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Mittwoch, 15. April 2020

Es fing ganz harmlos an, wie meistens. Die Telefonbasis blinkte, als er die Wohnung betrat. „Lieber Herr Pfeiffer, hier ist der Magazin-Verlag. Der neue Ressortleiter hat vielleicht ein Projekt für Sie. Könnten Sie morgen so gegen 10 Uhr einmal vorbeischauen?“ Natürlich konnte er. Eine Reise in den Osterferien war finanziell nicht drin. Konrad zog ein Zigarillo aus der flachen Blechschachtel und suchte auf dem winzigen Balkon eine windstille Ecke.

Ein Projekt wollten sie ihm anbieten! Seit der Pensionierung des alten Ressortleiters Ende letzten Jahres hatte er nichts mehr vom Verlag gehört. Endlich bot sich die Chance, wieder etwas Geld zu verdienen. Das war bitter nötig. Termine hatte er morgen keine, wie seit vielen Wochen schon. Hoffentlich konnte er den Neuen davon überzeugen, dass man den renommierten Herrn Pfeiffer viel öfter, eigentlich sogar auf Dauer brauchte.

Er hatte keine Vorstellung davon, wie und wovon er in Zukunft leben sollte. Ohne Aufträge fehlte es an ausreichendem Einkommen und ohne Partnerin an einem befriedigenden Familienleben. Wenn es schlecht lief, müsste er die Wohnung aufgeben und vielleicht sogar seine geliebte Heimatstadt verlassen. Die Lebenshaltungskosten waren zu hoch für einen freien Journalisten mit mäßigem Erfolg. Konrad verkniff sich ein zweites Zigarillo.

Seine Wohnung befand sich im 5. Stockwerk eines Altbaus am Eugensplatz über der Stuttgarter Innenstadt. Oft und gerne genoss Konrad den weiten Blick über den Talkessel bis zur gegenüber liegenden Hügelkette zwischen Doggenburg, Kräherwald und dem höchsten Berg der Stadt, dem Birkenkopf. Schräg vor dessen Silhouette ergoss sich der grüne Rücken der Karlshöhe wie ein erkalteter Lavastrom hinab in die Stadt. An dessen Fuß begann der Innenstadtbereich. Der Tagblattturm, etwas westlich des zentralen Schlossplatzes, ragte wie ein Ausrufezeichen aus dem Häusermeer empor.

Es war aber auch zum Auswachsen! Diese verdammten Einschränkungen, die im ganzen Land angeordnet waren, machten sein übliches Arbeiten unmöglich. Wie sollte man mit Menschen Gespräche führen, Bibliotheken und Archive durchstöbern, wenn Abstand, Maske und Schließung öffentlicher Einrichtungen die Antwort der Regierung auf die Seuche waren? Zu Beginn des Jahres hatte er eine vielversprechende Recherche begonnen: Die Sanierung des historischen Opernbaus und die Spaltung der Stadtgesellschaft in Fragen der Hochkultur. Er war kurz davor gestanden, ein Komplott aufzudecken, was einige angesehene Größen in Kultur und Politik ins Schwitzen gebracht hätte.

Missmutig erinnerte er sich an die Interviewabsagen, die ihn seit den ersten Meldungen über die endemische Ausbreitung eines neuen Virus im März ausgebremst hatten. Seither war Sendepause! Das kleine Spardepot war zusammengeschmolzen. Nicht einmal Kurzarbeitergeld konnte er beantragen. Er war schließlich selbständig. Von den Hilfen für Soloselbständige hatte er bislang nicht profitiert. Sein Antrag schlummerte seit Wochen bei den städtischen Ämtern.

Vielleicht kam jetzt die Wende! Das Magazin zahlte ziemlich ordentlich. Konrad Pfeiffer war kein Nobody in der Stuttgarter Kulturszene. Als eleganter Kenner von Oper, Theater und Ballett hatte er regelmäßig seine Leser und vor allem Leserinnen gefunden. Geschätzt wurde auch seine Fähigkeit, juristische Fragen so zu durchleuchten, dass jeder Interessierte die Sache verstehen konnte. Aber irgendwie war er in den letzten Jahren nicht mehr so recht zum Zuge gekommen. Das Magazin kam ihm seit den letzten Ausgaben langweiliger vor, als er es in Erinnerung hatte. Mutige Denkanstöße und Kritiken waren rar. Alles wirkte bürgerlicher. Vor allem fehlten seine eigenen Essays, Features und Reportagen die manchmal sogar von überregionalen Kulturmagazinen übernommen wurden.

Vorbei war auch der September 2019, als man ihn für zehn Jahre erfolgreicher Arbeit mit einem Portrait im Magazin geehrt hatte. Auf dem Foto war nicht zu erkennen, dass seine Haare sich schon etwas verfärbt hatten. An seinem 40. Geburtstag im letzten Jahr waren ihm zum ersten Mal graue Strähnen aufgefallen. Die hatte der Fotograf sauber wegretuschiert und den Aufnahmewinkel so perfekt gewählt, dass der leicht gekrümmte Rücken und vor allem die geringe Körpergröße nicht auffielen.

Konrad Pfeiffer, der Erklärer auch schwieriger Zusammenhänge, so hatte der Chef ihn genannt. Der damalige Ressortleiter Kultur und Gesellschaft hatte ihn während des Empfangs auf die Seite genommen und ihm angedeutet, dass diese Ehrung der Einstieg in eine Festanstellung werden könnte. „Konrad, das ist deine Chance! Du solltest allerdings ein bisschen mit dem saloppen Ton aufpassen. Mein Nachfolger scheint mir stromlinienförmig zu sein, und der Chef hat erst kürzlich erklärt, unser Blatt müsse sein seriöses Profil betonen.“

Unmittelbar nach der Feier begann die Recherche zur Opernsanierung, und an Sylvester hatte er mit ehemaligen Kommilitonen von der Hochschule der Medien ein phantastisches Fest gefeiert. Seine erste große Liebe war mit dabei gewesen, die großartige, kluge Ingrid mit den roten Haaren und der Traumfigur. Das neue Jahr durfte er nach atemberaubendem Sex in ihrem Bett mit einem starken Morgenkaffee und der festen Überzeugung begrüßen, dass jetzt alles besser werden würde. Zum Abschied stand sie im Bademantel an der Wohnungstür.

„Wann sehen wir uns wieder in diesem besonderen Jahr 2020?“

Sie war immer noch so zielstrebig und direkt wie in ihren Studentenzeiten. Hatte er sich deshalb damals nicht getraut, ihr seine Liebe zu erklären? War er so ein Feigling? „Bald, Ingrid, ganz bald. Es hat mich sehr gefreut, dich wieder zu sehen.“ Was für eine dämliche und nichtssagende Floskel. ‚Du bist eine Pfeife, mein lieber Pfeiffer‘, beschimpfte er sich selber, als er das Haus in der Urbanstraße verlassen hatte.

Ingrid Graser und er kannten einander seit dem ersten Semester an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Konrad war bis über beide Ohren in die stattliche rothaarige Schönheit verliebt gewesen. Erst kurz vor den Prüfungen hatte er ihr seine Liebe gestanden. Es war zu spät gewesen. Ihre Wahl war auf einen Lokalredakteur der Frankfurter Rundschau gefallen, der an der Hochschule ein Seminar angeboten hatte. Sie war mit ihm nach Frankfurt gegangen und hatte dort Karriere gemacht. Seit ihrer Scheidung im Herbst des letzten Jahres lebte sie wieder in Stuttgart und sie war frei! Er musste sich endlich trauen!

Über ihre beruflichen Wege hatten sie an Sylvester natürlich auch gesprochen. Als Journalistin hatte Ingrid Erfolg und arbeitete jetzt auf einer Stelle als regelmäßige Kolumnistin des Wochenendmagazins der beiden Stuttgarter Zeitungen. Die großen Verlage interessierten sich für ihre Arbeit. Ihr wurden Angebote gemacht, von denen er nur träumen konnte. Als freier Journalist war er von der allgemeinen Marktlage abhängig. Und die war zurzeit denkbar schlecht. Das hatte er natürlich nicht erzählt.

Wie sollte es weitergehen? Im Februar begann die allgemeine Unsicherheit über ein neues Virus, eine Art chinesische Seuche. Im Magazinverlag war keine Rede mehr von einem Vertrag. Sein Freund war im Ruhestand, und der neue Ressortleiter hatte bis zu dem Anruf nichts von sich hören lassen. Er seufzte. Eine dauerhafte Beziehung mit Ingrid wäre der Beginn eines neuen Lebens, aber solange er nicht wirklich auf eigenen Beinen stand, gönnte er sich nicht mehr als gelegentliche Treffen.

„Du bis viel zu ängstlich, so kenne ich dich gar nicht“, hatte sie ihm nach der stürmischen Nacht ins Ohr geflüstert, bevor er aufbrach. Er selber kannte sich aber so! Von ihrer Wohnung bei der Friedenskirche wanderte er in Richtung des nicht weit entfernten Eugensplatzes. Leichter Regen hatte eingesetzt. Im Zentrum des Kreisverkehrs, zu dem sich die Kernerstraße im unteren Drittel erweitert, ragte die silberglänzende Metallskulptur des Bildhauers Erich Hauser wie ein erstarrter Blitz in den Himmel. Sei zielstrebig, optimistisch und stark, so verstand Konrad ihre Botschaft. ‚Lass dich davon inspirieren‘, sagte er halblaut zu sich selber.

Am Schützenplatz wechselte er die Straßenseite. „Idiot!“ Erschrocken wich er einem Radfahrer aus, der ihm auf dem Gehweg in hohem Tempo entgegenfuhr. Der junge Mann bremste scharf und streifte den Kotflügel eines geparkten Mercedes, bevor er zum Stehen kam. „Was bist du für eine Trantüte? Schau nach vorne, wenn du in der Stadt unterwegs bist.“ Er musterte kurz den Kratzer an dem Auto. „Hui, eine S-Klasse, Sechszylinder. Das hat sich gelohnt.“

Er grinste Konrad an. „Daran bist du schuld!“

„Wie bitte? So eine Frechheit! Sie dürfen auf dem Gehweg gar nicht fahren. Und außerdem hätten Sie fast mich auch noch erwischt.“

„Leck mich doch, du Kleinbürger. Wir Selberlenker lassen uns von kleinlichen Verkehrsregeln in unserer Freiheit nicht einschränken. Pass halt besser auf! Und den Bonzen, die solche Schlitten fahren, denen geschieht es gerade recht.“ Er stieg wieder auf den Sattel und verschwand talwärts.

Konrad betrachtete den Schaden am Lack. Wer dafür verantwortlich war, lag auf der Hand, natürlich dieser komische Typ. Aber was änderte das? Trotzdem fühlte er sich irgendwie selber schuldig. Er nahm seinen Weg wieder auf und ärgerte sich über seine Gefühle. Regeln und Gesetze galten offenbar für manche Leute nicht. Selberlenker, dachte er, was für ein Unsinn!

Am Morgen des 15. April verließ er seine Wohnung sehr früh, um keinesfalls den Termin zu verpassen. Er wollte nicht durch Unpünktlichkeit auffallen. Die Redaktion des Magazins befand sich im Stuttgarter Tagblattturm, dem ersten Stahlbetonhochhaus Deutschlands. Der Bau mit den auf allen Ebenen die ganze Breite ausfüllenden Fensterbändern ist Zeugnis einer Zeit, in der die Stadt mit ihrer Architektur die Moderne prägte. Konrad hatte zu dessen 90-jährigem Jubiläum im Jahr 2018 einen flammenden Appell zum Erhalt der Denkmäler des Neuen Bauens geschrieben, den der alte Ressortleiter gerne zitiert hatte, wenn er von der Abrissbarbarei in der Stadt sprach, was er oft getan hatte.

Beim Betreten des Großraumbüros im achten Stockwerk deutete die junge Dame am Empfang dezent auf den Teil ihres Gesichts, an dem unter einer bunten Designermaske der Mund verborgen sein musste. Wie peinlich! Konrad hatte vergessen, eine Maske einzustecken. Die waren hier im Verlag besonders vorsichtig und verlangten die Dinger sogar von Besuchern. Das hatte ihm das Büro gestern noch mitgeteilt. Er fand das richtig. Wer die täglichen Meldungen des Robert-Koch-Instituts verfolgte, musste erkennen, dass das Land von einer bisher nicht gekannten Gefahr bedroht war. Ein neues Wort war über Nacht in aller Munde: Pandemie.

Warum die Bundesregierung sogenannte Alltagsmasken als nutzlos bezeichnete, konnte Konrad nicht verstehen. Zu Recht plante die Landesregierung die Einführung einer allgemeinen Maskenpflicht für den öffentlichen Nahverkehr und Einkaufsgeschäfte, die öffnen durften. Allerdings wusste niemand, wo er diese Mund-Nasen-Bedeckung, wie sie offiziell hieß, bekommen konnte. Viele Menschen begannen, aus Stoffresten selber welche herzustellen. Im Internet fand man Bastelanweisungen und gute Ratschläge.

Er lächelte die Dame entschuldigend an. Man war hier auf solche Besucher vorbereitet, denn ohne, dass er etwas gesagt hätte, reichte sie ihm eine blaue Einmalmaske. „Guten Morgen, Herr Pfeiffer. Der Ressortleiter erwartet Sie. Sie finden ihn ganz hinten rechts im Raum 8.08.“ Sie schenkte ihm ein professionelles Lächeln und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.

Als er im September das letzte Mal hier angekommen war, hatte ihn der Ressortleiter gleich am Eingang mit den Worten „Na, alter Junge, wir haben uns lange nicht gesehen!“ begrüßt und ihn vor der Feierstunde in sein winziges Büro gelotst. Dort fläzte er sich auf den Drehstuhl und legte seine Füße wie in amerikanischen Filmen aus den Fünfzigerjahren auf den mit Papieren überladenen Schreibtisch. „Komm, wir trinken erst mal einen auf deinen Erfolg!“

Sein Nachfolger saß in einem größeren Büro mit Blick auf den bewaldeten Höhenzug in Richtung Degerloch. Sein Schreibtisch war groß und leer bis auf eine dünne Mappe und eine Biedermeiervase mit bunten Tulpen. „Kommen Sie herein, Herr Pfeiffer. Es freut mich, Sie persönlich kennenzulernen.“

Konrad nahm vorsichtig auf einem modernen Besucherstuhl Platz. „Vielen Dank. Auch für Ihren Anruf. Ich weiß das sehr zu schätzen. Es ist in diesen Zeiten nicht einfach, als selbständiger Journalist …“

Der Ressortleiter unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Das ist uns bekannt, lieber Kollege. Seien Sie versichert, …. aber setzen wir uns doch zusammen an den Besuchertisch am Fenster.“ Konrad nutzte die Unterbrechung, um den Mann in Augenschein zu nehmen.

Er mochte so alt sein wie Konrad selber. Die kurzen Haare waren akkurat geschnitten. Er trug einen Anzug undefinierbarer Farbe, der nach Boss oder Armani aussah und locker und leger wirkte. Im offenen Hemdkragen war ein dezentes burgunderrotes Tuch drapiert. Das eckige Gesicht strahlte Professionalität und eine gewisse Härte aus. Er trug keine Maske.

„Darf ich Ihnen einen Kaffee bringen lassen?“

„Nein, danke. Ich …“

„Also gut, kommen wir gleich zur Sache. Wir möchten Ihnen gerne einen Vorschlag machen.“

In Konrads Ohren klang das, als hätte er „den Sie nicht ablehnen können“ hinzugefügt. Das hätte der Wahrheit entsprochen. Er musste nach jedem Strohhalm greifen. Sogar über die Richtlinien des städtischen Tierheims würde er schreiben, wenn jemand dies bezahlte.

„Das freut mich sehr. Zu welchem Thema wünschen Sie etwas? Sie kennen sicher meine bisherigen Arbeiten und wissen, in welchen Bereichen ich mich auskenne.“

„Allerdings, deshalb möchte ich auch persönlich mit Ihnen sprechen. Übrigens, hier drin können sie ihren Mund-Nasen-Schutz gerne abnehmen. Manche Menschen fragen sich sowieso, ob er etwas nützt. Aber wie dem auch sei, wir wollen ein ganz aktuelles Thema aufgreifen.“

„Meinen Sie Corona?“

„Ja, schon, aber nicht so simpel. Die Pandemie spielt eine Rolle. Es geht allerdings weder um Medizin noch um Virologie, eher um ein gesellschaftspolitisches Thema.“

„Für Virologie wäre ich kaum der Richtige.“

„Das wissen wir. Nein, uns interessiert etwas anderes. Etwas, das in mein Ressort passt. Und auch Ihr Steckenpferd, das Recht, spielt mit hinein.“ Er machte eine Pause und blickte versonnen auf seine Hände. „Wir beobachten in diesen Frühjahrstagen einen Riss in der Gesellschaft. Immer mehr Menschen kritisieren die politischen Entscheidungen und die Corona-Verordnungen nicht nur, sondern sie lehnen sie auf eine radikale Weise ab. Man bekommt den Eindruck, dass diese Kritik teilweise berechtigt sein könnte. Das wollen wir ergründen.“

„Sie denken, das geht tiefer, oder was meinen Sie mit dem Riss?“

„Das meine ich allerdings! Es gibt keinen Austausch mehr, sondern nur Konfrontation und Ablehnung. Vor allem von den Kritikern der Kritiker. Also, um es kurz zu machen. Wir brauchen eine Geschichte, besser eine Analyse über Menschen, die …“

Konrad war von seinem Stuhl aufgesprungen. „Wollen Sie sich etwa mit den grassierenden Verschwörungsmythen beschäftigen?“

„So ist es! Ich ziehe allerdings den Begriff Verschwörungstheorien vor. Es gibt genügend Kritikpunkte an vielen Maßnahmen, die einer Überprüfung wert sind. Was ich mir vorstelle, ist eine Zusammenstellung dessen, was in den verschiedenen Kreisen gesagt wird und wie das unsere Gesellschaft verändert. Sie kennen das Profil unserer Zeitschrift, das wir noch ein wenig seriöser gestalten wollen. Dafür und für die Interessen unserer Leserklientel benötigen wir eine Analyse, die das alles abklopft und nicht in Verurteilungen und Plattitüden abgleitet. Immerhin gibt es zahlreiche besorgte Bürger, deren Anliegen man ernst nehmen sollte.“

„Naja, es wird viel Seltsames vertreten. Und die Radikalen der verschiedenen Richtungen, die sich den Kundgebungen und Demonstrationen anschließen, das erscheint mir durchaus problematisch.“

„Das mag schon sein, aber ich lege Wert auf eine Analyse ohne Vorverurteilungen und vor allem“, er legte beide Hände auf den Tisch und sah Konrad direkt in die Augen, „kein falscher Humor! Ich weiß, dass Sie ganz passable Satiren schreiben können. Bei diesem Text möchte ich so etwas nicht sehen. Dazu sind die Anliegen der Bürger zu ernst. Ach, und noch etwas: Wir möchten den Text in Heft 3 bringen.“

„Sie brauchen also ein Manuskript bis spätestens Mitte Mai?“

„So ist es. Am 17. Mai sollten wir es haben. Man erzählte mir, Sie seien von der schnellen Truppe, wie man so sagt. Das schaffen Sie bestimmt. Sie haben ja offenbar die Osterferien nicht zu einer Reise genutzt. Da ergibt sich genügend Zeit.“

„Äh, ja, einen Urlaub kann ich mir nicht leisten, und ich wüsste auch nicht, wohin man reisen könnte.“

„Schön, dann sind wir uns einig. Ich bin gespannt, wie Sie das Thema aufbereiten. Vielleicht kommen wir ja noch öfter zusammen.“ Der Ressortleiter stand auf und zog seine Hose zurecht. „Lassen Sie sich vorne von Lisa die Liste mit den Internetadressen geben, die unser Team zusammengestellt hat.“ Er verneigte sich leicht. „Enttäuschen Sie den Verlag und auch mich persönlich nicht! Auf Wiedersehen, Herr Pfeiffer.“

Konrad schob seine Maske wieder zurecht und verließ das Redaktionsbüro. Vor der Tür steckte er den Lappen in die Hosentasche. Es hätte schlimmer kommen können. Die Aufgabe war interessant und wenn er keine Satire schreiben sollte, was soll’s? Allerdings schien der Neue manchen Verschwörungsgeschichten nahezustehen. Und etwas schnöselig war er auch. Vorsicht war also geboten. Er hatte eine Chance, und er ergriff sie.

Der Auftrag war eigentlich interessant und wahrscheinlich auch gut zu erfüllen. Verschwörungsgeschichten wurden hauptsächlich von denen verbreitet, die sich auf den sogenannten Hygienedemonstrationen tummelten. Eine Analyse von dort vertretenen Halbwahrheiten, Lügen und Verdrehungen konnte er in kurzer Zeit leisten. Für Konrad waren viele Demonstranten Fehlgeleitete, vielleicht Naivlinge, die man mit den Fakten konfrontieren musste. Dann würden sie schon aufhören. Vielleicht könnte er sogar dazu beitragen, dass einige von ihnen ihre Haltung änderten. ‚Übernimm dich nicht!‘ ermahnte er sich innerlich und verließ den Tagblattturm in Richtung Eberhardstraße.

Ingrid wollte er erst von dem Auftrag erzählen, wenn er sicher war, dass ihm ein richtig guter Text gelingen würde. Er wollte Erfolge vorweisen und nicht als arme Kirchenmaus neben ihr, der angesehenen Journalistin, stehen. In dem neuen Kaffeegeschäft in der Eberhardstraße, ganz nah beim Tagblattturm, gönnte er sich einen vietnamesischen Kaffee, der würzig und exotisch schmeckte.

Coronas Zeugen

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