Читать книгу Der Funke eines Augenblicks - Stefan G. Rohr - Страница 6

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Mein Telefon klingelte. Rontrop von Welfenbein, eigentlich ja Kurt Kaiser, war am anderen Ende der Leitung. Er stünde gerade vor einem kleinen Appartementhaus in der Bäckerallee und fragte sich, ob es wohl das Haus sei, in das ich gerade vorübergehend eingezogen war.

Ich lief vom Garten auf die Straße. Mein neuer Kumpan saß auf einem schnittigen Rennrad, trug die passende schenkellange Radfahrerhose und einen schon etwas lädiert aussehenden Helm, den er schräg nach hinten in Richtung seines Hinterkopfes geschoben hatte. Seine langen grauen Haare zeigten deutliche Schweißspuren, aber seine Wangen hatten rosa Farbe angenommen und seine blauen Augen blitzten mich lustig und aufmunternd an.

„War gerade in der Gegend.“ rief er mir zu. „Und da dachte ich, dass ich mal sehe, ob Du uns gestern nicht noch einen Bären aufgebunden hast.“ Er stieg vom Rad ab, was ihm ganz offensichtlich keinerlei Mühe bereitete, obwohl es eindeutig war, dass die Größe seines Drahtesels nicht zu seinen geringen Körpermaßen passte. „Bin ich hier richtig, in Entenhausen?“

Dann blickte er auf das kleine Haus und nickte. „Habe ich´s mir doch gedacht.“ sagte er etwas kryptisch und lächelte mich wissend an. „Ich denke, dass ich auch Deine Vermieterin kenne, zumindest vom Hörensagen.“

„Das wird ja immer spannender!“ bekundete ich. Doch so richtig amüsant wollte ich das nicht finden. „In mir macht sich allmählich das Gefühl breit, dass mit dem Gebäude etwas faul ist.“

„So kann man es ausdrücken.“ grinste Rontrop mich unverhohlen an. „Hast Du ein Bier in Deinem Kühlschrank?“

„Nur eine halbgekühlte Flasche Champagner.“ antwortete ich.

„Sehe ich aus wie Bodo?! Die kannst Du alleine trinken.“ rief er mir sofort zu. „Als Prolet brauche ich jetzt ein kühles Bier. Für Champagner ist es zu früh. Die Nutten pennen alle noch.“

„Auch wenn sie wach wären, hättest Du keine Chance. Derlei Damen schauen auf Kunden mit Fahrradklammern an den Hosen verächtlich herab. Mit oder ohne Champagner.“ erwiderte ich ihm. „Was machen wir nun?“

Wir beschlossen, gemeinsam den kurzen Weg bis in die Innenstadt zu nehmen und uns dort in das Bistro zu setzen, in dem wir uns kennengelernt haben. Ich schloss schnell das Appartement ab, und schon gingen wir die Bäckerallee hinab, wobei mein Begleiter sich schräg auf die Stange seines Fahrrades setzte und mit wiederkehrendem Quietschen seiner Bremsen hinunterrollte. Als wir am Ende der Straße um die Ecke in Richtung der Innenstadt gelangten, kamen wir an einem Biergarten vorbei, der, ein wenig höher gelegen, unter schattenspendenden Kastanien angelegt war. Ich war erfreut diesen durchaus schönen Ort so unvermutet entdeckt zu haben, und ich machte Rontrop das Angebot, dass wir uns doch zu einem ersten Bier gleich hier einmal niederlassen sollten.

Doch er winkte energisch ab. „Um keinen Preis!“ rief er entrüstet. „Hier sitzen nur die Verlierer.“

Das verstand ich natürlich nicht, und so fragte ich nach. „Verlierer?“

„Ja!“ sein Tonfall blieb barsch und mit sturem nach vor gerichteten Blick marschierte er weiter gerade aus. „Das ist das Stammlokal der erfolglosen Zocker. Allesamt mit Spielbankverbot ausgestattet. Die von denen zusammen verspielte Summe reichte aus, um mit einem saudischen Prinzen konkurrieren zu können.“

„Woher weißt Du das bloß alles?“ Und ich war tatsächlich erstaunt, was mein neuer Freund alles parat hatte.

„Eigentlich bin ich selbst Mitglied in diesem Club!“ antwortete er trocken. „Mich mit denen aber zusammen zu hocken, kommt nicht in die Tüte.“

„Wie?“ fragte ich nach. „Mitglied in welchem Club?“

„Nun, kein wirklicher Club.“ begann Rontrop zu erklären. „Es ist eigentlich nur eine bestimmte Clique. Alles Geächtete, haben Haus und Hof verspielt. Können sich in keinem Casino der Welt mehr blicken lassen. Da gehen sozusagen schon im Foyer die Sirenen los und die Sprinkleranlage wird ausgelöst. Gilt im Übrigen auch für mich, damit Du´s weißt. “ Er schüttelte nun aber noch heftiger den Kopf. „Aber deshalb mit denen am gleichen Tisch sitzen, um die Wetter jammern? Nicht ums Verrecken, sage ich Dir. So tief kann ich gar nicht sinken.“

Ich blieb geschockt stehen. „Du meine Güte!“ rief ich aus. „Dir sieht man den Spieler gar nicht an.“

„So?“ auch Rontrop war stehen geblieben. „Dann erzähl mir mal, wie ein Spieler aussieht?“ Doch ohne meine Antwort abzuwarten redete er weiter: „Wie oft warst Du in einer Spielbank? Dreimal? Vielleicht fünfmal? Bist mit ein paar Scheinchen in der Tasche rein, und als die erste Hälfte futsch war, hast Du es mit der Angst bekommen und bist schnell wieder nachhause gelaufen. Ich aber erkenne die Zocker. Egal wie gut sie sich auch verstellen. Ich sehe es Ihnen in Sekundenschnelle an. Und wenn wir gleich im Café sitzen, dann kann ich sie Dir zeigen. Die zum Beispiel, die schon völlig am Ende sind. Obwohl: Die erkennt man ja noch leicht. Wie sie mit ihren wirren Blicken zum Casino hetzen. Gequält, weil sie es nicht ertragen könnten, vielleicht die erste Kugel zu verpassen. Sie sitzen auf den Bänken vor dem Portal, notieren sich ihre neuesten Kombinationen. Verkrampfen ihre Fäuste in den Taschen, dort, wo sie die Rolle mit den letzten Scheinen festklammern. Mit ihren ausgeleierten Anzügen, ausgetretenen Schuhen und irgendeiner bunten Krawatte, damit sie am Eingang nicht abgewiesen werden.“ Er machte ein verächtliches Gesicht. „Ich sage Dir, die erkennst auch Du. Aber die Zocker, die noch nicht so weit unten sind, die sehen anders aus. Sie haben noch Glück, gewinnen immer wieder einmal, machen nicht selten sogar richtig Gewinn, fünf- und sechsstellig, manchmal mit dem letzten Chiton. Voll auf Risiko. Die fühlen sich noch unbesiegbar. Werfen mit ihrem gewonnenen Zaster um sich, wie Karnevalsprinzen mit Kamellen. Feiern, als gäbe es kein Morgen mehr. Aber anstatt das Geld zu bunkern, laufen die direkt nach zwei Flaschen Champagner wieder erneut ins Casino. Setzen in ihrem Wahn alles, was sie gerade gewonnen und noch nicht versoffen haben. Und wenn sie dann zu allem Übel sogar nochmal gewinnen, ja dann halten sie sich für Götter, wähnen sich im Besitz der magischen Zauberformel, die sie endlich unbezwingbar macht.“

Er schüttelte heftig den Kopf und war richtig außer Atem. Doch zu Ende war er noch nicht: „Und am nächsten Tag geht die Reise von vorne los. Bis sie irgendwann nur noch auf Pump leben. Oder in Wettbüros das kleine Geld setzen, um mit dem Doppelten eines Toto-Tipps sofort wieder an den Roulettetisch zu rennen.“ Rontrop lächelte bitter. „Deren Anzug ist dann nach einem Jahr auf, denn sie besitzen meist nur noch das, was sie auf dem Leib tragen. Und alle um sie herum wissen Bescheid. Das geht dann so lange, bis die Spielbank das Verbot ausspricht. Zu holen ist bei diesen armen Kreaturen sowieso nichts mehr. Sie schützen Dich dann salbungsvoll vor Dir selbst, wissend, dass sie Dich brutal auf Entzug setzen. Und sie wissen auch, dass Dich die Sucht nie wieder loslässt. Lebenslang musst Du gesperrt werden, sonst kommst Du aus diesem Kreislauf nie heraus. Keinen Fuß mehr kannst Du in einen Spielsaal setzen. Am Foyer ist überall für Dich Schluss. Ende, aus die Maus.“

„Und Du warst einer von denen?“ Ich war tatsächlich bestürzt.

„Ich bin einer von diesen!“ rief er, und er hatte fast Vergnügen dabei, mir das entgegenzuwerfen. „Dürfte ich noch einmal in den Spielsaal, wäre es auch nur für eine halbe Minute, ich würde alles setzen was ich besitze. Auf eine Zahl, da kannst Du gewiss sein.“ Und er lachte nun laut, und es durchdrang mich ein leichtes Schaudern. „Aber keine Bange, mein argloser Freund. Die Casinos sind weltweit gut vernetzt. Ich komme nicht einmal mehr beim Teddy-Bingo zum Spielen.“

Was mich besonders beeindruckte war aber die Art und Weise, wie mir Rontrop diesen Umstand und seine Vergangenheit nahe brachte. Er erzählte es so, als würde bei einem vergnüglichen Nachmittagskaffee, mit Likör und Käsekuchen, von einer flüchtigen Tanzbekanntschaft plaudern. Es schwang weder Wehmut mit, noch klang Bitterkeit in seinen Worten. Er schien mir mehrere Kilometer Abstand zu seiner eigenen Geschichte eingenommen zu haben, hoch sitzend auf einem grün bemoosten Hügel, mit einem Fernglas vor den Augen ein napoleonisches Feldgefecht beobachtend, welches im Detail noch gut erkennbar, doch durch die Distanz zu einer völlig gefahrlosen Kurzweil geneigte. Geschützdonner und Pulverdampf in vollen Zügen Gewahr nehmend, doch in keinem Moment um Leib und Leben fürchtend. Auch fehlte Verbitterung in vollkommener Art, ebenso, wie Selbstmitleid oder eine Zuweisung von Schuld an das Schicksal. Doch am meisten erstaunte mich das schier unendliche Vakuum eines Bedauerns.

Er erzählte mir auf dem noch vor uns liegenden Weg in die Stadt in kurzen, fast sogar farblosen Sätzen seinen Werdegang vom jungen Ingenieur der Elektrotechnik zum Berufsspieler. Als Sohn nicht unvermögender Eltern wuchs er in finanziell sorgenfreier Atmosphäre auf, und er erbte früh eine Villa in privilegierter Lage dieser Stadt, ein paar Eigentumswohnungen sowie ein anschauliches Sparkonto. Er selbst arbeitete bei einem deutschen Vorzeigekonzern als Nachwuchsingenieur, verdiente zu dieser Zeit schon passabel, und hätte sich insgesamt keine existenziellen Sorgen um seine Zukunft mehr zu machen brauchen. Jugendlicher Übermut, ein paar wilde Partyjahre, lockere Gesellschaften und der lokale Usus, die örtliche und schillernde Spielbank zu besuchen, waren auch für ihn zunächst keine Gefahr. Doch er hatte irgendwann Blut geleckt. In kleinen, dafür aber umso gefährlicheren Schritten, verfiel er dem Glücksspiel immer mehr.

Er gewann zum Teil enorme Summen, kaufte sich einen englischen Sportwagen, machte auf Playboy, vernachlässigte seine Arbeit, flog schließlich raus. Doch was machte das schon? Er hatte ausreichend kapitale Mittel, und das lockere Leben war ohnehin viel schöner. Es trat die Phase des häufigen Verlierens bei ihm ein. Tückisch, denn dieser Dämon möchte den Niedergang durch Verzögerung, Täuschung, mit wohldosierter Einstreuung wiederkehrender Ermutigung noch eine Zeitlang genießen können. Das Ende kennt er natürlich, doch sein Spaß besteht darin, dieses trickreich zu verschleiern, um dann, mit anschwellendem Getöse, das unausweichliche Finale wie ein Höllenfeuer zu besiegeln.

Anfänglich wurde nur das Sparbuch geplündert. Es folgten die ersten Hypotheken auf Villa oder Eigentumswohnungen. Die Bankmitarbeiter zeigten sich unberührt, war es doch ein zunächst weder auffälliges, noch ungewöhnliches Unterfangen, was der junge Kunde wollte. Dieser begann zu lügen, erzählte von Geschäftsvorhaben, Investitionen, zuletzt von Baumaßnahmen. Mit dem frischen Geld in Händen rannte dieser aber sofort an den Roulettetisch. Mit einer neuen Kombination im Kopf, mit den Notizen des Vortages, Reihen von Pair und Unpair, Tischnummern mit auffälligen Serien oder häufig gefallenen Zahlen. Ja er beobachtete die Croupiers, merkte sich deren Art wie sie die Kugel in den Kessel gleiten ließen, versuchte Ableitungen, Wahrscheinlichkeiten, legte seine Chitons, zog sie kurz vor dem `Rien ne vas plus´ wieder panisch zurück oder verschob sie auf eine zuvor verworfene Reihe. Er gewann nicht selten fünfstellig. Dann tauschte er an der Kasse seine Chitons gegen Bargeld, steckte es in seine Anzugtaschen und nahm sich vor, ein rauschendes Fest zu feiern. Gleichzeitig sollte nun aber auch endgültig Schluss sein. Mit diesem satten Gewinn könnte es einen standesgemäßen Abschluss geben: nie wieder spielen.

Doch noch in derselben Nacht leuchtete immer wieder eine Zahl vor seinen Augen. Setz mich, hörte er. Erst geflüstert, dann laut geschrien. Er sprang vom Barhocker auf und rannte die paar Meter zurück ins Casino. Atemlos warf er ein Bündel Geldscheine auf den Tisch, nannte die Zahl, hörte das Rollen der Kugel im Kessel, und verlor. Ein zweites Bündel folgte. Die gleiche Zahl. Verloren. Ein drittes Mal dasselbe. Wieder nichts. Dann ging er nach Hause. Ohne noch einen einzigen Cent zu besitzen.

Zweiundzwanzig einzelne Hypotheken hatte er aufgenommen. Dann zog die Bank Carte Blanc. Zwangsversteigerungen der Immobilien, Verlust von Haus und Hof, mittellos auf der Straße. Was hierauf folgte, konnte ich nur ahnen. Denn mein Begleiter beendete seine Erzählungen an dieser Stelle. Heute allerdings sei sein Leben, fast dreißig Jahre später, zumindest in grundlegend geordneten Bahnen. Er bezog eine winzige Rente, den Rest erledigte die Sozialhilfe.

Er lachte. Und abermals war ich über seinen Gleichmut verwundert. Es hatte schon etwas Fatalistisches, ja mehr noch, es schien, als würde er sein Los vielmehr als Glück verstehen. Die teuren Zigarren könnte er nur genießen, wenn ihm ein Freund wie Bodo diese spendierte. Er selbst würde sich aber durchaus mit den billigen vom Kiosk begnügen können, denn ohne diese wäre der Genuss einer `Monte Christo´ nicht so außergewöhnlich. Da er weder Frau noch Kinder besaß, brauchte er sich ja auch um nicht allzu viel kümmern. Es ging nur noch um ihn, die Einteilung seiner Mittel auf das Lebensnotwendige, der Rest für Zigarren und Weizenbier. Überdies brauchte er nur ein fröhliches Freundschaftsleben und gutes Wetter für seine Fahrradtouren. Und ausreichend Freiraum für den Müßiggang!

Wir erreichten das Bistro. Der hohe Tisch mit den Barhockern, der `Feldherrenhügel´ wie Rontrop ihn nannte, war mit dem Stammtischschild versehen und als man uns sah, eilte geflissentlich Fantomas herbei, stellte sich mit züchtiger Haltung hin und begrüßte uns, als wären wir Landesvater und Bürgermeister. Mit einer eleganten Armbewegung wies er uns den Stammtisch zu, und Rontrop erhielt wie aus dem Nichts ein frisch gezapftes Weizenbier gereicht. An mich wurde die Frage gerichtet, ob´s denn wieder eine Weinschorle sein sollte, Riesling halbtrocken, mit Eis und einen Zitronenschnitz? Ich war erstaunt. Aus zweierlei Gründen. Mein Begleiter, so war er doch eine arme Kirchenmaus, wurde mit großer Höflichkeit und einer sicher nicht vorgetäuschten Ehrerbietung als Stammgast gewürdigt. Diese Stadt schien selbst ihre gefallenen Engel noch zu achten. Zudem, und dies verwunderte mich nicht weniger, schien mein gestriges Erscheinen an diesem Platze, es war schließlich das erste Mal, ausgereicht zu haben, um mich nicht minder höflich und bemüht zu empfangen. Als kleines Zeichen dessen gab der Ober freundlich kund, sich meine Getränkewahl gemerkt zu haben. Ein Café mit dieser Lage, bei dem sich die Tische wie im Fluge von allein nachbesetzten, sobald nur das Anzeichen des Bezahlens aufkam, in diesem Städtchen voller Geldadel und illustren Gästen, hätte ich von dem Personal eher Lustlosigkeit und Desinteresse erwartet.

„Sind die immer so höflich?“ fragte ich meinen Begleiter.

„Sie haben halt viel Erfahrung.“ erwiderte er mir lächelnd. „Sie lernen überdies recht schnell die Vielfalt innerhalb des Publikums zu lesen.“

„Nun, mit fulminanten Champagner-Bestellungen werden sie aber bei mir nicht rechnen können.“ antwortete ich ehrlich.

„Darum geht es auch gar nicht.“ belehrte mich Rontrop trocken. „Den teuren Champagner, die Flaschen edelsten Cognacs, Hummer und Austern, Kaviar aus dem Iran oder vom Baikalsee werden die hier fast von selbst zu Hauf los. Die russischen Millionäre, die Scheichs aus dem Oman oder die Schickeria aus Mailand und London erledigen das für uns. Und die Zocker, zumindest, wenn sie gerade bei `Alles oder Nichts´ das `Alles´ für drei Stunden ihr Eigen nennen.“

„Dann sind wir hier die Statisten und Komparsen?“ fragte ich zurück.

„Mein lieber Ludwig.“ holte Rontrop nun aus. „Was bist Du nur für ein fantasieloser, spießiger Kleingeist.“ Er nahm einen großen Schluck Bier und schmatzte genüsslich, nach dem das Nass seine Kehle herunter gelaufen war. „Wir sind in diesem ganzen Possenspiel die wohltuenden Normalen.“ Er lachte laut los. „Verstehst Du? Du und ich haben keine Allüren, wir sagen `danke´ und `bitte´, meckern nicht herum, beschweren uns nicht über schmutzige Gläser oder einen falsch temperierten Bordeaux. Stattdessen haben wir ebensolche Fehler, wie sie selbst, vielleicht sogar die gleichen Sorgen. Und wir kommen, das gilt jedenfalls für mich, fast täglich wieder.“

„Interessant!“ gab ich zu.

„Nun ja, “ ergänzte Rontrop noch kurz, „ich habe sie natürlich noch ein klein wenig bestochen. Gestern.“

„Du hast Ihnen Geld gegeben, damit sie freundlich sind?!“ Ich konnte es nicht fassen. „Wer von uns beiden ist hier der Kleingeist? Und ein Pharisäer dazu, mein Freund.“

„Natürlich habe ich kein Geld investiert.“ erwiderte er trocken und verzog dabei keine Miene. „Ich habe Dich einfach interessant gemacht. Mehr nicht.“

„Ich will aber gar nicht interessant sein!“ rief ich entsetzt. „Ganz und gar nicht.“

„Du wirst es mir noch danken.“ Rontrop blieb völlig ruhig. „Ein klein wenig Anschubhilfe, sozusagen. Damit es mit Dir hier im Städtchen besser flutscht.“

„Ja, um Gottes Willen, was hast Du denn über mich gesagt?“ wollte ich schnell wissen.

„Höre, und sperre jetzt Deine Ohren gut auf.“ Rontrop rückte etwas näher an mich heran. „Ludwig Maler ist nur Dein Pseudonym. Ist doch klar. Wer kann schon so heißen.“ Erneut kam er näher. „In Wirklichkeit bis Du ein nicht näher genannt sein wollendes Mitglied des Hochadels. Ich habe selbstverständlich erwähnt, dass ich Deinen wirklichen Namen und Titel kenne. Schließlich hast Du mich, wie könnte es auch anders sein, sehr schnell als Vertrauensperson identifiziert und mich in Deine Pläne eingeweiht.“

„Was für Pläne denn bloß! Du hast ja einen totalen Knall!“ rief ich halblaut.

„Warte, warte doch.“ Jetzt begann Rontrop zu flüstern. „Dein Name, und höre eben gut zu, ist `Ludwig Christian Ritter von Luessow zu Schulenburg´. Kapiert?!“

„Wer soll sich so einen Namen merken können? Hättest Du es nicht wenigstens bei `Fürst Pückler´ oder `Graf Zeppelin´ belassen können?“ Ich war jetzt noch entsetzter als zuvor.

„Es geht doch noch weiter, Ludwig, höre zu!“ Auf seinem Gesicht machte sich ein diebisches Grinsen breit. „Also, was ist der Grund Deiner geheimen Mission? Ich sage es Dir. Alle zehn Jahre veranstaltet Deine Familie auf ihrem Schloss in der Pfalz zu Silvester ein großes Fest. Das ist zunächst wenig spektakulär, ich gebe es zu. Das Besondere allerdings ist Euer Rittersaal. Den funktioniert ihr dann nämlich zu einer Eisbahn um. Aber das Verrückte besteht in dem Umstand, dass Ihr dazu kein Wasser verwendet, sondern Champagner. Tausende Magnum Flaschen feinster Puffbrause, die ihr im Rittersaal verschüttet, die Fenster aufreißt und dann alles zu Eis gefrieren lasst. Und mit rotem Krimsekt malt ihr Ornamente, Sprüche und Euer Wappen in das gefrierende Eis. Hübsch, edel und total bekloppt. Und Du bist jetzt in der Region, um die ganze Chose zu organisieren, einschließlich den Champagner zu besorgen, Personal zu rekrutieren und eine Gästeliste aufzustellen.“

„Hilfe! Ein Verrückter!“ rief ich laut und es drehten sich tatsächlich eine Reihe von Gästen zu uns um.

„Psssscht!“ lachte Rontrop. „Unser Fantomas handelt nebenbei mit Weinen und Champagner. Und natürlich fragte er mich gleich, ob er Dir ein Angebot machen könnte. Außerdem hat er die Hotelfachschule absolviert und wäre auch interessiert, bei der Party in Deinem Schloss die Aufsicht über das Personal zu übernehmen.“ Rontrop ließ seinen Blick in die Runde schweifen. „Hör zu, Du musst gar nichts machen. Ich habe allen gesagt, dass Du in jedem Fall inkognito bleiben willst. Aus gutem Grund, da bei Deiner Feier Leute wie die Bundeskanzlerin, Donald Trump oder Präsident Putin zugegen sein werden. Das verlangt nach Diskretion. Deinen Adelsnamen habe ich nur Fantomas mitgeteilt, unter absoluter Einhaltung seiner Verschwiegenheit, damit es schnellstmöglich auch die anderen zu wissen kriegen. Dass sie Bescheid wissen, werden sie Dir aber nicht gleich zeigen. Mache also einfach weiter Dein unscheinbares Gesicht, das wird Dir ja auch nicht schwerfallen. Und wenn Dich jemand anspricht, sagst Du einfach: Du weißt gar nicht, wovon er spräche.“ Rontrop setzte sich mit süffisantem Lächeln wieder zurück.

„Eine kurze Recherche, und die Sache fliegt auf!“ sagte ich, war mir allerdings selbst gerade nicht klar, ob das einen Vorteil darstellen würde.

„Sollen sie, sollen sie!“ Rontrops Augen nahmen die Form zweier Schlitze ein. „Hoch lebe das Gerücht. Denn wir befinden uns in einer Zeit, in der Fakten unwichtig geworden sind. An ihre Stelle sind digitale Herzchen und Daumen gerückt, der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Scheiße muss gut schmecken, Millionen von Fliegen können nicht irren.“

Für mich blieb es eine ziemlich dumme Idee. Allerdings war sie auch amüsant, ganz ohne Zweifel. „Ich stelle mir gerade vor, wie die Bundeskanzlerin mit Schlittschuhen über den Rittersaal fährt und eine Raute ins Eis kratzt …!“ Ich musste nun selbst schmunzeln.

„Jaaaa, genau!“ flüsterte Rontrop nun wieder, und er freute sich, dass ich Spaß an seiner Geschichte zu bekommen schien. „Und was glaubst Du, wie die gestern alle geguckt haben, als ich davon berichtete, dass der Höhepunkt Deiner Party darin bestünde, dass nach Mitternacht die Fenster wieder geschlossen werden, der große Kamin angeworfen wird, und alle in dem langsam schmelzenden Eis zu baden beginnen, sich dabei wie blöd besaufen.“ Er konnte sein Lachen kaum noch bändigen. Er schaute mich nun prüfend an. „Wir haben gestern schon ordentlich gelacht. Und ich sage Dir, da werden noch viele mitmachen wollen. So was will sich doch keiner entgegen lassen. Und Du, lieber Ludwig, Ritter von Luessow zu Schulenburg, Du sitzt für die alle am Drücker. Herzchen und gehobene Daumen fliegen Dir zu. Damit bist Du wichtig. Und Du wirst lediglich nur aufpassen müssen, dass Du auf dem ganzen Schleim um Dich herum nicht ausrutscht und Dir die Knochen brichst.“

Mein Kopf hatte sich heftig zu schütteln begonnen. Der Spaß würde erheblich zu weit gehen. „Ich muss das aufklären. Ich bin schließlich völlig unschuldig und habe bei einer Offenbarung nichts zu befürchten!“ konstatierte ich, allerdings dennoch nichts Gutes ahnend. „Ich tauge ganz sicher nicht zum Hochstapler.“

„Papperlapapp! Du musst gar nichts!“ Rontrop hielt mich an meinem Arm fest. „Bleib´ einfach ganz normal. Wie gesagt, Dein Name ist Hase. Den Rest lass´ mich machen. Du wirst sehen, das wird eine Riesengaudi.“ Er ließ sich mit einem Ruck leicht nach Hinten fallen und verschränkte seine Arme. „Und Hochstapler, mein Freund? Davon, mein Bester, ist die ganze Stadt voll!“

Ohne, dass wir nachbestellt hatten, wurden uns von Fantomas zwei weitere Getränke serviert. Ein Weizenbier für Rontrop, eine Flasche Riesling vom Weingut `Bimmerle, Schloss Neuweier´ des Jahrganges 2013 für mich. Gebracht in einem Eiskübel, mit weißer Serviette überdeckt. Meinem fragenden Blick begegnete Fantomas mit einem Lächeln aus der Zahnpasta Werbung: Ein kleines Willkommenspräsent des Hauses. Und von Rontrop erntete ich dazu ein Zwinkern seines linken Auges.

Der Funke eines Augenblicks

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