Читать книгу Die Traumjäger - Stefan Müller - Страница 5

2. Jenny und die wilde Horde

Оглавление

Hundemüde und total ausgebrannt erreichte ich die rettende Heimat. Es ging mir wirklich nicht gut, und ich hatte nur noch das Bedürfnis nach endlosem Schlaf und nach den schützenden Wänden meines kleinen Appartements, welches ich in wohlweislicher Voraussicht sicherheitshalber behalten hatte. Mein Plan war es, bis in das Jahr 2000 zu schlafen. Denn so lange würde es sicherlich dauern, dachte ich, bis ich die tiefen Wunden geleckt haben würde. Und bis ich von dem herben Schlag rehabilitiert sein sollte, den mir die in die Enge getriebene Bestie Paxton zugefügt hatte.

“Ich wußte, daß du wieder kommst. Was hat dich aufgehalten? Es dauert doch sonst nicht so lange bis du gefeuert wirst.” Ein fünfzehnjähriges leichtgewichtiges Mädchen mit struppigen Haaren und zerrissenen Jeans saß vor mir auf der Treppe, ließ eine Kaugummiblase explodieren und schaute mich mit großen dunklen Augen neugierig an. Das verwahrloste Fellknäul von Promenadenmischung zu ihren Füßen wedelte freundlich mit dem Schwanz, der einzigen Reaktion, zu der sich das Hundetier hinreißen ließ.

“Hey Jenny, hallo Hund. Hätte mich auch gewundert wenn ich euch nicht als Empfangskomitee hier angetroffen hätte.” Jenny, der kleine Wildfang aus dem zweiten Stock und ihr Hund namens Hund. Ich freundete mich vor zirka vier Jahren mit ihr an, als ich das Appartement bezog. Damals noch mit langen Zöpfen und einem dicken Teddy unter dem Arm, wuselte sie immer um mich herum, bis ich aufgab und den nervenden Quälgeist in meiner Nähe duldete. Das kleine eingeschüchterte Mädchen wurde von ihrer Mutter, einer Alkoholikerin, meistens vernachlässigt, und über den Verbleib ihres Vaters weiß ich bis auf den heutigen Tag noch nichts genaues. Nach und nach verbrachte sie mehr und mehr Zeit bei mir, bis ich ihr einen Nachschlüssel meiner Wohnung gab. Ich sorgte für einen gefüllten Kühlschrank und ließ sie meine Klamotten tragen. Jenny unterdessen hielt mein Appartement ein wenig in Schuß, was wirklich kein leichter Job war, da ich sehr schlampig und unordentlich bin. Zwar redete man über das “ungleiche Paar”, aber bei der allgemeinen Gleichgültigkeit, die in diesem Hause herrschte, schenkte man uns keine weitere Beachtung. Jedenfalls mauserte sich das kleine Schwesterchen, das ich in ihr sah, zu einem bildschönen Teenager, und ihr Körper blühte zu wohlgeformter Weiblichkeit heran.

In der vertrauten Umgebung meiner vier Wände ging es mir schon direkt besser. Wohlig suhlte ich mich im meinem Sessel und legte die Füße auf den Tisch. Jenny verschwand in der Küche und holte Bier, für sich und mich, den erschöpften, erfolglosen Kreuzritter. Es folgte ihr der Hund namens Hund, der vergeblich hoffte, daß bei Jennys Weg zum Kühlschrank auch für ihn was herausspringen könnte. Mit kurzen, präzisen Sätzen erstattete ich Jenny Bericht zu den jüngsten Ereignissen. Natürlich nicht ohne mein klägliches Versagen auf ein erträgliches Maß herunterzuspielen. Jenny saß vor mir im Schneidersitz auf dem Boden und kicherte an einigen Stellen, an denen ich trotzdem saublöd dastand.

“Sag mal John, wie kommt es, daß du nie was zu Ende bringst, was du anfängst?” fragte sie mich schließlich.

“Weiß ich nicht, wahrscheinlich liegt es daran, daß ich nach einer gewissen Zeit das Interesse an einer Sache verliere, unaufmerksam werde und Scheiße baue”, antwortete ich richtigerweise. Denn genau da lag der Hund begraben. Für alles Neue war ich schon immer leicht zu begeistern. Ich stürzte mich dann mit leidenschaftlichem Elan auf eine neue Herausforderung, doch leider hielt dieser Schwung nie lange an. Ich liebte das Neue, und auch wenn ich in der Schule nur Mittelmaß gewesen bin, so lernte ich doch stets gerne. Meine Neugier kannte schon als Kind keine Grenzen, und wenn ich erst mal Blut geleckt hatte, ließ ich nicht eher locker, bis ich wußte wie ein Ding ablief. War aber erst der Lernprozeß abgeschlossen, wurde alles zur banalen Routine, die ich wie die Pest hasse. Ich kann ganz einfach nicht aus banalen Automatismen heraus monoton eine Arbeit verrichten. Damals empfand ich dieses Gefühl noch viel stärker als heute. Ich brauchte Inspirationen, die mich weitertrieben, ständig neue Impulse, die meinen Motor auf Touren hielten. Nur solange ich mich mit einer Sache auseinandersetzen konnte, war ich wirklich gut. Höchstwahrscheinlich hätte ich den Job in Frankfurt sowieso bald geschmissen, wären mir die Bosse nicht zuvorgekommen, denn Frankfurt erwies sich nicht als das erhoffte Nirwana, und Großraumbüros machen mich eh krank.

“Komm, ich helfe dir die Koffer auszupacken. Hast du neue Klamotten gekauft?” quietsche Jenny in freudiger Erwartung. Ich war jedoch zu müde und zu schlapp für eine Antwort. Doch ich konnte aus dem Blickwinkel sehen, wie Jenny ohnehin schon kopfüber in den beiden Reisetaschen steckte und alles rauszupfte, wobei sie einige erlesene Stücke für ihren eigenen Gebrauch beiseite legte.

“Schreibst du wieder an deinem Buch weiter?” fragte Jenny, ohne ihre Aufmerksamkeit von der Kleidermusterung abzuwenden. Richtig, mir fiel plötzlich wieder ein, daß ich ein Jahr zuvor damit angefangen hatte, meine Erlebnisse in Romanform niederzuschreiben. Aber wie mit allem anderen verlor ich auch dabei schnell die Laune und ließ das Unternehmen “John schreibt einen Bestseller” wieder einschlafen.

“Mal sehen, warum eigentlich nicht. Zeit genug dazu habe ich jetzt ja wieder”, antwortete ich ihr trocken, ohne es wirklich ernst zu meinen.

“Und was sind deine nächsten Pläne?” frage Jenny weiter. Ich holte tief Luft und blies sie langsam wieder aus. Konkrete Gedanken über meine weitere Zukunft hatte ich mir natürlich noch keine gemacht.

“Schätze, ich suche mir einen neuen Job und ..., oh nein, nicht auch noch das Seidenhemd.” Zu spät, Jenny war sofort in das kostbare Stück verliebt gewesen, und ich wußte nur zu gut, daß keine zehn Pferde sie von ihrer Beute hätten abbringen könnten. Zufrieden mit dem guten Fang, den sie gemacht hatte, verschwand Jenny wieder Richtung zweite Etage.

“Komm Hund, es wird Zeit für uns.” Schon draußen steckte sie den Wuschelkopf noch einmal durch den Türspalt ins Zimmer und sprach mit sanfter und etwas verlegener Stimme.

“Schön, daß du wieder da bist, ich habe dich vermißt.”

“Ich dich auch, du Frechdachs. Ich sehe dich dann morgen. Gute Nacht.” Die Tür schloß sich und ich war wieder allein. Komisch, aber genau in diesem Moment krochen die dunklen Erinnerungen an einen Berg in mir auf und verdichteten sich zu einem konkreten Bild. Dieser Berg lag hinter dem Wohnviertel, in dem ich aufwuchs. Ich erinnerte mich an die Zeit, als ich noch sehr klein war und unbedingt versuchte, diesen unüberwindlichen Steinklumpen zu erklimmen. Mit verdreckten Hosen, blutigen Ellenbogen und verkratzten Armen hatte ich es dann eines Tages schließlich geschafft. Nicht daß ich Bergsteigen liebte, nein, ich wollte lediglich wissen, was hinter diesem Berg zu sehen sei, der eine natürliche Grenze darstellte. An dem offensichtlich die Welt an ihrem Endpunkt angelangt zu sein schien. Sollte das etwa der rote Faden in meinem Leben sein, dachte ich. War das die Leitidee in dem Bühnenstück, das meinen Namen trug? War ich verdammt? Sollte ich in meinem Leben etwa ständig Berge bezwingen, besessen von der Idee, ich müsse wissen, was sich hinter ihnen verbirgt, wohl wissend, daß hinter jedem zehn weitere Berggipfel aufragen würden? Die Augen stets sehnsüchtig auf den Horizont gerichtet und immer auf der Suche nach dem einen Platz, dem einen Ort, der für mich bestimmt sein mußte. Würde ich ihn jemals finden, oder sollte ich niemals zur Ruhe gelangen, ständig weitergetrieben von einer höheren Kraft, die ich nicht beschreiben konnte. Diese irren Gedanken jagten mir durch den Schädel, doch das Bett erreichte ich jedenfalls nicht mehr, der Schlaf übermannte mich in meinem Sessel.

Eine Woche später fand ich schließlich Arbeit bei einer Tag- und Nachttankstelle in Saarlouis. Nichts aufregendes, aber es war ja auch nur für den Übergang gedacht und brachte vorübergehend die notwendige Kohle. Nach sechs weiteren belanglosen Monaten in stiller, trister Monotonie spürte ich es wieder, das Kribbeln, ich wurde unruhig. Ich spürte, daß ein Punkt vor mir lag, an dem sich einiges ändern sollte. Und tatsächlich schildert das folgende Abenteuer den eigentlichen Auslöser für die unglaubliche Wende in meinem Leben.

Tröööt, ...Tröööt.

Die impertinente Hupe eines abgewrackten Audis erkannte ich sofort. Und prompt kam auch schon der schlaksig wirkende Frank Hardfort zur Tür des Tankstellenstores hereingestiefelt, in dem ich arbeitete. Wie immer die langen schwarzen Haaren nach hinten gekämmt und mit der Lederjacke bis zu den Ellenbogen hochgezogen. Und dem mir bestens vertrautem Gesicht eines gutaussehenden Mädchenschwarms.

Der führt doch wieder irgendwas im Schilde, mal sehn was es diesmal ist, dachte ich, als ich den heranbrausenden Frank begrüßte.

“Hallo Frank, wie geht’s?”

“Stell dir vor John, bei dem Punkfestival am Wochenende in Saarbrücken ist eine Band ausgefallen, nun rate mal wer als Ersatz einspringt?”

“Die Rolling Stones?”

“Quatsch, wir, “The late experience”, coole Sache was.” Wie elektrisiert tänzelte Frank, der mich gut um eine Kopflänge überragt, zickig und zackig durch die engen, mit Zeitschriften und Schokoriegeln beladenen Regale.

“Na prima, das Wochenende ist gerettet, sieh zu, daß du ein paar Freikarten bekommst, Frank. Ich trommele unsere Bande zusammen, und dann lassen wir nach eurem Auftritt die Sau raus.”

“OK, geht klar, sobald ich die Karten habe, komme ich bei dir vorbei.” In seiner unnachahmlichen Art sauste Frank zum Ausgang, doch auf halbem Weg machte er auf dem Absatz kehrt und kam wieder angestürmt.

“Ach, wo ich schon mal hier bin, kann ich auch ein Sixpack Bier mitnehmen. Oder warte, bringe mir am besten gleich zwei, ja?”

Samstag: Ich trieb den schwerfälligen Fiat voran, Lautsprecher krächzten heiser die Songs der Kassette herunter, die ich eingelegt hatte. Die “Wilde Horde” war wieder in Bewegung. An meiner Seite Joe, ein athletischer Mann Anfang Dreißig, Zweckoptimist und echter Althippie, mit allem was dazugehörte. Lange aschblonde Haare, Schlaghose, Nickelbrille, Peaceamulett usw. Eine sehr gelungene Mischung aus John Lenon und Rasputin. Nicht einer Modeerscheinung folgend, nein, aus tiefster Überzeugung zelebrierte er den Stil der Sixties. Niemand, der ihn kannte, sah ihn je anders, läßt man mal die Gerichtsverhandlungen außer Betracht, zu denen er mit regelmäßiger Kontinuität vorgeladen wurde. Sei es als Rädelsführer von nicht genehmigten Demos, Widerstand gegen die Staatsgewalt, oder wegen kleinerer Marihuanadelikte. Joe hatte sich seinen Platz als echter Rebell der Gesellschaft wirklich redlich verdient. Auf der Rückbank gammelte Peter, der zwanzigjährige Punk- und Technofreak, mit üblich gelangweilter Miene. Neben ihm war Babs, ein auffälliges, verführerisches Partygirl, das immer zur Stelle war, wenn irgendwo ein Faß aufgemacht wurde. Ihr unendlich langes blondes Haar floß geschmeidig an ihrem Körper herab. Frank und seine Band waren bereits vor Stunden aufgebrochen, erkundeten die Lage und checkten das Equipment. Unsere illustre Gesellschaft verband eigentlich absolut nichts miteinander, außer der Tatsache, daß es sich bei uns um potentielle Außenseiter handelte, die irgendwann einmal mit dem erklärten Ziel “Wir wollen Spaß” zusammen gefunden hatten. Wie das so genau funktionierte, wußte keiner von uns, aber wir tolerierten einander, natürlich nicht ohne die üblichen kleinen Scharmützel. Doch wir hielten immer zusammen wie Pech und Schwefel, das war uns auch das Wichtigste. Wir gaben einander Halt, und so entstand eine kleine, vom Rest der Gesellschaft abgesonderte, Gemeinschaft.

Blödelnd, singend und jauchzend erreichten wir das Festivalgelände, bewaffnet mit Frisbees, einem Football, Unmengen von Bier und einer Tüte Chips. Die ersten Bands vom Kaliber “wir probieren es auch mal” hatten ihren Gig bereits beendet und mächtig Prügel bezogen. Das hatten wir verpaßt, wirklich schade.

“Hoffentlich macht es Frank besser, sonst ist der wieder eine Woche lang nicht ansprechbar”, murmelte Joe, sich nicht die Bohne darum kümmernd, daß er vor der Nase eines Ordners einen riesigen Joint baute. Diverse menschliche Mutationen und außerirdische Wesen standen scheinbar gleichermaßen unter dem allmächtigen Bann der hypnotischen Wellen, die von der Bühne ausgingen. Die Empfänger auf diesen audiovisuellen Punkt ausgerichtet liefen sie alle synchron. Mit den von ihnen individuell favorisierten Narkotika betäubt, folgten sie willig wie die Lemminge programmiert in die Bahnen, in die sie die jeweilige Band leitete. In friedlicher Koexistenz kommunizierten sie auf diese Weise miteinander.

Peter tanzte wie ein wilder Derwisch, alles um sich herum vergessend. Seine schmuddeligen, halblangen, schwarzgefärbten Haare umrissen das blasse Gesicht eines kränklichen, mageren Jungen. Babs war wegen eines Paar Ohrringe, die ihr freches Gesicht zur Geltung bringen sollten, in einen wilden Streit mit einem der unzähligen Standverkäufer vertieft. Unterdessen konnte ich Frank in einer kleineren Gruppe von Menschen ausfindig machen. Er wirkte sichtlich nervös und noch hektischer als gewohnt. Ich steuerte auf ihn zu.

“Are you ready for Rock’n Roll?” posaunte ich schon von weitem, um ihn etwas aufzulockern.

“Eh John, da seid ihr ja endlich, wie spielen als nächste Band. Wird keine leichte Sache, aber wie bringen das schon, ...hoffe ich wenigstens.”

“Na klar, ich hol mir noch schnell ein Bier, dich sehe ich dann nach dem Auftritt.”

Die “Late Experience” lieferten solide Arbeit, der Applaus gab ihnen recht. Sie waren damals auf dem richtigen Weg, das konnte ich wirklich sehen und hören. Erleichtert und mit seiner Leistung zufrieden fand uns Frank nach seiner Vorstellung um einen Kasten Bier versammelt.

Selbstverständlich wurde die anschließende Nacht wild. Alle, die noch nicht genug hatten, trafen sich auf der großen Wiese vor dem Stadion und feierten ausgelassen weiter. In Zelten, Schlafsäcken und Autos wurde campiert, oder man verzichtete gleich ganz auf den Schlaf und machte die ganze Nacht durch. Schlug der Versuch wachzubleiben fehl, blieb man einfach an der Stelle liegen, an dem man diesen Kampf verlor. Peter schluckte irgendwann zuviel von irgendwas und kackte ab. Joe fand wie immer einige Opfer, denen er die Ohren vollabern konnte, betreffs seiner Vorstellung von einer heilen Welt. Jedenfalls bis die Diskussion seinen Kontrahenten, Skinheads aus Saarbrücken, zu dumm wurde und sie ihm aufs Maul schlugen. Babs flippte wie ein wildgewordener Flummi durch die Menschenmenge, sammelte eine ganze Schar an Verehren und ließ dann einen nach dem anderen wieder abblitzen. Ich redete noch bis Sonnenaufgang mit Frank über seinen Traum, Musiker zu werden und wie er diesen Wunsch seinem alten Herrn endlich verständlich machen könnte.

Muffig und verkatert begannen wir den nächsten Tag, oder besser das, was noch davon übrig geblieben war. Bis auf Babs, die wie unberührt vom Treiben der letzten Nacht fröhlich rumhüpfte und pfiff. Sie wirkte wie ein moderner Engel, in ihrem bunten Kleid aus Farben und Licht. So wie ein Schmetterling im Sonnenschein, für den der Sommer niemals ein Ende findet.

“Kommt schon in die Gänge Jungs, laßt euch nicht so hängen, wir fahren runter zum Fluß picknicken.”

“Warum eigentlich nicht, los geht’s.” Die notwendigsten Utensilien für ein provisorisches Picknick waren schnell besorgt, und die Fahrt zum Saarufer dauerte auch nur einige wenige Minuten. Frank hatte keinen Hunger. Er ließ seinen Auftritt vor seinem inneren Auge Stück für Stück, bis ins kleinste Detail, noch einmal Revue passieren.

“Wißt ihr”, platzte er ohne Vorankündigung heraus, “da oben auf der Bühne gestern habe ich es gespürt, ganz deutlich, ehrlich ich schwöre es euch, da ist was passiert.”

“Was ist denn passiert, eh?” fragte Peter, der hinter einem Gebüsch zum Vorschein kam, in das er sich lauthals übergeben hatte, just in dem Moment, in dem Frank aus seinem Kokon engmaschig gewebter Gedanken schlüpfte und zur verheißungsvollen Kunde ausholte.

“Ich habe die Energie gespürt, wißt ihr was ich meine?”

“Öööh, ...nicht so ganz, erzähl mal weiter.”

“Na die ganze gottverdammte Energie, die von den Menschen auf dem Gelände ausgegangen ist. Ich habe sie mit jeder Faser meines Körpers gefühlt, sie strömte durch mich durch. Es war ..., es war ..., wie .., es war wie ein Orgasmus. Versteht ihr? Versteht ihr?” Selbstverständlich verstand niemand von uns, was Frank damit gemeint haben könnte. Doch Joe fand einmal mehr die passenden Worte.

“Klar man, du warst Eins mit dem Universum, du warst im Zustand der totalen Bewußtseinserweiterung, und dabei hast du nicht einmal einen Trip eingeworfen, echt cool.” Tja, Joe, der Experte der psychedelischen Bewegung der sechziger Jahre und deren meist durch Drogen provozierten Experimenten, nickte verständnisvoll. Wenn auch mit einer dicken Lippe wegen dem Hieb, den er ja abbekam.

Die Bäume wiegten sich in rhythmischen Bewegungen zu dem Takt, den der Wind angab, die Sonne verlor zusehends an Kraft. Der Abend nahte. Ich ließ flache Steine auf der Wasseroberfläche der Saar tanzen. Vier-, fünf-, sechsmal sprangen sie auf, ehe sie der Fluß zu packen bekam, sie in die Tiefe riß und sie wohl für eine sehr, sehr lange Zeit des Tageslichtes beraubte. An einen alten Brückenpfeiler kritzelten wir mit Babs Lippenstift auf den blanken Beton: “Frauenpower”, “Punk’s not dead”, “John was here”, „Stoppt die AKW’s”.

Dennoch kam bei mir keine richtig gute Laune auf, wie sonst immer, wenn ich mit der wilden Horde unterwegs war.

“Was ist denn los mit dir John, guck nicht so ernst aus der Wäsche, das steht dir nicht.” Frank machte einen besorgten Gesichtsausdruck und hielt mir eine Flasche Bier unter die Nase, wie man einem kleinen Kind einen bunten Lolli offeriert, um es aufzumuntern.

“Weiß auch nicht, welcher Furz mir quer liegt, aber irgendwie fühle ich mich nicht wohl in meiner Haut.”

“Na dann rück ihn mal raus , den Furz.”

“Ich komme einfach nicht vorwärts, jobbe hier und da, aber finde einfach keinen richtigen Platz im Leben, nichts was mich ausfüllt und befriedigt.”

“Was würdest du denn gerne machen, was würde dich denn erfüllen?” fragte Babs voller Anteilnahme.

“Ich habe keine Ahnung, ehrlich, ich dachte eines Tages finde ich es schon, doch im Moment bin ich davon nicht mehr so überzeugt. Showmaster beim Fernsehen wäre nicht schlecht, aber nur so lange wie ich die Geheimratsecken verbergen kann, danach geh ich zum Rundfunk über.” Ich grübelte weiter. “Buschpilot wollte ich auch schon immer werden, mit einer alten zweimotorigen Maschine aus dem zweiten Weltkrieg, die aus diversen Flickstücken zusammengeschustert und zusammengeklebt ist. Dann kann ich im Dschungel Missionen und Krankenhäuser versorgen, mit Medikamenten und der Post. Und manchmal wird auch geschmuggelt, das ziemt sich so für einen echten Buschpiloten. Den Rest des Tages liege ich auf meiner Hängematte am Strand neben meiner Bambushütte und lasse mir von hübschen jungen Frauen Wind zufächeln und gekühlte Drinks servieren. Ihr wißt schon, die mit den netten Schirmchen obendrauf.” Das verheißungsvolle Flackern in meinen Augen erlosch, als mir bewußt wurde, was für einen Blödsinn ich da wieder am Spinnen war. Ich ließ betrübt den Kopf hängen.

“Leider habe ich vom Fliegen keinen Plan, und ich spreche weder Spanisch noch Portugiesisch. Und mit meinem Orientierungssinn gehe ich sowieso baden.

“John du spinnst ja wieder.” Babs lachte und gab mir einen freundschaftlichen Klaps.

“Richtig, ist ja auch nur so ein Traum. Aber im Ernst, ich weiß wirklich nichts mit meinem Leben anzufangen.”

“Ich weiß was du meinst, mir geht es im Grunde ja nicht anders als dir.” Frank setzte sich zu mir und schaute tief in seine Flasche, Ausschau haltend nach einem mitteilsamen Geist.

“Wenn das mit der Musik nicht klappt, sieht es schlecht aus bei mir, was mache ich dann?”

“Ich dachte es läuft doch bestens mir dir und der Band.”

“Sicher im Moment, aber sind wir doch mal ehrlich, wie viele schaffen es denn schon? Und wie lange können die sich halten, zwei Jahre, oder drei? Alles andere außer der Musik interessiert mich aber nicht, also was werde ich eines Tages tun? Sicher ist nur, daß ich die Familientradition niemals fortsetzen werde und niemals unseren Betrieb übernehme.”

“Survivre n’est pas vivre. Überleben ist nicht leben.” Joe, der das Gespräch aufmerksam, aber stumm verfolgt hatte, schaltete sich in das Gespräch mit ein; für ihn passend, mit diesem Ausruf der französischen Studentenrevolte aus den Sechzigern.

“Mir macht es auch wenig Spaß, ewig nach Vorlage und Kundenwunsch Kunst abzuliefern. Oder noch schlimmer sind die Brötchen, die ich auf dem Bau verdiene.” Als gelernter Zimmermann muß Joe tatsächlich hin und wieder Gelegenheitsjobs auf dem Bau verrichten, denn als Kunstmaler, und er ist wirklich ein sehr guter, begnadeter Maler, konnte er noch nie sich und seine Frau Pamela durchbringen.

“Und ich will in die Welt reisen, Menschen und Kulturen kennenlernen und viele Sprachen lernen und vielleicht eines Tages darüber schreiben”, Babs, unsere frische Abiturabsolventin, die bis dahin noch auf ein Lied der Rolling Stones getanzt hatte, platzte überraschend mit dieser Vorstellung eines perfekten Lebens heraus. Auch Peter, der wie üblich teilnahmslos in einer Ecke etwas weiter abseits hing, hatte was zu vermelden. Und ausgerechnet er brachte in einem einzigen trockenen Satz das Problem auf einen Punkt.

“Ich habe auch keinen Bock auf das Arbeiten, eh, aber wir bräuchten schon sackweise Kohle. Kies ohne Ende, wenn wir so leben wollten wie wir es gerne würden, eh.”

“Äh, ja richtig, so ist das.” Enttäuscht sackte Babs in ihren Klappstuhl zurück.

“Was ist mit dir Frank, du hast noch die besten Möglichkeiten an Geld zu kommen.”

“Keine Chance, nicht die Bohne, solange ich zur Musik stehe und nicht die Firma übernehmen will, sehe ich keine müde Mark. Ich kann mir sogar vorstellen, daß Daddy mich vor seinem Ableben noch schnell enterbt, obwohl er das wahrscheinlich gar nicht braucht. Der überlebt mich ja eh, aus purer Frechheit, hartnäckig wie er ist, zäh wie meine Lederhose.”

“Toll, dann können wir gleich alle Träume vergessen und uns die Kugel geben.” Babs schnappte nach einer Praline. Süßigkeiten helfen ihr immer über traurige, depressive Momente hinweg. Kein Schokoriegel ist ihr unbekannt, sei er auch noch so selten. Sie kennt wirklich jedes Süßwarenregal aller Supermärkte und Tankstellen westlich des Rheins. Ob man will oder nicht, verbringt man eine gewisse Zeit mit ihr, ergeht es einem nicht anders, so vehement verkündet sie ihr Evangelium des Gottes “Schokolade”, den sie pausenlos in die Münder der Personen ihres Umfeldes stopft. Oft genug fuhr sie mit mir nach Luxemburg (ca. 35 km von Saarlouis entfernt) und plünderte mit mir gemeinsam diverse Läden, die zwar von Grenzgängern leben, aber ein so wahnsinniges Paar wie uns niemals vorher erblickt hatten. Denn obwohl ich eigentlich gar keine Schokolade mochte, so wurde auch ich von ihr bekehrt. Was für ein Spaß das immer war, wie ein gefräßiger Heuschreckenschwarm oder wie eine gnadenlose Invasion griffen wir alles an, was nicht niet- und nagelfest war, solange es nur süß, bunt, voller Chemie und Kalorien war. Die Hälfte der Beute vertilgten wir auf dem Heimweg, bis wir über mächtige Bauchschmerzen und Brechreiz klagten. Noch heute ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich einzelne Schokoriegel neben Lebensmittel und Zigaretten auf das Förderband an einer Kasse lege, und dabei rot anlaufe und verstohlen umhergucke. Wie ein Sechzehnjähriger, der eine Packung Kondome kauft.

“Also, für ein unbeschwertes Leben brauchen wir eine Menge Geld. Und wie bekommen wir das, frag ich euch?” Babs durchstöberte gereizt eine leere Packung Pralinen.

“Wenn das so einfach zu sagen wäre, dann wäre wohl jeder Millionär,” meine Joe grinsend und kraulte sich grübelnd durch den Bart.

“Wie wäre es denn mit einer tollen Erfindung?”

“Eine tolle Erfindung? Ja das geht, aber alle Erfindungen, die mir einfallen, sind leider schon gemacht worden.”

“Oder ein Banküberfall”, warf Peter in die Runde ein.

“Quatsch, dazu bist du zu tollpatschig, du würdest den Raub ja noch quittieren, wie ich dich kenne.”

“Danke für das Kompliment, eh. Ich habe dich auch lieb.”

“Gern geschehen.... Und was ist mit einer Entführung von einem Bonzen? Wir können ja mit einem verwöhnten Pudel einer fetten Frau schon mal üben und uns dann hocharbeiten.”

“Nein, nein, so was machen wir nicht, das ist unehrenhaft und gemein”, meinte Joe und schüttelte mit fliegenden Haaren den Kopf.

“Natürlich ist das unehrenhaft, was denkst du denn? Das Ganovendasein ist ein knallharter Job, da bleibt keine Zeit für Sentimentalität. Laß dir doch was Besseres einfallen, du ehrenhafter Verbrecher... Robin Hood hää?”

“Warum denn nicht, beklauen wir doch die Reichen und geben einen Teil an wohltätige Zwecke ab. Da bleibt uns doch noch genug übrig, darüber läßt sich reden. ....ach Frank, sieh zu, daß du im Auto noch Schokolade auftreibst, sonst wird unsere Prinzessin unausstehlich.”

“Gemeiner Schuft.” Babs warf die leere Pralinenpackung nach Joe, dieser ahnte jedoch die Attacke und wich geschickt aus. Da die Packung zum Schutz von Leckereien und nicht zum Fliegen konstruiert wurde, fühlte sie sich nicht sonderlich wohl, kreiselnd in der Luft, und machte neben dem stillen Peter eine Bruchlandung, weil sie natürlich auch das Landen nicht gelernt hatte.

“Eh, hört mit dem Quatsch auf und denkt euch lieber einen guten Plan aus”, maulte Peter auch prompt, leicht aufgeschreckt.

“Ich denke der Staat und die Kirche kommen schon in die engere Wahl, die haben genügend Kies, und außerdem hätten wir die Bevölkerung auf unserer Seite, weil sich jeder über die ärgert.”

“Richtig John, aber wie sollen wir die aufs Kreuz legen, kannst du mir das auch noch sagen?” fragte mich Frank und schlenderte mit einer Tafel Schokolade mit Mandelsplittern an seinen Platz zurück und verfütterte sie an Babs, wie ein Vogelpapi, der seinem Küken einen tollen, dicken Wurm mitgebracht hat.

“Also aus dem Stehgreif fällt mir jetzt nix ein, aber das kommt noch, verlaßt euch drauf, das kommt noch.” Unbemerkt wurde an diesem Abend eine Weiche auf Ablenkkurs gestellt, nur um ein paar hundertstel, ein paar tausendstel Grad und doch von riesiger Abweichung vom Normalkurs, falls wir uns überhaupt jemals darauf befunden hatten. Ein Gedanke war nun festgesetzt, ein Virus eingeschlichen, der sich langsam ausbreitete, ganz langsam. Der langsam andere noch gesunde Zellen befiel und ihnen den Befehl erteilte, dem eigenen kranken Zweck zu dienen: Der Planung einer kriminellen Handlung!

Der Computer nahm mit dem manipulierten Chip die Arbeit auf, das Programm lief gnadenlos und unaufhaltsam. Tausende und abertausende von Berechnungen, Hypothesen, Pläne und Möglichkeiten ihrer Durchführung wurden simuliert und durchgespielt; irgendwo in den dunklen vergessenen Winkeln unserer Gehirne. Wo der schwarze Ritter der Seele zu Hause ist, der mit dem Nährboden des Bösen alle finsteren Wünsche und Begierden speist, die nur durch Mäßigung und durch erlerntes Sozialverhalten unterdrückt und beherrscht werden können. Die Saat war nun ausgesät, und der Tag sollte kommen, an dem der erste Spross das Licht erblicken, gedeihen und zur reifen Frucht heranwachsen würde. Jeder Mensch kennt sie, die verlockende, prächtig ausgereifte Frucht, die mit ihrem süßen Duft und drallem Aussehen für sich wirbt, bis man einfach nicht mehr anders kann als zuzugreifen, zuzupacken und sie gierig zu verschlingen. Denn dann ist Vorsicht geboten, will man nicht so elend wie Adam enden, der ebenfalls der Versuchung erlag, die verbotene Frucht schnappte, seinerseits geschnappt und übel verknackt wurde. Sollte aber diese Frucht nun wirklich ausgereift sein (oder ein Plan, wie man es nimmt), und wenn das Programm keinen Fehler gemacht hat, alle Berechnungen stimmen, dann ..., dann sollte es, ...dann könnte es, dann müßte das Ernten doch möglich sein, ebenso wie das anschließende, unerkannte Genießen und Verdauen. Diese verbotene Frucht könnte jemanden durchaus bestens nähren. Wer weiß? Wer weiß?

“Fahren wir bald eh, sonst kriege ich morgen wieder den Arsch nicht aus dem Bett, ich will nicht schon wieder einen Anschiß.” Seit Peter die Schreinerlehre angefangen hatte wirkte er öfters leicht gereizt, denn er wußte, wenn er diese Lehre wieder abbrechen würde, würde es nie etwas werden mit einer eigenen Bude und einem fahrbaren Untersatz. Also machten wir uns auf die Heimfahrt, mit den verschiedensten Eindrücken, neugewonnenen Erfahrungen und mit der dicken Lippe, welche es Joe wieder einmal schmerzhaft bewiesen hatte: Er war und blieb auf ewig ein Mißverstandener in einer ihm fremden Welt, zu einer ihm fremden Zeit.

Kronenkorken, Zigarettenkippen und Vogelscheiße markieren den Aussichtsplatz auf dem Dach meines Appartements, den ich an diesem Abend aufsuchte. Ich kam sehr oft hier her, in lauen Sommernächten, wenn mir nach Grübeln zumute war. Eine Fensterluke, im von Spinnengeweben durchsetzten Dachboden ermöglichte mir dem Weg, gab die Aussicht frei auf den weniger romantischen Teil der Stadt. Hinterhofidylle mit tristen Farben, schrulligen Formen, verdreckten Fenstern, frei von jeder Art künstlerischen Schnörkel. Ich trat eine weitere Zigarettenkippe aus, welche sich nahtlos in das Schicksal ihrer Artgenossen einreihte. Dann nahm ich meine Bluesharmonika, spielte ein trauriges Lied und ließ meine Gedanken einem willkürlich gewähltem Tagtraum nachjagen. Ich saß bereits seit zwei Stunden hier oben, sah das Tageslicht gehen, sah das kurze Aufflackern des Abendrotes, den Sieg der Dunkelheit. Nichts war mehr zu sehen von den häßlichen Antennen, Satellitenschüsseln oder von den plumpen Schornsteinen. Es gab nur noch mich, die Lichter der Stadt und ein schwachrotes Leuchten in der Ferne, welches den Standort der Dillinger Hütte bestimmte. Der dumpfe Klang von Vorschlaghämmern auf grobes Blech drang aus der benachbarten Montagehalle und lieferte den akustischen Background zu meinem trostlosen Blues. Bis das Tapsen leichter Schuhe das Kommen einer leichten Person ankündigte, die ich schnell als Jenny identifizierte.

“Hat dir schon mal jemand gesagt, daß du noch schlechter als Bob Dylan spielst?”

“Ja du, jedesmal wenn du mich beim Spielen erwischst.”

“Du bist schon recht lange hier oben. Ich hocke die ganze Zeit allein unten rum und langweile mich. ...Hörst du mir überhaupt zu?”

“Entschuldige, was hast du gesagt?”

“Nicht so wichtig, sag mir lieber was mit dir los ist, und warum du stundenlang ins Nichts glotzt.”

“Siehst du die Lichter überall da draußen, Tausende, ein ganzes Meer davon? Sie verkörpern Tausende von Menschen, Tausende von Träumen und Hoffnungen.” Ich machte eine kurze Pause und führte meine verrückten Gedanken fort.

“Die stehen jeden Morgen auf und tun haargenau das, was sie jeden Tag tun. Sie hoffen auf Dinge, die nie eintreten, und sie werden ständig desillusioniert.”

“Oh je, es ist noch schlimmer als ich dachte, du hörst dich ja schon an wie Joe der Philosoph.”

“Ich will doch nur wissen, warum die das machen, warum schmeißen die nicht einfach alles hin und pfeifen auf den ganzen Mist?”

“Das weiß ich nicht John, aber ich bin froh, daß nicht alle Menschen so sind wie du, wo kämen wir denn dann hin? Und vielleicht gefällt ihnen ja ihr Leben so wie es ist, vielleicht wollen die gar nix anderes.”

“Ja, wahrscheinlich hast du sogar Recht. Aber es gibt noch so viele Dinge die es zu sehen, erleben, fühlen und zu schmecken gilt.”

“Du mußt einfach mit dem zufrieden sein, was du hast, so schlecht geht es dir doch gar nicht.”

“Stimmt, ich habe gute Freunde, auf die ich zählen kann. Wer kann das schon mit Sicherheit von sich behaupten? Und eine charmante Beraterin, ohne die ich wohl aufgeschmissen wäre.” Meine verspannten Gesichtszüge lockerten sich, Jenny hatte es wieder geschafft, ohne es zu wissen. Sie hatte mich auf den Boden der Realität zurückgeholt, lächelnd. Die Erde hatte mich wieder. Speziell in dieser Zeit war ich wankelmütig, aufbrausend, ständig zwischen himmelhoch jauchzend und tiefer Depression; zwischen zurückgezogener Isolation und nervtötender Aufdringlichkeit. Gefangener des ständig brodelnden Lavastromes der Emotion, der in mir kochte, jederzeit bereit auszubrechen. Doch Jenny besaß den Schlüssel zu meinem Inneren, sie allein besaß die Macht, mein Temperament zu zügeln und zu kontrollieren. Sie bildete den ruhenden Pool in meinem ansonst unruhigen Leben.

“Hast du gesehen?” fragte Jenny.

“Was denn?”

“Die Sternschnuppe, hast du nicht die Sternschnuppe gesehen? Da oben.” Jenny zeigte in den von Sternen überfüllten dunklen Himmel.

“Nö, wo denn? Wieso sehe ich denn nie eine?”

“Weil du immer was falsch machst John, deshalb.”

“Ich sehe immer nur UFOs und Pershingraketen, so ein Pech.”

“Sicher John, sicher. Aber bei denen darfst du dir nichts wünschen.”

“Das kann man doch, das hatten wir doch beschlossen, weißt du noch?”

“Du hattest das beschlossen, du alleine.”

“Ach ja, richtig, ich erinnere mich. Na gut, hast du dir wenigstens was gewünscht?”

“Natürlich was denkst du denn.”

“Ja und? Was hast du die denn nun gewünscht?”

“Das sage ich dir nicht, sonst geht es doch nicht in Erfüllung.” Ich zog eine enttäuschte Grimasse und wechselte abwinkend das Thema.

“Komm, ich lasse uns eine Pizza kommen und höre dich Englischvokabeln ab.”

“Uuuh..., muß das sein?”

“Klar, ich sorge nur dafür, daß wenigstens einer meiner Freunde es zu etwas bringt, ...ist das mein Pulli?”

“Ja warum?”

“Steht dir gut.”

“Ich weiß.”

Die Traumjäger

Подняться наверх