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26. Juni 1968, irgendwo in Deutschland

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„Wir sprechen hier also von Mord!!!“, stellte der junge Mann mit ernster Miene fest, während er unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Sichtlich bemüht, nicht allzu überrascht oder gar unsicher zu wirken. Schließlich hatte er zusammen mit seinem besten Freund gerade einem mehrstündigen Vortrag gelauscht und sich jetzt, nachdem er einen konkreten Überblick bekommen hatte, zu Wort gemeldet. Kaum ein anderer Mensch im Alter von 25 Jahren wäre in der Lage gewesen, über einen so langen Zeitraum die Ruhe zu bewahren. Das war wieder eine der Eigenschaften, durch die sich die beiden Männer auszeichneten und die sie für die bevorstehenden Aufgaben besonders qualifizierten.

Während des Nachmittags hatten sie von Dingen erfahren, die sie sich bis zu diesem Zeitpunkt niemals hätten vorstellen können. Man saß in einer kleinen Gruppe zu fünft um einen massiven Schreibtisch herum. Dem Raum, bei dem es sich um eine Anwaltskanzlei handeln sollte, fehlten sämtliche Utensilien, die man im Allgemeinen in solchen Büros erwarten würde. Weder Gesetzbücher noch Urteilssammlungen oder ähnliche Literatur zierte die schmucklosen Holzregale. Zu einer Zeit, in der große Unternehmen und Kanzleien bereits über einen Fernschreiber verfügten, gab es hier nicht einmal ein Telefon.

Lediglich ein Tisch sowie fünf Stühle waren die stummen Zeugen der ungewöhnlichen Unterhaltung in dieser irrealen Umgebung.

Von den drei anwesenden Herren fortgeschrittenen Alters sprach bisher nur ein einziger.

Genauso wie seine Kollegen hatte auch er das damals gültige Rentenalter von 65 Jahren scheinbar schon deutlich überschritten.

Offensichtlich handelte es sich um den Chef einer Organisation, von der niemand wusste, dass sie überhaupt existierte. Keiner der Anwesenden stellte sich mit seinem Namen vor.

Einzig, dass es sich bei diesem Termin um eine Art Vorstellungsgespräch handeln sollte, konnte im Vorfeld geklärt werden. Ansonsten hatte man die jungen Männer völlig im Unklaren darüber gelassen, um was es gehen sollte.

Die beiden waren bereits seit frühester Kindheit miteinander befreundet. Schon im Alter von fünf Jahren hatten sie im Kindergarten zusammen gespielt, später dieselben Schulen besucht und im Anschluss daran sogar gemeinsam Jura studiert. Im Laufe der Jahre entwickelten sie dieselben ideologischen Gedanken und Pläne. Wie viele junge Juristen träumten sie davon, eines Tages als Strafverteidiger, Staatsanwalt oder sogar als Richter unsere Welt ein bisschen besser machen zu können. Während sich der Rest der Jugend in der Welt der Blumenkinder seinen Weg durchs Leben suchte, und Revolutionen an der Tagesordnung waren, blieben sie stets bodenständig. Sie besuchten keine der üblichen Großveranstaltungen, die im Allgemeinen mit dem Einsatz von Wasserwerfern endeten, und so kamen sie auch nie mit dem Gesetz in Konflikt.

Ihren Abschluss hatten beide mit summa cum laude hinter sich gebracht. Der nächste Schritt auf dem Weg des Erfolges sollte die Doktorarbeit sein, über deren Inhalt sie sich, wieder einmal als Team, seit geraumer Zeit Gedanken machten.

Und so hätte diese Erfolgsstory auch weitergehen können, wäre da nicht vor einem halben Jahr dieser Unbekannte aufgetaucht, der sie nach einem Besuch bei ihrem ehemaligen Professor auf dem Parkplatz der Universität angesprochen hatte.

Bereits an jenem kalten Dezembermorgen hatte es der Fremde nicht nur fertiggebracht die Neugierde der beiden Hoffnungsträger der deutschen Judikative zu wecken, sondern sie auch gleichzeitig zur absoluten Geheimhaltung zu verpflichten. Nicht einmal der Name des Mannes war ihnen genannt worden. Sie ahnten, dass sie offensichtlich für höhere Aufgaben vorgesehen waren.

Von diesem Tag an sollte das Leben der beiden Kameraden eine neue Richtung einschlagen, von der sie nicht wussten, wo sie eines Tages hinführen sollte. Neben unzähligen psychologischen Tests, die sie über sich ergehen lassen mussten, wurde auch ihr Gesundheitszustand intensiv überprüft. Fast täglich entwickelten sie neue Theorien, wie ihre Zukunft verlaufen könnte, wenn sie sich mit dieser offensichtlich im Untergrund operierenden Organisation einlassen würden.

Bis vor zwei Tagen der Fremde, der sie damals angesprochen hatte, sie zu einem Termin in eine Anwaltskanzlei bat. Wie gehabt durften sie mit niemandem darüber sprechen. Die Frage nach den üblichen Unterlagen wie Bewerbungsschreiben, Lebensläufe, Zeugnisse oder Abschlüsse, die mitzubringen wären, wurde kurzerhand verneint.

„Bringen Sie einfach sich selbst und Ihre Ideale mit. Mehr brauchen wir nicht!“, waren die Worte des Fremden, kurz bevor er sie aus seinem Mercedes entließ. Anschließend verschwand er genauso schnell, wie er nur wenige Minuten zuvor scheinbar aus dem Nichts auftaucht war.

Längst hatte man in insgesamt 18 Monaten mühevoller Kleinarbeit alles zusammengetragen, was es über die beiden Freunde zu wissen gab. Sie waren die einzigen Verbliebenen aus einer endlosen Reihe möglicher Kandidaten. Die Suche nach jungen Leuten, die sich für die bevorstehenden Aufgaben eignen würden, dauerte nun schon sechs Jahre. Obwohl man anfangs davon ausging, drei Personen finden zu müssen, entschied man sich, es in diesem besonderen Fall bei den beiden zu belassen. Auch wenn es sich im Laufe vieler Jahre als vorteilhaft herausgestellt hatte, divergierende Meinungen zweier durch einen Dritten entscheiden zu lassen, war man von der Entschlussfreudigkeit der beiden geradezu fasziniert.

Zwei Menschen, die sich beide mit ihren persönlichen Vorstellungen und Ansichten einbrachten und trotzdem immer in der Lage waren einen gemeinsamen Entschluss zu fassen, zu dem beide unumstößlich standen. Durch dieses Zusammengehörigkeitsgefühl bildeten sie eine einzigartige Kombination, die jeden durchgeführten Test bestanden hatte und noch bestehen würde. Alles was man in Erfahrung bringen konnte war begutachtet und bewertet worden. Jedes Klassenbuch seit der ersten Schulklasse hatte man auf eventuelle Einträge untersucht. Jedes Zeugnis war gelesen; jeder soziale Kontakt beleuchtet worden. Es waren psychologische Profile erstellt, geändert, verworfen und neu erstellt worden.

Selbst die meisten der Schulaufsätze, die beide irgendwann geschrieben hatten, lagen in Fotokopie vor. Man fand Mittel und Wege dies alles ohne der Hilfe von Menschen aus dem persönlichen Umfeld der beiden zu beschaffen.

Alle eigens für sie konstruierten Situationen und Unwegsamkeiten der letzten Monate hatten sie ohne nennenswerte Probleme gemeistert.

Die Menschen, die wie unsichtbare Schatten seit ein paar Monaten 24 Stunden am Tag in ihrer Nähe waren und immer neue Situationen erschaffen hatten, blieben unbemerkt.

Nichts war dem Zufall überlassen worden. Das Leben der beiden angehenden Juristen lag als offenes Buch in den Händen der drei Männer, vor denen sie an jenem verregneten Nachmittag saßen.

Noch immer lag der Satz „Wir sprechen hier also von Mord!“ in der Luft, als der Chef des geheimnisvollen Dreigestirns nach einer kurzen Pause abermals das Wort ergriff.

„Mord? Lassen Sie uns bitte darauf verzichten, die juristischen Merkmale zur Begrifflichkeit Mord zu erörtern. Ich denke mal, damit wurden Sie im Laufe Ihres Studiums ausreichend gequält.“ Die beiden Gäste nickten zustimmend.

„Wenn Sie jedoch versuchen, diese Merkmale auf das anzuwenden, was wir hier besprechen, werden Sie zumindest im rechtlichen Sinne scheitern. In den von mir beschriebenen Fällen werden Sie weder niedere Beweggründe noch Habgier, Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer oder Verdeckung einer Straftat finden.

Mit Totschlag kommen Sie auch nicht weiter. Dazu fehlt die Spontaneität der Situation.

Kurzum befinden wir uns hier in einer Grauzone, für die es keine anwendbaren Gesetze gibt.“

„Was genau werden unsere Aufgaben sein?“, wollte Reinhard, der etwas kleinere Jungjurist, wissen. Reinhard war immer der etwas ruhigere der zwei Freunde und hatte bislang nur zugehört.

„Sie werden genau dort tätig werden, wo offiziell niemand etwas tun kann: Probleme erkennen, noch bevor sie auftauchen. Schaden abwenden, bevor er entsteht. Das Leben der nicht unmittelbar betroffenen restlichen Bürger unseres Landes schützen.“

„Werden wir einem von Ihnen direkt unterstellt sein?“

„Nein! Sie werden keinen Vorgesetzten haben. Jede Entscheidung muss von Ihnen selbst getroffen werden. Sie werden also, genau wie wir drei während unserer aktiven Zeit, völlig auf sich selbst gestellt sein.“

„Wie sieht es mit nötigen Finanzmitteln aus? Woher bekommen wir Unterstützung von oder durch Experten, wenn einmal Bedarf daran besteht?“

„Alles, was Sie benötigen, befindet sich in diesem Umschlag.“

Er deutete auf einen großen braunen Papierumschlag, der als einziges Utensil neben der spärlichen Einrichtung vor dem Beisitzer zu seiner Rechten auf dem Tisch lag.

„Dieser Umschlag enthält Dokumente, mit denen Sie weltweit auf nahezu unbegrenzte Mittel zugreifen können, ohne dass auch nur die geringste Spur zu Ihnen führt.

Zusätzlich sichern Ihnen weitere Dokumente Zugriff auf das Wissen wie auch auf jede mögliche Form von Ressourcen aller bestehenden oder zukünftigen Behörde unseres Landes. Das Einzige, was Sie mitbringen müssen, ist Ihre Überzeugung etwas zu tun, das niemand anders tun kann. Ganz nebenbei werden und sollten Sie nach außen Ihre ursprünglichen beruflichen Ziele weiterverfolgen. Nur, dass alles etwas leichter gehen wird als bisher angenommen.

Sind Sie bereit sich der Aufgabe zu stellen und unsere Arbeit fortzuführen?“

Die letzte Frage an die beiden Männer hatte zu diesem Zeitpunkt kaum noch einen wirklichen Wert, sondern diente lediglich der Höflichkeit. Schließlich hatten sich beide genau so verhalten, wie es zu erwarten war. Es wurde jede voraussehbare Frage gestellt und jeder Satz gesprochen. Es stand fest, dass sie sich wieder einmal gemeinsam entscheiden würden; und zwar an diesem Tag, ohne Zweifel, ohne Bedenkzeit und selbstverständlich für die Sache.

Die beiden sahen einander kurz an und nickten sich zu, wie es nur wahre Freunde tun, Freunde, die sich ihrer selbst sowie der Loyalität des anderen absolut sicher sind.

Die drei Alten sahen einander zufrieden an.

Zeitgleich standen alle fünf Männer im Raum auf. Wortlos wurden Hände geschüttelt. Auf das obligatorische Zuprosten mit einem Glas Sekt oder Champagner wurde verzichtet. Dazu war die Sache zu ernst und im Grunde auch nichts, worauf man mit einem ‚geistigen Getränk’ anstoßen sollte.

Stumm verließen die drei Älteren den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Jedem Beteiligten war klar, dass man sich nie wiedersehen würde. Der Riegel der Tür fiel ins Schloss. Dann war es plötzlich totenstill! Im Schloss der Tür pendelte ein Schlüsselbund mit nur drei Schlüsseln. Neben dem leeren Raum und einem schmucklosen braunen Umschlag die einzige Hinterlassenschaft ihrer Vorgänger.

Die beiden sahen sich einen Augenblick lang stumm an.

Erst jetzt wurde ihnen bewusst, dass es nun kein Zurück mehr gab.

„Wollen wir mal hineinsehen?“, fragte Reinhard seinen besten Freund mit unsicherer Stimme und deutete mit zitternder Hand auf den Umschlag.

Noch völlig benommen starrte dieser immer noch auf die Tür und erlangte erst allmählich wieder die Fassung zurück. Wie in Zeitlupe drehte er sich zu Reinhard um.

Mit einem tiefen Blick, wie selbst Reinhard ihn noch nie zuvor bei seinem Gefährten gesehen hatte, verzog sich seine ernste Miene zu einem breiten Lächeln.

„Ist dir eigentlich klar, dass wir ab sofort einen Job haben? Dazu noch den wohl krisensichersten Job der Welt.“

„Ja. Aber was für ein Job mein Freund? Was für einer Zukunft sehen wir entgegen?

Fünf Tage - Thriller

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