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Prolog

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Die Wendepunkte des Lebens – manchmal vollziehen sie sich mit spektakulärer Schroffheit, geradezu brutal. Der Wendepunkt im Leben der heiligen Anna Schäffer ereignete sich am 4. Februar 1901, als das damals 18-jährige Mädchen in einem Forsthaus in der Nähe von Ingolstadt arbeitete. Die typischen Hausarbeiten waren ihr aufgetragen worden. Da stellte sie fest, dass sich ein Ofenrohr gelöst hatte – über einem Waschkessel. So durfte es nicht bleiben, sie musste es reparieren. Doch was passierte? Anna Schäffer glitt »unglücklicherweise aus und rutschte mit beiden Beinen bis über die Knie in einen Kessel mit kochender Lauge«.1

Ihr Leben sollte von diesem Moment an anders verlaufen, als sie es sich ersehnt und erhofft hatte. Völlig anders. Doch Anna Schäffer willigte ein – in die Pläne Gottes, welche die Vernunft und die Maßstäbe des Menschen übersteigen. Nicht sofort, zunächst widerstrebend, doch dann ganz ergeben. Sie sagte »Ja« zu dem Weg, den Gott für sie bereitet hatte. Einem sehr harten Weg – 25 Jahre sollte Anna Schäffer im Bett verbringen, ihrer »Leidenswerkstatt«, wie sie selbst ihr Krankenlager bezeichnete, das mit vielen körperlichen Schmerzen und zahlreichen Entbehrungen verbunden war. Wie kann man das ertragen? Anna Schäffer setzte auf Ganzhingabe. Sie nutzte die Zeit, die ihr gegeben war, um ganz für Gott und die Menschen da zu sein. Mit zahlreichen Briefen antwortete Anna Schäffer denjenigen, die sich in ihrer Not an sie, die »Schreiner Nandl«, wie man sie in ihrem bayerischen Geburtsort nannte, wandten. Sogar bis nach Amerika ging die Post. Niemand, der sich an sie richtete, enttäuschte Anna Schäffer. Manchmal schmückte sie ihre Briefe sogar mit einem selbst verfassten Gedicht, in dem sie Gott die Ehre gab. Jesus, ihrem persönlichen Erlöser. Dem Heiland. Dazu nähte und stickte sie, was ihr neben einer kümmerlichen Frührente ein sehr bescheidenes Nebeneinkommen bescherte.

Leiden, schreiben, sticken – Anna Schäffer selbst hat diese drei einfachen Tätigkeiten, die ihr Leben ausfüllten, als ihre »drei Himmelsschlüssel« bezeichnet.2 Die Türöffner zur Ewigkeit.

Was das Schreiben betrifft, so besaß sie trotz ihrer elegantordentlichen Schrift, ihrer nüchtern einfühlsamen Worte keinerlei schriftstellerischen Ehrgeiz. Es war ein Dienst, der von Herzen kam und den sie mit Bescheidenheit, mit Demut ausübte. »Ich schreibe nur immer so, wie’s mir im Herzen ist. Was würde es nützen, wenn ich ganze Bücher schreiben würde und meine Seele wäre weit entfernt von dem Geschriebenen? Bleiben wir ganz klein in den Augen aller, das macht glücklich und bringt uns großen Herzensfrieden.«3

Eine passendere Einstellung für ein Buch über Anna Schäffer kann es eigentlich nicht geben. Ganz klein bleiben. Zumal bei einer Biografie wie dieser, die kein genialischer Wurf ist und sein kann, sondern sich so faktentreu wie möglich auf die Arbeit anderer Autoren und Forscher stützt, die in den vergangenen Jahrzehnten viel Zeit und Kraft auf die Durchleuchtung des Lebens dieser geheimnisvoll-verborgenen Heiligen investiert haben: von Friedrich Ritter von Lama bis Pfarrer Alfons Maria Weigl, vom Priester-Dichter Konrad Zoller bis hin zu Prof. Dr. Georg Schwaiger, die Anna Schäffer allesamt biografisch gewürdigt haben. Vor allem aber einem Mann verdankt dieses kleine Buch wesentliche Hinweise und Informationen: Prälat Emmeram H. Ritter, dem langjährigen Leiter der Abteilung Selig- und Heiligsprechungsverfahren in der Diözese Regensburg, der nicht nur die Briefe der Heiligen veröffentlicht, sondern auch eine umfassende Biografie verfasst hat, die rechtzeitig zur Heiligsprechung im Jahr 2012 erschienen ist. Fast 700 Seiten Lesestoff mit vielen interessanten Zeugnissen, Materialien sowie von Herzen kommenden bayerischen Anekdoten und Hintergrundinformationen. Ohne Prälat Ritters Buch wäre diese Biografie, in der das Wesentliche in chronologischer Ordnung ersichtlich werden soll, nicht möglich gewesen. Aber auch seinem Nachfolger im Amt, Domvikar Msgr. Georg Franz X. Schwager, gebührt als Herausgeber aktueller Werke von und zu Anna Schäffer ein besonderer Dank, gerade was die Schilderung des Ablaufs der Heiligsprechung und die zahlreichen Gebetserhörungen in jüngster Zeit betrifft. Denn was sehr wichtig ist: Das Kapitel Anna Schäffer ist nach erfolgreicher Selig- und Heiligsprechung keineswegs abgeschlossen. Vielmehr scheint ihr eigentlicher himmlischer Einsatz gerade erst begonnen zu haben, wie es auch eine offizielle Statistik belegt.

So ist das Ziel dieses Buches also ein kleines und doch auch ein großes: Das Leben Anna Schäffers, das fernab vom großen Treiben der Welt ablief, chronologisch und in möglichst realistischer Weise zu schildern. Auch wenn ihr Leben nach dem Unfall durch ihre jahrelange Bettlägerigkeit gezwungenermaßen handlungsarm war. Jedenfalls nach den üblichen Maßstäben, wie sie auch in der heutigen Action- und Event-Kultur gelten. Anna Schäffer wurde keine Missionarin, die ferne Länder bereiste, was sie ursprünglich ersehnt hatte, aber sie unternahm geheimnisvolle mystische Reisen, »Träume« – die sie nach Jerusalem oder auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs führten. Sie sah nicht die Metropolen Europas und der Welt, sondern blieb in ihrem engen Winkel zwischen Regensburg und Ingolstadt, doch im Laufe der Jahre wandten sich Menschen aus der ganzen Welt an sie. Anna Schäffer strebte nicht nach Ehre und Prominenz, doch ihr Dienst sprach sich herum – und gelegentlich suchten Persönlichkeiten aus allen Schichten der Gesellschaft bis hin zum bayerischen Königshaus und Persönlichkeiten aus Kirche und Medien ihre Nähe, ihr Gebet und ihren Rat. Sehr häufig waren es auch einfache Kinder, zu denen sie einen ganz natürlich-übernatürlichen Draht besaß.

Schön wäre es, wenn der Leser bei der Lektüre dieses biografischen Aufrisses das Gefühl hätte, ganz nah bei Anna Schäffer zu sein, sich trotz aller zeitlichen und räumlichen Distanz in der ersten Reihe ihres geheimnisvollen Lebens zu befinden, ihre Träume und ihr weiteres Wirken persönlich mitzuerleben. Vielleicht sogar zu spüren, dass diese Heilige, die das irdische Leben mit seinem ganzen bitteren Geschmack erfuhr, ohne selbst bitter zu werden, weiterhin da ist, weiterhin für die Nöte und Sorgen der Menschen offen ist. Mag sich das Leben heute mit Social Media und globaler Vernetztheit auch kolossal von ihrer damaligen Lebenswirklichkeit unterscheiden. Anna Schäffer selbst hat es versprochen: »Und werde ich einmal in der Ewigkeit drüben so glücklich sein, dahin zu gelangen, wo Jesus ist, dann werde ich euch allen eine rechte Fürbitterin sein!«

Das geheimnisvolle Leben der  Anna Schäffer

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