Читать книгу Das gefallene Imperium 10: Um jeden Preis - Stefan Burban - Страница 7

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Der Hinradytrupp bewegte sich mit beeindruckender Vorsicht durch die Eiswüste von Tau’irin. Die Primatensoldaten rechneten zu jedem Zeitpunkt mit einem Hinterhalt. Ihre Disziplin war vorbildlich. Es half ihnen trotzdem nichts.

Der Boden unter den Hinrady explodierte förmlich und zwanzig Marines in Panzeranzügen brachen daraus hervor. Sie nutzten keine Nadelgewehre, um Munition zu sparen. Ihre Klingen sprangen aus den Unterarmschienen und wie eine Meute hungriger Hyänen fielen sie über ihre überraschten Gegner her. Der Kampf dauerte weniger als eine Minute, bis auch noch der letzte Hinrady am Boden lag. Das Blut der gegnerischen Krieger bedeckte dampfend den Schnee unter ihren Körpern.

Der Anführer der Marines gab ein kurzes Zeichen, einen einzelnen Impuls über das Komgerät. Die Überlebenden der Sevastopol eilten aus ihrem Versteck und machten sich daran, die Leichen der gefallenen Gegner eiligst unter den Schneemassen zu verbergen. Schon nach Kurzem war von dem ungleichen Gefecht nichts mehr zu erkennen.

Zwei Besatzungsmitglieder halfen dem XO aus dem Loch, in dem sie sich für die Dauer des Überfalls verkrochen hatten. Der Erste Offizier sah nicht gut aus. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß und jede noch so kleine Bewegung schien ihn an die Grenzen des Belastbaren zu führen. Sorokin richtete sich auf und ließ den Blick über die Landschaft schweifen. Es herrscht überall dasselbe Weiß, wohin man auch sah. Er schüttelte langsam den Kopf. Sie marschierten jetzt schon seit mehreren Wochen durch diese Eiswüste, ohne Ziel und ohne Plan. Immer nur darauf bedacht, den feindlichen Patrouillen, die hinter ihnen her waren, einen Schritt voraus zu bleiben. Und auch das wurde zunehmend schwieriger. Die Hinrady kamen ihnen mittlerweile bedenklich nahe. Es musste endlich eine klare Vorgabe her. Die Männer und Frauen unter seinem Kommando brauchten ein Ziel und einen Plan. Ansonsten würden viele schon sehr bald einfach aufgeben.

Dr. Isabel Dreshku kam unsicheren Schrittes auf ihn zu. Die Frau war Anfang siebzig. Daher musste man sie schon bewundern, wie gut sie sich in dieser lebensfeindlichen Umgebung hielt. Allerdings hatte sie auch kaum eine andere Wahl. Die Schwachen gingen als Erste zugrunde.

Dreshku war wesentlich kleiner als Sorokin. Die Frau warf ihren schweren Mantel zurück und betrachtete den Commodore von unten. Wäre man über die Dienstgradverhältnisse nicht informiert, man hätte beinahe meinen können, Dreshku hätte hier das Sagen.

Eine Kolonne Überlebender schleppte sich hinter den beiden Offizieren aus den Schneeverwehungen und setzte ihren Weg fort, immer einen Fuß vor den anderen setzend. Wer stürzte, dem wurde umgehend von Kameraden geholfen, die alle weniger am Leib trugen, als gut für sie war.

»Und?«, wollte der Commodore wissen. »Wo stehen wir?«

Dreshku rümpfte die Nase und holte ein immer noch funktionstüchtiges Pad hervor. »Unsere Gruppe ist vergangene Nacht weiter geschrumpft«, gab sie missmutig zurück. »Unsere Gesamtstärke liegt jetzt bei dreihundertundelf Leuten.«

Sorokin schloss die Augen. Dreihundertundelf von fast eintausendzweihundert Männern und Frauen, die ein Trajan-Angriffskreuzer an Besatzungsmitgliedern aufwies. Wenn Dreshkus Zahlen korrekt waren – und daran zweifelte er zu keinem Moment –, dann waren letzte Nacht vierundvierzig Menschen erfroren.

Sorokin bedachte die an ihm vorüberziehende Menschenmenge mit einem verzweifelten Blick. Irgendwie musste er diese Leute am Leben erhalten. Von den etwas mehr als dreihundert Menschen trug nur rund die Hälfte eine Rüstung. Bei den meisten von ihnen handelte es sich um Marines. Der Rest trug lediglich die an Bord übliche Uniform und dann noch Isolierfolien, die als Teil der Notausrüstung an Bord von Rettungskapseln und Fluchtshuttles zu finden waren.

Kurz nach ihrer Ankunft hatten sie damit begonnen, Exemplare der spärlichen hiesigen Fauna zu jagen und zu erlegen. Dabei handelte es sich um eine Art Walross, das unter dem Eis lebte und dadurch der Nahrungssuche der Jackury entgangen war. Sie hatten das Fleisch, das sie nicht an Ort und Stelle vertilgten, eingepackt, für den Fall, dass ihre Notrationen zur Neige gingen. Aus dem Fell hatten sie Mäntel angefertigt für all jene, die über keine Rüstung verfügten. Dennoch verloren sie täglich gute Leute an Kälte, Hunger und Entbehrungen.

Sorokin war zuversichtlich, dass die Todesrate sinken würde. Die Ausrüstung der Toten wurde an die anderen verteilt, damit diese sich besser gegen den beißenden Wind und die allgegenwärtige Kälte schützen konnten. Aber er war Realist genug, um zu wissen, dass sie weitere Männer und Frauen verlieren würden, und das schon sehr bald.

Dreshku trat noch einen Schritt näher und riss ihn dadurch aus seinen Gedanken. »Commander Koroljow macht mir große Sorgen.«

Sorokins Blick glitt in Richtung des XO, der von zwei Mann gestützt werden musste. »Wie geht es ihm?«

»Beschissen«, erfolgte die lapidare Antwort. »Er hat sich zwei Rippen gebrochen. Fieber hat eingesetzt.« Die Ärztin schüttelte langsam den Kopf. »Ich verfüge hier nicht über die Mittel einer ordentlichen Diagnose, aber er hat ganz bestimmt eine Infektion.«

Sorokin erstarrte. »Das bedeutet Blutvergiftung.«

»Und eine sehr ernste noch dazu«, fuhr sie fort. »Die wenigen Antibiotika, die ich dabeihatte, sind längst aufgebraucht. Alles, was ich jetzt noch tun kann, ist, ihn halbwegs schmerzfrei zu halten und ihm hin und wieder etwas zu geben, das ihn auf den Beinen bleiben lässt. Das war’s aber auch.«

Sorokin schüttelte den Kopf. »Koroljow ist ein guter Mann. Er wird durchhalten so lange, wie er kann.«

»Und danach?«

Sorokin runzelte die Stirn. »Danach tragen wir ihn, falls nötig«, gab er zorniger zurück als beabsichtigt. Er räusperte sich. »Wir werden ihn aber auf keinen Fall zurücklassen, wenn Sie darauf hinauswollten.«

Dreshku richtete sich zu voller Größe auf. »Etwas Derartiges würde ich nicht einmal denken«, erwiderte sie. Bevor Sorokin antworten oder sich entschuldigen konnte, drehte sich die Frau um und stapfte davon. »Ich muss mich um meine Patienten kümmern«, erwiderte sie beleidigt.

Sorokin bedauerte seine Worte, sah sich im Moment aber auch nicht in der Lage, sie zurückzunehmen. Er seufzte und hob den Blick. Der Himmel war glasklar und von einem bestechenden Blau. Er achtete darauf, nicht zu lange nach oben zu starren. Dadurch konnte man sein Augenlicht verlieren.

Micky Walsh und Thomas Mack, der taktische Offizier der Sevastopol, gesellten sich Seite an Seite zu ihm. Mack hielt eine aus Ersatzteilen zusammengebastelte Sensoranordnung auf Armlänge von sich.

»Wir haben ein neues Signal aufgefangen«, verkündete er.

Hoffnung keimte in Sorokin auf. Sie folgten von Anfang an den Peilsignalen abgestürzter Evakuierungseinheiten und hatten dadurch einige Leben gerettet und waren darüber hinaus an dringend benötigte Ausrüstung gekommen. Auf das letzte Signal waren sie jedoch vor knapp einer Woche gestoßen. Sorokin hatte schon befürchtet, es würde keine Überlebenden der Sevastopol mehr auf Tau’irin geben.

»Wo und wie weit?«, hakte er nach.

»Nordosten«, antwortete Walsh an Macks Stelle. »Vielleicht zweihundertfünfzig Kilometer.«

Sorokin seufzte. Zweihundertfünfzig. Das war ein ordentlicher Fußmarsch. Nicht alle von ihnen würden das überstehen. Andererseits war im Moment jede Richtung so gut wie die andere. Da konnten sie genauso gut nach Nordosten marschieren. Unter Umständen würde sich das sogar für sie lohnen. Gut möglich dass sie nichts von Wert fanden, aber falls doch, konnte sich ihre Lage nur verbessern.

Er bleckte die Zähne. »Dann treiben wir die Leute besser mal an. Wir haben einen weiten Weg vor uns.« Mit diesen Worten stapfte er zu seinem XO, packte den Mann unter dem Arm und hielt ihn aufrecht, während die Überlebenden der TRS Sevastopol durch die Eiswüste von Tau’irin zogen – immer einen Fuß vor den anderen setzend.

Vizeadmiral Elias Garner befand sich auf dem Aussichtsdeck eines Truppentransporters, der auch als Kommandoschiff konstruiert war. Das Schiff hatte knapp außerhalb der Ruinen von Orel aufgesetzt. Zwei Kohorten der 199. Gefechtslegion und eine der 101. taktischen Legion hatten einen Sicherheitsperimeter rund um den Transporter eingerichtet, den nicht einmal eine Maus hätte durchbrechen können.

Der Admiral starrte verdrossen und mit nicht geringer Verwunderung nach draußen und betrachtete die Vorgänge mit einem Aufwallen persönlicher Genugtuung.

Feuertrupps verschiedener Einheiten führten verblüffend sanft Gruppen von Zivilisten auf die Straßen und geleiteten sie zu an mehreren Punkten eingerichteten Sammelstellen, wo sie medizinisch untersucht und mit Nahrung versorgt wurden. Der Fund erfüllte sie alle gelinde gesagt mit tiefer Verblüffung, aber auch unverhohlener Freude.

Garner drehte sich zu den Männern und Frauen um, die sich hinter ihm versammelt hatten. Zu den anwesenden Personen zählten unter anderem Lieutenant General Ayumi Yoshida von der 199. Gefechtslegion, der Drizilclanführer Taran, einige Legionskommandanten einschließlich Lieutenant Colonel Richter von der Siebten sowie an die dreißig weitere Offiziere von Bodentruppen und Flotte. Sie alle waren Garners Ruf gefolgt, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

»Wie viele Überlebende?«, fragte der Admiral fassungslos.

»Bisher über vierzigtausend«, gab Yoshida zur Auskunft. Die Generalin ließ mit keiner Regung erkennen, ob sie Garner wegen dessen Rolle bei ihrer Zähmung durch Präsident Ackland grollte. Und auch wenn, wäre es Garner egal gewesen. Die Offizierin hatte ihren eigenen Verlust an Macht und Einfluss selbst herbeigeführt durch ihre kriminellen Machenschaften während der Kämpfe auf Celeste und ihren Intrigen danach.

»Verteilt über den ganzen Planeten«, fuhr die Generalin fort. »Versteckt in Kellern oder in der Wildnis. Manche mussten wir tatsächlich aus irgendwelchen Erdlöchern ziehen. Eine Gruppe hatte sich sogar im leeren Becken eines verlassenen Hallenbads versteckt.«

Garner senkte nachdenklich den Kopf. »Das ist ungewöhnlich. Es gab noch nie Überlebende auf einer Welt, auf der die Jackury zum Einsatz kamen. Ich frage mich, was das zu bedeuten hat.«

»Kurz nach der Einnahme von Sultanet hat sich das Virus unter der Population der Invasoren verbreitet«, gab Taran zu bedenken. »Möglicherweise hatte das einen unerwarteten Nebeneffekt.«

»Vielleicht«, meinte Garner zweifelnd. »Unter Umständen waren sie aber auch mit den Vorbereitungen für die Schlacht um Argyle zu beschäftigt und haben die Menschen dadurch schlichtweg übersehen.«

»Nahrung zu übersehen, gehört nicht gerade zu den Eigenschaften, die den Jackury zuzuordnen sind«, warf Richter ein. Yoshida warf dem Colonel einen scharfen Blick zu. Sie schätzte es nicht besonders, wenn sich untergeordnete Offiziere in ein Gespräch zwischen Entscheidungsträgern einmischten. Garner sah das ganz anders.

»Da hat Colonel Richter vollkommen recht«, gab er dem Kommandanten der 7. Legion Rückendeckung. Yoshida erkannte, dass die Bemerkung eigentlich an sie gerichtet war. Ihr Gesicht lief rot an und sie wandte sich gedemütigt ab.

Garner empfand nicht das geringste Mitleid mit ihr. Im Gegenteil war er der Meinung, sie müsse von Zeit zu Zeit an ihren Platz erinnert werden. Nicht, dass sie zu ihren alten, überholten Ambitionen zurückkehrte.

Garners Blick richtete sich auf den einzigen anwesenden Drizil und einen Menschen in Flottenuniform und mit den Insignien eines Konteradmirals am Revers.

»Clanführer Taran und Admiral Dettinger? Vielleicht liefern Sie erst mal Ihre Berichte ab, bevor wir fortfahren.«

Taran Stuullonor trat vor. Die mit Flügeln versehenden Gliedmaßen legte er eng an den Körper an, während er nach den passenden Worten suchte. »Unsere Angriffe waren von ebenso vernichtendem Erfolg wie der auf Sultanet. Der Feind war bereits vor unserem Eintreffen enorm geschwächt und kaum in der Lage, sich gegen uns zu behaupten. Sämtliche Angriffsziele wurden binnen weniger Stunden gesichert. Verluste auf eigener Seite blieben gering. Es war, als fiele uns die Frucht des Sieges einfach so in den Schoß. Ich sollte noch erwähnen, dass wir auf allen von uns angegriffenen Welten menschliche Überlebende geborgen haben. Allesamt in ähnlich erbärmlichem Zustand, aber nichtsdestoweniger am Leben. Erstaunlich.«

Konteradmiral Alfred Dettinger nickte bestätigend. »Ich kann dem Bericht des Clanführers nur beipflichten. Auch wir hatten bei der zurückliegenden Operation keinen Feindkontakt, der diese Bezeichnung wert wäre.« Dettinger straffte voller Stolz die Schultern. »Sieben Systeme wurden in sechs Tagen befreit. Wir sind dabei weit in feindlich besetztes Territorium vorgedrungen. Bei unseren Attacken trafen wir entweder auf Massen toter Hinrady und Jackury oder auf hoffnungslos unterlegene Verbände, die innerhalb kürzester Zeit zerstört werden konnten. Der Erfolg unserer Operation lässt sich nicht leugnen. Wir haben sogar Systeme eingenommen, deren Befreiung gar nicht geplant war. Zumindest nicht in dieser frühen Phase unserer Gegenoffensive.« Dettingers Lippen teilten sich zu einem breiten Grinsen. »Wir gewinnen.«

Zustimmendes, positiv anmutendes Gemurmel brach unter den Anwesenden aus. Lediglich zwei Personen beteiligten sich nicht daran. Eine von ihnen war Garner.

Der Admiral seufzte. »Ja, das wäre schön.«

Sein Pessimismus drang zu den übrigen Offizieren durch wie eine kalte Dusche. Ihr Raunen ebbte fast schlagartig ab. Dettinger runzelte die Stirn.

»Sir? Haben Sie Zweifel an unseren Erfolgen?«

Garner schüttelte den Kopf und sah den anderen Admiral mit ernster Miene an. »Nicht, was die gegenwärtigen betrifft. Aber die zukünftigen sehe ich leider noch nicht.« Garner machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. »Ja, die Sklavenstreitkräfte der Nefraltiri machten bisher eine recht schlechte Figur. Aber dafür gibt es leider einen Grund.« Auf eine Geste des Vizeadmirals hin ließ einer seiner Adjutanten einen Holotank aus dem Deck der Aussichtsplattform hochfahren.

Garner trat näher. »Als wir die letzten feindlichen Kampfverbände rund um Sultanet schlugen, wurden wir Zeuge von etwas, das sich als groß angelegte Verschiebung von Truppen und Schiffen entpuppte.« Garner nickte dem Adjutanten zu, der daraufhin Daten in den Holotank einspeiste.

Die Offiziere umringten das Hologramm neugierig, das der Tank daraufhin in die Luft projizierte. Es zeigte einen großen Hinradyverband, der sich unter Führung eines Schwarmschiffes eilig aus dem System zurückzog. Sie achteten peinlich genau darauf, dass es zu keinen Kampfhandlungen zwischen ihren Einheiten und den vorstoßenden republikanischen Geschwadern kam. Das Schwarmschiff sprang zuerst davon, gefolgt von den Jagdkreuzern.

Dettinger runzelte die Stirn. »Ist das eine Evakuierung?«

Garner nickte. »Diese Meinung vertreten auch unsere Analysten.«

»Aber was bedeutet das?«, wollte Yoshida wissen.

»Die Nefraltiri sammeln ihre noch nicht infizierten Streitkräfte. Und sie sind bereit, einen großen Teil des Territoriums, das sie erobert haben, vorübergehend preiszugeben.« Garner holte tief Luft. »Wir glauben, sie führen alle noch einsatzfähigen Truppen und Schiffe zusammen, um ihre Kernstellungen zu verteidigen: die zwei Obelisken sowie den Riss. Sie rechnen sich wohl keine großen Chancen aus, ihr besetztes Territorium halten zu können. Also geben sie es auf und verschanzen sich. Die Bastarde wollen die Sache aussitzen und darauf bauen, dass sie von jenseits des Risses irgendwann Verstärkung bekommen.«

»Das könnte übel werden«, kommentierte Richter. Viele der anwesenden Offiziere nickten zustimmend. Die anfangs positive Grundstimmung schlug plötzlich ins Gegenteil um.

»Bei unseren Vorstößen gab es aber durchaus Widerstand«, gab Dettinger zu bedenken. »Haben die ihre eigenen Truppen zurückgelassen, um draufzugehen?«

Nun humpelte der einzige Mann in die Mitte der Versammlung, der neben Garner nicht in das anfängliche positive Getuschel eingestimmt hatte. Der Zivilist stützte sich auf einen edlen Gehstock, drehte sich um die eigene Achse und schloss die ganze Versammlung in seine Ausführungen mit ein.

Professor Nicolas Cest räusperte sich auffällig, bevor er zu sprechen begann. »Wir vermuten, dass all jene Truppen und Schiffsbesatzungen, die sich uns in den Weg stellten, mit dem Retrovirus infiziert und daher ohnehin schon so gut wie tot waren. Die Nefraltiri ließen sie zurück, damit diese Krieger sich in ihren letzten Stunden und Tagen noch nützlich machen konnten. Sie dienten lediglich dazu, uns aufzuhalten und abzulenken. Die tatsächliche finale Phase dieses Krieges findet nicht hier auf Sultanet statt. Oder auf Celeste. Oder auf Garispar. Oder auf einem der anderen Planeten, die von den Nefraltiri im Verlauf des Krieges okkupiert wurden. Die Entscheidung findet auf Kelardtor, auf Tau’irin und jenseits des Risses statt.«

Ein Raunen ging abermals durch die Menge. Cest nickte zufrieden angesichts der Aufmerksamkeit aller. Der Professor genoss es. Dies war sein Moment. Auf einen solchen Augenblick hatte der Mann jahrelang hingearbeitet. Garner hielt sich absichtlich im Hintergrund und überließ Cest dessen fünfzehn Minuten des uneingeschränkten Ruhmes.

Schließlich nickte der Professor gönnerhaft in Garners Richtung und trat beiseite. Der Admiral lächelte verhalten. Nun war er wieder an der Reihe. Sein Adjutant änderte die eingespeisten Daten und die Ansicht des Holotanks veränderte sich. Drei wesentliche Punkte wurden hervorgehoben. Bei zweien handelte es sich um Systeme, der dritte Punkt befand sich in der Randzone und lag im leeren Raum zwischen den Sonnensystemen.

»Wie Professor Cest bereits angedeutet hat, ist uns nun der Standort des neuen zweiten Obelisken bekannt. Diese Entdeckung verdanken wir der Sevastopol und ihrer Besatzung. Es handelt sich um das Tau’irin-System. Es gehörte vormals den Drizil. Und ja, wir sind der Meinung, dass der Gegner all seine nicht infizierten Streitkräfte an diesen drei Punkten zusammenzieht, um die Obelisken sowie den Riss zu verteidigen.«

Einer der Admiräle meldete sich zu Wort. »Ja, Vickers?«, erteilte Garner dem Mann das Wort.

»Wir haben starke Verbände zusammengezogen. Erstmals seit Kriegsbeginn sind wir dem Gegner zumindest ebenbürtig. Warum viele Leben bei einem Angriff riskieren? Uns steht die Möglichkeit offen, Kelardtor und Tau’irin einzuschließen und zu belagern. Den Riss selbst könnten wir problemlos blockieren. Auf diese Weise könnten wir den Gegner auf unbestimmte Zeit einschließen.«

Garner schüttelte den Kopf. »Schöner Gedanke, Jack«, sagte der Admiral, indem er zur vertraulichen Anrede überging. »Aber das würde nicht funktionieren. Der Gegner hat uns bereits mehrmals mit der Fähigkeit überrascht, in beeindruckender Geschwindigkeit Nachschub zu generieren, sei es in Form von Schiffen oder Bodentruppen. Die Nefraltiri würden einen strategischen Rückzug nicht in Erwägung ziehen, geschweige denn durchführen, wenn es ihnen keinen Vorteil verschaffen würde.« Abermals schüttelte Garner den Kopf. »Nein, unsere einzige Chance, diesen Krieg zu beenden, besteht darin zuzuschlagen, solange wir die Möglichkeit haben.« Der Admiral deutete auf das Hologramm. »Und so sieht der Plan aus«, begann er. Mehrere grüne und blaue Symbole leuchteten auf. »Wir führen eine Offensive mit drei Flügeln durch«, erläuterte er. »Die Republik greift den Obelisken auf Tau’irin an, die Drizil den auf Kelardtor. Eine kombinierte Streitmacht kämpft sich zum Riss durch.« Garner seufzte tief. »Wenn unsere Prognosen auch nur halbwegs zutreffend sind, dann steht der Allianz ein höllisch harter Kampf bevor. Wir werden es mit allem zu tun bekommen, was der Gegner gegen uns noch ins Feld führen kann.«

»Wie geht es anschließend weiter?«, wollte Konteradmiral Dettinger wissen.

Garner zögerte. »Die Obelisken werden erobert und die Verbände auf Kelardtor und Tau’irin gehen in Wartestellung, sobald die Systeme von jeglicher Feindaktivität gesäubert wurden. Der Verband am Riss wird sich auf die andere Seite begeben.« Garner machte eine Pause, damit sich diese Information erst mal legen konnte. Kollektives Stöhnen war die Folge.

Garner lächelte leicht, bevor er fortfuhr. »Ganz recht. Wir stoßen auf die andere Seite vor. Dieser Krieg kann nur dann enden, wenn der Riss versiegelt ist. Unseren Informationen zufolge wird der Riss von der anderen Seite offen gehalten, und zwar durch die kumulative Kraft der Nefraltiri und ihrer übersinnlichen Fähigkeiten.« Garner richtete sich auf. »Ich sage es ganz offen. Dieser Kampf kann nur dann enden, wenn die Nefraltiri ausgelöscht werden – und das wird unser strategisches Hauptziel sein.« Die Offiziere hingen gebannt an den Lippen des Admirals. »Falls jemand ein Problem damit hat, dann soll er es jetzt sagen.« Garner blickte in die Runde. Niemand rührte sich. Der Eindruck überkam den Admiral sogar, dass einige der hier Anwesenden nicht einmal zu atmen wagten. Garner stieß einen Schwall Luft aus. »Sehr gut. Damit wäre das geklärt.« Er deutete auf das Hologramm. »Sobald die Lage jenseits des Risses unter Kontrolle ist, geben wir ein Signal. Wir zerstören den Aufenthaltsort der letzten Nefraltiri sowie die beiden Obelisken nach Möglichkeit gleichzeitig. Unsere Verbände auf der anderen Seite bewegen sich dann mit Höchstgeschwindigkeit wieder auf unsere Seite zurück.« Garner atmete tief ein. »Das Zeitfenster ist äußerst knapp. Wer auf der anderen Seite zurückbleibt, sobald der Riss geschlossen wurde, ist für immer für uns verloren. Das muss jedem klar sein. Es ist sehr gut möglich, dass diese Mission für viele eine Reise ohne Rückfahrschein sein könnte. Aber es ist die einzige Alternative, die uns bleibt. Wollen wir überleben, müssen die Nefraltiri fallen und der Riss muss wieder versiegelt werden. Unter allen Umständen! Ich hoffe, darin sind wir uns alle einig.«

»Etwas bleibt aber noch zu bedenken«, warf Vickers ein.

»Ja, Jack?«, forderte Garner den Offizier zum Weitersprechen auf.

»Unsere Einheiten navigieren nicht sehr gut, wenn es keine stellaren Bezugspunkte gibt«, fuhr Vickers fort. »Den Riss anzugreifen, der sich inmitten des Nichts befindet, könnte für viele Schiffe das Ende bedeuten. Ich spreche zum Beispiel von Fehlsprüngen und Kollisionen. Die Verluste könnten bereits beträchtlich sein, noch bevor es überhaupt zum ersten Schusswechsel kommt.«

Garner bedachte seinen Offizierskollegen mit anerkennendem Blick. »Daran wurde gedacht«, bestätigte er. »Ihre Bedenken sind berechtigt. Aus diesem Grund gehen die Drizilgeschwader zuerst rein. Aufgrund ihrer hoch entwickelten Technik fällt ihnen das Navigieren im leeren Raum leichter als uns. Anschließend lotsen sie die terranischen Verbände herein. Es wird glattgehen.« Garner bemühte sich um Positivität und hoffte, sie würde sich auf die anderen Anwesenden übertragen.

»Sonst noch Fragen?«

Niemand sagte auch nur ein Wort. Sie alle erwarteten angespannt, aber auch mit Vorfreude Garners nächste Worte.

»Sehr gut. Dann wäre das alles. Kehren Sie zu Ihrem Einheiten zurück. Der Countdown für die nächste Phase der Offensive ist bereits angelaufen. Die Vorbereitungen laufen schon. Unsere Verbände haben damit begonnen, ihre Ausgangsstellungen für den nächsten Angriff einzunehmen. Die ersten Gefechtssprünge werden in achtundvierzig Stunden ausgeführt. Von diesem Moment an rollt Welle für Welle unserer Attacken gegen die Ziele. Die Operation trägt den Namen Grabstein.«

Hoffen wir, dass es nicht unser Name ist, der darauf steht, ging es Garner gleichzeitig durch den Kopf und der Admiral schickte ein stummes Stoßgebet gen Himmel. Garner war kein religiöser Mensch, aber unter diesen Umständen konnte ein wenig göttlicher Beistand wahrlich nicht schaden.

Das gefallene Imperium 10: Um jeden Preis

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