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Kapitel 2
ОглавлениеDienstag, 21. Mai 1985, Boston, MA:
Die Sonne schien hell an diesem herrlichen Tag und eine ausgelassene Freude hing in der frühlingsfrischen Luft. Alexander stand am Eingang der Charlestown Highschool, heute war sein Abschlusstag. Edvin kam vorbei und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Na, wie geht es denn jetzt weiter?“
fragte Edvin herausfordernd. Alexander wirkte ein wenig ratlos – sein Vater, der seit gut 10 Jahren Vorstandvorsitzender der Boston Bay Bank war, hätte die Frage problemlos beantworten können. Noch ein paar Jahre zum College und dann nach Harvard und mit einem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften in den Finanzsektor. Na klar! Bei Alex war das anders. Bereits an seinem ersten Schultag vor 10 Jahren wurde ihm schon einmal so eine Frage gestellt. Er konnte sich an jedes Detail erinnern. Lynn hatte ihn bereits in der allerersten Schulstunde gefragt, was er denn mal werden möchte und sie blickte ihn dabei eigenartig ernsthaft an. Damals war alles so klar für ihn – er hatte sie angeschaut und aus tiefster Überzeugung gesagt
„Ich möchte die Welt vor allem Schlimmen bewahren, ich möchte die Armen und Schwachen beschützen – ich möchte ein Held werden!“
Lynn hatte ihn damals angestrahlt und ihn dann ganz fest in den Arm genommen. Dann flüsterte sie
„Versprich mir bitte, dass Du das nie vergisst.“
Dabei hörte sich ihre Stimme eigenartig erwachsen an – Tränen hatten in ihren Augen gestanden. Er hatte es ihr versprochen.
Lynn! Lynn war vor zwei Jahren mit ihrer Mutter nach Europa gezogen. Damals hatte ihre Mutter beim Einbruch des Immobilienmarktes das Haus und so gut wie ihr gesamtes Geld verloren. Sie hatte zuvor eine variable Hypothek für den Kauf des Hauses aufgenommen, so wie der Makler Adam McKenzey es ihr gesagt hatte, doch die Zinsen alleine für Festhypotheken stiegen binnen weniger Jahre auf knapp 20 Prozent, die variablen Zinsen hatten sich ebenfalls mehr als verdoppelt – gleichzeitig fielen die Häuserpreise aus für sie unerklärlichen Gründen. Als Lynns Mutter sich Hilfe suchend an McKenzey wandte, hatte dieser nur mit den Schultern gezuckt und so etwas wie
„So ist halt der Markt – das wird schon wieder.“
gesagt und ihr dann ein erbärmlich niedriges Kaufpreisangebot für ihr Haus gemacht. Das Haus war plötzlich nur noch die Hälfte wert und sie mussten die doppelten Raten zahlen. Das konnte Lynns Mutter nicht. Sie geriet mit den Zahlungen immer mehr in Verzug und am Ende versteigerte vor gut 2 Jahren die Boston Bay Bank das Haus. Alex konnte nur stumm zuhören, als Lynn ihm eröffnete, dass sie mit ihrer Mutter zu deren Schwägerin nach Deutschland ziehen würde. Ihm war es sehr peinlich, dass die Bank seines Vaters das Haus versteigerte. Seitdem hatte Alex nichts mehr von ihr gehört. Irgendwo war sie nun und Alex wusste nicht genau wo. Lynn hatte ihm nicht mehr gesagt und den Kontakt zu ihm aus für ihn rätselhaften Gründen abgebrochen. Dabei waren Alex und Lynn von Anfang an unzertrennlich gewesen. Sie verbrachten die meiste Zeit gemeinsam und spannen ihre Träume in Worte. Sie wollten gemeinsam studieren und heimlich liebte Alex sie von ganzem Herzen. Aber er hatte ihr das aus Angst, sie würde nicht das gleiche für ihn empfinden, nicht gestanden. Ein wenig bereute er das heute. Sie sagte ihm zum Abschied, dass sie sich wieder sehen würden – irgendwann. Damals sagte sie auch, dass – wenn wir an unsere Träume glauben – diese auch in Erfüllung gehen.
Alex hatte dies nicht so recht verstanden, aber er sagte sich, dass die Zukunft schon die eine oder andere Überraschung bereithielte. Irgendwie hatte er auch das Gefühl, Lynn noch einmal wiederzusehen.
Da stand er nun mit Edvin im Schatten der Ahornbäume vor dem Eingang der High School und Edvin starrte ihn noch immer an:
„Hallo?? Jemand zuhause?“
„Oh Edvin – wie es weiter geht? Weiß nicht.“
„Okay, dann sag ich es Dir: Wir gehen nach dem College nach Harvard – never change a winning Team! Dein Vater wird da bestimmt etwas für uns klar machen!“
Edvin verstand sich erstaunlich gut mit Alex’ Vater. Alex hatte immer die Befürchtung, dass Edvin Einfluss auf sein Leben nahm. Manchmal besuchte Edvin Alex und sprach dann stundenlang mit seinem Vater. Edvin kam zwar aus einfachen Verhältnissen, sein Vater war ein kleiner Beamter bei der Stadtverwaltung, doch hatte er die Gabe, Menschen für sich einzunehmen. Das wusste er und nutzte dieses von Stund an aus. So hatte er es auch geschafft, dass Alex’ Vater bereit war, ihm, dem Freund seines Sohnes, das Studium in Harvard zu finanzieren. Eigentlich war Edvin mehr der Freund von Alex’ Vater als von Alex. Alex träumte mehr – Edvin handelte. Sicherlich gingen beide nach dem College nach Harvard.
Aus der anfänglichen Abneigung von Alex gegenüber Edvin war inzwischen so etwas wie eine Symbiose geworden. Über 10 Jahre kannten sie sich jetzt schon. Edvin bezeichnete ihn als seinen Freund. Dies hatte er von Anfang an getan – obwohl sie niemals richtig Freundschaft geschlossen hatten. Edvin hatte sozusagen bestimmt, dass Alex sein Freund wäre und Alex ließ es geschehen. Edvin hatte in der Tat eine gewisse Macht über Alex und fortan übte er seinen Einfluss aus. Manchmal fragte sich Alex, ob er selbst überhaupt noch eine eigene Meinung hatte. Das das so ist, da war Alex sich fast immer sicher – manchmal aber kamen ihm Zweifel daran.
Mittwoch, 22. Mai 1985, Frankfurt am Main:
Simon Hartmann stand vor seinem neuen Büro und genoss den Augenblick seines Triumphes. Seit er in Frankfurt war, hatte das Schicksal es gut mit ihm gemeint. Nun kam seine Sekretärin herbeigeeilt und öffnete die Tür zu seinem künftigen Refugium. An der Tür stand „ Simon Hartmann – Mitglied des Vorstandes“ . Es dauerte 10 Jahre, bis er es von Bremen bis hierhin geschafft hatte. Nun war er 38 Jahre alt und das bislang jüngste Vorstandsmitglied der Handelsbank. Er blickte stolz aus dem Fenster im 48. Stockwerk des Banktowers und sah unter sich seine Stadt – Frankfurt. Lydia und Thomas waren nicht erfreut, als er vor 5 Jahren sagte, dass er versetzt werden würde. Nach Frankfurt. Natürlich war er nicht ganz ehrlich – er wollte eine Chance wahrnehmen. Die Stelle des Assistenten des Vorstandsvorsitzenden Dr. Jürgen Kohlheim wurde frei und obwohl die Stelle eigentlich unattraktiver war als seine damalige Position in Bremen, konnte er nicht widerstehen. Dr. Jürgen Kohlheim war 53 Jahre und unangefochten der starke Mann der Handelsbank. Er hatte die Bank zu einem internationalen Player ausgebaut und der Erfolg gab ihm Recht. Die Gewinne der Bank sprudelten und man fasste die Übernahme unliebsamer Konkurrenten ins Auge. Sein vorheriger Assistent war damals gerade Vorstandsmitglied der Unionsbank geworden, die Dr. Kohlheim als Übernahmekandidat ins Auge gefasst hatte. Mit seinem ehemaligen Assistenten als einem wohlgesonnenen Partner auf der anderen Seite, wurde die Übernahme zu einem Kinderspiel. Simon Hartmann hatte die Aufgabe, das Geschäft diskret und nach außen hin sauber abzuwickeln – die Früchte seines Erfolges erntete er heute.