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Tag 3: Sonntag

Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Ich höre die Vögel zwitschern und leise das Wasser plätschern. Ich atme tief durch. Ist das herrlich. Der Kopf ist frei. Keine Gedanken. Ich liege auf der Decke im Gras. Ulrike neben mir. Die Kinder spielen am Ufer Boccia. Das ist Sonntag. Mein Sonntag.

Seit wir diese Stelle am See entdeckt haben, käme ich am liebsten jeden Tag hierher. Zumindest jeden, an dem die Sonne scheint. Früh aufstehen. Frühstücken. Einen Picknickkorb, die Badesachen und ein paar Spielsachen in den Kofferraum und los. Nur zwanzig Minuten später sind wir am Wasser. Zum Meer brauchen wir mehr als eine Stunde. Außerdem ist es so herrlich einsam hier. Auch heute ist weit und breit kein Mensch zu sehen. Wir sind allein.

Ulrike wacht auf. Sie blinzelt. Ich beuge mich über sie. Lächle sie an. Sie lächelt zurück. Wir küssen uns.

Sahra und Florian kommen zu uns herübergelaufen. Sie sind fröhlich und ausgelassen. Wir hatten ein herrliches Picknick. Ich war mit den Kindern mit unserem Schlauchboot auf dem See. Hinterher haben wir alle gebadet. Wir alle fühlen uns wohl, hier am See. Glaube ich jedenfalls. Aber ich bin der, der immer wieder unbedingt hierher will. Wahrscheinlich fühle ich mich hier am wohlsten. Umso enttäuschter bin ich als Ulrike fragt:

„Wann wollen wir denn nach Hause?“

„Nicht so bald“, sage ich lachend und schaue auf meine Uhr. Kurz nach Fünf. Schade. Ulrike verleiht ihrem Anliegen Nachdruck:

„Morgen ist wieder Schule. Du musst ins Büro. Essen müssen wir auch noch.“

„Aber am Freitag sind schon Ferien“, schnattert Sahra dazwischen und ergänzt sofort:

„und die Zeugnisse sind auch schon geschrieben.“

Muss eine Elfjährige schon so berechnend sein?

Wie soll sie denn sonst die Schule schaffen? Als ob ich so viel besser war mit elf Jahren?

„Trotzdem geht ihr morgen ausgeschlafen in die Schule“, widerspricht Ulrike mit Nachdruck.

Wir einigen uns darauf, noch eine halbe Stunde zu bleiben. Das Abendessen gibt es dafür bei einer amerikanischen Restaurantkette. Weil es schneller geht. Natürlich sind die Kinder damit einverstanden. Dass es schneller geht, interessiert die beiden allerdings weniger. Sie lieben Cheeseburger, Pommes, Ketchup und eiskalte Limonade. Und sie lieben es mit den Fingern zu essen.


Das Auspacken zu Hause macht längst nicht so viel Spaß wie das Einpacken am Morgen. Natürlich wollen die Kinder nicht ins Bett und müssen ein paar Mal ermahnt werden, bevor sie sich endlich fertig machen.

In der Zwischenzeit werfe ich einen Blick auf das blinkende Telefon. Es ist selten, dass unser Anrufbeantworter blinkt, jedenfalls sonntags, wenn ich zu Hause bin. Ich drückte auf den Knopf.

„Elf neue Anrufe“, sagt die freundliche Dame. Ich bin richtig erschrocken. Zur Sicherheit nehme ich mir einen Block und einen Stift aus der Schublade und drücke noch einmal auf den Wiedergabeknopf.

Drei der Anrufe kommen aus der Familie. Ulrikes Mutter will sich nur mal kurz melden und fragen, wie es uns geht, nach der Feier. Eine Tante von Ulrike will nachträglich zum Geburtstag gratulieren. Ulrikes Schwägerin, Monika, will sich auch nur noch mal für den gestrigen Nachmittag bedanken. Sie wirkt etwas zerknirscht. Ich habe das Gefühl, sie will sich unnötiger Weise für ihren Mann entschuldigen. Knigge hin oder her, die rufen doch sonst auch nicht am nächsten Tag nach einem Besuch bei uns an.

Zwei Freundinnen von Ulrike, wollten sich auch ‚nur mal wieder melden’ und bitten Ulrike, zurückrufen. Eine von den beiden sagt, sie wolle unbedingt mehr über den neuen Fernsehstar aus ihrer Nachbarschaft wissen. Ich fürchte, dass mein Interview am Freitag, dieses plötzliche sonntägliche Interesse an meiner Familie ausgelöst hat.

Drei Klassenkameradinnen von Sahra bitten um ihren Rückruf. Vielleicht ist ja eine der Hausaufgaben unklar. Oder haben auch die mich im Fernsehen gesehen?

Der Anruf meines alten Freunds Dirk ist eine echte Überraschung. In meiner Studienzeit haben wir viel gemeinsam unternommen. Seitdem haben wir uns aber kaum noch gesehen. Geschweige denn, dass er jemals hier angerufen hätte. Was will der denn plötzlich? Hat der auch Fernsehen geschaut?

Als Letzte meldet sich Susanne Häusler. Im ersten Moment weiß ich gar nicht wer das ist. Dann fällt es mir wieder ein. Das war die Redakteurin, der ich meine Daten gegeben habe. Das habe ich jetzt davon. Sie sagt nur, dass sie sich noch mal melden will. Spätestens morgen. Sie ruft sicherlich wegen des Interviews an. Warum auch sonst. Hoffentlich hat der Spuk bald ein Ende.

Alle Mitteilungen werden sorgfältig notiert. Sahra und Ulrike sage ich Bescheid, wer für sie angerufen hat. Zurückgerufen wird heute aber keiner mehr. Stattdessen bringen wir die Kinder ins Bett, räumen noch ein wenig auf und machen es uns im Wohnzimmer gemütlich.


Ein wenig müde schauen wir die Abend-Nachrichten. Viel ist heute offensichtlich nicht passiert. Der Bundeskanzler macht Urlaub in Dänemark. Was sind das denn für Meldungen. Selbst die sonst so seriösen Abend-Nachrichten des staatlichen Fernsehens verkommen langsam zu einer Klatsch- und Tratsch-Sendung. Sommerloch eben. Aber warum kommen dann alle immer auf die sogenannten Prominenten zurück? Schon wieder verstehe ich das nicht. Schon wieder kreisen meine Gedanken. Das Portrait meines derzeitigen Lieblingsprominenten reißt mich da wieder heraus. Uwe Berghaim. Nimmt das denn überhaupt keine Ende. Aber die Stimme des Nachrichtensprechers erschrickt mich noch mehr:

„… auf einer eigens dafür einberufenen Pressekonferenz erklärte der Rennprofi, von der angekündigten Spende Abstand zu nehmen…“

Das hat doch hoffentlich nichts mit mir zu tun. Da sieht man ihn schon hinter den Mikrofonen sitzen.

„… ich lasse mir diese Spende nicht vorwerfen. Das habe ich gar nicht nötig…“

Ach so, das hat der feine Herr nicht nötig.

„… auch wenn diese Vorwürfe durch Neid und Missgunst eines Einzelnen getrieben sind…“

Der meint mich.

„… ich lasse mich nicht von irgendeinem verwirrten Menschen, in den Dreck ziehen…“

Ich fasse es nicht.

„… nach reiflichen Überlegungen habe ich daher - zusammen mit meiner Familie - beschlossen…“

Jetzt macht er auch noch auf Familie.

„… von meinem Spendenvorhaben Abstand zu nehmen.“

Er grinst in die Kamera. Sein dümmlich überhebliches Grinsen unter seiner noch dümmlicheren Mütze. Wer trägt schon in irgendeinem Hotel in einem Veranstaltungsraum während einer Pressekonferenz eine Mütze. Nur diese Spinner, die mit den darauf abgebildeten Markenzeichen auch noch Geld verdienen. Der verdient jetzt mit der Rücknahme der Spende auch noch Geld. Unglaublich.

Und wieder meldet sich die Stimme des Nachrichtensprechers:

„Damit fehlen ‚Kinder - Unsere Zukunft’ fünf Millionen Euro. Fünf Millionen Euro, die der Hilfsorganisation das Überleben gesichert hätten.“

Jetzt wird der ja schon fast polemisch.

„Schauen wir doch noch einmal, wie es zu dieser Situation kommen konnte …“

Mein Bild erscheint auf der Mattscheibe.

Ja, ja, ich war’s.

„Dieser Mann hatte die Spende für die Hilfsorganisation am Freitag in einer Spontanumfrage des Senders SuperSat heftig kritisiert…“

Ich habe nicht die Spende kritisiert. Was ist das denn für eine Berichterstattung?

Der Originalton setzt ein:

„Das ist doch ‘ne ganz alberne Show.“

Noch einmal wird das Interview in voller Läge ausgestrahlt. Jedenfalls die Version in der es bei SuperSat gelaufen war. Fassungslos sehe ich mir selbst zu. Bis zum bitteren Ende. Bis wieder der Nachrichtensprecher zu sehen ist. Ich höre nicht mehr zu. Nehme kaum noch etwas wahr.

Plop.

Ich drücke die Fernbedienung und der Fernseher wird schwarz. Ulrike schaut mich entsetzt an.

„Die machen dich fertig.“

Ich weiß nicht was ich antworten soll. Dafür ergänzt Ulrike:

„Die machen uns fertig!“

„Ach was, nun mach dich mal nicht verrückt. Morgen ist das Ganze schon wieder vergessen.“

Wem versuche ich da etwas vorzumachen? Die Pressekonferenz ist vor zwei, vielleicht drei Stunden gelaufen. Wir hatten seither elf Anrufe. Das wundert mich jetzt gar nicht mehr. Vor allem wundert mich der Anruf von Susanne Häusler nicht mehr. Die wird sich sicher morgen wieder melden. Hoffentlich gibt sie meine Daten nicht weiter. Aber warum sollte sie das tun. Noch hat sie mich exklusiv.

Das Telefon reißt mich aus den Gedanken. Offensichtlich haben noch mehr Bekannte oder Verwandte mich im Fernsehen erkannt. Ich ziehe einfach den Stecker vom Telefon aus der Dose und gehe nach oben. Ulrike kommt nach. Wir sprechen kein Wort mehr, außer einem leisen ‚Gute Nacht’.

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