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1979 – San Francisco – People in motion
ОглавлениеDas grauenhafte Grollen draußen vor meinem Zimmerfenster ließ mich ans Fenster stürzen. Normalerweise hatte ich von hier aus einen herrlichen Ausblick auf San Franciscos Polk Street. Ich schaute bei untergehender Sonne gerne nach draußen. Ich liebte das dumpfe Hupen der Schiffe, bevor sie im Hafen anlegten oder nachdem sie abgelegt hatten und sich auf den Weg durch den Pazifik machten. Ich stellte mir dann diese modernen Frachtschiffe als alte Dampfer vor, wie sie zu Zeiten der europäischen Okkupation dieses herrlichen Kontinents über die Ozeane kreuzten. Ob auch die Ureinwohner diese Signale liebten? Eher nicht, für sie kündigten sich damit unabwägbare Gefahren an.
Mir war bewusst, dass es damals keineswegs mit friedlichen Mitteln zugegangen war. Es war keine Idylle sondern knallharte Eroberungs- und Besatzungsrealität gewesen. Dennoch schlummerte in mir jene gewisse Wildwest-Romantik, die mir so anschaulich Karl May mit seinen Indianergeschichten mit Winnetou, Sam Hawkens und Old Shatterhand ins emotionale Gedächtnis eingebrannt hatte.
Auch Mark Twain hatte mit Tom Sawyers Abenteuern und Streichen seinen Anteil an jener Romantik – diese gemütlichen, hupenden Schaufelrad-Dampfer, dieser unbändige Mississippi, diese überwältigende Natur, dieses ewige Fernweh und jene großen Fahrten zwischen Europa, Afrika und der Neuen Welt. Import von Menschen und Gütern; Sklavenhandel, Ranches, Cowboys, Forts und der Kampf zwischen den „Weißen“ und den „Rothäuten“, zwischen den Süd- und den Nordstaaten – wahrlich keine Idylle, eigentlich kein Platz für Romantik, eigentlich … aber dieses dumpf hupende Ankunfts- und Abschiedsritual der Überseeschiffe faszinierte mich dennoch jedes Mal aufs Neue.
Einen kurzen Augenblick lang verfing sich mein Gefühl in diesem aus der Kurzzeiterinnerung hervorgekramten Schiffsgedröhne; wahrscheinlich sortierte mein Hirn die Signale, doch da war kein aufwendiger Sortieraufwand nötig. Dieses Dröhnen da draußen hatte nichts mit den Schiffsignalen gemein. Mein emotionaler Gedankenbrei wurde abrupt unterbrochen, als sich das unheimliche Geräusch jäh zu einem schrecklichen Donnergrollen steigerte.
Ich zögerte einen Moment, ob ich bei diesem Orkan das Fenster öffnen sollte. Dann riss ich es auf – und spürte keinen einzigen Windhauch. Ein Orkan? Weit gefehlt. Ein unheimlicher Stillstand schien trotz des wütenden Geräusches zu herrschen. Unbegreiflich! Ich bekam eine Gänsehaut. Weit und breit bewegte sich nichts – außer mir.
Alles drehte sich plötzlich um mich herum. Mir wurde schlecht. Ich erlebte etwas völlig Neues, Unbekanntes: einen Schwindelanfall. Ich schloss schnell das Fenster, torkelte ein paar Schritte zurück ins Zimmer, lehnte mich erschrocken mit dem Rücken an die Wand, um nicht hinzufallen. Und dann sah ich es: Das von mir gestern an einem Stück Kordel aufgehängte Bild der Berliner Malerin Monika Sieveking „Kohlekumpels im Streikrevier“ pendelte an der gegenüberliegenden Wand hin und her. Selbst die Wanduhr hinter dem Fernseher schien sich zu bewegen. Erst dachte ich, es läge an meiner Schwindelattacke, aber dann schaute ich noch einmal zum Kohlekumpel-Bild. Kein Zweifel, es pendelte tatsächlich von links nach rechts. Jetzt plötzlich hörte ich von überall her Schreie. All das passierte in Sekunden, aber mir kam es vor, als seien es lange, bange Minuten.
„Open the door!”, hörte ich im Treppenhaus meinen Nachbarn brüllen. Meinte er mich? Ich war wie benommen.
„Open it and get down under the doorway!“, schrie
Sam. “It’s an earthquake!”
Ein Erdbeben! Hätte ich es nicht ahnen können? Hatte ich doch erst kürzlich in Vorbereitung meines achtzehnmonatigen Frisco-Aufenthaltes einiges über den San-Andreas-Graben und über die im wahrsten Sinne des Wortes „bewegte Geschichte“ San Franciscos gelesen. Es war eigentlich klar, dass es wieder geschehen würde. Dennoch hatte ich die Gefahr völlig verdrängt. So wie ganz Frisco mit einer fast unbegreiflichen Sorglosigkeit und einem erstaunlichen Mangel an Wirklichkeitssinn das Urteil, das die Natur über die Stadt verhängt hatte, ignorierte.
Was blieb mir auch anderes übrig, als mich dieser gängigen Ignoranz zu ergeben, wenn ich nicht als Angsthase mein gesamtes, mühsam erarbeitetes Forschungs-, Doktoranden-, Erlebnis- und Karriereprojekt an die Wand klatschen wollte! Natürlich hatte ich lange vor meiner Abreise in dahindämmernden Minuten vor dem Einschlafen gelegentlich an diese Gefahr gedacht. Doch ich hatte sie mit wunderbaren neuartigen Zukunftsphantasien aus dem Bett geworfen.
Dann träumte ich lieber von meiner zügigen Arbeit an meinem Forschungsprojekt, das letztlich der Steuerzahler trug, weshalb ich mich zu guten Ergebnissen verpflichtet fühlte. Ich stritt innerlich mir selbst gegenüber entschieden ab, dass dies alles eine Stufe auf der Karriereleiter sei, denn als Karrierist wollte ich vor mir selbst keinesfalls gelten. Nein, ich war nur ein kleiner Doktorand, der versuchte, im Land seines Erzfeindes ein realistisches Bild von dessen Innerem zu gewinnen.
Meine „Gefahren-Verdrängungs-Träume“ entführten mich durch das gesamte Umfeld von Frisco, führten an den mammutgroßen Red Woods vorbei nach Sausalito in die Golden Gate National Recreation Area, entlang der kalifornischen Weinanbaugebiete, entführten mich an die berühmte Hippie-Uni von Berkeley, anschließend in den Süden ins Silicon Valley und zur Stanford University, weiter nach Santa Cruz bis Monterey, um schließlich in Los Angeles anzukommen. Dort würde ich Anne treffen, meine liebenswerte Bekannte aus alten Gammler- und Provo-Zeiten vom Frankfurter Marshallbrunnen. Sie musste jetzt auch schon Mitte Zwanzig sein. Wenn ich mich recht erinnerte, war sie 1968 vier Jahre jünger als ich, also vierzehn Jahre alt, gewesen. Sie konnte wunderschön zur Gitarre singen. Noch vor Weihnachten dieses Jahres würde ich sie in L.A. besuchen. Davon und von Amy träumte ich.
Denn Amy, meine frühere Intimfreundin, die ich erst vor kurzem zufällig vor der Haustür meiner Wohnung in der Washington Street getroffen hatte, war ebenfalls mit Anne eng befreundet gewesen. Anne und ich hatten uns damals ewig lange gefragt, wohin Amy wohl verschwunden sei, und was die Umstände ihres abschiedslosen Verschwindens gewesen sein mochten. Jetzt aber befanden wir Drei uns in California – yippie yeah!
Diesen Traum träumte ich mehrere Male. Dann wachte ich auf und freute mich über die Neuerkundungsmöglichkeiten und das Wiedersehen.
Als ich mir eines Tages dieser Träumerei noch beim Aufwachen bewusst wurde, dachte ich wieder einmal an unsere frührevolutionäre Devise: »Trau keinem über Dreißig«. Und noch eines dieser früheren Vorhaben trotzte mir ein müdes Morgenlächeln ab: Keiner von uns pubertierenden Jungrevolutionären, die wir damals nur der „schonungslosen Wahrheit“ verpflichtet waren, wollte jemals dieses Alter erreichen. Dreißig – pfui Deibel! Eher würden wir im Guerillakampf neben Che Guevara sterben wollen. So alt werden! Nein. Ausgeschlossen!
Nun stand ich also ein Jahr vor diesem teuflischen Alter und empfand nichts Ungewöhnliches dabei, diese Altersgrenze bald zu erreichen. Erwachsenwerden ging also automatisch. Das hatten wir uns damals, 1968 am Marshallbrunnen, ganz anders vorgestellt, als uns all die Spießer wegen unserer Beatles-Haare anpöbelten. Als uns die LKW-Fahrer einen Groschen aus dem Autofenster zuwarfen und meinten, wir sollten mal auf einen Frisör sparen. Wollten wir auf diese erbärmliche Art erwachsen werden, in Frisiersalons sozialisiert werden? Nein, niemals! Erwachsene schienen uns größtenteils aus völlig abgehalfterten, abgestumpften, unzufriedenen, ewig grollenden Untertanen zu bestehen.
Jetzt, rund um mein neues Zuhause in Friscos Washington Street, grollte es auf andere, viel bedrohlichere Art und Weise. Plötzlich fing alles zu zittern und zu holpern an.
Ich kam zu mir.
Neben dem Donnergrollen hörte ich hektisches Klopfen an meiner Wohnungstür. Ich öffnete und stand meinen Nachbarn Sam, Vicky und Mary-Kay gegenüber. Mary packte mich am Arm.
„Stay here!“, brüllte sie gegen das Grollen an. Sie blieb mit mir unter dem Türrahmen stehen, während Sam und Vicky unter dem gegenüberliegenden Türrahmen ihrer Wohnung Schutz suchten. Meine Güte, wie konnte ich das vergessen haben: Bei einem Erdbeben musst du unter baulichen Verstrebungen Schutz suchen, wenn du nicht rechtzeitig hinaus ins weite Freie gelangen kannst.
Im nächsten Moment rumpelte es noch einmal gewaltig, und dann trat eine unheimliche Stille ein. Mary sah mich erleichtert an, dann küsste sie mich unversehens auf den Mund und griff mir zwischen die Beine, um mal kurz zuzudrücken. Puh! Eine verrückte Nudel, dachte ich. Das Erdbeben war hoffentlich vorüber, doch welches persönliche Beben stand mir nun bevor?
Wir warteten zehn urig lange Minuten. Danach liefen wir auf die Straße, wo schon andere Anwohner ängstlich und aufgeregt durcheinanderquasselten. Einige hatten Kofferradios dabei. Zwei Stunden später kam die Entwarnung. Wir inspizierten unsere Wohnungen, in denen sich zum Glück keinerlei Risse zeigten. Der einundzwanzigjährige Sam, seine ein Jahr ältere platonische Geliebte Vicky und die zweiundzwanzig Jahre alte Mary betätigten nun alle Wohnungs- und Schranktüren. Ich schloss mich ihnen an, um festzustellen, ob sich etwas verzogen hatte. Aber alles war noch voll funktionsfähig. Unser Haus war großenteils aus Holz gebaut, was zwar dem Brandschutz nicht zur Ehre gereichte, dafür jedoch einem Erdbeben besser als jeder Betonbau standhielt.
Wir waren zunächst noch unsicher, ob die Lage stabil blieb. Sie blieb es; es gab kein Nachbeben.
Wie wir am folgenden Tag erfuhren, gab es einige Risse in den Nachbarhäusern. Später erfuhren wir außerdem aus den News, dass eine Seite der Autobahnzubringerbrücke zum wichtigen Highway 80 eingestürzt war. Der Highway führte zur San Francisco-Oakland Bay Bridge, was für mich von Bedeutung war, da mich mein erster Arbeitsbesuch zu Professor Elliot Cahn an der dortigen Berkeley University führen sollte. Den Termin verschob ich am nächsten Tag telefonisch um einen Monat.
Das Bild der dramatisch halb herabhängenden Brücke wurde noch zwei Wochen lang in wiederkehrenden News gezeigt. Eingeblendet wurde immer wieder die jeweils aktuelle Aufbauarbeit an der beschädigten Brücke. Das Beben hatte eine Stärke von 6,8 auf der Richterskala gehabt, wie der Nachrichtensprecher in so lockerer Weise erläuterte, als sei alles eine Lappalie gewesen. Er erklärte dann, was es mit der Richterskala auf sich habe. Dass sie dazu diene, Aussagen über die Stärke von Erdbeben zu treffen und vom US-amerikanischen Seismologen Charles Francis Richter entwickelt und in den 1930er Jahren eingeführt worden war. Ein Beben von der Stärke 6,0 bis 7,0 sei als „stark“ einzustufen, denn es könne zu Zerstörungen in besiedelten Gebieten führen.
Dann zeigte man in dem Sendebeitrag eine Tabelle mit höheren Werten. Bei Stärken zwischen 7,0 und 8,0 bezeichne man demnach ein Beben als „groß“, denn es könne schwere Schäden über weite Gebiete verursachen. Eine Stärke von 8,0 bis 9,0 sei dagegen „sehr groß“, weil es starke Zerstörungen in Bereichen von einigen hundert Kilometern verursachen könne. Als „sehr groß“ zähle auch ein Beben in den Stärken zwischen 9,0 und 10,0 – denn hier wirkten Zerstörungen in Bereichen von tausend Kilometern verheerend. Ein Beben mit einer größeren Stärke als 10,0 sei noch nie gemessen worden. Man würde diese Stärke als „massiv“ bezeichnen.
Das mussten wir nicht erleben. Wie durch ein Wunder war bei „unserem“ Beben niemand getötet oder lebensgefährlich verletzt worden. Das Epizentrum befand sich glücklicherweise 74 Meilen südlich-östlich von San Francisco mitten auf dünn besiedeltem Land in der Nähe der Mercey Hot Springs. Hätte es nur 60 bis 120 Kilometer weiter nordwestlich gelegen, wäre es zu Friscos Super-Gau und zu meiner ganz persönlichen Katastrophe gekommen.
Die Forschung ging von einem großen Beben aus, das für Frisco unausweichlich sei. In den folgenden Tagen drehten sich die Fragen daher auf allen regionalen Fernseh- und Radiosendern darum, ob und wie man das erwartete, das unausweichliche »Große Beben« voraussagen könne. Mutmaßungen machten die Runde: Wächst die Spannung im Gestein unter San Francisco im Stillen? Oder wird sich das nächste Jahrhundertbeben durch anschwellendes Rumpeln ankündigen?
Meine Nachbarn erzählten mir, dass schon im April 1979 Forscher zum 73. Jahrestag des Bebens von 1906 versucht hatten, die Kalifornier aufzurütteln. Denn, so meinte Mary, es stehe fest, dass der nächste »Big One« kommen werde. Die Geschäftigkeit und betonte Lässigkeit der Kalifornier deutete meine nachbarliche »Sack-Grapscherin« als Anzeichen einer kollektiven Psychose.
„Verdrängung einer bevorstehenden Katastrophe“, lautete die Diagnose auch von Sam und Vicky.
Sam wusste mehr zu berichten. „San Francisco begeht den Jahrestag jenes Erdbebens, das am 18. April 1906 die Stadt zerstörte, jedes Mal in geheuchelter Demut“, fand er. Zwar würden bei unzähligen Veranstaltungen Bilder der Katastrophe präsentiert. Man führe den Einwohnern vor Augen, was ihr Schicksal wäre, wenn die Katastrophe sich wiederhole. „Vorsorge muss dringend getroffen werden, heißt es dann – aber geschehen tut nichts“, sagte er.
Ich hatte von dem historischen Beben gelesen und erinnerte mich. In der Morgendämmerung des 18. April 1906 um kurz nach 5 Uhr riss Kalifornien auf halber Länge auf. Die Erdkruste brach entlang einer von Norden nach Süden verlaufenden Nahtzone auf einer Länge von 1.280 Kilometern. Der Bruch war örtlich 500 Meter breit. Konservativen Schätzungen zufolge starben 3.000 bis 4.000 Menschen, Hunderttausende wurden obdachlos. San Francisco wurde fast völlig zerstört. Niemand hatte mit dieser Katastrophe gerechnet.
„Jetzt wissen wir wieder einmal, auf welchem Pulverfass wir sitzen!“, rief Mary aus und holte mich in die Gegenwart zurück. „Und deshalb müssen wir unser Leben genießen! Let’s get together for sauna this evening. Du kommst doch hoffentlich mit?“
Ich war überrumpelt, und bevor ich näher darüber nachdenken konnte, ob ich das unter den gegebenen Umständen wollte oder nicht, nickte ich.
Mary strahlte. „Sure?“
„Sure!“, entfuhr es mir. Hätte ich nur geahnt, worauf ich mich einlasse!
Es war bereits Ende August. Einen Monat zuvor, am 29. Juli, am Tag, als der große Philosoph – der Lieblingsphilosoph der frühen APO-Studenten – Herbert Marcuse, starb, waren meine Freundin Siu und ich in unsere „neue Heimat auf Zeit“ aufgebrochen. „Heimat auf Zeit“ hatte mein Vater Otto bei unserem Abflug Frisco genannt.
Siu und ich waren nun schon ein halbes Jahr zusammen, und wir verstanden uns prächtig. Nach unserer Ankunft in Californias schönster Stadt hatten wir gemeinsam Anschaffungen und nötige Erledigungen gemacht und in meiner neuen Wohnung einiges eingerichtet. Dann hieß es für Siu, ihre Uni aufzusuchen und ihr eigenes Studentenzimmer an der Stanford-University zu beziehen.
Wir hatten uns erst vor zwei Wochen in ihrem supermodern eingerichteten Zimmer auf dem Stanford-Campus innig geliebt und uns mit sehnsüchtigen Küsschen voneinander verabschiedet. Stanford war nicht weit von meinem Wohnsitz in San Francisco entfernt. Wir würden uns an den Wochenenden immer besuchen; manchmal vielleicht sogar unter der Woche. In den Semesterferien würden wir gemeinsame Fahrten machen. Ins Death Valley, nach Las Vegas, in den Yosemite-Nationalpark. Wir hatten viel vor – neben unserer Studien- und Forschungsarbeit.
Wir beide waren gemeinsam mit großen Hoffnungen nach Frisco aufgebrochen. Ich hatte für Siu alle Hebel bei der Naumann-Stiftung in Bewegung gesetzt, damit wir zeitgleich hier aufschlagen konnten. Was die Sponsoren von der FDP-nahen Stiftung nicht wussten, war, dass wir inzwischen ein Pärchen waren und natürlich hier in Übersee neben unseren Arbeits- und Studienaufträgen eine schöne gemeinsame Zeit verbringen wollten.
Nun hatte ich tagelang nichts mehr von Siu gehört, obwohl wir uns versprochen hatten, jeden übernächsten Tag anzurufen. Sie war nicht ans Telefon gegangen, egal zu welcher Uhrzeit ich anrief. Gerade heute, nach dem Beben, wurde ich unruhig. In dem Moment, als ich jetzt bei ihr anrufen wollte, klingelte das Telefon. Es war Siu.
„Hi Stefan“, sagte sie. „habt ihr das Beben gut überstanden?“
„Ich bin so beruhigt, deine Stimme zu hören“, antwortete ich. „Dir geht es also auch gut? Wir alle hier sind ohne Kratzer davon gekommen.“
„Ja. Schön.“ Pause.
„Geht es dir gut? Ich habe dich so oft angerufen, dich aber nicht erreicht. Ist etwas mit deinem Anschluss nicht in Ordnung?“
Stille am anderen Ende.
„Hallo, Siu?“
„Doch, alles in Ordnung. Ich habe viel zu tun. Das ist hier ziemlich hart. Bin voll im Studium und noch im Eingewöhnungsmodus.“
„Kommst du mit den Kommilitonen klar?“
Pause.
„Siu?“
„Ja, ja, alle sehr nett hier.“ Ich hörte sie kichern.
„Das freut mich. Ich liebe dich.“
„Oh ja. Ich habe wirklich viel zu tun. Kann ich dich demnächst wieder anrufen? Heute haben wir eine Campus-Party für alle Neulinge. Da möchte ich nicht fehlen. Verstehst du?“
„Na klar. Dann viel Spaß. Wann höre ich wieder von dir?“
„Hier ist volles Programm. Ich weiß noch nicht.“
„Heute Abend gehe ich mit unseren Nachbarn in die Sauna. Soll ein tolles Örtchen sein, oben auf der Dachterrasse eines Hochhauses. Wenn es schön ist, gehen wir demnächst zusammen hin, okay?“
„Weiß nicht. Aber lass es dir gut gehen. Tschüss!“
„Tschüss und Kussi!“
Wortlose Stille.
„Ja. Bis dann.“