardieren konnte. Es war eine Abwandlung der Taktik, die Garner entwickelt hatte. Die Hinrady bemerkten die Gefahr, in der er schwebten, im selben Moment – und brachen aus.

»Feindeinheiten nähern sich auf Nahkampfdistanz«, informierte ihr XO sie. Die feindlichen Jagdgeschwader attackierten die terranischen Verbände zuerst. Unzählige Geschosse und Energiestrahlen gingen auf die Menschen nieder.

In der Isolation ihrer Kommandobrücke bekam Wagner davon noch kaum etwas mit. Die Jagdkreuzer folgten den Kampfgeschwadern dichtauf. Es würde nicht mehr lange dauern und die Schlacht trat in die heiße Phase ein. Dann würde sich entscheiden, ob den republikanischen Truppen die Landung gelingen würde oder nicht.

Wagners Miene versteinerte. Die Schlacht um Tau’irin hatte begonnen.

Die ersten Schiffe, die im leeren Raum nahe dem Riss materialisierten, gehörten den Drizil. Zweihundert von ihnen erschienen wie aus dem Nichts, nahmen eine lockere Dreiecksformation ein und sandten Peilstrahlen hinaus in den Subraum.

Von diesem Moment an ging es rasend schnell. Im schneller Folge materialisierten terranische Einheiten und Drizilkampfschiffe dicht an dicht. Manche kamen sich derart nahe, dass eine Kollision unvermeidlich schien. Die Fluglotsen und Navigatoren der Drizil waren jedoch Meister ihres Fachs. Sie verstanden wahrlich ihr Handwerk.

Es kam lediglich zu drei Zwischenfällen. Bei zweien davon rammten sich nach dem Wiedereintritt jeweils zwei terranische Schiffe, was zum Verlust der vier Kampfraumer führte. Im dritten Fall kollidierte ein Drizilflaggschiff mit einer terranischen Korvette sowie einem Begleitkreuzer. Die Korvette wurde innerhalb von Sekunden von der Masse des viel größeren Schiffes zermalmt. Die Besatzung hatte keine Chance, noch die Rettungskapseln zu erreichen. Die Crew des Begleitkreuzers kam mit dem Schrecken davon, musste das manövrierunfähige Schiff aber dennoch aufgeben.

Die Sir Francis Drake setzte sich an die Spitze der Angriffsflotte. Vizeadmiral Elias Garner kratzte sich nachdenklich über das Kinn, als die Verlustberichte auf seinem taktischen Hologramm eingeblendet wurden.

»Sechs Schiffe verloren«, meinte er leise. »Davon fünf mit der vollen Besatzung. Und das, obwohl noch kein einziger Schuss abgegeben wurde.« Er seufzte. »Das Drizilflaggschiff hat nur leichte Schäden erlitten und ist weiterhin kampf- und einsatzfähig.«

Lieutenant General Carlo Rix trat an die Seite des Admirals. Aus Gründen der Bequemlichkeit und größeren Bewegungsfreiheit trug der Offizier keine Rüstung, sondern eine normale Uniform, solange er an Bord des Dreadnoughts weilte.

Er legte seine rechte Hand auf die Rückenlehne des Kommandosessels. »Ehrlich gesagt, ich hatte mit größeren Verlusten gerechnet. Wenn man bedenkt, dass terranische Verbände noch nie eine solch umfangreiche Operation im leeren Raum durchgeführt haben …« Er pfiff leise durch die Vorderzähne und ließ den Satz damit vielsagend ausklingen. »Ich bin der Meinung, wir können uns glücklich schätzen«, fügte er noch hinzu.

»Harald? Status der Flotte?«, wollte Garner wissen. Auch, um nicht auf die Bemerkung des Generals eingehen zu müssen. Der XO der Drake trat näher.

»Wir erhalten grünes Licht von eintausendzweihundertvierundsiebzig Kampfschiffen. Auch die Truppentransporter sind in vollem Umfang sicher durch den Hyperraum gekommen.«

Garner nickte zufrieden. Er gab es nicht gern zu, aber Rix hatte recht. Es hätte deutlich schlimmer kommen können. Sein Blick glitt durch die transparente Brückenkuppel. Der Riss war als leuchtend rotes Gebilde in der Ferne erkennbar. Es schien zu wabern und sich ständig zu verändern. Als würde man eine Fata Morgana betrachten. Direkt vor dem Riss formierten sich unzählige kleine Objekte, die man mit bloßem Auge lediglich anhand kurzer Blitze erkennen konnte, wenn sich das Licht auf der metallischen Außenhülle brach.

Carlo Rix war nicht der einzige Mensch auf der Brücke der Drake, der hier eigentlich nichts zu suchen hatte. Neben Carlo standen General of the Legions René Castellano sowie Professor Nicolas Cest. Alle drei Männer folgten Garners Blick neugierig.

»XO? Geben Sie mir ein paar Infos, wenn ich bitten darf«, forderte der Admiral höflich.

»Die Sensoren orten annähernd sechshundert Hinradyschiffe. Keine stationären Verteidigungsanlagen. Keine Schwarmschiffe.«

Garner runzelte die Stirn. »Nur sechshundert. Ich hätte gedacht, sie würden mehr aufbieten.«

»Wir sollten nicht in Euphorie ausbrechen«, riet Carlo. »Was uns auf der anderen Seite erwartet, erfahren wir erst, wenn wir den Riss durchfliegen.«

Garner nickte. »Richtig. Besser, wir bleiben auf dem Teppich.« Er warf einen schrägen Blick über die rechte Schulter. »Ich wünschte, wir hätten noch etwas von Ihrem Virus zur Verfügung, Cest. Ich würde es nur zu gern in meine Torpedos laden und damit die Flohteppiche bombardieren.«

Der Professor lächelte zurückhaltend. »Ja, das wäre schön.« Cest wurde schlagartig wieder ernst. »Aber wir schaffen es auch ohne. Der Anfang ist gemacht. Nun muss das Militär es zu Ende bringen.«

»Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren«, gab der Admiral ungeduldig zurück. »Commander Kessler«, sprach er förmlich seinen XO an. »Vormarsch einleiten. Feindliche Kräfte nach eigenem Ermessen ausschalten. Wir halten erst wieder an, wenn der Riss gesichert ist.«

Der Dreadnought Hagen von Tronje blies mit seiner schweren Hauptbewaffnung einen feindlichen Jagdkreuzer mitsamt der gesamten Besatzung ins Jenseits. Der gesellte sich dadurch zu der Vielzahl an Hinradyschiffen, die bereits zerstört worden waren.

Republikanische Einheiten lieferten sich entlang der gesamten Frontlinie erbitterte Energiewaffengefechte mit den Jagdkreuzern. Und auch wenn sich der Fortschritt von Wagners Einheiten durchaus sehen lassen konnte, verzeichnete die Admiralin dennoch hohe Verluste. Die Hinrady kämpften, als würden die Nefraltiri mit der Peitsche hinter ihnen stehen und diese antreiben. Wagner biss sich leicht auf die Unterlippe. Der Vergleich schien durchaus passend.

Eine Gruppe terranischer Begleitkreuzer und Korvetten preschte vor. Mit ihrem kombinierten Beschuss rissen sie eine breite Schneise in die Front angreifender feindlicher Jäger. Dutzende von ihnen zerplatzten unter dem konzentrierten Kreuzfeuer. Die für den Kampf gegen Jagdgeschwader konzipierten und prädestinierten Korvetten feuerten ohne Pause Tausende Lichtimpulse gegen den Feind und verhinderten damit effektiv, dass sich dieser neu formieren konnte.

Zwei Jagdkreuzer der Hinrady eilten ihren bedrängten Piloten zu Hilfe. Mit ihrer tödlichen Bewaffnung brachten sie zwei Begleitkreuzer und vier Korvetten kurz hintereinander zur Detonation. Die Hagen von Tronje schwenkte herum und nahm einen der feindlichen Kreuzer aufs Korn. Die Sturmlaser erwachten zum Leben und spießten das gegnerische Schiff mühelos auf. Die leistungsstarken Energiestrahlen durchschlugen das Feindschiff auf ganzer Breite und verdampften auf einen Schlag mehr als ein Drittel der Besatzung. Nur Sekunden später verging das Schiff in einem verheerenden Feuerball. Bevor die auf Nefraltiritechnologie basierenden Waffen jedoch wieder aufgeladen waren, zog sich der zweite Jagdkreuzer in die Abschirmung eigener Linien zurück.

Wagner wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die unaufhörliche Anspannung forderte ihren Tribut. Ihr sonst ordentlich frisiertes brünettes Haar hing ihr in mehreren Strähnen ins Gesicht. Sie strich es ungeduldig zurück und begutachtete den Verlauf der Schlacht.

Sie machte eine vage Geste in Richtung ihres Hologramms. Ihr XO kannte sie gut genug, um zu wissen, was die Frau meinte. Er gab mehrere Befehle in sein Pad ein, überspielte diese an den Kommunikationsoffizier, der die Anweisungen nahezu in Echtzeit an mehrere Schiffe übertrug.

Die Aufstellung ihrer Formation änderte sich wiederum leicht, als zwei Geschwader Schlachtkreuzer nebst einer Eskorte aus Angriffskreuzern sich dem Planeten näherten. Ihre Torpedorohre spien Tod und Vernichtung. Die Geschosswelle raste auf Tau’irin zu. Nur kurz darauf, blühten mehrere Explosionen im Orbit auf, als drei Jägerbasen in Staub und glühendes Metall verwandelt wurden.

»Ma’am«, meldete sich Fletcher zu Wort. »Der Gegner formiert seine verbliebenen Kräfte über dem Nordpol.«

Die Admiralin beugte sich interessiert vor. Die Hinrady sammelten sich zu einem letzten Abwehrkampf über dem Standort des Obelisken. Dieser entsandte immer noch seinen Energiestrahl ins All, um den Riss zu schützen. Die Taktik der Hinrady war wenig subtil. Sie schützten immer noch den Obelisken.

Wagners erster Gedanke bestand darin, die Geschwindigkeit ihrer Einheiten auf annähernd null zu setzen und den Gegner dann zu bombardieren, bis dieser entweder aufgab oder vernichtet wurde.

Wagner machte eine enttäuschte Miene. Ihr wurde bewusst, dieses Vorhaben würde nicht funktionieren. Der Gegner schuf durch seine enge Formation mehrere sich überlappende Feuerbereiche. Selbst wenn ihre Schiffe den Gegner tage- oder wochenlang bombardierten, würden sie diese Abwehr nicht überwinden können. Die Energiewellen des Feindes würden Torpedoschwarm um Torpedoschwarm einfach aus dem All fegen. Die Hinrady hatten sich etwas dabei gedacht, als sie ihr letztes Gefecht planten. Nein, diesen Kampf ließ sich nur gewinnen, indem sie die Flohteppiche im Nahkampf schlugen.

»Einheiten auf halbe Geschwindigkeit setzen und in tiefengestaffelter Kampflinie vorrücken.«

Wagners Verbände formierten sich gemäß ihren Befehlen. Sie feuerten aus allen Rohren und überschütteten den Feind mit einem Hagel aus Fernlenkgeschossen.

Die Admiralin schüttelte fast unmerklich den Kopf. Es würde nicht reichen. Wie erwartet, feuerten die Hinrady ihre Abwehrwaffe in Wellen ab und zerstörten jedes Geschoss, bevor es ihnen gefährlich werden konnte. Das war überaus frustrierend. Aber es ließ sich nicht ändern. Der einzig gangbare Weg blieb der Nahkampf. Darum führte kein Weg herum.

Sie war jedoch froh, das Leben ihrer Bodentruppen bewahren zu können. Erst würde sie die Feindschiffe über dem Nordpol beseitigen und im Anschluss den Planeten sichern. Dann war ihr Teil der Operation erledigt – bis Garner grünes Licht zur Zerstörung des Obelisken signalisierte.

Die republikanischen Geschwader näherten sich dem Feind unaufhörlich. Es war vorbei und beide Seiten wussten es. Ein grimmiges Gefühl der Vorfreude ergriff von Wagner Besitz.

Die Agamemnon wurde wie aus heiterem Himmel von mehreren Energiestrahlen getroffen und durchbohrt. Der Dreadnought wollte sich zurückziehen und aus dem feindlichen Feuerbereich entkommen, doch weitere Salven schlugen kurz hintereinander ein. Das mächtige Kriegsschiff legte sich schwer auf die Seite. Aus mehreren Bruchstellen schlugen Flammen hinaus ins All. Es blutete aus wie ein Tier, das von den Jägern gestellt und getötet wurde.

Dem Kommandanten der Agamemnon musste klar geworden sein, dass das Schiff nicht zu retten war. Rettungskapseln und Fluchtshuttles verließen den Kampfraumer. Der Brückencrew gelang es aber nicht mehr, das Schiff zu verlassen. Der Dreadnought detonierte mit brachialer Gewalt und verschlang zwei in der Nähe durchs All gleitende Korvetten und einen Begleitkreuzer.

Betäubtes Schweigen breitete sich auf der Brücke der Hagen von Tronje aus. Wagner fing sich als Erste wieder. »Woher kam das? Die Jagdkreuzer könnten das unmöglich angerichtet haben. Wir sind noch fast tausend Klicks von ihrer effektiven Gefechtsdistanz entfernt.«

Fletcher ließ sich die aktuellen Sensordaten geben. In diesem Moment verlor Wagner einen Schlachtkreuzer, danach einen Angriffskreuzer und kurz darauf einen weiteren Schlachtkreuzer.

Fletchers Kopf flog hoch. »Das kommt vom Planeten. Bunker mit Raumabwehrwaffen wurden rings um den Obelisken positioniert. Die nördliche Hemisphäre ist komplett abgeriegelt. Wir befinden uns bereits in ihrer Todeszone.«

Wagner knirschte unbewusst mit den Zähnen. Der letzte Satz war unnötig, wenn man die ständig steigenden Verluste berücksichtigte. Die Admiralin hatte keine Wahl, wollte sie ihre Flotte retten.

»Alle Einheiten Rückzug. Wir müssen aus ihrem Feuerbereich raus.«

Wagners Verbände machten kehrt. Aber in der Zeit, die sie benötigten, um den Rückwärtsschub einzulegen, die Masseträgheit zu überwinden und sich aus dem Einflussbereich der feindlichen Abwehrwaffen zu begeben, verloren die republikanischen Geschwader weitere fünfzig Schiffe.

Konteradmiralin Tanja Wagner saß wie erstarrt auf ihrem Kommandosessel. Die Hinrady hatten sie auf übelste Weise vorgeführt und einen sicheren Sieg in einen verzweifelten Rückzug verwandelt.

Dabei entbehrte die gegnerischen Taktik nicht einer gewissen Brillanz. Den Flohteppichen mangelte es inzwischen an Schiffen. Und was machte man, um diesen Nachteil auszugleichen? Klarer Fall. Man unterstützte die Flotte mit einem dichten Netz aus Raumabwehrwaffen. Daran hätte sie eigentlich denken müssen.

Auf Wagners taktischem Hologramm ging eine Vielzahl an Notrufen ein. Hunderte Rettungskapseln saßen im Niemandsland zwischen Tau’irin und den republikanischen Einheiten fest.

Wagner atmete tief ein. »Schicken Sie Bergungsschiffe los«, befahl sie. »Wir müssen unsere Leute da rausholen.«

Fletcher zögerte. »Ist das klug? Weitere Schiffe dieser Gefahr auszusetzen?«

Wagner schnaubte. »Ich bezweifle, dass die Hinrady Energie auf ein paar Bergungsschiffe verschwenden. Die sind vorläufig zufrieden damit, die Position gehalten zu haben. Ich an deren Stelle würde jetzt einfach abwarten, was unsere nächsten Schritte sind.«

Fletcher warf seiner Kommandantin einen vorsichtigen Blick zu. »Und wie genau sehen unsere nächsten Pläne aus?«

Wagner betrachtete den großen weißen Punkt, der den Planeten auf ihrem taktischen Hologramm darstellte, mit einem verächtlichen Blick. »Sie sagten, die Abwehrwaffen konzentrieren sich auf die Verteidigung der nördlichen Hemisphäre.« Ihr XO bestätigte mit einem leicht zur Seite geneigten Kopf. Wagner nickte. »Nun gut, dann erledigen wir das hier eben auf die harte Tour. Informieren Sie den Kommandanten der Bodentruppen. Er soll seine Leute auf die Landung vorbereiten.«

Das gefallene Imperium 10: Um jeden Preis

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