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3. Wurzeln der Vorurteile

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Die Entwicklungen auf der internationalen Ebene erschienen deshalb so bedrohlich, weil sie die Schwäche der iberischen Mutterländer und damit auch die Fragilität der Herrschaft in den amerikanischen Kolonien deutlich werden ließ. Denn einerseits gewannen die Kolonisten in den spanischen und portugiesischen Besitzungen im Verlauf des 17. Jahrhunderts stetig an faktischer Autonomie, andererseits konnte man die Wachstumsdynamik der englischen Kolonien im Norden im 18. Jahrhundert nicht mehr übersehen. Mit dem Aufstieg der englischen Kolonien stieg auch das interamerikanische Interesse langsam an.

religiöser Antagonismus

Dabei standen religiöse Motive im Mittelpunkt, die sich aus dem konfessionellen Gegensatz herleiteten, der ja von Beginn an eine wichtige Rolle bei der Legitimation des englischen Ausgreifens nach Amerika spielte. So entwickelten führende neuenglische Puritaner wie etwa Cotton Mather (1663 – 1728) in Gedankenexperimenten die Idee eines theokratischen „Neuen Jerusalems“ im Land der Azteken. Das belegt vor allem Mathers programmatische, ursprünglich auf Spanisch verfasste Schrift La fe del Christiano en veyntequatro articulos de la institucion de Christo embiada a los españoles, paraque abran sus ojos, y paraque se conviertan de las Tinieblas a la luz, y de la potestad de Satanas a Dios von 1699, deren englische Übersetzung 1704 erschien. Mit missionarischem Eifer wollte Mather das Seelenheil der katholischen Spanier retten. Die protestantische Mission sollte darüber hinaus die im Süden lebenden Indigenen vom Katholizismus befreien. Der Missionsanspruch des Nordens war also schon früh angelegt und sollte eine Konstante der Verflechtungen zwischen den Amerikas bleiben.

Konfessionelle Vorurteile entwickelten sich in diesem Zusammenhang zur Grundlage negativer Stereotypen zwischen Nord und Süd. Besonders nützlich für die lebhafte antispanische Propaganda der Engländer waren die Schriften von Bartolomé de las Casas (1484 – 1566). Las Casas’ Anklage gegen die Missstände der Kolonialherrschaft und die Exzesse gegen die indigene Bevölkerung, mit der er die spanische Krone zu einem Umdenken in der Indianerpolitik bewegen wollte, griffen Autoren wie etwa Thomas Gage in viel gelesenen Polemiken dankbar auf, um die englische Expansion in Amerika zu rechtfertigen.

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Thomas Gage attackiert die „barbarische Grausamkeit“ der Spanier

Aus: Thomas Gage: The English-American, His Travail by Sea and Land: or, A New Survey of the West Indies, Abingdon 2005 [1928; Erstaufl. 1648], S. 3 – 4.

Außer der Gewalt kenne ich keinen Rechtsanspruch den er [der Spanier] hat, der nicht durch denselben Anspruch und stärkere Gewalt verdrängt werden könnte. … Unzweifelhaft liegt der rechtmäßige Anspruch auf diese [amerikanischen] Länder nur bei den Eingeborenen selbst, die diesen legal auf Andere übertragen können, etwa wenn sie die Engländer aus freien Stücken um Schutz bitten. Und wenn man anführt, dass die unmenschliche Schlachterei, die die Indianer früher begangen hätten, als sie so viele Menschen ihren Götzen opferten, den Spaniern ein ausreichendes Argument an die Hand gegeben habe, um die Indianer von ihrem Land zu vertreiben, so kann dasselbe Argument mit viel besserer Grundlage gegen die Spanier selbst gewendet werden. Sie haben so viele Millionen Indianer dem Götzen ihrer barbarischen Grausamkeit geopfert, dass heute viele einst bevölkerungsreiche Inseln und große Territorien auf dem Festland fast unbewohnt sind, wie Bartolomé de las Casas, der spanische Bischof von Guaxaca in Neu-Spanien, mit seinen gedruckten Werken ausreichend belegt hat.

Diese Schriften trugen damit zur Perpetuierung negativer Stereotype vom vermeintlich grausamen, faulen und scheinheiligen Spanier bei, die im protestantischen Europa der Frühen Neuzeit ohnehin in Umlauf waren und die spanische Historiker im Bemühen um Rehabilitierung später zu entkräften suchten, indem sie sie als Elemente einer antispanischen schwarzen Legende abtaten. Der konfessionelle Antagonismus gegenüber Spanien mischte sich in England schon früh mit patriotischen Empfindungen, die mit der Heroisierung von Drake und anderen und mit der Berufung auf den vermeintlich typisch englischen Freiheitsdrang einherging.

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Schwarze Legende

Wahrscheinlich war es der spanische Historiker Julián Juderías, der den Begriff „schwarze Legende“ in seinem Werk La leyenda negray la verdad histórica (1914) erstmals benutzte. Seither meint man damit die negativen Stereotype über Spanien und die Spanier, die sich u.a. auf die Inquisition und den fanatischen Katholizismus, die Eroberung Amerikas und die spanische Kolonialherrschaft als solche, den Kampf gegen die Niederlande und die Rolle im Dreißigjährigen Krieg sowie auf Spaniens Rückständigkeit im Vergleich zum restlichen Westeuropa bezogen. Laut Juderías wurden die Vorurteile in einschlägigen Werken seit der Frühen Neuzeit immer weiter tradiert und waren vom Protestantismus und von der Aufklärung inspiriert. Juderías und nach ihm eine Vielzahl von Historikern waren darum bemüht, die negative Interpretation der spanischen Geschichte zu entkräften, wobei sie allerdings oft ins Gegenteil verfielen und eine apologetische „weiße Legende“ (leyenda rosa) fabrizierten.

Für die Geschichte der interamerikanischen Beziehungen waren die antispanischen Ressentiments deshalb so wichtig, weil sie später von manchen US-Amerikanern auf ihre lateinamerikanischen Nachbarn übertragen wurden und dort ähnliche Abwehrreflexe auslösten.

Zweifellos bestanden derartige negative Vorstellungen von Spanien und seinen Reichen auch in den englischen Kolonien in Nordamerika. Dennoch – vielleicht auch gerade deswegen – wuchs im Lauf des 18. Jahrhunderts das wissenschaftliche Interesse an den Nachbarn im Süden, wie die erhaltenen kolonialzeitlichen Bibliotheken mit ihren Sammlungen an hispanoamerikanischen Chroniken und Reiseberichten beweisen. Außerdem kam es zu direkten Kontakten zwischen den Kolonisten, die sich vor allem in den Expansionszonen des nördlichen Neuspaniens sowie in der Karibik ergaben. Dabei standen ökonomische Motive im Mittelpunkt. Koloniale Eliten in den Handelsstädten Neu-Englands sowie in Philadelphia und New York zeigten großes Interesse an den wirtschaftlichen Potenzialen des spanischen und portugiesischen Amerikas. So gab es in New York seit 1735 ein Angebot an Spanischkursen und 1751 veröffentlichte Ebenezer Hazard ein Spanischlehrwerk. Die Presse brachte Nachrichten über wirtschaftliche Entwicklungen in den spanischen Kolonien, die für die eigene Region wichtig sein konnten. Die Grundlage des Interesses war der stetig wachsende Handel der Kolonisten mit ihren Nachbarn im Süden, wobei es sich zumeist um Schmuggel handelte. Frühzeitig beteiligten sich Nordamerikaner am Sklavenhandel zwischen Afrika, Hispanoamerika und den Karibikinseln.

Unsicherheit

Nach dem derzeitigen, noch unbefriedigenden Forschungsstand zu urteilen, hielt sich das Interesse der Eliten in den spanischen und portugiesischen Kolonien an ihren Nachbarn im Norden dagegen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in engen Grenzen. Das war nicht erstaunlich, denn im Vergleich zu den iberischen Reichen handelte es sich bei den englischen Kolonien bis ins 18. Jahrhundert um kleine und kaum ernst zu nehmende Gebilde. Nichtsdestotrotz war auch aus der Sicht mancher Hispanoamerikaner der grundsätzliche konfessionelle Gegensatz wichtig. Das Leben in den Kolonien war gefährlich und wie die Puritaner fühlten sich auch die katholischen Spanier in der Neuen Welt ständig vom Teufel bedroht. Zu den Ausgeburten des Satans zählte man die feindlichen Indigenen, Naturkatastrophen und eben auch protestantische Piraten. Ein Beispiel war der peruanische Dichter Luis Antonio de Oviedo Herreray Rueda (1636 – 1717), der in seinem epischen Gedicht Vida de Santa Rosa de Santa María (Madrid, 1712) die erste amerikanische Heilige, Santa Rosa von Lima, siegreich gegen teuflische Anfechtungen kämpfen ließ, darunter z.B. Piratenüberfälle, die seine Heimatstadt bedrohten.

Vorstellungen wie diese oder die utopischen Projekte eines Cotton Mather können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Auseinandersetzung mit den amerikanischen Nachbarn bei der Entwicklung kolonialer Identitäten im Norden und im Süden nur eine untergeordnete Rolle spielte. Obwohl viele strukturelle Ähnlichkeiten in der Situation der Siedler in Amerika wie das missionarische Sendungsbewusstsein, die Entstehung in Amerika geborener Eliten oder die Konflikte mit der autochthonen Bevölkerung vorhanden waren, war die geographische Entfernung zu groß, das Interesse am anderen Amerikaner zu gering. Direkte Zusammentreffen blieben punktuell und von einem Informationsaustausch konnte noch keine Rede sein.

Zwischenräume

Zwischenräume des Kontakts bildeten sich nur dort heraus, wo Anglo- und Hispanoamerika gemeinsame Grenzen hatten wie im karibischen Raum und im Südwesten Nordamerikas. Dort waren es oftmals gerade die rechtlosen Unterschichten, die diese Kontakte herstellten, wenn etwa afroamerikanische Sklaven in der Karibik zu den Spaniern flohen, weil sie hofften ihre Lage dadurch zu verbessern oder wenn umgekehrt die Mosquito-Indigenen in Britisch Honduras die Briten unterstützten, um nicht unter das Joch der Spanier zu kommen. Diese alltäglichen Vorkommnisse beeinflussten indirekt durchaus auch die Haltung der Eliten. So reagierten die englischen Autoritäten in ihren Stellungnahmen zur Behandlung der Sklaven sensibel auf die spanische Politik der Einbeziehung der Schwarzen in den Milizdienst. Die spanischen Würdenträger wiederum ahmten die Diplomatie der Briten und Franzosen im Umgang mit den Indigenen nach und gingen im Grenzland im Lauf der Zeit selbst zum Abschluss geschriebener Verträge über.

viele neue Welten

Im Lauf der Kolonialzeit hatte sich die von den Europäern ursprünglich als Raumeinheit gedachte „Neue Welt“ differenziert und pluralisiert. Mitte des 18. Jahrhunderts gab es viele neue Welten, die von unterschiedlichen europäischen Mächten abhängig waren. Dazu zählten auch die englischen und iberoamerikanischen Kolonien, die sich bedingt vor allem durch den konfessionellen Unterschied von Beginn an als Antagonisten betrachteten. Kolonisten im Norden und im Süden imaginierten sich ihre Neue Welt als protestantisches oder katholisches gelobtes Land, in dem für das Andere kein Raum war. Dennoch blieben sie in vielerlei Hinsicht auf einander bezogen, nicht zuletzt durch die große Herausforderung, die Amerika für alle seine neuen Bewohner darstellte.

Lateinamerika und die USA

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