Читать книгу Nach vorne! - Stefan Reusch - Страница 10

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In Zeiten, in denen Fußball in Wohlfühltempeln mit Kinositzen und Winkelementen stattfindet, ist das heimische Sofa manchmal fast so etwas wie das letzte verbliebene Mahnmal – ein Mahnmal dafür, dass Fußball etwas Einfaches, etwas Anarchisches haben sollte. Einfach dasitzen, dem Spiel wie immer folgen und dabei reden, reden, reden – ohne sich darum zu kümmern, was man sagt.

Seit einiger Zeit besucht mich mein Schwiegervater regelmäßig in meinem Fußballkeller, um die Spitzenspiele der Fußball-Bundesliga mit Beteiligung des FC Bayern zu verfolgen. Das ist mittlerweile tatsächlich ein lieb gewordenes Wochenendritual geworden. Lieb geworden auch deshalb, weil er seit ein paar Spieltagen regelmäßig einen seiner alten Kumpel mitbringt, den mein kleiner Sohn Carl liebevoll Onkel Puskás nennt. Puskás deswegen, weil er mir auf einem dieser unumgänglichen Familienfeste mit einem abendfüllenden Gespräch über die ungarische Legende Ferenc Puskás und dessen Heldentaten für Honvéd Budapest und Real Madrid den Abend gerettet hat. Und sich damit diesen wunderbaren Beinamen sicherte. Manchmal kann das Leben wirklich einfach sein, wenn man weiß, wer Ferenc Puskás war.

Jedenfalls sitzen nun diese beiden Männer schlesischer Abstammung regelmäßig bei mir zu Hause, schenken mir das ein oder andere Gläschen vom mitgebrachten Honigschnaps ein und erklären mir die Welt des runden Leders aus ihrer unverblümten Sicht. Und keine Frage: Das ist großartig! Das ist ganz, ganz großes Kino! Da werden die neuesten Lukas-Podolski-Gerüchte aus erster Hand seziert. Weil beide einst mit dessen altem Herrn zusammenspielten, sind sie natürlich bestens informiert. Sie wissen, wie schlecht es dem armen Jungen dort unten im fernen München geht – da sind auch das viele Geld des armen Poldi und die Villa am Starnberger See keine Argumente mehr. „Was willst du mit all diesen Millionen, wenn in deiner Mannschaft alle nur Dupas sind“, lautet ihre einfache, aber einleuchtende Podolski-Theorie. „Dupas“ – das ist übrigens ihr Wort für Leute, die wir gelinde gesagt „Hammerwerfer“ oder „Ohrfeigengesichter“ nennen würden. Natürlich finden vor allem die Konkurrenten Podolskis keine Gnade. Unbarmherzig der Kommentar von Onkel Puskás, als Luca Toni einen Ball verspringen lässt. „Weißt du, Sascha, mein Vater war im Krieg in Italien stationiert, und der hat immer gesagt: Die Italiener – die sind nur zum Bumsen geboren!“ Zustimmend nickt mein Schwiegervater beim Anblick von Tonis Großaufnahme im Fernsehen und ergänzt, dass Miro Klose den Ball noch nie lupfen konnte, und macht mit einem Schaumstoffball meines Sohnes nach, wie es richtig geht. Zwar ist der Zusammenhang zwischen dem angeblich naturgegebenen italienischen Hang zum Liebesakt und Kloses fehlendem Spielverständnis nicht unbedingt spontan oder auf den ersten Blick nachvollziehbar, aber vielleicht liegt das auch nur daran, dass es bisher noch niemand in einen Zusammenhang gestellt hat. Ein simultanes „Kurva“ – das schlesische Wort für alles, was, na ja, sagen wir: nicht rund läuft – beendet die Stürmerkritik und macht Fragen meinerseits bestenfalls überflüssig. Was soll ich hier auch fragen?

Alles andere als überflüssig sind jedenfalls all die anderen unwiderlegbaren Wahrheiten, die ich an solchen Abenden erfahre und insgeheim ohnehin teile. Niederlagen von Borussia Mönchengladbach werden schon mal der großen Klappe Hans Meyers geschuldet und Onkel Puskás wird nicht müde, zu betonen, dass er Mark van Bommel und Daniel van Buyten mit dem Fuß im eigenen Hinterteil schwindelig spielen würde – diese Dupas. Kurva! Alles Dupas! Unterbrochen werden all diese eindringlichen Kommentare nur von dem ein oder anderen Honigschnaps, der runterläuft wie Öl und seine Wirkung nicht verfehlt. Dass ich nach dem Besuch der beiden regelmäßig einen ausgedehnten Nachmittagsschlaf brauche, sie aber fröhlich mit dem Auto nach Hause fahren, fällt mir immer erst spätabends auf, wenn ich müde das Aktuelle Sportstudio verfolge und meine Frau sich telefonisch bei meiner Schwiegermutter beschwert.

Wie auch immer – der Besuch der beiden Herren ist in der Tat ein wirklich schönes Ritual geworden, völlig egal, dass dabei immer die Spiele der Bayern geguckt werden. Im Gegenteil: Ich freue mich sogar auf Leute wie Mark van Bommel, Daniel van Buyten oder Luca Toni, weil ich weiß, dass die bald ordentlich und ungeschminkt was verpasst bekommen – zwar nicht auf dem Rasen, aber in meinem Keller. Von zwei älteren Herren, von denen einer nach einer ungarischen Fußballlegende benannt ist und der andere Miro Klose mit einem Schaumstoffball von IKEA zeigt, wie man das Runde ins Eckige bringt – dort unten in meinem Keller bei einem Gläschen Honigschnaps.

Nach vorne!

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