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Der Uhr-Typ

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Seine Uhren dürfen seinen Namen nicht mehr tragen, hingegen prangen die vier Buchstaben neben dem Geburtsdatum seit Neuestem auf dem Nummernschild seines inzwischen rund 350.000 Kilometer zählenden Youngtimers, einem Audi 200 Turbo von 1986: SI-NN 309. Helmut Sinn, geboren am 3. September 1916 in Metz, Lothringen, hat sich bewahrt, wovon andere in seinem Alter längst träumen: geistige und körperliche Fitness, eine gehörige Portion Humor und nicht zuletzt eine führende Position in einer kleinen, aber feinen Uhrenschmiede.

Dabei sah es zunächst so aus, als wollte sich der damals rüstige Endsiebziger Mitte der 90er Jahre den verdienten Ruhestand gönnen. Er verkaufte seine Firma Sinn, eine Perle der Uhrenindustrie, wie das «Uhren Magazin» 1993 schrieb, an den damaligen IWC-Ingenieur Lothar Schmidt, der dort für die Gehäusefertigung zuständig war. Schmidt setzte auf die Sinn-Ikonen 103, 144 und 156 und entwickelte die Kollektion weiter. Doch danach packte Sinn, der auch die Wochenenden bevorzugt in seinem Geschäft verbringt, wieder die Arbeitswut, die für ihn eine Art Lebenselixier zu sein scheint: Kurz entschlossen kaufte der Unruheständler 1996 die Schweizer Uhrenmarke Guinand, um deren Zukunft es damals nicht gut bestellt war, und beglückte die treue Fangemeinde mit drei Produktlinien – Guinand, Chronosport und Jubilar.

Spätestens mit der selbst ersonnenen Weltzeituhr für fünf unabhängige, wenngleich von einem einzigen Werk des Kalibers HS 81 (Eigenmodifikation auf Basis Unitas 6497-1) angetriebenen Zeitzonen, sicherte er seiner neu belebten Traditionsmarke die Anerkennung der Fachwelt und rief sogar einen Nachahmer aus den USA auf den Plan.

Helmut Sinn bleibt auch unter neuem Namen sich selbst und seinen Kunden treu: Seine Uhren zeichnen sich durch schnörkellose Funktionalität, instrumentenhafte Ablesbarkeit und ziemlich konkurrenzlose Preisgestaltung aus. Wie zu seiner Zeit schon mit Sinn Spezialuhren praktiziert, spart sich der klein aufgezogene Direktvertrieb Händlermarge und Marketingaufschlag. Nur einmal wich der Preiskämpfer, der manchem Mitbewerber ungeachtet des hohen Alters als Enfant terrible der Uhrenbranche gilt, von seiner Maxime ab. Das war ganz zu Anfang seiner Unternehmerlaufbahn.

Nach dem Krieg, als er seinen Beruf als Pilot und Fluglehrer wegen der alliierten Auflagen in Deutschland nicht mehr ausüben durfte, produzierte er vornehmlich für US-Besatzer eine Uhr in Form eines Hundes. Dessen Augen drehten sich um sich selbst und zeigten dabei Stunden und Minuten an. Nicht gerade funktionell, und auch in der Preisgestaltung ging Sinn sehr kreativ vor: 30 Mark im Einkauf, 45 Mark im Verkauf und fünf weitere Mark betrug der Aufschlag, den ausschließlich Amerikaner für den «Befreiungstritt» zahlen mussten. Schließlich litt er lange an einem Tritt ins Steißbein, den ihm, 1946 wegen seiner schweren Lungentuberkulose vorzeitig aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, auf dem beschwerlichen Heimweg ein Amerikaner verpasste: «Willkommen in der Freiheit, Sonnyboy!»

Doch weder die schwere Krankheit, noch die Amputation eines kleinen Fingers an der rechten Hand, wegen Erfrierungen bei minus 40 Grad in Russland, konnten den passionierten Flieger nachhaltig bremsen. Er gründete Ende der 40er Jahre in Frankfurt am Main seinen eigenen Uhrenhandel und befasste sich bald mit der Entwicklung von Borduhren für die Bundeswehr.

1956 begann dann mit Sinn Spezialuhren ein neues Kapitel seiner Unternehmergeschichte. Er machte durch Direktvertrieb und zahlreiche Neuerungen wie Doppelstundenzeiger und GMT-Uhr von sich reden. Und er flog wieder, bis ihn im Alter von 87 Jahren ein Herzschrittmacher an den Boden fesselte. Seit dem bescheidet sich Sinn auch am Steuer seines Audi Turbo mit 160 Stundenkilometern. Das ist schon recht moderat, wenn man bedenkt, dass der Senior gleich nach der Übernahme des Wagens beim ausschweifenden Austesten der Höchstgeschwindigkeit von 240 Stundenkilometern die Zylinderkopfdichtung verheizte. Freiwillige Selbstbeschränkungen legte sich der Wahl-Frankfurter bereits beim Essen, Trinken und Rauchen auf – kein Kaffee, etwas Tee, moderater Fleischkonsum und schon lange keine Zigaretten mehr.

Neben der Fliegerei hegt Helmut Sinn eine Leidenschaft für schnelle Autos. 1953 holte er mit einem VW Käfer den Klassensieg bei der Transafrika-Rallye Algier – Kapstadt. Einige Jahre zuvor kämpfte er sich mit einem Mercedes 170 durch die afrikanischen Wüstenregionen. Sinn wollte nach Teheran – wo er wegen politischer Wirren in der Region nie ankam. Das war nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin.

«Ich bin vor mir selbst geflüchtet», sinniert Sinn über den Hintergrund dieser eigenwilligen Safari. Entsprechend zierte den Wagen der Schriftzug «für Edith». Danach hatte er nie wieder Lust auf Familienleben, und den netten Opa möchte der dreifache Vater mit sechs Enkeln und Urenkeln erst recht nicht geben. Wenn er ins Krankenhaus musste, erfuhr es seine Verwandtschaft immer erst nach der Entlassung: «Denen hab ich erzählt, ich verreise eine Weile.»

Als er fürs Foto mit seinem Wagen über einen engen Feldweg fahren sollte, bewies der Motorsport-Veteran Reflexe und fahrerisches Können: Überrascht von einer Radfahrerin hinter einer engen Biegung, trat er blitzschnell mit voller Kraft in die Bremsen.

Von seiner Wachheit und Rallye-Erfahrung profitieren nicht nur andere Verkehrsteilnehmer wie die Mountainbikerin, die mit dem Schrecken davonkam, sondern auch alle, die eine ebenso vielseitige wie preisgünstige Rallye-Borduhr suchen. 620 Euro kostet sein zweiteiliges Set, das sich dank Bajonettverschluss zum Schutz gegen Diebstahl mit zwei Handgriffen ausbauen lässt. Und wenn man die beiden 98 respektive 126 Gramm leichten analogen Quarzuhren schon mit ins Hotel nimmt, lernt man den eingebauten Wecker schnell zu schätzen.

Wer es exklusiver mag, kommt bei Sinn, zu dessen Kunden neben Uhrensammlern damals wie heute Flieger und Astronauten gehören, ebenfalls voll auf seine Kosten: Die ans Autocockpit angepasste original Zeppelin-Borduhr ist ein besonderes Schmuckstück für Freunde der Feinmechanik, das man sich dank seiner bodenständigen Firmenpolitik sogar leisten kann. Und das dürfte nicht das letzte Highlight gewesen sein, mit dem Helmut Sinn die Uhrenwelt bereichert. In der Schublade seines nach wie vor in Frankfurt Rödelheim (unweit seines ehemaligen Betriebs) angesiedelten Unternehmens schlummern zahlreiche Innovationen, die der Gusseiserne noch zu Lebzeiten umsetzen möchte: «Ich will mindestens 103 Jahre alt werden.»

Vor 20 Jahren kaufte ich meinen ersten Sinn Chronografen, eine 157, in Rödelheim. Es folgten weitere. Deshalb bekam ich meine Story, denn der eigenwillige Unternehmer mag eigentlich keine Journalisten: «Die fragen normalerweise erst einmal, ob sie umsonst eine Uhr haben können.» Seit der Recherche zu der in «Motor Klassik» 11/07 abgedruckten Geschichte, die wegen des ausgefallenen Themas fast ein Jahr im Stehsatz auf die Veröffentlichung wartete (glücklicherweise hat Helmut auch mit über 90 Jahren eine robuste physische Konstitution), sind wir Freunde und telefonieren ein oder zweimal im Monat.

Wenn man die Themen – Frauen, Rallyes, Fahrertrainings und Computer – nimmt, könnte man glatt meinen, man redet mit einem 20-Jährigen. Die im vorausgegangenen Text erwähnte freiwillige Selbstbeschränkung am Steuer auf 160 setzte «der schnelle Helmut» inzwischen auf 200 km/h herauf und seine neuerlichen Erfolge bei Oldtimer-Rallyes können sich auch sehen lassen. Leider lassen sich seine meisten Kommentare und Lebensweisheiten zu Frauen nicht drucken, aber man kann sogar als jüngerer Schwerenöter noch eine Menge von ihm lernen. Überhaupt kann man von Helmut Sinn lernen, was Lebensmut und Zukunftsoptimismus sind. In unserem von Gejammer, Selbstmitleid und Selbstzweifeln geplagten Land sollte man so einem glatt ein Ministerium dafür einrichten. Doch dazu wäre das alterslose Alphatier viel zu eigenwillig. Seinen Audi 200 musste er inzwischen aufgeben, nachdem es mehreren Spezialwerkstätten nicht gelungen war, einen Fehler zu finden, der zu Motoraussetzern führte. Sinn versenkte einige tausend Euro, bevor er entnervt aufgab. Und er rechnete vor, wie viele Betriebsstunden seine Uhren im Laufe von knapp 25 Jahren klaglos überstehen müssen. Das Fazit war wenig schmeichelhaft für die Autobranche, von der Sinn inzwischen nachhaltig enttäuscht ist.

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