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Darum

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Während ich an diesem Buch arbeite, jährt sich Jörg Haiders Tod bald zum siebten Mal. Haider, der erfolgreichste Rechtspopulist Europas, gleichermaßen bewundert und verehrt wie gefürchtet und angefeindet, starb in der Nacht vom 10. zum 11. Oktober 2008 bei einem Autounfall in Lambichl, südwestlich der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt, als er gerade auf dem Weg zu seiner Familie war. Er hat in dieser Nacht von der Welt abgelassen, diese Welt aber bis heute nicht von ihm. Dieses Buch soll uns dabei helfen, es doch zu tun. Auch mir.

Es ist aber kein Buch über den Mythos Haider. Es ist vielmehr ein persönliches Buch über einen Politiker, der mein Leben geprägt hat und vielleicht heute sogar mehr denn je prägt, gerade weil er nicht mehr da ist. Seit seinem Tod wusste ich, dass ich dieses Buch eines Tages schreiben würde. Denn es gibt Geschichten im Leben, die erzählt werden müssen. Die Geschichte, wie ich als Publizistik-Student Haider kennenlernte und sein engster Vertrauter, Pressesprecher, Spin-Doktor und Generalsekretär wurde, ist eine davon.

Trotzdem habe ich fast sieben Jahre gewartet. Zum einen, weil in der Zeit nach Haiders Tod die Stimmung in Österreich zu aufgeheizt und emotionsgeladen war. Die Diskussionen über ihn verliefen hitzig bis hysterisch und Spekulationen, Gerüchte und Verschwörungstheorien mischten sich mit zumeist stümperhaften Erklärungsversuchen des Phänomens Jörg Haider und ersten halbherzigen Anläufen der historischen Einordnung seines politischen Wirkens und dessen Folgen. Die einen sprachen ihn heilig, die anderen verdammten ihn, dazwischen gab es nichts.

Ich wollte dieses Buch erst schreiben, wenn eine nüchterne und sachliche Auseinandersetzung mit Haider und dem Rechtspopulismus, den er in Europa mit erfunden hat, tatsächlich möglich geworden wäre. Wie tickte Haider wirklich? Wie lebte und wie starb er? Was war damals wirklich? Und wie funktionierte seine Politik? Erst wenn sich diese Fragen stellen lassen würden, ohne dass jede Antwort in den Reflexen zorniger Kritiker oder beleidigter Anhänger untergehen würden, wollte ich damit beginnen.

Außerdem musste ich selbst erst die dafür nötige Distanz gewinnen und meine Position im Leben neu bestimmen. Denn genau wie meine Begegnung mit Haider mein Leben verändert hat, hat es auch sein Tod getan. In den Jahren an seiner Seite war ich im Dauerbetrieb, und das stets am Belastungslimit, in den sieben Jahren nach seinem Tod war ich mit den Aufräumarbeiten in mir und um mich beschäftigt.

In allen meinen Haider-Jahren war ich ohne einen einzigen Tag Urlaub praktisch rund um die Uhr mit ihm in Kontakt oder zumindest für ihn erreichbar. Mein Handy war kein einziges Mal ausgeschaltet, seit ich von der Idylle eines steirischen Bauernhofes in einen Brennpunkt der europäischen Politik geriet, wo sich alle meine Kindheitsträume erfüllten, um gleich darauf in einer einzigen Nacht wieder zu platzen. Meine Neupositionierung im Leben war dementsprechend schwer.

Ich habe mich nie von meiner politischen Vergangenheit distanziert und werde es auch weiterhin nicht tun. Denn populistische Parteien können natürliche Bestandteile eines gesunden politischen Biotops sein. Sie sind nicht nur ungefährlich, sie sind sogar ein Gewinn für die Demokratie, wenn, ja wenn die anderen Parteien nur richtig mit ihnen umzugehen wüssten.

Das ist ein zweiter Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe: Mein steigendes Unbehagen über das massive Unvermögen genau dazu und über den falschen Umgang der europäischen Eliten mit den derzeit in Europa aktuellen populistischen Strömungen auf beiden Seiten des politischen Spektrums, rechts und links.

Die europäischen Eliten haben den rechten wie linken Populismus durch ihre strategischen Fehler, ihr beharrliches Wiederholen falscher Gegenrezepte, ihre taktische Ungeschicklichkeit und ihr handwerkliches Versagen zu einem hypertrophen Symptom ihrer eigenen politischen Unkultur gemacht. Wenn sie nicht endlich kapieren, was da läuft und was sie dagegen tun müssen, werden die dermaßen künstlich aufgeblähten Populisten tatsächlich flächendeckend die Macht an sich reißen. Dann geht es irgendwann um die europäische Aufbauarbeit seit 1945 und die dabei mühsam erarbeitete friedliche Demokratie in einem freien, vereinten Europa.

Haider und ich haben immer herzlich gelacht, wenn die Politologen, Soziologen und Meinungsforscher angetreten sind, um unseren Erfolg zu erklären und die Frage zu beantworten, wie wir denn zu stoppen und zu verhindern wären. Sie waren ahnungslos und hilflos. Ihre Erklärungsversuche reichten niemals an unsere tatsächliche politische Denkart und Konzeption heran und erschienen uns immer kläglich. Trotz der Schwächen, die auch wir hatten, trotz all der Angriffsstellen, die wir zu Genüge boten, und die uns selbst sehr wohl bewusst waren, konnten wir uns dennoch stets sicher fühlen. Wir hatten nicht nur keine Gegner, unsere vermeintlichen Gegner spielten uns auch noch ständig in die Hände. Wir wussten immer, dass die Einzigen, die uns wirklich schaden konnten, wir selbst waren. Niemand sonst.

Doch mit dem unmäßig erstarkenden Populismus in ganz Europa ist die Lage tatsächlich ernst geworden. In Österreich ist Heinz-Christian Strache, den viele als neuen Haider sehen, drauf und dran, Haiders bestes bundesweites Wahlergebnis aller Zeiten, 27 Prozent der Stimmen, wieder zu erreichen, und das ohne bemerkenswertes politisches Talent, sondern vor allem durch konsequentes Kopieren von Haiders bewährten politischen Verfahren. In den Niederlanden macht Geert Wilders von der »Partei für die Freiheit« Schlagzeilen, in Schweden Jimmie Âkesson von den »Schwedendemokraten« und in Frankreich Marine Le Pen vom »Front National«, die sogar Anlauf nimmt, 2017 französische Präsidentin zu werden. In Finnland entstanden die »Wahren Finnen« und sitzen heute in der Regierung, in Belgien der »Vlaams Belang« und auch in England, wo Rechtspopulismus bis vor kurzem nicht wahrnehmbar war, brachte es die rechtspopulistische »UK Independence Party« bei der jüngsten Europawahl zur stimmenstärksten Partei. In der Schweiz reüssiert seit Jahren die rechtspopulistische »Schweizer Volkspartei«. Auf der anderen Spielfeldseite des Populismus bringt der griechische Volksverführer Alexis Tsipras (Syriza) sein eigenes Land und mit ihm gleich ganz Europa ganz nahe an den politischen und finanziellen Abgrund, während »Podemos« drauf und dran ist, es ihm in Spanien gleich zu tun.

Sogar in Deutschland, das vor allem rechte und nationalistische Strömungen schon dank der guten Aufarbeitung seiner Geschichte bisher immer einigermaßen im Griff hatte, gingen Menschen zu Tausenden für eine rechte Bewegung, die Pegida, auf die Straße. Ganz Deutschland war schockiert, niemand verstand es und keiner hätte es für möglich gehalten. Doch Deutschland dürfte bald noch viel intensivere Bekanntschaft mit dem Rechtspopulismus machen. Denn während ich das schreibe, richtet sich gerade die »Alternative für Deutschland«, die anfangs eher ungeschickt agierte, an den erfolgreichen rechtspopulistischen Arbeitsmodellen aus. Dies mit ihrer neuen Chefin Frauke Petry, die politische Erfahrung mitbringt, intelligent und ungleich charismatischer ist sowie mit ihrem Hang zur Provokation eine deutsche Marine Le Pen werden kann. Wenn Petry alles halbwegs richtig macht, ist die »AfD« klar auf dem Weg zur Zehn-Prozent-Partei, und ich wage zu prophezeien, dass die deutschen Eliten in ihren Reaktionsmustern genau die gleichen Fehler und Trugschlüsse eingewebt haben werden wie alle anderen.

Ich habe fünf Jahre lang das Handwerk eines Populisten erlernt und als politischer Grenzgänger erfolgreich angewandt. Ich habe mit Haider die, letztlich immer gleichen, Tricks einstudiert, perfektioniert und andere darin unterwiesen. Ich weiß deshalb, wie sich Populisten entzaubern lassen und wie ihnen ihre Gegenspieler jenen Platz im politischen Biotop zuweisen können, der für eine Gesellschaft noch nützlich ist.

Ich erzähle meine Geschichte deshalb auch, um zu zeigen, wie Populisten wirklich funktionieren, was ihre Gegenspieler, allen voran die beiden großen politischen Blöcke der Sozialdemokraten und der Konservativen, falsch machen, wie sie es richtig machen könnten und wie sie, statt den Populisten den Weg zu ebnen, deren besondere Fähigkeiten zu ihrem eigenen Vorteil und zum Vorteil der Gesellschaft nutzen könnten.

Dieses Buch ist mein Beitrag zur Geschichtsschreibung: Über den Populismus in Europa und über Jörg Haider, der so viele Jahre lang der wichtigste Mensch in meinem Leben war.

Haiders Schatten

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