Читать книгу Männerspielsachen - Stefan Schickedanz - Страница 9

Wende einer Dienstfahrt

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Ohne die vier martialischen Auspuff-Endrohre, die man im Winter vermutlich vergittern muss, damit sich keine Kleintiere darin verkriechen, sieht der in grauem Metallic-Lack gehaltene viertürige Wagen so brav aus wie ein besonders geschmackvoll kombinierter Fünfer-Diesel-BMW. Eines jener Alltagsautos, mit dem dynamische Vertreter des mittleren Managements in mausgrauen Anzügen täglich zu tausenden ihre Dienstkilometer abspulen. Doch unter dem dezenten Blech versteckt sich offenbar ein fünfsitziges Flugzeug. So einfach losfahren geht nicht, um die neunkanalige Audio-Anlage in der Praxis zu testen. Ich muss erst einen Preflight-Check durchlaufen, erhalte eine Einweisung auf dem Gelände der M GmbH in Garching durch Dipl. Ing. Wolfgang Hübner, dem Verantwortlichen für das neue Sound-System der elitären BMW-Tochtergesellschaft. Ein Extra, das es für 2.200 Euro Aufpreis für jeden 5er BMW oder eben für den, in diesem Fall ungedrosselten, M5 gibt.

Bordingenieur an Fahrer: «Möchten Sie 400 PS, 500 PS oder 500 M PS?»

Fahrer an Bordingenieur: «Die volle M-Power bitte.» (Wohin haben sich nur die sieben Gäule aus dem Prospekt verdrückt? Rackern wohl nur für die 800 Watt der Anlage …)

«Möchten Sie den Soft-Dämpfer-Mode, Medium oder den M-Modus?»

«M bitte!» (Ich möchte eigentlich nur fahren.)

«Möchten Sie die Traktionskontrolle gerne AG-konform, M-motional oder deaktiviert?»

«M bitte!» Usw. …

Zirka 270 Einstellungen später: Vrrrooaaammm! Es geht tatsächlich los. Ein Glück, dass ich Jeremy Clarksons genialen Stalinismus-Kommentar in «Top Gear» gelesen habe: Bei Verwirrung durch zuviel Wahlfreiheit, im Zweifelsfall immer den M-Modus wählen.

Jetzt muss sich das vermutlich beste Audio-System in diesem Auto-Universum – im Stand spielt es von der Neutralität, Auflösung und Basspräzision in der Liga edler Heimanlagen – auf der Straße bewähren …

A 92, sanfter Cruise-Speed 280 (Huch, der ist ja nicht bei 250 abgeregelt.): «Toll, Gitarrist Al Di Meola sitzt immer noch links vom HUD, good!»

Dem in die Windschutzscheibe eingespiegelten Head-up Display, kurz HUD. Fehlt eigentlich nur die Zielerfassung für die HARM-Raketen, nach dem Vorbild von meinem einstigen Mac-Flugsimulator, falls wir auf eine feindliche Radarstation treffen. Aber nein, das muss die Hausautobahn der M GmbH sein. So gut wie keine Tempolimits, keine Werbeplakate vom Verkehrsministerium, die sich um unsere innere und äußere Größe sorgen. Die Daimler dösen nicht auf der linken Spur. Die Minivans ziehen nicht mit 80 raus. Die Turbo-Diesel nerven nicht und die Laster fahren keine Rennen. Der Verkehr fließt bei nur zwei Spuren! Unglaublich. Sicher alles Statisten. Der Tacho ist sicher auch gefakt, das sollen fast 300 sein? Das geht ja einfacher und schneller als an der PlayStation, wo ich mit dem M5 im Kult-Simulator «GT4» regelmäßig Kleinholz machte. Und: Der Beifahrer ist noch nicht mal grün angelaufen, sicher ein Stuntman …

Irgendwo vor Degendorf, Kurvenausgangstempo 320: Diese Bilder von BMW-Formel-1-Fahrer Robert Kubica gestern gehen mir einfach nicht aus dem Kopf. Wie der in Kanada bei 280 Sachen abgeflogen ist. Ein Glück, dass er ein Carbon-Monocoque hatte! Was geben die auch einem 21-Jährigen schon so einen schnellen BMW in die Hand?

Ich habe meinen Führerschein immerhin schon vor fast 30 Jahren gemacht, aber der 1,8-Tonner ist leider nur aus Stahl. Besser ich lasse das Tempo erst gar nicht in den kritischen Bereich von 280 km/h absacken. Ein Glück, dass Herr Hübner dabei ist, um die Anlage zu bedienen, sonst hätte ich womöglich bei 300 noch den optimalen Schaltpunkt in den siebten Gang verpasst.

Fahrer an Bordingenieur: «Warp one, engage!»

Mit Entwickler nebendran ist die Bedienung, trotz dem von einigen Autotestern gescholtenen iDrive-Konzept, genauso intuitiv wie früher! Nur die Anlage spielt inzwischen in einer anderen Galaxie. Großartig, wie dieses Audio-System mit seinen 800 Watt und den 507 PS harmoniert. Alles klingt differenziert und die Instrumente zerfallen nicht in einen diffusen Klangteppich wie bei den meisten Autoanlagen – nicht zuletzt ein Verdienst vom DSP-gestützten DI-RAC Live, das Scheibenreflexionen und Laufzeitunterschiede der 16 einzelnen Chassis herausrechnet. Natürlich spielen auch die sorgsam gewählten, bei LPG gefertigten Chassis selbst eine Rolle. Alle Komponenten tragen ihren Teil dazu bei. Sogar der mächtige Motor arbeitet nicht gegen die Musik, sondern sorgt für dezente Untermalung.

Muss man die 320 km/h eigentlich zur Membranbeschleunigung hinzuzählen beziehungsweise abziehen? Das nenne ich schnelle Verstärker! Nur die Bässe könnten bei dem Tempo und Abrollgeräuschpegel etwas mehr Wumm vertragen:

«Herr Hübner, könnten Sie vielleicht bitte auch den Bass in den 800-Watt-M-Mode schalten?»

«Tut es ausnahmsweise auch ein normaler Bass-Regler?»

«????!!!??? Okay, immer noch besser, als den Motor abzustellen.»

(Der Sound wird prompt satter.)

«Ah, jetzt, ja!»

16 Uhr, Degendorf Mitte: Pause. Ein Glück, die Uhr geht nicht nach, der Marktplatz sieht auch nicht wie im Mittelalter aus. Wir sind offensichtlich nicht in der Zeit zurück gereist. Mir scheint, bei der Höchstgeschwindigkeit kann die nächste Baureihe also noch etwas zulegen.

17 Uhr, Rückfahrt: «Der Motor muss kaputt sein, der hängt plötzlich nicht mehr am Gas. Ah, die M-Taste am Lenkrad muss wieder neu gedrückt werden! Jetzt aber hurtig!»

Vrrroooaaammmmmmmmmm!

In Pianissimo-Passagen wirkt der Motor reichlich zahm, aber beim Tutti konkurriert er eigentlich nur mit dem freien Fall. In die Musik fügt er sich klanglich etwa so ein, als würde man Rock am Ring mit einem Formel-1-Rennen zusammenlegen. Der V10 klingt so unaufdringlich kernig, als flitze ein F1 in einem Kilometer Entfernung an der Musik-Bühne vorbei. Oder, als ob Ihr Sohn im Nebenraum PlayStation spielt, während Sie gerade Ihre Lieblings-CDs über die Stereo-Anlage wiedergeben.

Diesen Wagen müsste Ex-NASA-Astronaut Norman E. Thagard erleben. Der High-Ender hörte Mahlers 5. im Orbit sogar bei gut 30.000 km/h, aber fand eine Fahrt im geliehenen Mercedes seines Kollegen Merbold schon bei 200 auf einer deutschen Autobahn, auch ohne Musik, beinahe spannender, als jeden Shuttle-Start. Mahler bei Mach 0,257 auf Groundlevel Zero kommt einfach gigantisch – noch dazu mit 800-Watt-Boostern im Rücken!

«Houston, wir haben kein Problem!»

«Der Tank ist fast leer, genug für einen warmen Cabrio-Sommer getan, wir kehren besser zur Basis zurück!» (Mein CO2-Fußabdruck als leidenschaftlicher Fleischesser ist spätestens nach dieser Aktion so groß, dass die Pranke von Godzilla reinpasst.)

Garching, gegen 18 Uhr, der Sound stimmt: Die Geigen und Trompeten auf der CD haben immer noch ihre charakteristische Klangfarbe, der Bordingenieur ist auch kein bisschen blass. Kein Wunder, er befindet sich seit etlichen Jahren schon im permanenten M-Modus.

(Warum nur haben Beifahrerinnen eigentlich keine M-Taste? Im Mini wird es meist schon ab 160 kritisch.)

Fazit: Beim Anlagenkauf für die 5er-Reihe von BMW machen Sie's einfach wie alle Genießer beim Grundsetup des M5 – Setzen Sie immer konsequent auf M, dann stimmt der Drive!

Es begann wie eine harmlose Testfahrt im BMW M5, um das neue Sound-System der M GmbH für Ausgabe 10/07 der Zeitschrift «sport auto» in der Praxis zu beurteilen. Doch es endete im vermutlich schnellsten Hörtest aller Zeiten: High End mit 800 Watt bei über 300 km/h. Wer spielt hier die erste Geige? Motor, Fahrtwind oder etwa die gemeinsam mit dem Münchner Audio-Spezialsiten HiFi Concept entwickelte Anlage. Das war hier die Frage, die den Autor genauso reizte, wie die Grenzen von Mann und Maschine auszuloten. Natürlich drängte sich nach dem unerwarteten Durchbruch der automobilen, respektive audiophilen Schallmauer von 300 Stundenkilometern der Vergleich mit der neuen Sportflunder Audi R8 mit B&O-Beschallung auf. Ein faszinierendes Auto, das ich am liebsten mitnehmen wollte, doch das erste Mal im Ü-300-Club blieb ganz besonders haften.

Auf der Rückfahrt aus Garching übersah ich, gleichzeitig tief beeindruckt von den Erlebnissen und in Formulierungen schwelgend, Tankanzeige und Warnleuchte meines Mini Cooper S – ich konnte mich gerade noch auf einen Autobahnparkplatz retten. Dort schrieb ich, auf das Service-Mobil mit Reservekanister wartend, in mein iBook augenzwinkernd die nicht immer ganz wörtlich zu nehmende Geschichte des Vortags auf. Die Dummheit, gegen die auch kein Schutzbrief hilft, kostete mich 150 Euro, aber bescherte mir den Einstieg zu einer sehr lebendigen Story, von der ich im Testbericht allerdings nur wenige Fragmente verwenden konnte.

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