Читать книгу Fünf Tage - Thriller - Stefan Heidenreich - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеNachdem er seine Praktikantin mit klaren Anweisungen zurückgelassen hatte, machte sich Rene nun auf den Weg in den Keller, wo alle Patientenakten lagerten. Auf dem Gang begegnete er dem Chef der Onkologie, der ebenfalls auf den Fahrstuhl wartete und mit einem kurzen, uninteressierten Kopfnicken grüßte.
Professor Dr. Meinberg war der einzige Arzt im gesamten Krankenhaus, der nur in den seltensten Fällen einen Kittel trug. Bestenfalls wenn er Vertreter des Krankenhauskonzerns oder irgendeiner Behörde durch seine Abteilung führen musste, ließ er sich dazu hinreißen. Rene hatte nie zuvor einen Menschen kennengelernt, der so deutlich zum Ausdruck brachte, wie sehr er seinen Beruf eigentlich hasste.
Den direkten Kontakt zu Patienten mied Meinberg so gut er konnte. Darüber gab es in Kollegenkreisen die verschiedensten Spekulationen. Während einige wenige zu wissen glaubten, dass er selbst einen nahestehenden Angehörigen durch Krebs verloren hatte und seitdem den Anblick nicht mehr verkraften würde, hielt ihn der größte Teil der Kollegen einfach für einen bösartigen Menschen. Hinter vorgehaltener Hand wurde sogar gemunkelt, dass er nur zum Leiter der Onkologie ernannt worden war, weil Menschenleben in seinen Augen nichts wert waren. Sätze wie: „Wetten, dass der sein Auto besser behandelt als seine Patienten?“ fielen mehr als einmal, auch wenn nie einer der Kollegen im Krankenhaus so etwas öffentlich laut aussprechen würde.
Meinberg hatte zu seinem Beruf eine Einstellung, die einem modernen Krankenhaus, bei dem wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, mit Gewissheit sehr gelegen kam.
Rein äußerlich war er mit seinen 1,92m groß und stattlich. Mit seinem leichten Bauchansatz und der perfekt sitzenden Frisur erweckte dieser Mann den Eindruck, als sei er die Gutmütigkeit in Person. Die Leitung der Onkologie übernahm der gebürtige Frankfurter vor zwei Jahren. Schnell stellte sich heraus, dass hinter dieser Fassade ein eiskalter Mensch steckte. Als Mediziner, in seinem Fachbereich mit Sicherheit einer der besten Experten in Deutschland, ließ er jeden Mitarbeiter und Patienten wissen, dass sie für ihn nicht mehr waren als notwendige Bestandteile seiner Arbeit. Über sein Privatleben, sowie seine persönliche Entwicklung wurde nie etwas bekannt und so sollte es auch bleiben.
Aufgewachsen als Sohn eines Professors hatte er nie wirklich eine Wahl was er eines Tages aus seinem Leben machen würde. Er hatte ausschließlich Privatschulen besucht, die seine Eltern bereits vor seiner Geburt sorgfältig auswählten. Kontakt zu Kindern aus der Nachbarschaft gab es kaum. Zur körperlichen Ertüchtigung, wie es sein Vater damals nannte, wurde er im Alter von 9 Jahren in einem Fechtclub angemeldet. Später folgte noch ein Tennisverein so wie die Mitgliedschaft im Golfclub seines Vaters.
Nur ein einziges Mal versuchte er seinen Eltern mitzuteilen, worin er seinen Lebensinhalt sehe. Die Haushälterin hatte soeben das Hauptgericht serviert, als sich der 16-jährige Meinberg vorsichtig zu Wort meldete. „Könnt ihr mich nicht in einen Fußballverein anmelden? Ich möchte nicht mehr fechten.“ Der Vater legte sein Besteck auf den Tellerrand, tupfte sich behutsam den Mundwinkel ab und faltete die Hände wie zu einem Gebet, während die Mutter sich mit gesengtem Blick ihrem Essen widmete. Im Hause Meinberg gab es nur einen Menschen, der Regeln aufstellte, die dann unumstößlich eingehalten wurden.
„Fußball, mein lieber Sohn ist etwas für dumme Menschen. Sportarten wie diese wurden nur erfunden, um uns Intellektuelle zu amüsieren.“ „Aber …“, versuchte der junge Meinberg seinen Vater zu unterbrechen, als die Mutter ihn auch schon daran hinderte. „Du weißt doch, was Papa immer sagt: Wir sind nicht wie die Menschen, die du draußen auf irgendwelchen Plakaten siehst.“ Der Vater blickte seinen Sohn streng an „Neulich war es die Idee eines Tages als einfacher Mechaniker ein paar Groschen zu verdienen und heute ist es Fußball. Wir sind in dritter Generation Mediziner und du wirst diese Linie weiterführen. Also kein Fußball und keine Handwerkerausbildung. Ende der Diskussion!“ Als ob dieses Gespräch nie stattgefunden hätte, aß der Vater genüsslich weiter. ‚Wenn ich nicht mit mechanischen Maschinen arbeiten darf, dann muss ich lernen biologische Maschinen wie welche zu behandeln.‘, dachte der junge Meinberg bei sich, während er lustlos in seinem Essen herumstocherte. Über die Berufswahl wurde im Hause Meinberg nie mehr gesprochen. Eines jedoch schwor er sich an diesem Tag. ‚Es wird nie eine fünfte Generation an Mediziner aus dieser Familie geben!‘ Trotz des sehnsüchtigen Wunschs der Eltern eines Tages Enkel zu haben, blieb er immer Junggeselle und vergnügte sich lieber mit Prostituierten.
Echte menschliche Gefühle zu seinen Patienten hatte er bewusst nie zugelassen. Für ihn waren sie nur bessere Maschinen.
Inzwischen stand der Professor neben Rene im Fahrstuhl. Rene schaute kurz zu dem Mann auf, traute sich aber nicht ihn anzusprechen.
Erst zwei Monate zuvor hatte er gerade Frühschicht auf der Intensivstation. Alle seine Kollegen und die Ärzte aus der Onkologie befanden sich in einem Meeting. Nur dieser Professor Dr. Meinberg weigerte sich damals, wie schon so oft in der Vergangenheit, daran teilzunehmen. Rene betreute zu der Zeit einen Krebspatienten, der seit vier Tagen im Sterben lag, als er feststellte, dass der zuständige Stationsarzt, Dr. Seehof, offensichtlich die notwendige Medikation falsch eingestellt hatte.
Die Tochter und auch die Ehefrau des Patienten hatten Rene inständig angefleht, endlich etwas zu unternehmen. Sie hatten die letzten Stunden am Krankenbett verbracht und mit ansehen müssen, wie der Vater und Ehemann unter schrecklichen Schmerzen litt.
Also suchte er Dr. Meinberg auf und bat ihn um Rat. Meinberg, der gerade in irgendwelche Unterlagen vertieft war, schaute kurz auf und sah Rene über seinem Brillenrand verärgert an. Dass er sich durch Rene gestört fühlte, daran ließ er keinerlei Zweifel.
„Und warum kommen Sie damit zu mir? Geben Sie ihm doch, was Sie wollen. Der geht ohnehin innerhalb der nächsten paar Stunden ex. Hauptsache Sie nehmen nicht dieses teure Zeug, das bereits Ihrem Vorgänger den Job kostete. Und jetzt machen Sie bitte die Tür von draußen zu!“, fauchte er Rene damals an.
Auch wenn Rene die Gründe dafür nicht näher hätte erklären können, hatte er bei der Begegnung im Fahrstuhl plötzlich das Bedürfnis diesem Mann im Moment besser aus dem Weg zu gehen.
Kurzerhand änderte er seinen Plan, direkt in den Keller zu fahren, und legte vorerst einen Zwischenstopp im Erdgeschoss ein.
Dr. Meinberg verließ das Krankenhaus durch einen kleinen Seitenausgang, der zum Parkplatz für leitende Mitarbeiter führte. Erst als Rene beobachten konnte, dass der Professor sich mit seinem Mercedes in den fließenden Verkehr eingeordnet hatte, setzte er seinen Weg in den Archivkeller fort. Wahrscheinlich hatte der Herr Professor wieder einen seiner wichtigen beruflichen Termine, an die inzwischen kein Mensch mehr glaubte.
Die dicke Krankenschwester, die gerade an der Aufnahme saß, fragte Rene, was sie für ihn tun könne, weil er direkt vor ihr am Empfangstresen stand, als ob er nach etwas suchte. Er kannte diese Schwester, nicht besonders gut. Auch allen seinen Kollegen und Kolleginnen ging es ähnlich. Irgendjemand hatte das Gerücht in die Welt gesetzt, dass sie aus einem anderen Krankenhaus strafversetzt worden sei, weil sie eine sexuelle Beziehung zu einer Ärztin gehabt hätte, die ihrer inzwischen überdrüssig geworden war. Alle Krankenschwestern, die dem Krankenhaus frisch zugewiesen wurden, setzte man genau wie sie erst einmal an den Anmeldetresen, die wohl langweiligste Aufgabe im gesamten Krankenhaus. Während die meisten ihrer Vorgängerinnen jedoch nach ein bis zwei Monaten einer Station zugewiesen wurden, saß diese Schwester schon seit fünf Monaten an diesem Platz.
Bis auf ein kurzes „Hallo“ oder „guten Morgen“ hatte Rene noch nie ein Wort mit der ungefähr 30-jährigen Frau gewechselt. Sie trug eine modische Kurzhaarfrisur, die zwar nicht unweiblich wirkte, aber das Gerücht über ihre angeblichen sexuellen Neigungen eher förderte als dementierte.
Mannweib und Kampflesbe waren noch die mildesten Begriffe, die man sich hinter vorgehaltener Hand zutuschelte. Rene hatte einen Moment Zeit sie zu beobachten, wobei ihm nicht entging, dass sie einigen männlichen Besuchern unauffällig aufs Hinterteil sah. Auch der Ton, in dem sie ihn soeben ansprach, wirkte ausgesprochen feminin, was Rene leicht verwirrte.
„Hat sich schon erledigt. Ich sollte hier eigentlich meine Schwester abholen, weil sie mit mir zu Mittag essen wollte. Aber mir fiel gerade ein, dass ich mich in der Uhrzeit vertan habe. Einen schönen Tag noch.“ Er drehte sich um und ging zielstrebig wieder zu den Fahrstühlen, wobei er die Blicke der dicken Schwester deutlich zu spüren glaubte. Innerlich musste er lachen. Demonstrativ wackelte er im Gehen mit dem Gesäß, drehte sich kurz um und fragte scheinheilig: „Gut so?“
„Das üben wir aber noch mal!“ Die Schwester schob ihre Lesebrille, über deren oberen Rand sie gerade sah, wieder hoch und widmete sich lächelnd wieder ihren Aufgaben.
Eine junge Familie mit Blumensträußen in den Händen, die gerade einen der Fahrstühle betreten hatte, rückte etwas zusammen, als Rene ankam. „Wollen Sie mitfahren?“, fragte die Frau. „Nein danke, ich nehme den Nächsten“, erwiderte er. Endlich auf dem Weg in den Keller fiel ihm auf, dass er seit Jahren nicht mehr dort unten gewesen war. Er wusste nur noch, dass der Keller flächenmäßig größer war als das eigentliche Hauptgebäude. Der ursprüngliche Keller des Altbaus, der früher existiert hatte, wurde vor einigen Jahren einfach mit dem des angrenzenden Neubaus verbunden. Anschließend, so erzählte es ihm irgendwann der alte Pförtner, der für die Schranke zum Krankenhausgelände zuständig war, wurde der Altbau komplett bis auf den Keller abgerissen. Auf seinen Grundmauern entstand die Hals-Nasen-Ohren-Abteilung zusammen mit der Augenklinik und eigenem Zugang von der Straße.
So war es möglich diese Abteilung für ambulante Durchgangspatienten bereitzuhalten, die sich nicht dem komplizierten System der Anmeldung im Hauptgebäude unterziehen mussten.
Wenn Rene sich recht erinnerte, so befand sich das Archiv im alten Teil des Kellers, was bedeutete, dass er beinahe das ganze Gewölbe durchqueren musste, um dort hinzugelangen. Endlich beim Archiv angekommen stand er jedoch vor einer verschlossenen Tür. Gab es irgendwo einen Hinweis über die Öffnungszeiten? Noch während er danach suchte, hörte er Schritte, die schnell näher kamen, sowie das Geräusch eines Wagens, den anscheinend jemand schob.
Die Schritte gehörten zu Thomas, der eine Art Gitterbox vor sich herschob, die bis obenhin mit Akten gefüllt war. Rene kannte Thomas aus seiner Anfangszeit im Krankenhaus, hatte ihn jedoch im Laufe der Jahre aus den Augen verloren. Thomas gehörte zum kaufmännischen Krankenhauspersonal, welches zusammen mit der Rechtsabteilung in einem separaten Gebäudetrack untergebracht war. Während seiner Ausbildung zum Kaufmann im Gesundheitswesen, durchlief Thomas auch die verschieden Fachabteilungen im Hause, wozu auch die Rechtsabteilung gehörte. Schnell stellte der Leiter der Abteilung fest, dass sich Thomas für bestimmte Aufgabengebiete wesentlich besser eignete als die drei Anwälte, die das Krankenhaus fest beschäftigte. Insgeheim hoffte er, dass Thomas eines Tages ein Jurastudium nachholen und später seinen Posten übernehmen würde. Kurzerhand beförderte er ihn entgegen allen Protesten der hauseigenen Juristen intern zum Rechtsreferendar.
Als Rene Thomas damals kennenlernte, entwickelte sich eine kurze aber intensive Freundschaft. Man ging zusammen zum Bowling und vertraute sich in sogenannten Männergesprächen das eine oder andere Geheimnis an. Thomas stellte sich dabei als eine Art selbsternannter Frauenheld heraus, dessen Geschichten Rene irgendwann überdrüssig wurde.
Die beiden jungen Männer entwickelten sich in unterschiedliche Richtungen, wodurch die Freundschaft einfach einschlief. Beide gingen beruflich sowie privat ihre eigenen Wege, die sich erst im Archivkeller wieder kreuzen sollten.
„Hey, was machst du denn hier?“ Rene schaute seinen alten Bekannten überrascht an. „Ich dachte, du hättest inzwischen in der Verwaltung Karriere gemacht. Was treibst du also hier unten?“
Thomas verdrehte unwirsch die Augen. „Das siehst du doch. Ich darf jetzt wie ein Hilfstrottel Akten durch die Gegend karren.“
Rene war sichtlich überrascht, seinen alten Freund unter diesen Umständen wiederzusehen.
Thomas schloss die Tür auf und wandte sich wieder der überladenen Gitterbox zu. „Kannst du mir bitte kurz die Tür aufhalten?“ Rene tat wie ihm geheißen und geschickt lenkte Thomas das fahrbare Ungetüm durch den schmalen Eingang, bis er es an einer kahlen Wand abstellte. Rene sah sich im Raum um. Alles sah ziemlich primitiv aus. Unzählige uralte Aktenschränke mit Hängeregistern füllten den Raum. Anders als im Bereich unter dem Neubau war die Deckenhöhe in diesem Teil des Kellers wesentlich geringer, weshalb man die relativ kleinen Regale und Schränke nie durch neuere ersetzt hatte.
Die Wände waren verputzt, was darauf schließen ließ, dass sie gemauert und nicht in einem Stück aus Beton gegossen worden waren. Wenigstens hatte man irgendwann die Beleuchtung ausgetauscht, wofür die vielen Dübellöcher in Decken und Wänden sprachen.
In einer Ecke stand ein kleiner Schreibtisch, auf dem sich eine Kaffeemaschine befand. „Willst du einen Kaffee?“, fragte Thomas, während er bereits eine Tasse mit einem Stück Zellstoff auswischte. „Gerne“, antwortete Rene. „Ich hoffe, du willst keine Sahne oder Zucker. So vornehm bin ich hier unten leider nicht. Ansonsten müsstest du dir deinen Kaffee oben am Automaten ziehen. Allerdings wäre er im Gegensatz zu dem hier bereits kalt, bevor du wieder zurück bist.“
Thomas hatte sich seit damals sehr verändert. Er war zwar natürlich immer noch ungefähr 1,90 Meter groß, stellte aber inzwischen rein äußerlich einen ganz anderen Typ Mensch dar. Der ordentliche Straßenanzug, den er damals stolz getragen hatte, war einer einfachen Jeans und einem unmodischen dicken Pullover gewichen. Die Haare trug er inzwischen etwas länger als damals, wo er noch spätestens alle drei Wochen einen Friseur aufgesucht hatte. Offensichtlich hatte er seine Tätigkeit als Mitarbeiter in der Rechtsabteilung des Krankenhauses gegen den primitiven Job eines einfachen Hilfsarbeiters eintauschen müssen. Dass niemand einen solchen Weg freiwillig geht, das stand fest. Also erkundigte Rene sich sofort nach den Gründen dafür. Er nahm ihm die angebotene Tasse aus der Hand und wärmte seine Finger daran. „Was ist passiert? Du warst doch eigentlich auf dem Weg nach oben.“
Thomas holte tief Luft. „Das dachte ich auch, bis mir letztes Jahr offensichtlich dieser kleine Handfehler passierte. Irgendso eine Tante hatte damals das Krankenhaus verklagt. Du weißt schon, so eine Tussi, der ihre Titten zu klein waren. Nach allem, was uns der Operateur damals versicherte, lief die Sache völlig glatt und es gab keinerlei Komplikationen. Das Implantat wurde vom Körper gut angenommen, und wenn man die Bilder davor und danach angesehen hat, dann konnte es nur eine Meinung geben. Es waren tatsächlich ein paar Prachttitten, die der Chirurg da gezaubert hatte. Man konnte bereits nach sechs Wochen kaum noch eine Naht erkennen. Also eine wahre Meisterleistung der medizinischen Kunst.“
Rene musste schmunzeln. „Thomas, wie er liebt und lebt. Warum hat sie dann das Krankenhaus verklagt, wenn alles so gut verlief?“, wollte Rene wissen.
„Nach ein paar Monaten wurde die Tante plötzlich unzufrieden. Erst klagte sie über Rückenschmerzen, und anschließend machte sie einen auf Depressionen. Ein klarer Fall von Abzocke also, wie er immer wieder vorkommt. Die Sache war ziemlich eindeutig, und wir hätten vor Gericht ganz locker gewonnen. Ich stellte damals die Unterlagen zusammen und unser Anwalt ging in die Verhandlung. Nur, dass ich wohl irgendwie eine falsche Datei aus dem Computer gezogen hatte, die schwere Depressionen einer anderen Patientin bestätigte. Ich druckte das Gutachten damals aus und legte das Deckblatt der richtigen Patientin darüber. Noch heute könnte ich schwören, dass es die richtige Datei war, die ich geöffnet hatte. Aber das, was unser Anwalt damals vor Gericht aus seinem Aktenkoffer zog, war, wie gesagt, das Gutachten einer Bekloppten. Dumm gelaufen würde ich sagen.“
„Konntest du die Sache nicht wieder in Ordnung bringen? Schließlich war es doch nur ein Versehen.“
„Leider nicht! Das Krankenhaus verlor den Prozess und der Patientin wurde ein Schmerzensgeld von 48.000,- € zugesprochen.“
„Seid ihr nicht in Berufung gegangen?“
„Genau das habe ich auch vorgeschlagen. Da allerdings inzwischen jedes Gericht seine Entscheidungen für endgültig rechtskräftig erklären kann, ließ der Richter weder Berufung noch Revision zu. Irgendwelche Verfahrensfehler lagen nicht vor, weil es ja unsere eigenen Unterlagen waren, die uns in dem Fall das Genick gebrochen hatten!“
„Aber warum haben die dich gleich gekantet? Du warst doch der Liebling von eurem Anwalt-Häuptling, dachte ich immer.“
„Die Krankenhausleitung brauchte einen Sündenbock und teilte mir, als jemandem, der nie studiert hatte, mit, dass ich in Zukunft Gelegenheit hätte, den Umgang mit Patientenakten zu üben. Kurzum, die wollten ein Exempel statuieren und da kam ich denen gerade recht.
Seitdem sitze ich hier unten. Mein damaliger Chef der Rechtsabteilung wurde durch einen der drei Anwälte ersetzt, der natürlich nichts Besseres zu tun hatte als mich sofort zu kanten.
Ich wette, dass man mit einem angehenden Juristen anders umgegangen wäre. Aber was soll‘s?“
Thomas rührte, während er Rene sein Leid klagte, in seiner Kaffeetasse herum. Dann sah er ihn an. „Ich habe die ganze Zeit nur von mir gesprochen. Was ist mit Dir? Was führt dich in den Keller?“
Rene setzte ein möglichst offizielles Gesicht auf. Nachdem er unerwarteterweise einen alten Bekannten getroffen hatte, hätte er ihn am liebsten inoffiziell um bestimmte Unterlagen gebeten. Nach dem, was Thomas jedoch widerfahren war, konnte er nicht erwarten, dass sein alter Freund gegen irgendwelche Vorschriften oder Regeln verstoßen würde.
„Ich benötige ein paar Patientenakten aus den letzten zwei Jahren. Kannst du mir die zusammenstellen?“
„Klar, soweit sie sich hier unten befinden, sollte das kein Problem sein. Das meiste ist im Moment jedoch nicht im Hause, weil es derzeit gescannt und digitalisiert wird, damit die behandelnden Ärzte und auch die Krankenkassen von überall einen schnellen Zugriff darauf haben. Erst danach wird alles wieder hier unten eingelagert, um dem Gesetz genüge zu tun. Schließlich haben alle Patienten einen Anspruch darauf, die Originalakten einzusehen. Bitte trag dich schon mal in die Besucherliste ein und gib mir den 414er. Ich suche dir die Sachen dann heraus.“
Thomas schob Rene ein Klemmbrett über den Tisch zu, auf dem dieser seinen eigenen Namen, den des Arztes, der die Unterlagen anforderte, sowie Datum und Uhrzeit eintragen sollte.
„Den 414er?“ Rene wusste nicht, wovon Thomas sprach.
„Na das Anforderungsformular, das der Arzt, der dich schickt, unterschrieben hat.“
„Ich wusste nicht, dass ich so einen Wisch brauche. Kannst du mir die Unterlagen nicht so geben? Ich müsste jetzt erst wieder hoch bis in die fünfte Etage und das Ding besorgen.“
Thomas sah Rene misstrauisch an. „Sei mal ehrlich. Dich hat doch in Wahrheit niemand geschickt. Du willst selbst hineinsehen.“
Rene senkte den Kopf wie ein Kind, das von seinem Vater bei einer Lüge ertappt worden war.
Für Thomas war diese Geste ein eindeutiger Beweis, dass er mit seiner geäußerten Vermutung genau ins Schwarze getroffen hatte.
„Geht es um deine Bekannte? Ich habe von der Geschichte gehört. Auch, dass du das halbe Krankenhaus verrückt gemacht hast, weil du mit der Behandlung unzufrieden warst.
Weißt du, wir haben alle Verständnis für deine Situation, aber glaube mir, die Ärzte hier wissen genau, was sie tun. Schließlich gehört unser Haus zu den besten. Insbesondere im Bereich der Krebsforschung sind die Ärzte hier immer auf dem neuesten Stand.“
Rene merkte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Er war ein schlechter Lügner und Thomas hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Ihn weiter anzulügen machte nach dieser Peinlichkeit keinen Sinn mehr.
„Du hast recht. Es geht mir tatsächlich um Krankheitsverläufe aus dem Bereich der Onkologie, speziell die mit tödlichem Ausgang.“
Thomas wurde kreidebleich. Rene wollte nicht nur die Akte seiner Bekannten einsehen, sondern die aller Patienten. „Bist du komplett wahnsinnig? Wenn so etwas herauskommen würde, dann könnten wir beide uns sofort als Hartz-IV-Empfänger anmelden. Und um einen Job in einem Krankenhaus bräuchten wir uns für den Rest unseres Lebens nicht mehr bewerben. Niemand würde uns jemals wieder einstellen. Tut mir leid, aber in diesem ganz speziellen Fall kann ich dir beim besten Willen nicht helfen, selbst wenn ich es wollte und bereit wäre meinen Job dafür zu riskieren.“
Den letzten Kommentar verstand Rene nicht. Thomas bräuchte, wenn er es wirklich wollte, nur zu einem Regal gehen, die Akten herausnehmen und ihn einen kurzen Blick hineinwerfen lassen. Niemand würde davon erfahren.
„Ich kann es nicht, selbst wenn ich es wollte.“
„Du könntest die Tür offen stehen lassen und gerade Akten holen.“ Sein Blick fiel auf die Gitterbox, die immer noch unberührt an der Wand stand.
„Niemand würde erfahren, dass du etwas davon wüsstest.“
Thomas schüttelte ablehnend den Kopf. Nicht nur, weil er einem Freund seine Hilfe verwehren wollte, sondern auch, weil er keine Chance sah, ihm zu helfen, selbst wenn er dazu bereit gewesen wäre.
„Du würdest nichts finden, weil es diese Akten hier unten nicht gibt. Meinberg selbst hat sie unter Kontrolle. Niemand weiß, was er damit macht. Ich kann dir nicht einmal sagen, ob sie überhaupt noch auf Papier existieren, auch wenn wir eigentlich dazu verpflichtet sind, die Originale zu behalten. Es wird behauptet, dass er in einem Pilotprojekt als erste Abteilung die komplette Digitalisierung der Daten gefordert hat.“
„Bist du dir sicher, dass wir den gleichen Meinberg meinen?“
„Ja ich meine wirklich deinen Chef. Dass ausgerechnet er als Erster den Finger gehoben hat, das hat alle im Krankenhaus damals sehr überrascht. Schließlich hat Meinberg nicht gerade den Ruf, in irgendwelchen Sachen den Vorreiter zu spielen. Aber in diesem Fall hat er es wohl getan. Auf jeden Fall kommt seitdem niemand außer ihm an die Unterlagen heran. Und glaube mir, in seinem Computer sind sie so sicher wie in Fort Knox. Da gibt es elektronische Verschlüsselungsverfahren, von denen selbst die Bundesbank nur träumen kann.“
Rene sah seinen alten Bekannten an und schüttelte leicht lächelnd den Kopf. „Warum überrascht mich das nicht wirklich? Ich persönlich traue diesem Typen nicht weiter als ich ihn sehe. Und nach dem, was du mir da gerade erzählst, jetzt noch weniger als zuvor.
Der Kerl hat doch offensichtlich etwas zu verbergen. Ich weiß nur noch nicht was. Also muss ich eine andere Möglichkeit suchen, um herauszufinden, was dahintersteckt.“
Rene drehte sich zum Gehen um, wurde aber bereits wieder gestoppt, noch bevor er die Tür erreichte.
„Bist du sicher, dass du dich wirklich mit Meinberg anlegen willst? Wenn der etwas mitbekommt, dann zerreißt er dich in der Luft.“
Noch einmal wandte Rene sich Thomas zu.
„Muss er denn etwas mitbekommen?“ Plötzlich gab er sich ungewöhnlich selbstsicher. Der rote Kopf, der gerade noch bewiesen hatte, bei einer Lüge ertappt worden zu sein, war verschwunden und wich einem Ausdruck eiserner Entschlossenheit. Thomas kannte diese Züge an Rene nicht, aber irgendwie imponierte ihm die neue Art an seinem alten Freund. Im Innersten wartete er bereits seit langer Zeit darauf, dass endlich mal jemand einem aus der Führungsriege des Krankenhauses die Stirn bieten würde. Blitzschnell überlegte er nach einem Weg, um bei diesem Versuch helfen zu können. Und schon kam ihm eine Idee.
„Wenn du nicht an die Akten herankommst, dann solltest du dich vielleicht auf das konzentrieren, was nicht aufgeschrieben wurde.“
Jetzt war es Thomas, der mysteriös lächelte.
„Das, was nicht aufgeschrieben wurde? Wie soll ich das jetzt verstehen?“
„Nun da gibt es doch bestimmt noch Angehörige. Und für die Adressen ehemaliger Patienten brauchst du keine verschlossenen Akten oder verschlüsselten Daten, sondern nur das Patientenbuch der stationären Aufnahme.“
Rene musste an seine Begegnung mit der dicken Schwester denken, für die er mit dem Hintern gewackelt hatte und die das aktuelle Buch vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte.
„Wenn dir die Namen der Patienten bekannt sind“, fuhr Thomas fort „dann solltest du auch die Adressen herausfinden können, um die Angehörigen direkt zu befragen. Und eines weiß ich aus meiner Zeit als Referendar der Rechtsabteilung und den vielen Zeugenaussagen, die ich damals gelesen habe, mit Gewissheit:
Angehörige erinnern sich an Dinge, die kein Arzt jemals niederschreiben würde.“
„Und wo finde ich diese Bücher?“ Rene spürte, dass Thomas inzwischen bereit war, ihm zu helfen.
„Die könnten rein zufällig heute Abend in einem Wäschewagen hinten neben dem Parkplatz der Wäscherei liegen. Was kann ich dafür, wenn so ein Trottel vom Pflegepersonal die dreckige Wäsche in eine meiner Gitterboxen wirft. Und die Dinger sehen sich auch wirklich zum Verwechseln ähnlich. Allerdings muss ich, wenn die Dinger morgen früh immer noch in der Box liegen, eine Verlustanzeige schreiben, bevor sie jemand anders dort findet. Was meinst Du? Bekommst du das hin?“
Thomas warf Rene einen bedeutungsvollen Blick zu.
„Findest du wirklich, dass wir Pfleger alle Trottel sind?“
Thomas nahm die Tasse, die Rene benutzt hatte, vom Tisch und stellte sie in eine kleine Kunststoffwanne.
„Nein, nicht alle. Du bist kein Trottel. Du bist ein komplett Wahnsinniger.“ Dann riss er einen kleinen Zettel von einem Notizblock, notierte seine Handynummer und schob sie zu Rene rüber.
„Gib Laut, wenn du die Bücher hast, weil ich ansonsten die Verlustanzeige schreiben muss. Und jetzt mach, dass du hier rauskommst.“
Rene wurde genau wie seine Schwester zu einem ehrlichen Menschen erzogen. Während sich viele der Gleichaltrigen irgendwann damit rühmten, etwas im Kaufhaus gestohlen zu haben, verzichtete er auf die Anerkennung der anderen, die man durch solche Mutproben damals erwarb. Seine Mutter konnte ihren beiden Kindern zwar nie viel Luxus bieten, aber darauf kam es auch nicht an. Sie gab ihnen die Liebe, die ihre Kinder benötigten. Sie sorgte für ihr leibliches Wohl und in kultureller Hinsicht stand ihr Helga mit all ihrem Wissen zur Seite. Neben der Musik interessierte sich Helga auch für viele der anderen kulturellen Einrichtungen wie Museen, Theater und vieles mehr.
Die Kinder konnten, wann immer sie Hilfe brauchten, zu ihr kommen, um sie etwas zu fragen. Auch wenn Rene es damals noch nicht verstand, so hatten die unzähligen Museumsbesuche mehr zu seiner Entwicklung beigetragen, als es bei den meisten anderen Menschen seiner Generation der Fall war. Wenn ihre Mutter zum Beispiel mal einkaufen war, dann gingen sie zu Helga, die sie gerne versorgte und ihnen auch bei den Hausaufgaben half. Helga brachte die exotischsten Speisen auf den Tisch, ohne jemals die Orte, aus denen die Rezepte für diese Speisen stammten, bereist zu haben. Allein ihr Gewürzregal beherbergte über 200 Gewürze.
Während zum Beispiel die amerikanische Bevölkerung Erdnussbutter zu jeder Gelegenheit als Soße für fast jedes Gericht benutzte, war sie für Helga ein exotisches Gewürz. Sie verwendete sie so fein dosiert, dass nie jemand Erdnussbutter in den Speisen vermutete. Sie selbst hatte lange darauf verzichten müssen, weil ihr geschiedener Mann allergisch darauf reagierte.
Mit ihrer Musik hatte Helga immer die Möglichkeit sich etwas zu ihrem normalen Einkommen dazuzuverdienen. Durch diese Gabe war sie auf keinen Vollzeitjob angewiesen, sodass ihr genügend Zeit für ihre kulturellen Interessen und für die Kinder ihrer Nachbarin zur Verfügung stand. Ihre Tätigkeit beim hiesigen Postamt nahm sie nur vormittags in Anspruch, während Renes Mutter als Schneiderin zuerst in einer Fabrik und später, als sie sich eine professionelle Nähmaschine leisten konnte, sehr viel zu Hause arbeitete.
An all dies musste er denken, als er sich anschickte, zum ersten Mal in seinem Leben eine Straftat zu begehen und Akten zu entwenden, die dem Krankenhaus gehörten.
Als er kurz vor 17.00 Uhr am Parkplatz ankam, war es draußen bereits dunkel. Offensichtlich wusste Thomas sehr genau, dass die Wäscheboxen unter einem Wellblechdach direkt neben der Auffahrt zur Wäscherei aufbewahrt wurden und dort bis zum Morgen warten mussten, um entleert zu werden. Wahrscheinlich wusste er das noch aus seiner Zeit in der Verwaltung. Die Wäscherei schloss bereits um 16.00 Uhr, was irgendetwas damit zu tun hatte, dass unterschiedliche Bereiche auch unterschiedlichen Tarifverträgen unterlagen. Es standen nur drei Boxen auf einem Platz, der offensichtlich für wesentlich mehr vorgesehen war. Das Einzige, was Rene nervös machte und ihn sich immer wieder umschauen ließ, war eine Laterne, die unmittelbar hinter ihm den Fußgängerweg ausleuchtete.
Vorsichtig ging er auf die erste Box zu. Den Blick zum Weg ausgerichtet, begann er über das Gitter hinter sich zu greifen und die schmutzige Wäsche zu durchwühlen. Teilweise glaubte er, dass jeden Moment sein Rücken durchbrechen würde, weil er extrem schmerzhafte Verrenkungen machen musste, um den Boden der Box zu erreichen. Fehlanzeige. Hatte Thomas sein Versprechen tatsächlich gehalten oder doch noch kalte Füße bekommen? Im Schutz der Dunkelheit ging Rene zur nächsten Gitterbox.
Wieder versicherte er sich, dass sich niemand seinem Standort näherte. Diesmal musste er jedoch nicht so tief hineingreifen wie zuvor. Gleich unter der obersten Schicht schmutziger Wäsche wurde er fündig. Thomas hatte drei Bücher, die keins der Rene bekannten DIN-Formate hatten, zu einem Päckchen verschnürt, anscheinend damit Rene mit Sicherheit keines zurückließ, das am nächsten Tag Fragen aufgeworfen hätte.
Rene steckte das Bündel unter seine Winterjacke, bevor er schnellen Schrittes sein Auto erreichte. Auch hier traute er sich noch nicht, das Päckchen unter seiner Jacke hervorzuholen.
Er wollte nur noch so schnell wie möglich weg. Vorsichtig trat er aufs Gaspedal.
Zu Hause angekommen ging er die drei Treppen zu seiner Wohnung hinauf, wo ihm seine Nachbarin, die alte Frau Hoffmann, mit einem Müllbeutel in der Hand entgegenkam und freundlich grüßte. Kaum hatte er die Wohnungstür hinter sich verschlossen, warf er seine Jacke über einen Stuhl, zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Telefonnummer, die er schon am Nachmittag eingespeichert hatte.
Thomas wartete bereits seit über einer Stunde auf den eingehenden Anruf. Die lange Wartezeit machte ihn langsam, aber sicher, nervös. Endlich klingelte es. Er klappte sein Handy auf und drückte die grüne Taste, um das Gespräch anzunehmen. „Ja?“
„Ich bin es. Alles angekommen. Ich schulde dir etwas.“
„Ja! Vor allem eine Erklärung. Ich hatte heute nach deinem Besuch noch genug Zeit zum Nachdenken. Wenn es irgendwas gibt, was im Krankenhaus nicht sauber läuft und du mich dazu benutzt, um herauszufinden, was es ist, dann will ich auch wissen, um was es dabei geht. Wir sollten uns sehen. Und zwar heute noch.“
Rene überlegte einen kleinen Moment, bevor er darauf mit einer Gegenfrage reagierte. „Bist du dir wirklich sicher, dass du das willst? Ich habe schließlich selbst noch keine Ahnung, ob es überhaupt etwas gibt, was da unrund läuft. Es ist eigentlich nicht mehr als nur ein Gefühl. Denke daran, dass dich die Sache deinen Job kosten könnte. Schließlich bist du bereits schon strafversetzt worden. Der nächste Patzer und die werfen dich raus, ohne mit der Wimper zu zucken.“
„Lass uns einfach darüber reden“, forderte Thomas. „Bei mir zu Hause sieht es zurzeit schrecklich aus. Du weißt ja: Junggesellenbude. Wollen wir uns im ehemaligen Bowlingcenter treffen? Da ist inzwischen McDonald’s drin und ich habe heute noch nichts gegessen. Sagen wir mal in einer halben Stunde?“
Rene willigte ein. Dann legte er das Fertiggericht, das er bereits am Morgen aus der Tiefkühltruhe genommen hatte, in den Kühlschrank zurück und verstaute die Bücher im Schlafzimmerschrank unter einem Stapel Handtücher. Ohne weiter darüber nachzudenken, griff er seinen Schlüsselbund und machte sich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt.
Thomas traf nur 10 Minuten nach ihm auf dem Parkplatz von McDonald’s ein.
Ein kurzes „Hey“ zur Begrüßung, dann betraten sie das Fast-Food-Restaurant. Ohne ein weiteres Wort über den Grund des Treffens zu verlieren, gingen sie zum Tresen, wo sie sich an einer der fünf Warteschlangen anstellten.
Es war die übliche Massenabfertigung. Eigentlich mochte Rene diese Form des Fast-Food-Essens nicht, aber als geübter Junggeselle, der sich fast ausschließlich von Fertiggerichten ernährte, empfand er es fast schon als eine willkommene Abwechslung. Ein paar Minuten später standen sie an einem Stehtisch, der früher zur Raucherecke gehört hatte und inzwischen nicht mehr so stark frequentiert war. Hier sollten sie ungestört miteinander reden können.
Nachdem er einen kräftigen Happen von seinem Cheeseburger abgebissen hatte, kam Thomas auch schon zur Sache. „Also wonach suchst Du? Von was für einer Ahnung sprichst Du?“
Rene nahm einen großen Schluck aus seinem Colabecher, den man mit seinem 0,5-Liter-Fassungsvermögen tatsächlich als ‚large‘ bezeichnen konnte, bevor er zu erzählen anfing.
„Weißt Du? Seit dem Tod unserer Bekannten mache ich mir immer mehr Gedanken über den Tod und insbesondere über meinen Job. Ich bin zwar, wie du es heute nanntest, nur ein dummer Krankenpfleger, aber vielleicht doch nicht ganz so bescheuert, wie einige Leute im Krankenhaus es gerne hätten. Nachdem mir heute zum wiederholten Male aufgefallen ist, dass anscheinend zwischen dem Moment, in dem die Ärzte aufgeben, und dem Tod der Patienten immer dieselbe Zeit vergeht, dachte ich mir, dass dies kein Zufall mehr sein kann. Der Ablauf ist nach meinen Beobachtungen immer der gleiche und scheint einem Muster zu folgen.“
Thomas verschluckte sich bei Renes Worten. Er hatte eigentlich mit einem Kunstfehler gerechnet, den sein Gegenüber nachweisen wollte.
Das, was Rene allerdings andeutete, ging deutlich in Richtung Verbrechen. Gespannt hörte er weiter zu.
„Es sind anscheinend immer fünf Tage. Zumindest glaube ich, genau das inzwischen erkannt zu haben. Ich habe zwar nie speziell darauf geachtet, aber mindestens bei den letzten drei Patienten, meine Bekannte eingeschlossen, war es so. Um aber ganz sicher zu gehen, habe ich heute einen Freund angerufen, dessen Oma auch bei uns gestorben ist.“
„Stop!“, unterbrach Thomas seinen alten Bekannten. „Sage jetzt nicht, dass es auch bei ihr fünf Tage waren.“
„Bis ich heute Nachmittag zu dir in dein Kellerreich kam, hatte ich nicht mehr als diese vier Fälle und einen Verdacht. Seitdem du mir jedoch erzählt hast, dass Meinberg die Patientenakten aus seiner Abteilung unter Verschluss hält und sogar den Zugriff so streng kontrolliert, bin ich sicher, dass er etwas zu verbergen hat. Ich will wissen, was da los ist, ob der Tod unserer Bekannten, und der der anderen Patienten, zu verhindern gewesen wäre.“
An einem der Nebentische machte sich eine Gruppe Jugendlicher auf das Lokal unter lautem Getöse zu verlassen. Rene wartete unterdessen immer noch auf eine Reaktion seines Bekannten.
Ein kalter Windzug, der beim Gehen der Kinder von draußen hereinzog, ließ einen Pappbecher umfallen. Thomas, der inzwischen Zeit zum überlegen hatte, stellte ihn wieder auf. Dann widmete er sich endlich wieder dem Gespräch.
„Wenn das alles so stimmt, wie du behauptest, dann sollten wir wirklich, wie ich heute ja schon bei deinem Besuch vorgeschlagen habe, zuerst die Angehörigen befragen.“
„Wir?“ Rene sah ihn fragend an.
„Du denkst doch nicht, dass ich mir so etwas entgehen lasse. Wenn du tatsächlich mit deiner Vermutung richtig liegst, dann könnte dies meine Fahrkarte aus dem Keller nach oben sein. Zurück in die sechzehnte Etage, wo ich hingehöre.“
In den Augen von Thomas funkelte eine neue Hoffnung. Rene konnte erkennen, wie dem ehemaligen Referendar der Rechtsabteilung die Gedanken nur so zuflogen. Dieser Mann wollte unbedingt zurück in seinen alten Job, mit dem feinen Anzug und der Krawatte. Anscheinend war Thomas bereits dabei, das Zepter zu übernehmen und die Aufgaben zu verteilen.
„Parallel solltest du dir die aktuellen Patientendateien im Computer zu Gemüte führen. Solange die Behandlung noch nicht abgeschlossen ist, sollten sie noch offen und von jedem Terminal in deiner Abteilung einsehbar sein. Gibt es Zeiten, zu denen du alleine auf der Station und vor allem ungestört bist? Schließlich kannst du nicht nach irgendwelchem Dreck suchen, wenn jemand neben dir steht.“
Rene überlegte einen Moment.
„Frühestens ab Mittwoch hätte ich Zeit und Gelegenheit dazu. Ich habe ab morgen zwei Tage frei und dann wieder fünf Tage Nachtschicht.“
Thomas hatte inzwischen seinen BigMäc restlos aufgegessen und wischte sich mit einer Serviette den Mund ab.
„Nun, wenn du willst, dann kann ich, als einer deiner alten Freunde, dich mal nachts auf der Station besuchen. Ich denke mal, dass niemand Verdacht schöpfen würde. Du weißt doch: Vier Augen sehen oftmals mehr als zwei.“
Rene überlegte einen Moment, ob etwas dagegen sprechen könnte, fand jedoch nichts dergleichen. Also willigte er ein.
Sofort war Thomas wieder dabei, die erforderlichen Recherchen zu koordinieren.
„Bis dahin solltest du vielleicht die Bücher durchgehen und alle Namen markieren, die dir bekannt vorkommen. Schließlich waren die Leute ja mal auf deiner Station. Da kommt dir sicherlich der eine oder andere Name bekannt vor, wenn du ihn liest.
Aber bitte male nicht in den Büchern herum. Entweder du schreibst die Namen und Adressen einfach ab oder du kopierst die Seiten und markierst sie dort. Schließlich muss ich die Bücher bald wieder zurücklegen. Du hast im Übrigen dafür nur bis zum Wochenende Zeit. Anders als du habe ich geregelte Arbeitszeiten und mein Dienst endet Freitagabend um 16.00 Uhr. Ich weiß nicht, wer sich am Wochenende da unten herumtreibt und wem die Abwesenheit der Bücher auffallen könnte. Auch wenn die Dinger meist nur herumliegen, sollten wir kein unnötiges Risiko eingehen.“
Rene entschied sich für die erste der zwei genannten Möglichkeiten, bei der er die infrage kommenden Adressen abschreiben würde. Er wollte sie in eine Datei auf seinem Laptop eingeben, wo er später auch alle weiteren Informationen hineinschreiben würde. Thomas bot an, diese Aufgabe der Datenerfassung für ihn zu übernehmen, weil er ähnlich strukturierte Daten bereits früher organisiert und gepflegt hatte, wenn es darum ging, vermeintliche Regressansprüche nach Ungereimtheiten zu untersuchen. Nicht immer liefen diese Untersuchungen fair ab, aber darauf kam es damals nicht an. Es war sein Job und den beherrschte er zu jener Zeit recht gut. Den Rest erledigten die Anwälte.
„Ich bin gespannt, was wir alles finden.“ Rene schüttelte seinem neuen Verbündeten vor dem Restaurant zum Abschied die Hand. Dann begab er sich zu seinem Auto, das auf dem Parkplatz nur zwei Plätze von Thomas getunten BMW entfernt stand. Rene blieb noch einen Moment stehen, bevor er die Tür seines VW Golfs aufschloss und atmete die kalte Luft des Winterabends ein. „Ich hoffe, nichts“, flüsterte er sich selbst zu.
Kaum zu Hause angekommen klingelte bereits Renes Telefon. Tanja, eine Kollegin, fragte an, ob er ihre Schicht am kommenden Morgen übernehmen könnte. Er müsste zwar auf seinen freien Tag und wahrscheinlich auch auf den darauf folgenden verzichten, aber dies würde sie später wieder gutmachen. Sie war mit ihrem Freund zusammen zu Besuch bei der 80-jährigen Großmutter in Holland, als plötzlich das Auto kaputtging. Das nötige Ersatzteil sollte erst am nächsten Tag eintreffen.
Obwohl Rene eigentlich am nächsten Tag mit seinen Recherchen beginnen wollte, willigte er ein.
Am darauf folgenden Morgen im Krankenhaus. Rene hatte sich bereits umgezogen und einen Kaffee eingegossen, als Claudia die Praktikantin zur Tür hereinkam. „Oh, was machst du denn hier? Ich hatte eigentlich Tanja erwartet.“ Rene erzählte ihr, warum er seinen freien Tag im Krankenhaus statt zu Hause verbrachte und erkundigte sich nach eventuellen Neuigkeiten, die er wissen müsse.
„Wir haben einen Neuzugang in Bett 7a. Diesmal ein kleines Mädchen aus einem städtischen Kinderheim. Ein ziemlich trauriger Fall.
Ich habe versucht sie etwas aufzuheitern und mit ihr zu spielen. Aber ich komme nicht an sie heran. Sie liegt nur reglos da und starrt unentwegt die Decke an. Vielleicht hast du als Mann mehr Erfolg.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann. Sagtest du 7a?“
„Ja! Warum?“ Rene sah Claudia so eindringlich an, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. „Was ist aus der jungen Frau geworden?“
„Sie ist letzte Nacht verstorben und wurde bereits zehn Minuten später abgeholt. Ich hatte kaum die Zeit das Bett für die Kleine vorzubereiten. Manchmal denke ich, die Leute stehen schon Schlange, um hier bei uns zu sterben.“
Rene starrte in seine Tasse. „Sieht ganz so aus“, flüsterte er für Claudia kaum hörbar. „Fünf Tage!“, fügte er noch hinzu, womit die junge Frau jedoch nichts anfangen konnte.
Anders als sonst gab es im Falle des kleinen Mädchens keinen Angehörigen, der bei ihr am Bett saß. Sie war ungefähr sieben Jahre alt und hatte ein Kopftuch umgebunden. Rene kannte den Grund dafür nur zu gut. Mit Gewissheit hatte sie bereits einige Chemo-Therapien hinter sich und inzwischen keine Haare mehr auf dem Kopf. Erwachsene Menschen in dieser Phase zu sehen, war mit Sicherheit eine der schwersten Aufgaben in seinem Job. Ein Kind jedoch beim Sterben zu beobachten, das brach Rene jedes Mal das Herz. Traurig stand er am Krankenbett und betrachtete das kleine Mädchen. Wie Claudia bereits erwähnt hatte, starrte die Kleine stumm zur Zimmerdecke hinauf.
Offensichtlich gab es nur zwei Dinge, die ihr die Leute vom Heim mitgegeben hatten, als sie vor drei Monaten in die Notaufnahme kam, weil sie beim Spielen von einem Baum gefallen war: einen alten, verfilzten Teddybär, an dem sie sich krampfhaft festhielt, und ein Foto, das auf dem Nachttisch lag und spielende Kinder zeigte. Rene nahm es in die Hand und versuchte sie darauf auszumachen. Ihren Namen las er auf einem Klebestreifen am Fußende ihres Bettes: ‚Saskia‘.
„Hey, Saskia! Ich bin der Rene. Ich bin hier, um dir zu helfen wieder gesund zu werden.“
Saskia starrte immer noch die Decke an, als würde sie ihn nicht wahrnehmen. Dass dies nicht der Fall war, wusste er nur zu gut. ‚Na klasse!‘, dachte er bei sich. ‚Meine ersten Worte waren bereits eine Lüge und die Kleine ahnt es bestimmt.‘
Das traurige Schicksal der Kleinen bewegte Rene und er war fest entschlossen ihr die letzten Tage so leicht wie möglich zu machen. Doch dafür müsste es ihm gelingen das Eis zu brechen.
Intensiv betrachtete er das Bild in seiner Hand.
„Wer sind die Kinder auf dem Bild hier? Deine Freunde?“
„Egal!“ Die Antwort kam schnell und bestimmt.
Immer noch sah sie ihn nicht an, aber sie sagte wenigstens etwas. Laut Claudia, die in der Tür stand und die Situation mit Tränen in den Augen beobachtete, war dies die erste Reaktion seit Stunden.
„Nun, mir ist das nicht egal. Und, soll ich dir sagen warum nicht?“
Immer noch versuchte Saskia ihn zu ignorieren. Dass er sie etwas fragte, weckte ihre Neugierde, was sie jedoch unmöglich offen zugeben konnte. Nur ein kurzer Blick zu dem Mann, der neben ihrem Bett saß, verriet, dass sie auf eine Erklärung wartete.
„Weil du mir nicht egal bist. Verrätst du mir bitte, wer deine Freunde auf dem Bild sind?“
Wieder bekam er keine befriedigende Antwort. „O. k., wenn du etwas brauchst oder dich einfach nur mal mit jemandem unterhalten möchtest, dann klingel nach uns.“ Rene stand auf, drehte sich um und lief bewusst langsam auf den Ausgang zu, noch immer in der Hoffnung, dass die Kleine es sich anders überlegen und mit ihm reden würde.
„Jenny, Sabrina, Kevin, Mike und der blöde Sven.“
Rene kam zurück, nahm das Foto noch einmal in die Hand und sah es sich genauer an. Es waren sechs Kinder abgelichtet. Davon ausgehend, dass sie, wie die meisten Menschen es getan hätten, die Kinder der Reihe nach von links nach rechts aufzählt hatte, vermutete er, dass das dritte Mädchen von links sie selbst war, ein Kind mit einem scheinbar fröhlichen Lachen in einem blauen Kleid. Dass selbst dieses Lachen nur für den Fotografen aufgesetzt war, konnte er deutlich fühlen. Alle Kinder mit Ausnahme von Sven, der ganz rechts stand, hatten etwas in den Augen, das ihre Traurigkeit ausdrückte, während der Mund lachte. Rene überkam ein kalter Schauer. Ohne diese Aufzählung hätte er keine Chance gehabt, unter den Mädchen auf dem Foto das Kind wiederzuerkennen, das nun vor ihm lag.
Die Kleine hatte zum ersten Mal gesprochen, und das galt es zu nutzen. Würde er jetzt den Raum verlassen, dann wären diese fünf Namen das Letzte gewesen, was Saskia vor ihrem bevorstehenden Tod gesagt hätte. Dazu konnte Rene es nicht kommen lassen. Also stellte er, während er wieder auf dem Besucherstuhl Platz nahm, die nächste Frage.
„Wo ist dein Teddy auf dem Foto?“
„Mr. Bär?“ Endlich sah sie ihn an. Rene lächelte freundlich.
„Ja! Mr. Bär.“
„Der durfte nicht mit aufs Foto. Die wollen nicht, dass jemand sieht, wie alt die Spielzeuge sind, die sie uns zum Spielen geben. Aber das ist mir egal. Ich habe ihn trotzdem lieb.“
Sie drückte das verfilzte Knäuel noch fester an sich.
Rene wusste, dass er den Moment nicht überstrapazieren durfte. Zudem merkte er, dass ihm die Geschichte sehr naheging, und das wollte er sich nicht anmerken lassen. Langsam stand er wieder auf und streichelte Saskia sanft über die Stirn. „Wenn du etwas brauchst, dann klingel nach mir oder ruf mich einfach. Ich bin nebenan. O. k.?“
„O. k. Rene!“
Sie nannte ihn beim Namen. In ihm stiegen Gefühle auf, die er kaum noch kontrollieren konnte. Die Luft zum Atmen wurde ihm knapp. Der Hals zog sich scheinbar zu und er musste aufpassen, dass ihm nicht vor den Augen des Kindes die Tränen ins Gesicht schossen.
Schnell wandte er sich von seiner Patientin ab.
Claudia stand die ganze Zeit über im Türrahmen. Als Rene an ihr vorbeilief, wollte sie ihm irgendetwas Aufmunterndes sagen, was er jedoch mit einer eindeutigen Geste ablehnte. „Jetzt bitte nicht!“ Er ging an seinen Schreibtisch und legte für ein paar Minuten den Kopf in beide Hände. Anschließend atmete er noch ein paar Mal tief durch, stand auf und ging zur nächsten Patientin. „Guten Morgen Frau Schumann. Wie haben Sie geschlafen?“
Im Keller des Krankenhauses ging Thomas, als hätten die gestrigen Ereignisse nicht stattgefunden, wie jeden Tag seiner langweiligen Arbeit nach. Er wurde jedoch unterbrochen, weil mehrere Pakete mit Krankenakten zurück gebracht wurden. Diese waren inzwischen von einer Fachfirma eingescannt und digitalisiert worden. Für Thomas war mit diesen Lieferungen immer die gleiche Prozedur verbunden. Die beiden Fahrer, die er inzwischen recht gut kannte, brachten mehrere Sackkarren mit Kartons, die vorher ordentlich beschriftet worden waren, sodass Thomas beim Wiedereinsortieren keinerlei Mühe hatte, sie in die Hängeregister, aus denen er sie ein paar Wochen zuvor entnommen hatte, abzulegen. Es gab inzwischen ein festes Ritual, das sich im Laufe der Zeit eingespielt hatte. Zweimal brachten die beiden Lieferanten ihm einen Kaffee aus dem Automaten in der Empfangshalle mit. Bei jedem dritten Besuch war Thomas an der Reihe, die beiden mit Getränken zu versorgen. Zwischen den einzelnen Gängen zum Auto gab es kurze Pausen, in denen einer der beiden meist heimlich eine Zigarette rauchte und man einen Small Talk hielt. Der Lieferwagen war immer bis unter das Dach gefüllt, weshalb sich die Sache auf bis zu zwei Stunden hinzog. Natürlich hätte man die Arbeit auch in weniger Zeit erledigen können, aber das machte wenig Sinn.
In der Zwischenzeit übertrug nämlich ein EDV-Fachmann, den die Firma mitschickte, alle inzwischen erfassten Daten in die Computeranlage des Krankenhauses. Der Server stand zwar auch im Keller der Anlage, aber dort befand sich kein eigenes Terminal mit der erforderlichen Zugangsebene. Die Terminals für die Systempflege befanden sich ausschließlich in der 15. Etage. Natürlich gab es auch ein paar Computerarbeitsplätze auf den einzelnen Stationen, aber diese dienten nur zur reinen Datenerfassung und Einsicht. Schließlich sollte jeder behandelnde Arzt auch kurzfristig Zugang zu diesen Daten haben.
Bereits vor einem halben Jahr war jeder der Zugangsberechtigten zu einem einwöchigen Seminar geschickt worden, bei dem er mit der Handhabung der neuen Technik vertraut gemacht wurde. Besonderen Wert legte man dabei auf den Bereich Datenschutz. Jeder Teilnehmer bekam zum Seminarende neben einer Urkunde auch seinen eigenen achtstelligen Berechtigungscode, bestehend aus Buchstaben und Zahlen, in einem verschlossenen Umschlag ausgehändigt.
Den meisten von ihnen wäre eine reine Zahlenkombination zwar lieber gewesen, weil man sich diese besser einprägen konnte, aber das war nicht möglich. Aus den verschiedensten Anwendungsgebieten der EDV und insbesondere auf dem Gebiet der Datenverschlüsselung wusste man mittlerweile, dass reine Zahlencodes wesentlich leichter zu knacken sind als die inzwischen verwendeten Kombinationen aus Zahlen und Buchstaben. Jeder Berechtigte musste damals eine Erklärung unterzeichnen, die es ihm untersagte den Code jemals einem Kollegen zu verraten.
In einem anderen Krankenhaus war ein paar Monate zuvor sogar ein Stationsarzt entlassen worden, weil herauskam, dass er eine Krankenschwester damit beauftragt hatte, ihm etwas auszudrucken und ihr zu diesem Zweck seinen persönlichen Zugangscode mitgeteilt hatte.
Die beiden Boten hatten gerade die letzten Kisten in den Keller gebracht und waren nun dabei die Kartons die Thomas bereits zusammengestellt hatte, aufzuladen.
„Wohin bringt ihr die Sachen eigentlich?“ erkundigte sich Thomas.
„Die gehen von hier aus direkt zur Filiale von Medi-Data-Systems draußen am Flughafen, dorthin, wo früher die alten Kasernen der Alliierten standen, gleich neben dem neuen Gebäude mit dem Flugsimulator. Was die genau damit machen, dass weiß ich auch nicht. Mir reicht es, die schweren Dinger transportieren zu müssen. Aber wenigstens ist irgendwann im nächsten Jahr Schluss damit, weil ihr ja inzwischen alle neuen Daten selbst eingebt.“
‚Medi-Data-Systems‘. Als er wieder alleine war, notierte sich Thomas diesen Namen. ‚Man weiß ja nie, ob wir das noch einmal brauchen werden‘, dachte er bei sich.
Ansonsten verlief der Tag ohne besondere Vorkommnisse. Thomas sortierte die angekommenen Unterlagen zurück in ihre Fächer, während Rene alles unternahm, um der kleinen Saskia ihre letzten Tage so angenehm und schmerzfrei wie möglich zu gestalten.
Am Abend trafen sich beide in Thomas Wohnung, wohin sie sich auch etwas vom Pizzalieferanten bringen ließen.
Rene war in die Bücher vertieft und notierte jeden Namen, an den er sich zu erinnern glaubte, sowie die dazugehörige Adresse auf einem Blatt Papier, während Thomas die Datei im Computer vorbereitete, in welche die Informationen, die sie sich von den Angehörigen ehemaliger Patienten erhofften, später eingegeben werden sollten. „Übrigens habe ich heute mal in Erfahrung gebracht, wer die Akten für das Krankenhaus digitalisiert. Es könnte schließlich sein, dass wir eines Tages an Meinbergs Computer müssen. Sagt dir die Firma Medi-Data-Systems etwas?“
Rene sah kurz auf. „Noch nie etwas von denen gehört. Wer soll das sein?“
„Keine Ahnung. Sobald ich hiermit fertig bin, kann ich ja mal im Internet versuchen herauszufinden, was das für eine Bude ist.“
Beide arbeiteten intensiv an ihren Aufgaben, bis Thomas vermeldete, seine Datei fertiggestellt zu haben. Wenn Rene so weit wäre, dann könne er anfangen die ermittelten Namen und Adressen in den Computer einzugeben, während er selbst im Internet nach Medi-Data-Systems suchen würde.
Rene hatte sein eigenes Laptop mitgebracht, weil er nicht wusste, auf welchem Computer Thomas arbeiten wollte.
„Hat deine Kiste eigentlich Wireless-Lan? Dann könnten wir die Computer tauschen, solange wir beide beschäftigt sind. Ansonsten müsste ich mit den Recherchen warten, bis du die Daten eingegeben hast.“ Verärgert sah Rene seinen Freund an. „Ich denke mal, dass mein Rechner etwas neuer ist als deiner. Arbeitet dein Rechner schon mit elektrischem Strom oder muss man noch Holzkohle nachlegen?“ Ohne Renes letzten Satz zu kommentieren, klappte Thomas Renes Laptop auf. Rene begann unterdes die ermittelten Namen und Adressen in die von Tomas vorbereitete Datei einzutippen.
„Das ist ja interessant“, sagte Thomas 20 Minuten später. Rene schaute zu seinem Freund hinüber, während der gerade am mitgebrachten Laptop saß und eine Seite intensiv betrachtete.
„Was hast du gefunden?“
„Anscheinend ist Medi-Data-Systems eine Tochtergesellschaft von Medi-Data in München, und die wiederum sind irgendwie verbunden mit Genesis-Medi-Com in Kanada. Irgendwo habe ich das Logo von denen schon mal gesehen. Ich weiß nur nicht, wo das war.“
Rene rollte mit seinem Bürostuhl zu seinem Freund rüber und schaute auf den Monitor.
„Du hast recht. Und ich kann dir auch sagen, wo du es schon mal gesehen hast. Die stellen so ziemlich alles her, was man heutzutage in Krankenhäusern braucht. Das ganze Hightech-Equipment. Ultraschallgeräte, Computertomografen und auch die neuen Spiralspintomografen werden von denen geliefert. Meines Wissens sind die schon ewig im Geschäft.“
„Aber was haben die mit Datenerfassung zu tun? Ich dachte immer das wären reine Hardwarehersteller.“ Rene schaute auf die Uhr. Inzwischen war es bereits 23.30 Uhr und er beschloss nach Hause zu fahren.
„Am besten, ich lasse dir mein Laptop hier und nehme dafür deine Kiste mit. Dann kannst du weiter ein bisschen im Internet recherchieren, und ich kann zu Hause noch ein paar Daten eingeben. Ich gehe davon aus, dass ich jetzt ohnehin nicht gleich einschlafen kann. Sehen wir uns morgen um die gleiche Zeit wie heute?“
Thomas, dem es ähnlich ging, stimmte sofort zu und brachte Rene, nachdem sein Laptop in der dazugehörigen Tasche verstaut war, zur Tür.
Insgesamt entdeckte Rene in dieser Nacht elf Nachnamen, die ihm bekannt vorkamen. Alle waren mit Sicherheit Patienten auf seiner Station gewesen und dort auch verstorben. Bereits am nächsten Tag wollte er die Angehörigen der ersten drei Patienten auf seiner Liste anrufen und um ein persönliches Gespräch bitten.
„Saskia hat bereits nach dir gefragt“, begrüßte ihn Claudia am nächsten Morgen. „Irgendwie hat sie dich anscheinend ins Herz geschlossen.“
„Hat die Nachtschicht irgendetwas darüber gesagt, wie es ihr erging?“, fragte Rene nach.
„Sie mussten die Dosis erhöhen. Frau Herrmann war wohl mehrmals bei ihr, um ihr vorzulesen. Du weißt ja, dass sie sich selbst immer Kinder gewünscht hat. Ich glaube, mit ansehen zu müssen, wie es mit der Kleinen zu Ende geht, macht sie ganz schön fertig.“
Rene überlegte einen Moment. „Wenn wir Tanja anrufen und sie bitten den Rest meiner Tagesschicht zu übernehmen, dann könnte ich nach Hause fahren und Frau Herrmanns kommende Nachtschicht machen. Tanja schuldet mir ohnehin noch einen Dienst, den ich für sie übernommen habe, als sie vorgestern aus Holland nicht wegkam. Kannst du sie mal anrufen, ob sie inzwischen schon zu Hause angekommen ist? Ich sehe derweil nach Saskia.“
Die Idee, bereits einen Tag früher die Nachtwache zu übernehmen, kam Rene eigentlich ganz gelegen. Immerhin bedeutete es für ihn auch, einen Tag früher an die Daten des Krankenhauscomputers zu gelangen. Zudem hätte er ausreichend Zeit zur Verfügung, um von zu Hause aus die ersten drei Angehörigen anzurufen, deren Adressen und Telefonnummern sich fein säuberlich zusammengefaltet in seiner Brieftasche befanden.
„Hey, Rene“, begrüßte ihn Saskia, als er den Raum betrat. „Hey, Saskia. Na wie geht es dir und Mr. Bär heute?“
„Mr. Bär hat die ganze Nacht kaum geschlafen. Ich glaube, er hatte Schmerzen.“
„Sicher, dass du von Mr. Bär sprichst?“
„Na ja, mir ging es auch nicht besonders gut. Aber die Ruth hat mir vorgelesen und dabei konnte ich einschlafen.“ Rene streichelte ihr zärtlich über den Kopf.
„Du, Rene?“ Sie sah ihn mit großen Augen an. „Wenn ich doch jetzt bald sterben muss, was wird dann aus Mr. Bär? Ich möchte nicht, dass er wieder in das blöde Kinderheim zurück muss. Die machen ihn bloß kaputt. Kannst du dich vielleicht um ihn kümmern?“
Rene wusste genau, dass er diesem kleinen Mädchen nichts mehr vormachen konnte. Ihr zu erzählen, dass sie bald wieder gesund werden würde und sich selbst um Mr. Bär kümmern könnte, hatte keinen Sinn mehr. Ihre Tage waren gezählt und sie wusste es.
Sie hatte ihre Krankheit und die Tatsache bald sterben zu müssen längst schon akzeptiert. Kein Erwachsener, der ihm jemals begegnet war, nahm diese unumstößliche Tatsache so tapfer hin wie dieses kleine Mädchen. Ob ihr überhaupt klar war, was sterben und Tod wirklich bedeuten, das sollte Rene nie erfahren.
Ihre einzige Sorge galt dem ramponierten Bündel, bei dem es sich einst um einen Teddybär gehandelt hatte.
„Na ja, Saskia, meinst du, er würde mit zu mir wollen? Ich würde mich gerne um ihn kümmern.“
Sie hielt ihr einzig verbliebenes Spielzeug an ihr Ohr. „Also, Mr. Bär sagt, er will. Aber eins musst du mir versprechen.“ Rene lächelte kurz, setzte aber sofort wieder ein ernstes Gesicht auf, um seiner kleinen Patientin zu demonstrieren, wie ernst er sie nahm. „Was soll ich dir denn versprechen?“
Saskias braune Knopfaugen wurden richtig groß. „Du darfst Mr. Bär nie in ein Heim geben.“
„Großes Ehrenwort“, sagte Rene und reichte ihr seine Hand, um das gegebene Versprechen zu besiegeln.
Claudia kam in den Raum. „Ich habe Tanja erreicht, sie kam zwar erst heute Nacht zu Hause an, ist aber in einer Stunde hier und übernimmt den Rest deiner Schicht.“
Als Rene sich wieder zu Saskia umdrehte, stellte er fest, dass sie inzwischen wieder eingeschlafen war. Vorsichtig löste er ihre kleinen Finger, die immer noch seinen Daumen umklammerten. „Psst! Lass uns rausgehen. Sie braucht jetzt ihren Schlaf. Wer weiß, wie viele gute Träume ihr noch bleiben?“
„Du hast bestimmt recht“, bestätigte Claudia. „Sie hat, laut Frau Herrmann, die ganze Nacht kaum geschlafen. Ich glaube, sie hat sich krampfhaft wach gehalten und auf dich gewartet.“ Beide drehten sich noch einmal um.
Der Herzmonitor piepte leise und im Moment völlig regelmäßig.
Bevor Rene das Krankenhaus verließ, holte er für Saskia noch einen Pudding aus der Kantine. Wenn sie aufwachen würde, dann wäre Tanja bei ihr. Tanja konnte gut mit Kindern umgehen und Saskia bestimmt erklären, dass Rene bereits am Abend wieder bei ihr sein würde.
Auf dem Heimweg versuchte er Thomas auf seinem Handy anzurufen, aber entweder hatte er es abgeschaltet oder im Keller einfach nur keinen Empfang. Also beschloss er ihm eine SMS zu schicken, um ihn über die unerwartete Planänderung zu informieren.
Um mit den Angehörigen der ehemaligen Patienten zu telefonieren, fuhr er nach Hause, weil er dort eine Telefonflatrate hatte, was bedeutet, dass für alle anfallenden Gespräche ins deutsche Festnetz keine zusätzlichen Gebühren entstehen. Bereits bei der ersten Nummer, die er wählte, stieß er jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten, als ihm eine Stimme ins Ohr flüsterte, dass die Rufnummer leider nicht vergeben war. Noch einmal überprüfte er den Namen und die Adresse im Telefonbuch. Der dort angegebene Anschluss wies einen ‚Manfred Haller’ aus. Die Schreibweisen waren identisch. Also hatte er keinen Fehler gemacht, als er die Telefonnummer herausgesucht hatte. Eine Gegenkontrolle im stets aktuellen Online-Telefonverzeichnis ergab auch nichts anderes.
Kurz entschlossen griff er sich seine Autoschlüssel und fuhr zur angegebenen Adresse. Das Haus, in dem Manfred Haller wohnte, befand sich mitten in der Stadt. Es war einer dieser Altbauten, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden waren. Die Fassade war mit Ornamenten verziert und die Hauseingangtür mindestens vier Meter hoch. Irgendwann im Laufe der Jahre war eine Klingelanlage im Eingangsportal installiert worden, wie sie bei der Erbauung des Hauses mit Gewissheit noch nicht existiert hatte. Rene fuhr die vier Spalten mit den Namen nacheinander von oben nach unten ab. Der Name Haller war jedoch nicht zu finden. Kurzerhand klingelte er irgendwo im Erdgeschoss. Ein leises Summen verriet, dass jemand die Haustür entriegelte. Rene trat ein und sofort lugte der Kopf einer älteren Dame um die Ecke. „Wir kaufen nichts!“ Rene lachte. „Ich will Ihnen auch gar nichts verkaufen. Ich suche Familie Haller.“
„Die wohnen nicht mehr hier“, erwiderte die ältere Dame ihm in einem rüden Ton.
„Mein Name ist Rene Reinicke, ich habe Herrn Haller im Krankenhaus betreut und müsste jetzt dringend mit Frau Haller sprechen.“
Wieder äußerte sich die ältere Dame mit einem erkennbaren Unterton der Missbilligung.
„Ich denke nicht, dass Inge mit euch Kurpfuschern noch etwas zu tun haben will. Und jetzt verlassen Sie bitte das Haus. Sie haben hier nichts verloren.“
Bevor Rene darauf reagieren konnte, fiel die Wohnungstür ins Schloss und ihm blieb nichts anderes übrig, als wieder zu gehen.
Enttäuscht fuhr er wieder nach Hause. Im Internet suchte er nun die Telefonnummer von Inge Haller. Als er nicht fündig wurde, versuchte er es mit dem Vornamen Ingrid. Diesmal hatte er mehr Glück. Eine Ingrid Haller wohnte nur zwei Querstraßen von der Adresse, die er erfolglos besucht hatte, entfernt. Sofort wählte er die angegebene Telefonnummer. Frau Haller konnte sich noch sehr gut an ihn erinnern, auch wenn der Tod ihres Mannes nun fast zwei Jahre zurücklag. Rene bat darum, sie besuchen und mit ihr über ihren Mann reden zu dürfen. Sofort stellte sich Skepsis bei der 55-jährigen Witwe ein. „Haben die Ärzte damals etwa doch Mist gebaut?“
„Nein“, entgegnete Rene. „Ich möchte einfach alles, was ich in meiner beruflichen Laufbahn erlebe, aufschreiben, um mich später daran zu erinnern. Und wer weiß? Vielleicht schreibe ich eines Tages mal meine Memoiren.“
Frau Haller willigte ein, weil sie dafür das größte Verständnis hatte. Auch sie hatte vor einigen Jahren eine Geschichte in Romanform geschrieben, sie jedoch durch den frühen Tod ihres Mannes nie veröffentlicht.
Bereits 20 Minuten später klingelte Rene an der Tür von Frau Haller. Er hatte schon am Vormittag einen Kasten Konfekt von einer Tankstelle besorgt, den er nun überreichte. Frau Haller sah wesentlich erholter aus, als er sie in Erinnerung hatte. Anders als damals, wo sie aus Kummer eher abgemagert wirkte, hatte sie offensichtlich einiges an Gewicht zugelegt. Für ihr Alter wirkte sie noch ungewöhnlich jugendlich. Zumindest kleidete sie sich entsprechend. Rene sah sich in der Wohnung um. Wie hatte diese Frau den Tod ihres Mannes verarbeitet? Gab es Hinweise darauf, ob sie inzwischen wieder in einer Partnerschaft lebte? Alles das hoffte Rene im darauf folgenden Gespräch herauszufinden.
Frau Haller hatte bereits Kaffee gekocht und goss ihm gerade eine Tasse davon ein.
Anschließend fragte sie ihn, ob er das Gespräch vielleicht aufnehmen oder sich lieber Notizen machen möchte.
Dankbar dafür, dass sie ihm diese Bitte erspart hatte, zog Rene ein Diktiergerät aus der Tasche, das er vor ein paar Jahren von einem Oberarzt geschenkt bekommen hatte, der sich seinerzeit ein digitales Gerät zulegte.
„Was wollen Sie also von mir wissen?“ Frau Haller schien direkt begierig darauf zu sein, ihre Geschichte jemandem erzählen zu können.
„Interessiert Sie, wie es mir nach dem Tod von Manfred ergangen ist?“
Rene rührte die Kaffeesahne in der Tasse um, legte den Löffel beiseite und erklärte ihr, was er wissen wollte. Anders als Frau Haller es erhoffte, wollte er zunächst nichts über ihr Leben nach dem Tod ihres Mannes erfahren, sondern viel mehr über die letzten Wochen und Monate davor. Er wusste, was er ihr damit abverlangen würde. Sie musste die wohl schlimmste Zeit ihres Lebens für ihn noch einmal durchmachen. War sie dazu bereit? Rene versuchte, es ihr so schonend wie möglich beizubringen.
„Mich interessieren zunächst erst mal andere Sachen. Zum Beispiel wie kam es zur Diagnose? Wie hat er es aufgenommen und was ist von dem Moment an bis zu seinem Todestag alles passiert? Am besten, Sie fangen einfach zu erzählen an. Wenn es Ihnen zu nahegeht, dann sagen Sie mir bescheid und wir machen eine Pause. Ich möchte keine alten Wunden aufreißen. O. k.? “
Frau Haller war einverstanden, und nachdem auch sie einen Schluck Kaffee getrunken hatte, fing sie zögerlich zu erzählen an.
„Eigentlich war Manfred immer kerngesund. Bis zum Alter von 35 Jahren spielte er aktiv Fußball und später Tennis. Ich habe Manfred nie klagen hören.
Er sagte immer, wenn man nicht krank sein will, dann ist man es auch nicht. Darum mied er Ärzte, wo immer es ging.
Ich muss bestimmt nicht erwähnen, dass er durch diese Überzeugung auch nie zu irgendeiner Krebsvorsorge-Untersuchung ging. Auch nicht, als er dann älter wurde.
Einfach nur deshalb, weil er nie etwas davon gehalten hat. Ich glaube, er wollte nicht wahrhaben, dass auch er eines Tages krank werden könnte. Oder er wollte es einfach nicht wissen.“ Auf einem Regal neben dem Fernseher stand das Hochzeitfoto der beiden. Rene betrachte es, während seine Gastgeberin ihre Geschichte erzählte.
„Eines Morgens vor zweieinhalb Jahren jedoch klagte Manfred bereits gleich nach dem Aufwachen über heftige Rückenschmerzen. Ich ging davon aus, dass er nur schlecht geschlafen oder sich im Schlaf einen Nerv eingeklemmt hatte. Er war ein halbes Jahr zuvor arbeitslos geworden, sodass er eigentlich genügend Zeit gehabt hätte, so etwas auszukurieren. Erst später erzählte er mir, dass ihn dieses Problem bereits seit Wochen gequält hatte. Er hoffte wohl, dass sich die Sache irgendwann von allein erledigen würde.“
„Hatten sie denn keine Chance ihn zum Arzt zu schleppen?“, wollte Rene wissen.
„Manfred und Arzt? Das kam für ihn nicht infrage. Zuerst versuchten wir es mit Salbe aus der Apotheke und später mit einem Wärmepflaster.
Die Schmerzen wurden aber einfach nicht weniger. Ich musste mit Engelszungen auf ihn einreden, bis er endlich zum Arzt ging. Nach ungefähr einer Woche hatte ich ihn so weit. Wir fuhren zu einem Orthopäden, der erst den Rücken abtastete und später röntgte. Doch er konnte nichts finden. Vorsichtshalber verschrieb er Manfred eine weitere Salbe, mit der ich ihn dreimal am Tag einrieb. Der Bereich, in dem er über Schmerzen klagte, wurde nach drei Tagen so druckempfindlich, dass ich kaum eine Chance hatte, ihm beim Einreiben nicht wehzutun. Wir gingen wieder zum Orthopäden, der uns erklärte, einen so hartnäckigen Fall bisher noch nicht behandelt zu haben.
Also gab er uns eine Überweisung ins Klinikum. Auch dort wurde der Rücken abgetastet und geröntgt.
Manfred schrie bei jeder Bewegung förmlich auf. Ich weiß noch, wie der Arzt damals sagte, dass mein Mann nicht so wehleidig sein solle. Ich aber kannte ihn besser und konnte daher ungefähr einschätzen, welche Qualen er dabei durchlebte. Aber auch bei dieser Untersuchung konnte genauso wenig die Ursache gefunden werden, wie beim Betrachten der Röntgenbilder.“
Rene konnte sich ungefähr vorstellen, wer die ersten Untersuchungen damals durchgeführt hatte und nickte verständnisvoll. In dem meisten Fällen war es ein ehemaliger Stationsarzt, der für seine rüpelhafte Art bekannt war. Frau Haller atmete mit geschlossenen Augen einmal tief durch, bevor sie weitersprach.
„Nach Rücksprache mit dem zuständigen Oberarzt wurde Manfred in der Orthopädie stationär aufgenommen und in den nächsten Tagen von den verschiedensten Ärzten untersucht.
Irgendwann, als niemand mehr weiterwusste, beschlossen die Ärzte eine Computertomografie vorzunehmen. Ohne uns ihren Verdacht zu nennen, begann man auf Krebs zu untersuchen.
Drei Tage später teilte man uns das Ergebnis mit.“
Rene bemerkte, dass Frau Haller ihre Tasse mit beiden Händen zum Mund führte. Obwohl der Tod ihres Mannes schon so lange zurücklag, konnte sie in dem Moment das Zittern nicht unterdrücken. Am liebsten hätte er ihr angeboten das Gespräch abzubrechen. Gleichzeitig wusste er aber, dass es Menschen oftmals hilft, über Dinge zu reden, wie diese Frau sie erlebt hatte. Er drängte sie zu nichts und nahm ebenfalls einen Schluck aus seiner Tasse.
„Entschuldigung, aber immer, wenn ich darüber spreche, dann geht es mir so.“
„Sie müssen sich für nichts entschuldigen.“ Rene streckte seine Hand auf dem Tisch aus, um mit einer Geste anzubieten das Diktiergerät auszuschalten.
„Lassen Sie es ruhig an. Es geht schon wieder. Also! Wie gesagt bekamen wir das Ergebnis nach drei Tagen mitgeteilt. Sie hatten irgendetwas in seiner Wirbelsäule gefunden und daraufhin noch eine Ultraschalluntersuchung gemacht, um die Ursache zu finden. Dabei erkannten sie einen fortgeschrittenen Blasenkrebs. Ich frage mich heute immer noch, wie etwas an der Wirbelsäule mit der Blase in Zusammenhang stehen kann. Als wir das Ergebnis damals erfuhren, waren wir wie gelähmt. Ich habe die ganze Zeit geheult, als die Ärzte das erste Mal von einer Chemotherapie sprachen. Wir hatten bis dahin von bestimmt 10 Fällen im Bekanntenkreis und unserer Verwandtschaft gehört und die Leute nach diesen Behandlungen verschiedentlich sogar gesehen. Es war jedes Mal ein schrecklicher Anblick, so abgemagert waren sie, im Gesicht eingefallen und kaum noch Haare auf dem Kopf.
Keiner dieser Freunde und Verwandten hatte danach noch länger als ein halbes Jahr gelebt.“
Rene musste an die kleine Saskia mit ihrem Kopftuch denken. „Das muss allerdings nicht auf jede Chemotherapie zutreffen.“ Versuchte er die Frau zu trösten.
„Ich weiß, trotzdem hatte ich eine wahnsinnige Angst. Manfred meinte allerdings, dass ihn so ein bisschen Säure nicht gleich umbringen würde, und willigte in die Therapie ein. Warum mit der Behandlung allerdings erst vier Tage später angefangen wurde, das habe ich bis heute nicht verstanden. Wahrscheinlich war das mal wieder so eine wirtschaftliche Entscheidung.“ Rene sah seine Gesprächspartnerin mitleidig an. „Na ja“, sagte sie „Den Rest kennen Sie ja. Nach der zweiten Chemo kam er ja dann zu Ihnen. In dem Moment war mir klar, dass ich den Rest von Manfreds Leben bei ihm im Krankenhaus verbringen würde. Und obwohl es die schwersten fünf Tage meines Lebens waren, möchte ich keine Sekunde davon missen.“
Rene schaltete das kleine Tonbandgerät aus und drückte der Frau über den Tisch hinweg die Hand. „Sie schaffen das schon“, sagte er leise. „Sie sind eine starke Frau. Eine Frage habe ich allerdings noch. Haben Sie noch irgendwelche Unterlagen aus dem Krankenhaus? Zum Beispiel Untersuchungsberichte oder etwas in der Art?“
Frau Haller ging an ihren Wohnzimmerschrank und holte einen Karton heraus. „Manfred hat sich damals alles in Kopie geben lassen. Eine alte Urlaubsbekanntschaft von uns, ein Mann, der selbst als Arzt unten in Bayern tätig ist, hatte sich damals alle Unterlagen angesehen, weil Manfred eine zweite Meinung haben wollte. Doch auch der konnte nur das bestätigen, was die Ärzte hier im Krankenhaus gesagt hatten. Wenn Sie mich allerdings fragen, dann haben die damals Mist gebaut. Manfred meinte noch drei Tage vor seinem Ende, dass die in einfache Menschen wie ihn ohnehin nur alte Batteriesäure von der Tankstelle reinkippen, während Promis das richtige Zeug bekommen. Wahrscheinlich hatte er recht und die Tankstelle hatte gerade keine Batteriesäure übrig. Denn sonst hätten die nicht vier Tage warten müssen, um ihm das Zeug zu geben“
Diese Frau war tief im Innersten verbittert und Rene konnte es ihr nachempfinden.
Er stand auf und nahm ihr den Karton aus der Hand. Anscheinend waren die Unterlagen ziemlich vollständig. Blatt für Blatt betrachtete er sie. Selbst die Ausdrucke der Computertomografie hatte sich der Verstorbene damals aushändigen lassen.
Neben unzähligen Untersuchungsberichten fand er noch diverse Schreiben und Auswertungen vom Labor, das damals alle eingeschickten Daten überprüft hatte.
Offensichtlich wurde in diesem Labor erstmals Krebs diagnostiziert.
Er fragte, ob Frau Haller ihm die Unterlagen überlassen könne, aber das lehnte sie vehement ab. Vielleicht hoffte sie, dass eines Tages doch noch ein Kunstfehler entdeckt werden könnte und sie dann wenigstens eine angemessene Abfindung bekommen würde, auch wenn es ihren Ehemann nicht wiederbringen würde.
Noch wichtiger aber war es für sie, im Falle eines Fehlers, die entsprechenden Ärzte zur Rechenschaft ziehen zu lassen.
Rene legte alle Papiere wieder zurück in den Karton und übergab ihn Frau Haller.
„Mir ist schon klar, dass es eine große Umstellung für Sie war, Ihr Leben jetzt komplett alleine meistern zu müssen. Wie lange waren Sie verheiratet?“
„Wir hatten gerade mal die Silberhochzeit erreicht. Aber irgendwie muss es jetzt für mich trotzdem weiter gehen.“
Sie lächelte kurz. „Sie sehen ja, was aus mir geworden ist. Ich musste in eine kleinere Wohnung umziehen. Zum einen wegen der hohen Miete und zum anderen wollte ich nicht in jedem Raum an unsere gemeinsame Zeit erinnert werden. An 25 Jahre, von denen ich keinen einzigen Tag missen möchte. Und uns hätten noch 25 weitere Jahre zugestanden. Am meisten quält mich die Frage, ob es die Ärzte im Krankenhaus waren oder ob das Leben selbst mich darum betrogen hat.“
Unfähig ihr diese Frage beantworten zu können stand Rene auf. „Ich muss jetzt auch langsam los. Ich muss heute noch in die Nachtschicht. Vielen Dank, dass ich hier sein durfte.“
Am liebsten hätte er die Witwe in den Arm genommen, beschränkte sich jedoch auf einen herzlichen Händedruck, der sein Mitgefühl so deutlich ausdrückte, wie er es vermochte.
Wieder in seiner Wohnung angekommen, legte er das Diktiergerät auf den Tisch neben sein Laptop. Anschließend ging er in die Küche und holte sein Fertiggericht, das inzwischen schon den zweiten Tag im Kühlschrank darauf wartete, gegessen zu werden. Er wärmte es in der Mikrowelle auf und fünf Minuten später stand etwas auf den Tisch, bei dem es sich laut Verpackung um Gulasch handeln sollte, aber geschmacklich eher an eingeweichte Bierdeckel erinnerte. Trotzdem aß er es komplett auf, während er sich das Gespräch mit Frau Haller noch einmal anhörte.
Dass auch ihr Mann fünf Tage auf seiner Station gelegen hatte, war ihm schon aufgefallen, als sie es ihm eine Stunde zuvor erzählt hatte. Aber da war noch etwas, etwas, das er gesehen, aber nicht richtig eingeordnet hatte.
War es etwas in den Papieren, die er betrachtet hatte?
Er wusste, dass er auf diese Frage in dem Moment keine Antwort finden würde, und beschloss schlafen zu gehen. Schließlich stand ihm noch eine lange Nacht bevor. Nur zwei Stunden später wurde er durch das Klingeln seines Telefons aus seinem unruhigen Schlaf geweckt. Thomas meldete sich am anderen Ende und fragte an, ab wann Rene allein auf der Station sei. Schließlich könne man die Zeit nutzen, sich in der aktuellen Patientendatei schon einmal umzusehen. Sie verabredeten sich für 22.00 Uhr am Abend.
Rene machte sich auf den Weg ins Krankenhaus, wo Saskia bereits den ganzen Nachmittag und Abend auf ihn gewartet hatte. Tanja berichtete es ihm, als er sie ablöste. „Die Kleine hatte einen sehr schlechten Tag. Dr. Seehof musste zweimal kommen und die Dosierung erhöhen. Am besten du gehst gleich zu ihr. Sie fragt schon die ganze Zeit nach dir.“
Rene ging sofort ans Krankenbett seiner Lieblingspatientin. „Hey, Mr. Bär! Hast du irgendwo die Saskia gesehen?“ Saskia spielte dieses kleine Spielchen sofort mit. Ihr Versuch mit tiefer Stimme zu sprechen klang zwar niedlich, aber zugleich auch traurig. Rene erkannte den Grund in dem Moment, als sie zu sprechen anfing. Der Knochenkrebs hatte bereits drei Wochen zuvor Metastasen in der Lunge verursacht und schon bald würde die Atmung komplett versagen.
„Hey, Rene. Saskia fragt, ob du etwas mit ihr spielst.“
„Klar! Hat Saskia Lust auf ein richtig schweres Rätsel?“
„Ja, Saskia liebt Rätsel.“
Er schob ihr ein Kissen in den Rücken, setzte sich auf den Rand des Bettes und sah in ihre kleinen erwartungsvollen Augen.
„Na gut. Ist aber wirklich ein schweres Rätsel. Du musst dich also anstrengen.“
Saskia nickte kurz. „Also! Warum heißt der Löwe, Löwe?“
„Mhmmm? Keine Ahnung. Warum?“
„Na, ganz einfach. Weil der durch die Wüste löwt.“ Saskia lächelte.
„Pass auf. Jetzt wird es noch schwerer. Warum heißt der Tiger, Tiger?“
„Ist doch einfach. Bestimmt, weil er durch die Wüste tigert.“
„Falsch“, sagte Rene. „Er heißt Tiger, weil er auch durch die Wüste löwt. Aber viel heftiger.“
Beide lachten. „Noch ein Rätsel bitte!“, rief Saskia, wobei sich ihre Stimme fast überschlug und einen kurzen, aber heftigen Hustenanfall auslöste. Nachdem Rene ihr schnell einen Schluck vom Tee auf ihrem Nachttisch gegeben und sie sich wieder etwas beruhigt hatte, bekam sie ihr zweites Rätsel.
„Na gut eins noch. Aber du musst mir versprechen, nicht wieder so doll zu lachen, dass du wieder husten musst.“ „Versprochen“, sagte Saskia.
„O. k., aber wie gesagt, nicht wieder so doll lachen. Also! Weißt Du, wie lange Krokodile leben?“ Saskia zuckte mit den Achseln. „Weiß nicht.“ „Na ganz einfach. Lange Krokodile leben genauso wie kurze Krokodile.“ Wieder schaffte er es, seine Patientin zum Schmunzeln zu bringen. Einen Hustenanfall wie zuvor wollte Saskia nicht noch einmal riskieren, weshalb sie versuchte sich besser unter Kontrolle zu halten, was ihr augenscheinlich auch recht gut gelang.
Tanja, die sich verabschieden wollte, kam in diesem Augenblick bereits in ihrer Straßenkleidung ins Zimmer. „So Saskia“, sagte sie. „Wir beide sehen uns morgen wieder. Und Rene! Da wartet ein Besucher für dich vor der Station. Ich habe gesagt, dass du gleich zu ihm nach draußen kommst.“ Rene streichelte Saskia noch einmal über den Kopf. „Du hast ja gehört Maus, ich muss mich erst mal um einen Besucher kümmern. Wenn du etwas brauchst, klingelst du nach mir. O. k.? “ „Blöder Besucher. Immer wenn es lustig ist, müsst ihr Erwachsenen weg.“
Rene lief zum Eingang und ließ Thomas rein. „Sicher, dass niemand kommt und uns stört?“, fragte Thomas ihn.
„Wenn kein Notfall eintritt, sollte die Nacht eigentlich ruhig verlaufen. Ich bin hier oft nur so eine Art Nachtwächter, der ab und zu nach den Patienten sieht. Aber zum Glück sind es immer nur drei.“
„Immer drei?“
Rene wusste sofort, auf was Thomas hinauswollte. „Immer drei! Jetzt, wo du es erwähnst, finde ich es schon merkwürdig. Nie steht ein Bett leer und nie brauchen wir ein viertes. Wie sagte meine Kollegin gestern? Anscheinend stehen die Leute schon Schlange, um hier sterben zu dürfen. Immer fein der Reihe nach.“
Rene erklärte, dass es offensichtlich noch mehr merkwürdige Dinge gab, die er entschlossen war aufzuspüren. Und die Regelmäßigkeit, in der die Patienten eintrafen, gehörte mit Gewissheit dazu.
„Na gut, darum können wir uns auch noch später kümmern“, sagte Thomas. „Lass uns erstmal sehen, was wir in euren aktuellen Dateien finden.“
Thomas nahm Block und Stift zur Hand, und während Rene eine Seite nach der anderen aufrief, machte er sich ein paar Notizen. Ob den drei Patienten, die zurzeit auf seiner Station lagen, auch wieder nur fünf Tage bleiben würden, das wussten sie zwar nicht, aber sie gingen vorerst davon aus. Was ihnen im Laufe des Abends auffiel, war die Tatsache, dass keiner der Patienten bereits mit einer Krebsdiagnose eingeliefert worden war. Zwar verbrachten zwei von ihnen immer wieder mehrere Wochen zwischendurch zu Hause, aber die endgültigen Krebsdiagnosen wurden alle ausschließlich im Krankenhaus gestellt.
Frau Schumann, die 69-jährige Rentnerin, klagte ursprünglich über Schmerzen in den Knien. Von ihrem Hausarzt wurde sie zu den verschiedenen Fachkollegen geschickt, bis sie schließlich im Krankenhaus landete. Zwei Tage später wurden die Untersuchungen abgeschlossen und das Ergebnis der Patientin mitgeteilt: Leukämie im Endstadium.
Bei Herrn Waldner, dem vierzigjährigen Hartz-IV-Empfänger, wurde der Lungenkrebs festgestellt, nachdem er sich bei irgendwelchen Maurerarbeiten verhoben hatte. Rene erzählte er, dass er früher in einer ganz normalen Stadtwohnung lebte, inzwischen aber fest in einer kleinen Laube der wenigen noch verbliebenen Kleingartenkolonien wohnte. Der Versuch dort einen kleinen Anbau zu erstellen, endete im Krankenhaus, weil er schon nach einer Stunde Arbeit heftige Schmerzen in der Brust bekam. Es dauerte vier volle Stunden, bis er sich schließlich jemanden bemerkbar machen konnte. Und wäre nicht zufällig eine Nachbarin auf ihn aufmerksam geworden, die später auch die Feuerwehr alarmierte, dann wäre er wahrscheinlich unter schrecklichen Schmerzen noch vor Ort verhungert.
Das Unglaubliche an diesem Fall war, dass Herr Waldner Rene gegenüber immer wieder beteuerte nie in seinem Leben geraucht zu haben.
Bei dem letzten der aktuellen Patienten handelte es sich um Saskia. Sie war eigentlich nur vom Baum gefallen und hatte sich ein Bein gebrochen. Diagnose: Knochenkrebs.
In der ersten Phase waren drei unterschiedliche Ärzte zuständig, die unabhängig voneinander ihre Ergebnisse bekannt gaben. Es gab also keinen erkennbaren Zusammenhang.
Trotzdem wurden Rene und Thomas das Gefühl nicht los, dass irgendwie etwas manipuliert wurde, dass es eine Gemeinsamkeit geben müsse.
Wie verhielt es sich mit der Reihenfolge, in der die Patienten eintrafen? Wie kamen die Ärzte trotz der ursprünglich unterschiedlichen Beschwerden plötzlich auf Krebs? Warum starben die Kranken immer nach fünf Tagen?
Thomas war der Erste, der seinen Verdacht offen aussprach. „Es sieht fast so aus, als ob Menschen gezielt auf deine Station gebracht werden, weil sie hier an Krebs sterben sollen. Und damit meine ich nicht den Umstand, dass deine Station eine Hospizfunktion hat, sondern, dass die Leute gezielt getötet werden. Es muss also irgendwelche Zusammenhänge geben. Wenn wir die erkennen, dann finden wir auch den oder die Täter.“
Rene schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich! Denn das würde bedeuten, dass jemand hier bei uns im Krankenhaus bewusst Menschen umbringt. Aber durch die Tatsache, dass die Behandlungen von verschiedenen Ärzten durchgeführt wurden, macht diese Theorie einfach keinen Sinn. Denke bitte mal an den Fall, der in der Berliner Charité aufgedeckt wurde. Da war es eine einzelne Schwester, die Menschen tötete. Ein sogenannter Todesengel.
Aber hier müssten sich mindestens drei Ärzte verbündet haben. Zusammengeschlossen für ein Mordkomplott? Absolut undenkbar finde ich. Zudem macht es auch irgendwie keinen Sinn. Ansonsten kämen nur meine Kollegen vom Pflegepersonal infrage, aber für die lege ich meine Hand ins Feuer.“
Thomas kannte den Fall den Rene angesprochen hatte nur zu gut und erinnerte sich.
Die Schwester in der Charité glaubte ihren Patienten Sterbehilfe zu leisten. Für die Gerichte stellten Fälle wie dieser ein ernst zu nehmendes Problem dar, weil dabei helfen, etwas anderes ist, als Menschen selbst zu töten. Selbst mit „Töten auf Verlangen“ erwartet diesen Todesengel wahrscheinlich eine lebenslange Haftstrafe.
Noch einmal ging Rene alle ihm bekannten Fakten durch.
„Bei uns gibt es einfach nichts, was die Leute miteinander verbindet.“
„Außer einer Krebsdiagnose, die scheinbar aus dem Nichts entsteht“, fügte Thomas hinzu, bevor Rene weitersprach. „Alle Patienten sind unterschiedlich alt und stammen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten. Und das Entscheidende: Das Ganze geht schon seit mehreren Jahren so. Wir sollten also erst mal weiter all das auswerten, was wir finden. Es muss etwas anderes dahinterstecken.“
Thomas hörte geduldig zu. Entgegen Renes Theorie glaubte er, dass nicht zwangsläufig eine direkte Verbindung zwischen einzelnen Betroffenen existieren müsse. Er dachte dabei an einen Roman, den er erst kürzlich während seines langweiligen Dienstes im Keller gelesen hatte. Dabei ging es um einen Mann, der scheinbar wahllos Menschen tötete. Insgesamt 26 Opfer gingen letztendlich auf sein Konto. Der Kommissar in diesem Roman fand jedoch heraus, dass der Täter die ganze Zeit über nur einen bestimmten Menschen hatte töten wollen, um ihn zu beerben. Alle anderen sollten die Polizei nur in die Irre führen. Der hinzugezogene Profiler jedoch fand zwar alle Parallelen zu bekannten Massenmördern, konnte sich aber nicht auf einen bestimmten Typ festlegen. Also begann man, jeden Fall für sich selbst zu betrachten. Erst als man anfing nach Einzelmotiven zu suchen, wurde ein solches in einem Fall deutlich erkennbar und führte letztendlich zum Täter. Es stellte sich heraus, dass er außer dem zu Beerbenden keins der Opfer kannte. Er hatte sie zufällig ausgewählt. Nur durch die Tatsache, dass er immer die gleiche Methode anwandte wie bei seinem Verwandten, konnten ihm letztendlich auch alle anderen Morde nachgewiesen werden.
Die Geschichte war zwar fiktiv, aber warum sollte es keinen Nachahmungstäter geben? Vielleicht hatte jemand zufällig das gleiche Buch gelesen wie Thomas?
Auch in diese Richtung wollte Thomas ab sofort sein Augenmerk lenken, was bedeutete, dass er noch viele neue Eingabefelder in sein Auswertungsprogramm hinzufügen musste. Die Wichtigsten würden mit Gewissheit die Felder – Nutznießer/Begünstigter und das Feld – mögliches Motiv – sein.
„Lass uns einfach weiter Daten im Computer sammeln und feststellen, ob wir doch irgendwann Parallelen feststellen. Oder aber das genaue Gegenteil, was eine andere Theorie bestätigen würde, die ich ebenfalls im Moment entwickle, auch wenn ich derzeit noch nicht darüber sprechen möchte. Du müsstest dazu jedoch in deinen Interviews noch zwei bis drei Fragen mit einbauen, die ich dir noch aufschreibe. Hast du mein Laptop dabei? Dann könnte ich schon mal die Daten deiner drei momentanen Patienten eingeben und die Datei meiner Theorie anpassen.“
Rene holte seinen Autoschlüssel aus dem Aufenthaltsraum und hielt ihn Thomas hin. „Dein Laptop liegt unten in meinem Golf.“ Thomas nahm ihm den Schlüssel aus der Hand. „Du meinst diesen Möchtegern-Rennwagen?“ „Ja, ja, ich weiß. Mit deinem aufgemotzten M3 kann er nicht mithalten. Fährst du eigentlich immer noch Gokart?“
„Nur noch selten“, antwortete Thomas. „Die haben jetzt gegenüber der Kartbahn eine richtige Rennstrecke für Privatfahrer gebaut. Ich war mit meiner Karre schon einmal drauf. Ein Wahnsinnsgefühl! Übrigens bin ich am übernächsten Wochenende wieder da. Diesmal werde ich meinen Boliden mal richtig ausfahren.“
Rene begleitete ihn zur Tür und bereits fünf Minuten später brachte Thomas den Autoschlüssel zurück. „Wir telefonieren morgen. Vielleicht sehen wir klarer, wenn wir darüber geschlafen haben. Aber bitte nicht vor 15.00 Uhr anrufen. Wir arbeiten zurzeit in einer Zwölf-Stunden-Schicht“, ermahnte Rene seinen Freund.
Unmittelbar, nachdem am folgenden Mittag der Wecker gegen 14.00 Uhr geklingelt hatte, machte sich Rene wieder an die Arbeit. Noch während des Frühstücks, das aus einem aufgebackenen Brötchen und einer einzelnen Scheibe Schinken bestand, rief er die nächste Person auf seiner Liste an.
Es handelte sich dabei um eine Mutter, die vor einem Jahr ihre 17-jährige Tochter verloren hatte. Rene konnte sich an diesen Fall noch gut erinnern, weil der Vater des Mädchens damals versucht hatte, das Krankenhaus wegen unterlassener Hilfeleistung zu verklagen. Wenn dieser Fall vor seiner Strafversetzung verhandelt wurde, dann müsste Thomas etwas darüber wissen.
Frau Suleyman, die Mutter des Mädchens, war jedoch nur dazu bereit, telefonisch Auskunft zu geben. Wenn ihr Mann etwas davon erführe, dann würde er nach ihren Worten buchstäblich im Dreieck springen. Er hatte den Tod seines einzigen Kindes nie verwunden. Die Frau berichtete, dass ihre Tochter bereits seit Monaten über Unterleibschmerzen geklagt hatte und damals von einem Arzt zum nächsten geschickt wurde. Dem ursprünglichen Verdacht des Gynäkologen, dass die Tochter an Gebärmutterhalskrebs erkrankt sein könne, ging niemand ernsthaft nach. Hätte man damals die Zeit nicht in den Wartezimmern verschiedener Ärzte verbracht, sondern sofort mit der Behandlung begonnen, dann hätte das Mädchen nach der Überzeugung des Vaters noch gerettet werden können.
Rene fiel auf, dass dies der erste Fall war, bei dem die Diagnose des Gynäkologen bereits in Richtung Krebs ging und nicht erst im Krankenhaus entdeckt wurde. Wie die Mutter berichtete, hatten damals alle Laborbefunde, die der Gynäkologe zur Auswertung in Auftrag gegeben hatte, bereits deutlich eine Krebserkrankung bescheinigt. Rene wollte die Frau, die ihren Mann zurückerwartete, nicht unnütz dessen Zorn aussetzen und verabschiedete sich nach diesen wenigen Worten von ihr. Den Rest, so hoffte er, könnte eventuell Thomas später dazu beisteuern.
Mit Sicherheit befanden sich viele Informationen noch in den Unterlagen der Rechtsabteilung. Auch Antworten, auf die neuen Fragen, die Thomas dem Fragenkatalog hinzugefügt hatte. Auf jeden Fall wären es die wohl einzigen Unterlagen, die in Papierform existieren sollten und nicht nur in Meinbergs Computer.
Es war inzwischen kurz vor 15.00 Uhr und Rene wusste, dass Thomas sich jeden Moment telefonisch bei ihm melden würde. Wie aufs Stichwort klingelte das Festnetztelefon. „Habe ich dich geweckt?“
„Nein", erwiderte Rene. „Ganz im Gegenteil. Ich war heute schon fleißig. Erinnerst du dich an einen Fall Suleyman? Laut der Mutter der Patientin hat der Vater damals das Krankenhaus wegen unterlassener Hilfeleistung verklagt. Der Fall könnte gerade noch in der Zeit verhandelt worden sein, als du noch Referendar in der Rechtsabteilung warst.“
Thomas kannte diesen Fall sehr gut. „Genau! Das war doch die Sache mit dem 17-jährigen Mädchen, bei dem ein Gynäkologe bereits von Anfang an auf Krebs getippt hatte. Der Vater hat damals mehrere Anwälte verschlissen und zum Schluss doch den Prozess verloren. Wenn ich mich recht erinnere, dadurch, dass wir ihn vor Gericht diskreditiert haben. Wie gesagt, es ist ein schmutziges Spiel, bei dem es nicht immer ehrlich zugeht.“
Auch wenn es Rene nicht gerade begeisterte, was er da hörte, freute er sich trotzdem wie ein kleines Kind über diesen Zufall. „Genau den Fall meine ich. Weißt Du, ob es noch Unterlagen gibt? Ich denke mal, dass Meinberg die Gerichtsakten nicht so einfach verschwinden lassen kann.“ Thomas wusste genau, auf was Rene hinauswollte. „Garantiert liegen die Sachen noch im Archiv unseres Justiziars. Und ich glaube, ich weiß auch schon, wer sie mir beschaffen könnte.“
„Meinst du etwa die Kleine, mit der du damals eine Zeit lang gegangen bist?“ Rene hatte das Bild einer kleinen vollbusigen Frau vor Augen, die immer mit zu den Verhandlungen durfte, weil sie die Beteiligten mit ihren weiblichen Reizen so schön abzulenken vermochte. Sie selbst jedoch hielt sich bereits für die künftige Frau eines Anwaltes, der Thomas eines Tages mit Gewissheit sein würde. Zur Zeit ihrer kurzen Liaison erzählte Thomas ihr, dass es nur noch ein paar Jahre dauern könnte, bis er als Anwalt zu Ruhm und Geld gelangen würde. Dass er allerdings nie wirklich die Absicht hatte, Jura zu studieren, sondern schon stolz darauf war, auch ohne ein entsprechendes Studium als Referendar arbeiten zu dürfen, das musste sie nicht unbedingt wissen. Wie Thomas es nannte, hätte er genügend handfeste Argumente, die bei dieser Frau ausreichten, um sie noch einmal für sich zu gewinnen. Das Letzte, so betonte er ausdrücklich, war eher bildlich gemeint. Rene kannte diese überhebliche Art von Thomas, an der sich in den letzten zwei Jahren offensichtlich kaum etwas verändert hatte. Männliche Freunde mussten sich regelmäßig anhören, wie leistungsfähig er beim Sex wäre und die weibliche Bevölkerung schien diese Geschichten auch noch zu bestätigen. Rene fragte sich, ob Thomas sich in diesem Punkt je ändern würde.
„Meinst du, sie würde sich noch einmal mit dir einlassen?“, fragte er ihn.
„Nun, wenn man den Gerüchten in der Kantine Glauben schenken kann, dann wartet sie nur darauf endlich mal wieder ordentlich … na ja. Du weißt schon.“ Rene unterbrach ihn. „Bitte nicht wieder diese Details. Du weißt, dass ich, anders als du, Frauen viel zu sehr respektiere, um mir solche Geschichten anzuhören.“
„Respektieren tu ich die Frauen auch“, konterte Thomas. „Nur eben auf einer anderen Ebene als du. Ha ha.“
Rene wünschte seinem Freund viel Erfolg, und dass er sich im Dienste der Sache bloß nicht verausgaben solle.
„Nun, man muss manchmal auch Opfer bringen. Ich werde nachher in der Kantine sofort die nötigen Schritte unternehmen. Ich wette, dass ich noch vor Beendigung deiner Nachtschicht die Akten habe. Hältst du dagegen?“
Rene lachte. „Dieses Opfer würde ich auch gern bringen. Ob ich jedoch mit deinem Tempo mithalten könnte? Keine Ahnung. Mir ist das auch nicht so wichtig wie dir. Ich brauche keine Erfolge dieser Art. Melde dich aber trotzdem, wenn es geklappt hat. Du weißt ja, wo du mich findest. Ich muss jetzt etwas einkaufen gehen und um 20.00 Uhr beginnt schon wieder mein Dienst.“
Noch bevor sein Arbeitstag am nächsten Morgen anfing, meldete sich Thomas telefonisch bei Rene, der gerade aus der Nachtschicht nach Hause gekommen war und nur mit einem T-Shirt bekleidet mit seiner Kaffeetasse am Wohnzimmertisch saß.
„Melde gehorsam: Projekt ‚Beischlaf-Akten‘ erfolgreich ausgeführt.“
Rene verstand sofort, was Thomas ihm zu sagen versuchte. Er hatte es tatsächlich geschafft, die Frau wieder in sein Bett zu bekommen.
„Na toll, du hast sie also wieder einmal flachgelegt. Und wann bekommst du die Unterlagen? Ich hoffe, du hast nicht nur an dein Vergnügen gedacht, sondern sie auch nach den Unterlagen gefragt.“
Thomas tätschelte einen Aktenordner, der neben ihm auf dem Frühstückstisch lag. „Die habe ich bereits. Es war ganz einfach. Die Kleine war so heiß, dass wir es nicht einmal bis nach Hause geschafft haben. Also habe ich mich ihr noch im Krankenhaus hingegeben. Der Rest war ein Kinderspiel. Während sie runter in die Umkleidekabine der Schwestern ging, um sich frisch zu machen, konnte ich mich ungestört in ihrem Büro umsehen. Das heißt, umgesehen habe ich mich bereits, als ich auf einem Bürostuhl saß und sie mir …“ „Stopp“, schrie Rene in den Hörer. „So genau will ich es gar nicht wissen. Erzähle lieber, wie du das Zeug da rausgebracht hast.“
Wieder eröffnete sich für Thomas eine gute Gelegenheit, um nicht nur mit seiner Potenz, sondern auch mit seinen brillanten Einfällen zu glänzen. Thomas mochte Situationen, in denen er sich anderen überlegen fühlte. Eine Eigenheit, für die Rene nur wenig Verständnis aufbrachte. Schon damals, als die beiden ab und zu zum Bowling gingen, war Thomas seinen Mitspielern haushoch überlegen und er ärgerte sie immer wieder zusätzlich dadurch, dass er dies demonstrativ zu Schau stellte.
„Wie gesagt, es war ein Kinderspiel. Als die Kleine gerade beim Duschen war, griff ich mir die Akte und warf sie in einen meiner Korbwagen. So konnte ich unauffällig damit ins Archiv gehen, wo ich die Papiere in meine Laptoptasche packte, die ich bereits vorher im Auto entleert hatte. Ich war sogar rechtzeitig zurück, als die kleine Maus vom Duschen kam. Danach sind wir zu mir nach Hause gefahren und haben die ganze Nacht …“ Rene räusperte sich nur kurz. „O. k. O. k. Ich höre ja schon auf. Auf jeden Fall habe ich die Unterlagen jetzt hier und meine Besucherin hat vor zehn Minuten das Haus verlassen. Jetzt muss ich nur noch einen Weg finden, sie wieder loszuwerden. Ansonsten muss ich mir demnächst meine Migräne nehmen, damit ich nicht bald auf dem Zahnfleisch laufe.“
„Oh, der große Thomas ist wohl doch nicht mehr so gut in Form wie früher. Aber trotzdem hast du die Sache im Großen und Ganzen ziemlich gut gemacht“, lobte Rene seinen Freund. „Ja, das sagte die Kleine auch. Jetzt musst du mich aber entschuldigen, ich muss mich langsam anziehen und zur Arbeit fahren. Wünsch mir mal Glück, dass ich nicht während der Arbeit einschlafe. Ich bin fix und fertig.“
Die beiden verabschiedeten sich voneinander, und während der eine zu seiner Arbeitsstelle fuhr, legte sich der andere ins Bett, um sich von seiner Nachtschicht auszuruhen.