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Tag 2: Samstag

Ein fröhliches ‚Happy Birthday to You’ holt mich aus meinen Träumen. Mein Wecker zeigt sechs Uhr siebenunddreißig. Die Kinder sind offensichtlich ins Schlafzimmer geschlichen, um ihre Mutter zu überraschen. Ich muss lächeln. Auch wenn ich sehr müde bin, freue ich mich darüber, wie eifrig die Kinder sich bemühen, ihrer Mutter eine Freude zu machen. Auch wenn sie jetzt etwas unbeholfen dastehen und aufgeregt ihre Geschenke übergeben.

Wochenlang hatten sich die beiden auf diesen Moment vorbereitet. Sie waren gemeinsam in den Ort gefahren, um alles für die Geburtstagsgeschenke auszusuchen und hatten sich stundenlang in ihren Zimmern eingeschlossen, um ungestört gemeinsam basteln zu können. Zum ersten Mal hatte ich mich im Vorfeld nicht eingemischt. Die treibende Kraft war dieses Jahr allein Sahra. Sie hatte alles organisiert und vorangetrieben. Wie immer zog Florian mit und folgte seiner Schwester mit Begeisterung. Nun stehen sie da, mit ihren Päckchen in den kleinen Händchen.

Florian kommt als erster an die Reihe. Mit Küsschen, ‚Herzlichen Glückwunsch!’ und anschließender Umarmung übergibt er seiner gerührten Mutter das kleine, hübsch eingepackte Päckchen mit den vielen Schleifen. Beim Auspacken kommt ein kleines Wolltierchen zum Vorschein. Im Kindergarten hatten sie schon so etwas gebastelt und Ulrike hatte es so niedlich gefunden. Jetzt bekommt sie eines in ihrer Lieblingsfarbe und strahlt.

„Danke.“

Dann folgt Sahra. Dieselbe Prozedur, vom Küsschen bis zur Umarmung. Auch das zweite, genau so schön verpackte Paket wird sofort von der leicht verklärt strahlenden Mama geöffnet. Sahra hat ihr ein Bild gemalt. Ein Herz auf einer richtigen Leinwand auf einem richtigen Keilrahmen. Viele Farben, schöne Strukturen. Das ist richtig schön geworden. Damit stellt sie ja sogar mein Geschenk in den Schatten. Bei dem Gedanken muss ich amüsiert lächeln.

„Danke, meine Süße.“

Hat sie tatsächlich feuchte Augen? Na ja, ein bisschen stolz bin ich ja auch. Insbesondere deshalb, weil sie das ganz allein hinbekommen haben.

„Und wo ist dein Geschenk, Papa?“

Florian fängt mit seiner Aufregung genau da an, wo er gestern aufgehört hat. Ulrike erklärt ihm, dass sie das schon vor dem Schlafengehen bekommen hat und dass wir in ihren Geburtstag ‘rein gefeiert haben. Als sie den Kindern die Uhr mit der Gravur zeigt, sind sie dann auch zufrieden.

Ulrike steht als Erste auf und macht das Frühstück. Sie steht immer als Erste auf. Meistens hole ich die Brötchen, während sie das Frühstück zubereitet. So läuft es auch heute. Eigentlich wollte ich ja selbst das Frühstück machen, heute, an ihrem Geburtstag. Ich bin morgens eben nicht gerade der Schnellste.


Schon auf dem Weg zum Bäcker bereite ich mich gedanklich auf den Rest des Tages vor. Die komplette Familie kommt zu Besuch. Den ganzen Nachmittag. Nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung. Einzeln mag ich sie ja alle sehr gern. Ich mag sie auch sonst. Aber wenn alle gleichzeitig zusammentreffen…

Da kann ich mir auch etwas Schöneres vorstellen. Zum Glück ist morgen Sonntag. Wenigstens noch ein freier Tag zum Genießen.

Ulrikes Mutter ist bestimmt die Erste. Sie ist immer die Erste. Ich glaube, sie will immer noch ein paar Minuten mit den Kindern haben, bevor die anderen kommen. Eigentlich will sie sowieso gern viel mehr Zeit mit uns verbringen, das heißt, mit den Kindern. Seit ihr Mann vor fünf Jahren verstorben ist, ist sie halt ein wenig einsam. Sagt jedenfalls Ulrike. Ich denke dann immer, dass es doch vor seinem Tod auch nicht anders war, aber das sage ich natürlich nicht. Was soll’s auch. Außerdem ist sie doch inzwischen wieder eine richtig zufriedene und vergnügte Frau. Auf mich wirkt sie jedenfalls so.

Als nächstes kommen meine Eltern. Ich mag meine Eltern. Ich liebe sie sehr. Aber, in diesen Familientreffen mit den Bräuers fügen sie sich nach meinem Empfinden zu gut ein. Es läuft immer gleich ab: Alle sitzen zusammen. Alle reden. Alle gleichzeitig. Und ich mittendrin.

Die einzige Ausnahme ist Stephanie, Ulrikes Schwester. Sie ist Single. Was ich überhaupt nicht verstehe. Sie ist sehr sympathisch, attraktiv und vor allem angenehm zurückhaltend. Die ersten beiden Eigenschaften würde ich Stephanie nicht in Ulrikes Gegenwart zusprechen, das mag sie nicht so. Schließlich kannte ich Stephanie zuerst. Das brachte früher schon ab und zu mal Spannungen mit sich. Aber dass ich Stephanie wegen ihrer Zurückhaltung sehr schätze, weiß Ulrike und amüsiert sich gelegentlich darüber. Stephanie erscheint kurz nach meinen Eltern, aber keiner bemerkt es so richtig.

Der Kaffeetisch ist längst gedeckt. Alle setzen sich und Ulrike und ich servieren Kaffee und Kuchen. Alle bedienen sich. Alle reden.

Als Letzter kommt dann Thomas, Ulrikes Bruder, zusammen mit seiner Frau Monika und den beiden Kindern, Kim und Jan. Die Kinder freuen sich immer aufeinander und ziehen sich auch heute gleich zurück in Florians Zimmer. Ulrike hat ihnen dort einen eigenen Tisch gedeckt, den Katzen-Tisch.


„Hallo, du Fernsehstar“, begrüßt mich Monika.

Sie hat mich also gesehen.

„Wir haben dich gestern zufällig gesehen.“

Ulrikes Bruder hat es also auch gesehen.

Nach dem allgemeinen ‚Hallo’ sind nun alle Plätze am Kaffeetisch besetzt. Wieso muss ich eigentlich zwischen Ulrikes Bruder und ihrer Mutter sitzen? Von der anderen Seite des Tisches lächelt mir Stephanie zu. Weiß sie was ich denke? Bei ihr bin ich mir da nie so sicher. Ich lächle zurück. Obgleich alle außer uns beiden zu reden scheinen, glaube ich einen Moment lang, dass wir die beiden Einzigen sind, die sich wirklich verstehen. Verlegen schaue ich auf meinen Teller. Dann rüber zu Ulrike. Sie unterhält sich angeregt mit ihrer Mutter. Sie sitzt zwischen unseren beiden Müttern und scheint sich da auch sehr wohl zu fühlen.

Thomas stößt mich von der Seite an. Damit stellt er sicher, dass ich mich in jedem Fall zu ihm umdrehe. Irgendwie sträuben sich bei mir in solchen Momenten immer meine Nackenhaare. Es ist irgendwie unangenehm aufdringlich.

„Sag mal, was war das denn gestern? Da hast du ja ganz schön auf den Putz gehauen. Ein Wunder, dass die so etwas überhaupt senden. Das kann doch nicht dein Ernst sein. Hast du denn überhaupt keinen Respekt vor dem Mann? Uwe Berghaim. Achtmal Formel-1-Weltmeister. Der Mann hat so viel geleistet. Er hat aus Deutschland wieder eine Größe in der Formel-1 gemacht.“

Er redet sich richtig in Rage.

„Und jetzt noch diese Spende. Fünf Millionen Euro. Für die Kinder hier im Land. Für die Zukunft Deutschlands.“

Er hat nichts von dem verstanden, was ich in dem Interview gesagt habe.

„Und du kommst daher und kritisierst den Mann. Was denkst du dir eigentlich dabei?“

Ohne Punkt und Komma redet er drauf los. Stellt eine Frage nach der anderen, ohne auch nur eine Antwort abzuwarten. Thomas kommt so richtig in Fahrt und wird sogar etwas laut. Jetzt hören alle am Tisch zu.

„Als ob du mehr leistest.“

Soll ich drauf eingehen? Na gut, er will es so.

„Es geht doch nicht darum, was ich geleistet habe. Ich bin nach meiner Meinung gefragt worden und die habe ich geäußert.“

„Was für eine schwachsinnige Meinung…“

Ich lasse mich nicht unterbrechen.

„Hast du denn überhaupt zugehört, was ich da gesagt habe?“

„Du hast mit deiner sogenannten Meinung eines der wenigen deutschen Idole in den Schmutz gezogen.“

„Nein, nein. Meine Frage war, ob du gehört hast, was ich gesagt habe? Nicht was deiner Meinung nach meine Äußerungen bewirkt haben.“

Thomas schaut mich fragend an.

„Ob du verstanden hast was ich da gesagt habe?“

„Ja, du hast gesagt, die Spende sei doch ‘ne ganz alberne Show.“

„Siehst du!“

„Was sehe ich?“

„Du hast offensichtlich nicht ein Wort verstanden. Du denkst dir doch nur deinen Teil und ziehst Schlussfolgerungen aus deinen Gedanken.“

Das überfordert Thomas endgültig. Dafür springt jetzt seine Frau für ihn ein.

„Du meckerst doch nur an allem rum.“

Das ist zu albern um ernsthaft darauf einzugehen. In aller Ruhe erkläre ich meine Sicht der Dinge: Berghaim verdient viel Geld. Das Geld erwirtschaftet er nicht, da er nichts produziert. Das Geld verdient er vorrangig mit Werbung, bekommt es also vom kleinen Mann, der sich dagegen gar nicht wehren kann. Für sein Einkommen zahlt Berghaim in Deutschland kaum Steuern, da er im Ausland lebt. Dem Staat fehlt das Geld, das ja eigentlich in Deutschland erwirtschaftet wurde. Beispielsweise fehlt es bei der Versorgung hilfsbedürftiger Kinder. Dass Herr Berghaim nun einen Teil des Geldes als Spende zurück nach Deutschland fließen lässt, macht ihn eben nicht zum Volkshelden. Dazu wird er erst durch die Medien, die dabei auch noch mitverdienen.

Für einen Moment ist Ruhe. Ich denke jetzt haben sie es verstanden, da holt mich Monika wieder in die Realität zurück:

„Aber das kannst du doch nicht im Fernsehen sagen.“

„Wenn ich aber doch danach gefragt werde, und zwar vom und im Fernsehen?“

„Trotzdem.“

Monikas Antwort ist so entwaffnend sinnfrei, dass sie mir die Sprache verschlägt. Zum Glück eilt Ulrike mir zur Hilfe.

„Aber selbst Katja Niemann hat gesagt: ‚… und vielleicht hat ja auch jeder für sich, mit seiner Meinung irgendwo recht.’ Und damit hat sie bestimmt Sven gemeint.“

Ich staune über meine Frau. Oder will sie nur die Diskussion beenden, damit wieder Frieden in der Familie herrscht? Oder hält sie es nur deswegen für richtig, weil Katja Niemann es gesagt hat? Nein, da tue ich meiner Frau unrecht.

„Und irgendwo hat jeder das Recht auf seine Meinung.“

Sie will also doch nur Frieden schaffen. Und ihre Mutter hilft ihr dabei, wenn wahrscheinlich auch nur ungewollt.

„Mir hat die Sendung gestern sowieso nicht so gefallen. Ich hatte schon nach der Hälfte umgeschaltet …“

Sie spricht jetzt wieder mehr zu Ulrike und das allgemeine Gemurmel setzt wieder ein. Mir geht schon wieder alles auf die Nerven. Mit den Worten „ich seh’ mal nach den Kindern“ stehe ich auf. Gehört hat mich sowieso keiner, aber das interessiert mich jetzt auch nicht.

Ich steige die Treppe hinauf. Anstatt ins Kinderzimmer gehe ich ins Schlafzimmer und schaue aus dem Fenster.

Ich bin achtunddreißig Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder. Beruflich relativ erfolgreich. Und jetzt schleiche ich hier in meinem eigenen Haus herum und verstecke mich vor meinen Gästen. Irgendwas stimmt hier nicht. Wer bin ich denn eigentlich?

Ein paar Augenblicke schaue ich noch auf die Straße. Zwei oder drei Autos fahren vorbei, dann eine Horde spielender Kinder. Ein ganz normaler Samstag.

In Florians Zimmer wird artig gegessen. Sahra versucht bei den Kleineren für Ordnung zu sorgen. Erstaunlicherweise sogar mit Erfolg.

Langsam gehe ich wieder hinunter und setze mich an den Tisch. Still sitze ich da und höre, wie sie darüber sprechen, wie anstrengend die Fahrt hierher war, wie schön der Sommer ist, wie krank irgendeine Nachbarin ist, die ich nicht kenne, und so weiter und so weiter.

Warum nennt man das eigentlich ‚Geburtstagsfeier’? Sitzen, essen, reden. Ist das eine ‚Feier’? Und was bedeutet es dann, ‚jemanden zu feiern’? Muss man denjenigen, den man feiert, sitzen lassen? Muss man ihn gar essen? Mit ihm reden? Was ist denn überhaupt eine ‚Feier’? Plötzlich verstehe ich dieses Wort nicht mehr. Habe ich das Wort überhaupt schon mal verstanden? Es kommt mir plötzlich absurd vor. Über das Wort ‚Feier’ nachzudenken ist besser, als den anderen zuzuhören. Und es ist besser, als über mich selbst nachzudenken. Oder über die ganze Welt nachzudenken. Wie wäre es mal mit gar nicht denken?

Meine Blicke kreuzen sich mit denen von Stephanie. Sie sagt die ganze Zeit überhaupt nichts. Ich ja auch nicht. Mit ihr könnte man vielleicht das Wort ‚Feier’ diskutieren. Vielleicht aber auch nicht. Mit ihr aber am ehesten.


Der Kaffeetisch wird abgedeckt. Die Kinder kommen kurz herunter, langweilen sich aber nur und verschwinden wieder. Das Abendessen wird serviert. Und nach ein paar Stunden ist die Feier zu Ende. Wie immer brechen alle auf einmal auf. Die Kinder werden gerufen. Vor der Toilette bildet sich eine Schlange. Alle verabschieden sich von allen, umarmen einander und bedenken sich gegenseitig mit netten Abschiedsfloskeln.

Auch Stephanie umarmt mich und sagt leise:

„Nimm ’s leicht. Du schaffst das schon.“

Dann lächelt sie mich an. Ist das auch nur eine Floskel oder meint sie mehr damit? Ahnt sie, was ich denke? Bei ihr weiß ich immer nicht so genau, woran ich bin. Sie sagt ja nicht viel.


Das wäre geschafft. Alle sind weg. Selbst Ulrike atmet tief durch. Auch sie ist offensichtlich erleichtert. Aber die eigentliche Arbeit fängt jetzt erst an.

„Ihr macht euch jetzt fertig fürs Bett!“, sage ich zu den Kindern. Zum Glück sind sie zu müde um zu widersprechen und gehen wortlos nach oben. Nachdem wir das Gröbste aufgeräumt haben ruft auch schon Sahra von oben:

„Wir sind fertig!“, und unsere Rituale des Gutenachtsagens werden zelebriert.


Gerade als ich die Treppe herunterkomme, klingelt das Telefon. Ich bin mir sicher, dass es für Ulrike ist. Trotzdem gehe ich ran:

„Holstmann.“

„Hallo Brüderchen!“, erklingt die fröhliche Stimme meiner Schwester am anderen Ende. Simone lebt schon seit drei Jahren in der Schweiz. Daher kann sie nicht an jeder Familienfeier teilnehmen. Mir fehlt sie schon sehr. Sie ist immer so lebendig und aufgedreht. Trotzdem kann man sich auch sehr ernsthaft mit ihr unterhalten.

„Eigentlich wollte ich ja deiner besseren Hälfte zum Geburtstag gratulieren, aber da ich dich schon mal dran habe“, für einen Moment unterbricht sie sich selbst:

„Ist die Bagage schon weg?“

Ich muss lachen.

„Ja, alle weg.“

„Fein. Dann haben wir ja Zeit. Kann es sein, dass ich dich gestern im Fernsehen gesehen habe?“

Oh, damit habe ich nicht gerechnet. Wurde mein Interview sogar in der Schweiz ausgestrahlt?

„Ja, kann sein“, antworte ich abwartend.

„Wir können ja mit der neuen Satellitenanlage jetzt alle deutschen Sender sehen. Und gestern habe ich ein wenig herumgezappt und plötzlich warst du in meinem Fernseher.“

Sie lacht.

„Aber egal. Ich fand das ganz schön mutig. Bei euch daheim ist der Berghaim doch bestimmt immer noch total populär. Noch populärer als bei uns.“

„Ja und?“, frage ich verwundert.

„Na ja, selbst hier in Luzern gibt es Berghaim-Fan-Clubs, die jedes Mal, wenn er gewinnt einen Autokorso starten.“

„Echt?“

„Ja, sicher.“

„Ich glaube, hier käme das nicht so gut an, wenn jemand auf den losgeht.“

„Ist es dir peinlich, so jemanden als Bruder zu haben?“

„Nein, nein…“

„Weiß ja keiner, dass ich dein Bruder bin“, unterbreche ich sie lachend.

„Nein, das nicht …“

„Aber?“

„Nichts aber“, druckst sie herum. So nach und nach kommt sie dann doch mit der Sprache heraus:

„Na ja, so eine Spende ist doch eine gute Sache.“

Oh nein. Selbst meine Schwester sieht die Sache anders. Vielleicht liege ich ja doch falsch. Ich versuche ihr die Sache zu erklären. Bringe meine ganzen Argumente noch einmal hervor. Sie hört mir geduldig zu. In einigen Punkten stimmt sie mir zu, aber im Großen und Ganzen kann ich sie nicht überzeugen. Dann setzt sie ihr Hauptargument an:

„Wo das Geld herkommt, ist doch genau genommen zweitrangig. Hauptsache, es dient dem guten Zeck.“

Ich bin erschrocken. Meint sie das so oder gehen ihr nur die Argumente aus?

„Meinst du das ernst?“

Sie antwortet nicht sofort und ich setzte nach:

„Meinst du wirklich der Zweck heiligt die Mittel?“

Wieder antwortet sie nicht und knurrt nur ein wenig.

„Stell dir mal vor, das Geld würde aus irgendeinem Verbrechen stammen. Ein Überfall, eine Entführung…“

„Du hast ja recht“, stimmt sie mir zu, will aber noch nicht aufgeben:

„Aber trotzdem.“

„Das ist aber auch nebensächlich. Ich sage ja nicht, dass die Spende schlecht ist, weil es aus unlauteren Quellen kommt. Ich sage nur, dass es aus Quellen kommt, die es nicht rechtfertigen, dass der Spender dafür zum Volkshelden wird. Verstehst du?“

Sie stimmt mir mit einem leisen Brummen zu, obwohl ich selbst nicht genau weiß, ob das jetzt so ganz logisch klingt. Aber ich kann es ad hoc einfach nicht besser ausdrücken. Die Diskussion mit Simone ist nicht schlecht. Ich merke, dass ich mich überall rechtfertigen muss. Was habe ich da bloß angerichtet. Ist meine Meinung denn so falsch?

Noch einmal wiederhole ich meine komplette Argumentation, diesmal mit anderen Worten. Simone hört geduldig zu. So geduldig hört einem nur eine Schwester zu. Mein Schwager hätte längst aufgelegt. Ich drehe die Sache hin und her und merke, dass Simone mich immer besser versteht.

„Na ja, irgendwo hast du ja recht“, meint sie schließlich.

In dem Moment kommt Ulrike an mir vorbei und fragt leise, mit wem ich denn da so lange telefoniere.

„Ist ja eigentlich auch nicht so wichtig“, sage ich zu Simone, „eigentlich wolltest du ja deine Schwägerin sprechen und nicht mich.“

Ulrike lächelt.

„Schließlich ist sie heute die Hauptperson.“

Simone stimmt mir zu. Wir verabschieden uns und ich gebe den Hörer an Ulrike weiter. Die beiden reden noch eine ganze Zeit. Ich höre nicht zu, sondern lege mich auf die Couch. Langsam wird mir das Ganze zu viel.


Irgendwann setzt sich Ulrike zu mir. Es ist spät.

„Wir sollten ins Bett gehen“, sage ich, doch Ulrike scheint noch gar nicht so müde zu sein. Oder sie ist einfach noch ein wenig aufgedreht.

„War aber doch nett heute, oder?“, fragt sie vorsichtig. Ich versuche genau so vorsichtig zu antworten:

„Ja, für ‘ne Familienfeier schon recht nett.“

„Fand ich auch.“

„Das ist ja auch das Wichtigste“, ich versuche jetzt einen ruhigen Ausklang, „schließlich ist es ja dein Geburtstag. Da sollst du dich wohl fühlen.“

Ich setze mich auf und gebe ihr einen Kuss. Sie lächelt. Aber damit ist sie noch nicht zufrieden:

„Aber musstest du so verbissen mit meinen Bruder diskutieren?“

So einfach ist es denn doch nicht, den Abend nett ausklingen zu lassen.

„Ach komm, so schlimm war es doch gar nicht.“

Ich versuche auszuweichen. Muss ich mich denn schon wieder rechtfertigen? Diesmal für meine eigene Rechtfertigung?

„Also ich fand das schon ein wenig unangenehm.“

Offensichtlich muss ich mich rechtfertigen. Und wieder fange ich von vorne an. Ulrike hört noch einmal meine ganze Argumentation. Diesmal in Kurzform, aber dafür ja auch schon zum vierten Mal.

„Aber du weißt doch, dass Thomas ein Berghaim-Fan ist. Und das schon seit Jahren.“

„Ich kann doch nichts dafür, dass dein Bruder Berghaim-Fan ist. Das tut doch auch gar nichts zur Sache. Ich kann doch nicht bei so einem Straßeninterview berücksichtigen, dass ich vielleicht etwas sage, was meinem Schwager nicht passt.“

Ulrike schaut mich nickend an.

„Und dass das, was ich gesagt habe, nicht jedem passt, merke ich selbst. Auch meine Schwester hat sich eben beschwert. Aber die hört mir wenigstens zu, im Gegensatz zu deinem Bruder.“

„Ja, aber er ist halt fanatisch von Berghaim überzeugt.“

„Ja, aber da kann ich doch nichts dafür. Das ist seine Sache. Er ist der Verbohrte, nicht ich.“

Ich hole tief Luft. Ulrike seufzt. Wir schweigen.

„Was bedeutet eigentlich das Wort ‚Feier’?“, frage ich plötzlich, mit meinen Gedanken schon wieder ganz woanders, aber immer noch bei dem heutigen Nachmittag.

Ulrike schaut mich fragend an. Dann lacht sie.

„Wie kommst du da denn jetzt drauf?“

„Das war doch heute eine ‚Geburtstagsfeier’?“

„Ja.“

„Warum nennt man das eigentlich ‚Geburtstagsfeier’? Alle sitzen zusammen, essen, reden. Ist das eine ‚Feier’?“

„Weiß ich nicht“, antwortet Ulrike zögernd.

„Was ist denn überhaupt eine ‚Feier’? Ich verstehe dieses Wort irgendwie nicht - jedenfalls nicht so richtig.“

Ich schau sie fragend an. Als sie merkt, dass ich es ernst meine, schüttelt sie den Kopf.

„Man kann doch feiern wie man möchte. Einen Geburtstag feiert man eben meistens, indem man gesellig zusammenkommt, isst und trinkt und sich unterhält. Bei besonderen Geburtstagen gibt es manchmal auch noch Musik und Tanz. Man macht eben das, was einem Spaß macht.“

„Und was bedeutet es, wenn es heißt, dass man jemanden ‚feiert’?“

Ulrike schaut mich an, als käme ich von einem anderen Stern.

„Heute wurde ich gefeiert. Alle sind zu mir gekommen, um mich zu feiern. Sie haben mir gratuliert. Die Kinder haben mir heute Morgen ein Ständchen gesungen. Sie alle haben mich gefeiert.“

Ich schaue sie abwartend an.

„Als neulich die deutschen Fußballer Weltmeister geworden sind, haben sie auch gefeiert. Sie haben getrunken und gelacht und getanzt. Als sie anschließend wieder in Deutschland waren, standen sie oben auf diesem Balkon und unten standen die Fans, haben gesungen, getanzt und den Spielern zugejubelt. Sie haben die Mannschaft gefeiert.“

So einfach ist das, wenn Ulrike es erklärt.

Manchmal denke ich einfach zu viel.

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