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Der Postillion e. V. kommt aus Wilhelmsfeld – etwas zur Historie »Noch ein Verein!« Von der Gründung zur Professionalisierung (1985 bis 1999)

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Am 9. März 1985 wurde in Wilhelmsfeld im Restaurant Talblick der Postillion e. V. gegründet. Damals firmierte er noch unter dem Namen »Verein der Freunde und Förderer des Kraftpostmuseums Wilhelmsfeld«. Es war eine ungewöhnliche Vereinsgründung. Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtete damals unter der Überschrift: »Noch ein Verein!« Dass daraus einer der größten Träger für Jugendhilfe im Rhein-Neckar-Kreis werden sollte, war weder geplant noch abzusehen. Gerade deshalb lohnt sich ein Blick in das Jahr 1985, um die Wurzeln des Vereins zu begreifen.

Die Deutsche Bundespost hatte ihren Busdienst »Kraftpost«, wie die gelben Busse genannt wurden, 1983 an die Deutsche Bundesbahn abgegeben. Die gelben Busse waren im ländlichen Raum eine staatliche Dienstleistung, die für das Funktionieren des Gemeinwesens wichtig war. Die Kraftpost symbolisierte für Jugendliche den Staat und machte ihn erlebbar, denn schließlich nutzten sie die Busse täglich, um in die Schule oder zur Arbeit zu fahren. Es war ein Treffpunkt, wo man Bekannte sah und die Busfahrer alle mit Namen kannte. Es war auch ein Austauschort für Informationen rund um das Gemeinwesen. Und so war es schon ein Einschnitt, gerade für die Busfahrer, die jahrelang im Dienst der Bundespost waren, auf einmal nicht mehr gelbe, sondern rote Busse zu fahren. Das Familiäre der Kraftpost war verschwunden.

Es war Ziel der Vereinsgründung, wenigstens etwas von dieser lokalen Eigenart zu konservieren und ein Museum zu gründen. Gleichzeitig war es eine Zeit, in der Jugendliche und junge Erwachsene in Wilhelmsfeld etwas verändern wollten. Es gab für sie vor allem Sportvereine und Vereine als Orte der Freizeitbeschäftigung. Treffpunkte im Sinn von Jugendhäusern standen nicht zur Verfügung. Das genügte ihnen nicht mehr. So gründeten vor allem Busfahrer der Deutschen Bundespost einen Verein, der das Alte bewahren bzw. daran erinnern und gleichzeitig die Jugendarbeit in die Hand nehmen wollte. Zwei Ziele unter einem Dach und für die damaligen Jugendlichen ein ideales Bündnis: Die Seriosität der Busfahrer der Deutschen Bundespost als Rückgrat einer Jugendarbeit, die man brauchte, um Kinder und Jugendliche, vor allem aber deren Eltern, zu gewinnen.


Diese kleine Broschüre von 1955 war Namensgeber des Vereins

Es wurden zunächst alle möglichen Räume genutzt. Das Café Junghans ebenso wie ein privater Schuppen in der Johann-Wilhelm-Straße. Die Nebenzimmer des damaligen Gasthofs Schriesheimer Hof und der TSG-Gaststätte wurden für Tanzkurse genutzt. Die Hilfsbereitschaft vieler Wilhelmsfelder war zu dieser Zeit groß. Der Verein hatte schon früh begonnen, Tagesausflüge, z. B. in das damals neu gebaute Spaß-Schwimmbad Bellamar, zu unternehmen. Natürlich immer mit den Linienbussen. Die guten Kontakte zur Deutschen Bundesbahn machten es möglich, günstige Tarife zu bekommen.

1987 gab es die erste Kinderfreizeit zur blauen Adria nach Altrip (Gemeinde Rheinauen). Zu dieser Zeit hatte der Verein bereits einen ehemaligen Postbus gekauft, der als Unterkunftsraum in der Kinder- und Jugendfreizeit diente. Leider gibt es diesen Bus nicht mehr. Der Verein konnte ihn nicht halten, da er damals noch nicht finanzkräftig genug war. Er musste wieder verkauft werden. Allerdings hatte er einige Einsätze gerade beim örtlichen Mitteldorffest. Viele erzählten Jahre später noch von dem gelben Bus, der das Mitteldorffest bereicherte. Ab 1987 gab es zweimal im Jahr Kinder- und Jugendfreizeiten, an denen ganze Jahrgänge fast geschlossen teilnahmen. Es war ein attraktives Angebot. Junge Erwachsene waren als Betreuer*innen dabei. So ging vieles, was in einem pädagogisch stark reglementierten Raum in dieser Form gar nicht möglich gewesen wäre. Natürlich sind die Freizeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln angeboten worden. Einen Reisebus anzumieten wäre undenkbar gewesen. Es war aufregender und es hat zu der Idee des Vereins gepasst, der sich schon immer mit der Frage des öffentlichen Personennahverkehrs beschäftigte.

Nach dem damals geltenden Jugendwohlfahrtsgesetz war es möglich, nach drei Jahren als Freier Träger der Jugendhilfe anerkannt zu werden. Diese Chance nutzte der Postillion e. V. und bekam vom Jugendhilfeausschuss des Rhein-Neckar-Kreises die Anerkennung als damals noch einziger Träger im Rhein-Neckar-Kreis. Alle anderen Neugründungen im Kreis fanden erst ab dem Jahr 1990 statt. Mit der Anerkennung war es möglich, dass der Verein Zuschüsse aus dem Landesjugendplan beim Land Baden-Württemberg für Freizeiten und Lehrgänge erhalten konnte. War der Kreisjugendring, der die Zuschüsse des Rhein-Neckar-Kreises für Freizeiten und Lehrgänge verwaltete, anfangs nur Mittel zum Zweck, um an Fördermittel zu kommen, hat sich der Postillion e. V. im Lauf der Jahre zunehmend stärker in diesem engagiert. Ab 1999 war der Vorsitzende des Postillion e. V. auch Mitglied im Vorstand des Kreisjugendrings und von 2001 bis 2016 dessen Vorsitzender.

Der Verein hat es nie geschafft, ein Museum zu realisieren. Dafür gab es zu wenige Exponate. Immerhin konnten einige Materialien, Akten und Gegenstände vor allem aus der Nachkriegszeit der Kraftpost in Wilhelmsfeld gesichert werden. Teile davon sind heute in der Geschäftsstelle des Postillion e. V. in Vitrinen ausgestellt, nicht direkt als Museum, aber dennoch öffentlich zugänglich gemacht. Die Geschichte der Buslinie nach Heidelberg ist in Form einer kleinen Broschüre mit vielen Bildern dokumentiert worden, die es heute noch gibt.


Broschüre über die Geschichte der Kraftpostlinie Wilhelmsfeld-Heidelberg

Zwei bis drei Freizeiten bot der Postillion e. V. im Jahr an: an die Nordsee, in die Berge, in den Harz und in das Kinder- und Jugenddorf Klinge im Bauland, wo auch viele Lehrgänge stattfanden. Die Kinder ebenso wie die Betreuer*innen waren alle aus Wilhelmsfeld. Am Anfang war man, wie Janusz Korczak in den 1920er Jahren einmal gesagt hat, »reich an Illusionen und arm an Erfahrung« – und überrascht davon, was eine Masse von Kindern für Kräfte entwickeln kann. Im Lauf der Zeit kam daher immer mehr Struktur in die Freizeiten. Es war immer ein Stammteam dabei, das die Arbeit ausgewertet hat, wodurch die Freizeiten sich stetig verbesserten. Im Sinn einer lernenden Organisation gab es hierzu eigene Lehrgänge, um das Team weiterzuentwickeln und neue Betreuer*innen in die Arbeit miteinzubeziehen.

Neben den Freizeiten gab es während des Jahres auch andere Aktivitäten. So wurde 1991 ein Ford Transit gekauft, der als Spielmobil bemalt wurde und einmal in der Woche im Ort Spiele für Kinder anbot (in der Regel alte Straßenspiele). Die Idee, die dahintersteckte, war eine Belebung des öffentlichen Straßenraums, der durch die Motorisierung zunehmend vom Auto bestimmt wurde und Kinder zurückdrängte. Wir wollten hier einen bewussten Gegenpunkt setzen.

Die Idee des Postillion e. V. war es nicht, Nachwuchs zu gewinnen, wie dies bei den klassischen Vereinen der Fall ist, sondern es war Jugendarbeit als reiner Selbstzweck, die von jungen Menschen für andere junge Menschen angeboten wurde. Dieses Modell stellte sich vielleicht deshalb als ein Erfolgsmodell heraus.

Der Postillion e. V. ist mit Wilhelmsfeld und auch damals der Kraftpost sehr stark verbunden gewesen. Heute ist der Verein im gesamten Rhein-Neckar-Kreis tätig. Damals war es eine lokale Initiative, die punktuell immer wieder mal im Nachbarort Heiligkreuzsteinach kleinere Angebote machte. Dies hing vor allem damit zusammen, dass Jugendliche aus Heiligkreuzsteinach das Angebot in Wilhelmsfeld gerne nutzten, da auch eine Busverbindung bestand, und dann in Heiligkreuzsteinach davon inspiriert etwas Eigenes auf die Beine stellten. Auch das Spielmobil ist teilweise in den Nachbarort gefahren, in die kleinen Ortsteile. Die Kinder waren für diese Angebote sehr dankbar.

Klaus Farin schreibt in seinem Buch Über die Jugend und andere Krankheiten (2018): »‚Politik’ wird von Jugendlichen selten als Prozess und Chance der Gestaltung ihres eigenen Lebensalltags gesehen, sondern auf Partei- und Regierungspolitik reduziert. Auf etwas Unangenehmes oder zumindest Abstraktes, das in für sie unerreichbaren und undurchschaubaren Ebenen stattfindet. Die Privatisierung einstmalig staatlicher Dienstleistungen, wie der Post, des öffentlichen Verkehrs, von Bereichen der Polizei, von zahlreichen Universitäten und Bibliotheken und großen Teilen des Schulwesens, hat dazu geführt, dass der Staat für Jugendliche immer bedeutungsloser erscheint. Dass der Staat, um Banken zu retten, in Krisensituationen plötzlich Milliarden Euro zur Verfügung stellt und es gleichzeitig stets heißt, für die Renovierung des maroden Bildungssystems oder für lokale Jugendarbeit sei kein Geld da, hat die Distanz von Jugendlichen gegenüber der Politik weiter verstärkt.« Die Jugendarbeit des Postillion e. V. war in den Anfangsjahren stark davon geprägt, einen staatlichen öffentlichen Personennahverkehr in Form von Bahn und Bus zu unterstützen. Gleichzeitig lebte der Verein auch von der Unterstützung der Busfahrer. Doch auch diese Ära hat beim Postillion e. V. irgendwann ein Ende gefunden. Ende der 1990er Jahre war die ursprüngliche Gründergeneration in dem Alter, in dem das Modell in dieser Form nicht mehr trug. Im Jahr 1998 gab es die ersten Überlegungen, inwieweit man sich stärker in eine professionelle Kinder- und Jugendarbeit stürzen könnte. Es war die Zeit, in der Jugendarbeit in den Kommunen eine ganz neue Erwartungshaltung weckte.

Der Postillion e.V. im Rhein-Neckar-Kreis

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