Читать книгу Männerspielsachen - Stefan Schickedanz - Страница 8
Eine Frau sieht rot
ОглавлениеDer Trick klappt immer wieder: «Hey, ich finde mich echt klasse, ich sollte unbedingt für Euch schreiben.» So gewann ich Ende der 80er Jahre meinen ersten Redakteursjob, der mich nach Stuttgart und Hannover führte, verlor allerdings in der Folge mangels Zeit und Aufmerksamkeit meine damalige Freundin Christiane. Trotzdem ändern sich manche Männer nie. Gerade habe ich mir mit der Nummer ungeachtet meiner jungen attraktiven Partnerin wieder einen schönen Schreiberjob ergattert, um als freier Autor in «Motor Klassik» über alte Autos zu schwadronieren. Und prompt holt mich meine Vergangenheit ein: Leichtsinnig erwähne ich im Vorstellungsgespräch auf die Frage nach meinem Oldtimerbackground neben meinen eigenen 02er BMWs den anfangs gemeinsam gepflegten und bewegten 1602 Baujahr 1972, den meine Lieblings-Ex seit 17 Jahren als einziges Alltagsauto benutzt.
Inzwischen lebt sie verheiratet, mit drei Kindern in Berlin. Böser Fehler! Natürlich wäre ich ein sehr lausiger Schreiberling, wenn ich nicht selbst die – besser einem Kollegen übertragene – Story dahinter gesehen hätte. Schließlich kauft sich heutzutage jeder Konsum-und Image-bewusste Mensch zur Geburt des ersten Kindes je nach finanzieller Ausstattung einen Passatoder Volvo-Kombi, beim zweiten eines jener unsäglichen SUVs und spätestens ab dem dritten kommt unweigerlich der Kleinbus – nicht selten dekoriert mit einem Baby-an-Bord-Aufkleber pro Treffer. So gesehen war der zweitürige Oldie im Farbton Veronarot schon vor sechs Jahren ein Fall fürs Kleininserat nach dem Motto «umständehalber zu verkaufen.» Da kam Christianes erste Tochter Noa auf die Welt. Aber die freie Architektin hatte schon immer ihren eigenen Kopf, sie behielt den kleinen BMW und den Exfreund als BMW-Berater. Ironie des Schicksals. Jetzt wird ausgerechnet jene Beziehungs-Kiste meine Bewährungsprobe bei «Motor Klassik».
Der mit reichlich Super Plus bei Laune gehaltene Kompressor meines New Mini (Image-bewusst, aber keine Kinder) wimmert unter der Eile des rasenden Reporters, der für ein paar Tage zurück in die Zukunft reist. Das reinste Himmelfahrtskommando, fühle mich ein wenig wie ein Kriegsberichterstatter an vorderster Front, wohl wissend, dass man dafür niemals einen Pulitzerpreis bekommt. Die Fahrt von Stuttgart nach Berlin bietet über 630 Kilometer Gelegenheit, sich vorab mit der kniffligen Story auseinander zu setzen. Es gibt zwei Extreme, die einen Journalisten in Bedrängnis bringen können. Entweder Du hast zu wenige Informationen über die Sache oder wie in diesem speziellen Fall viel mehr als Dir lieb ist. Das erste Problem lässt sich im Internet-Zeitalter so schnell herunter-googlen, dass man sich schon wundern muss, warum es trotzdem so viele schlechte Berichte gibt.
Gegen das zweite ist kein Kraut gewachsen, aber es hilft, wenn der Autor die 40 überschritten hat – weil damit die Chance wächst, dass er sogar zu sich selbst genug ironische Distanz besitzt. So gehen mir unterwegs jede Menge Einstiege und Anekdoten für MEINE Geschichte durch den Kopf. Natürlich auch einige Action-Szenen: Wie uns seinerzeit zwischen Hannover und Hamburg auf der Autobahn bei über 140 Sachen die Lauffläche des linken Hinterreifens abflog und unter unvorstellbarem Getöse mit ihrem Stahlgürtel ein Loch in den rostigen Kofferraumboden schlug. Saß damals selbst am Steuer und dachte im ersten Moment: «Das war’s, die Achse ist gekracht.» Schließlich befand sich der am 19. Juni 1989 für 1.100 Mark aus sechster Hand gekaufte Wagen in einem originalen, aber reichlich verbrauchten Zustand. So war ich schon froh, als ich für Christiane den Kauf ihres ersten Autos abwickelte, mit der Schüssel ohne Zwischenfälle von Hannover Nord zum südlich gelegenen Parkplatz der Redaktion «HIFI VISION», meinem Arbeitgeber, gekommen zu sein. Damals hätte ich mir niemals träumen lassen, dass wir beide es samt Christiane fast 20 Jahre später bis in die «Motor Klassik» schaffen könnten. Respekt: Der alte 02er aus dem «Sperrmüll»-Inserat hat die Beziehung und das Mitte der 90er eingestellte HiFi-Magazin überlebt. Letztlich behielten in gewisser Weise ausgerechnet alle Kritiker recht, die immer sagten: «Der Wagen gehört in die Presse.» Lange war ich inmitten Kopf schüttelnder Verwandter und Bekannter mit meinem Faible für alte BMWs Christianes einzige technische und moralische Stütze, weshalb mir der Wagen fast genauso ans Herz gewachsen ist wie seiner stolzen Besitzerin.
Von Pressegeklüngel allerdings keine Spur: «Du bist aber ganz schön alt geworden!» Die Begrüßung wirft die Frage auf, ob ich nicht lieber bei einem normalen Automagazin angeheuert hätte, wo einen PR-Damen umschmeicheln und mit einem Lächeln auf den Lippen empfangen. Egal, da musst Du jetzt durch, denke ich mir und verkneife mir als Gentleman eine Gegenbemerkung über die leicht ergrauten Haare meiner Ex, die offensichtlich weder Schrott noch Motor-Presse fürchtet. Das hat man davon, wenn man durch Insider-Stories Karriere machen will: Ich muss sogar selbst mit Hand anlegen, den Wagen innen und außen auf «Hochglanz» zu bringen und den Kofferraum zu entrümpeln. Kaum zu glauben, was da alles rein geht! Keine Gnade, ich bin voll integriert ins reale Familienleben, stecke so tief mit dem Staubsauger im Fußraum wie ein Undercover-Journalist in einer Enthüllungsstory, nur dass bei mir lediglich Rost, Sand und Krümel zum Vorschein kommen.
An dieser Geschichte ist nichts gestellt. Wir fahren nicht zum Brandenburger Tor, um den Wagen abzulichten, Christiane trägt nicht ihre besten Sachen. Es geht mit legerer Alltagskleidung zum Kindergarten, die beiden Jüngsten, Mio und Naya, abholen. Tochter Noa haben wir unterwegs schon von der Schule mitgenommen. Dazwischen noch ein kurzer Besuch zum Bremsencheck in der stilechten Hinterhof-Oldiewerkstatt, deren Besitzer nicht erwähnt werden möchte, weil ihm Rummel nicht liegt. Das imponiert Christiane, die offenbar nichts mehr schätzt als Geradlinigkeit und Charakter. Deshalb hängt die Architektin nach all den Jahren immer noch so an ihrem ersten Auto, über dessen schnörkellose Funktionalität sie regelrecht ins Schwärmen gerät: «Da stecken so wenig Ersatzmaterialien drinnen, wie man das in der Architektur nennt, wenn sich etwa Plastik für Holz ausgibt. Und der Wagen nervt nicht mit Funktionen, die man nicht braucht. Das ist noch richtiger Maschinenbau, ein Auto wie von Manufactum.» Ein Gegenbeispiel ist schnell gefunden: Mein New Mini parkt gleich dahinter und zieht mit seinen verspielten Instrumenten aus verchromtem Kunststoff ihre Kritik, die nach fast 40 Jahren nichts an Schärfe verloren hat, magisch an. Unser Fotograf pflichtet ihr bei.
«Mädchen, setz Dich doch heute mal in einen BMW, dann verstehst Du mich sicher besser», sage ich mir während ich beschließe, das Fotohonorar noch einmal zu überdenken …
Ehrlich gesagt: Für mich verkörperte BMWs kleiner Brite bisher die einzig legitime Fortsetzung der 02er-Reihe mit anderen Mitteln, namentlich Frontantrieb plus einer Überdosis Insel-Lösungen – Kompakte Abmessungen, hohe Agilität mit Go-Kart-Anleihen, großzügiges Raumgefühl und angenehmes Klima durch aufrecht stehende Scheiben. Dazu kommt gute Übersichtlichkeit plus charakteristische Linienführung. Ganz der Alte, nur in neuem Outfit. Dachte ich – bis ich nach Jahren wieder am Steuer eines 02ers sitze: Was ein Schiff, wie behäbig, ja fast sänftenartig der einstige junge Wilde auf seine alten Tage erscheint. Kaum zu glauben, was wir früher mit den Kisten für «Stunts» geliefert haben. Heute animiert er, mit seinem großen, originalen Dreispeichenlenkrad mit dünnem, aber angenehm in der Hand liegenden Lenkradkranz aus Bakelit, zum beschaulichen Cruisen. Das schreit geradezu danach, das Fenster herunter zu kurbeln und den Ellbogen heraushängen zu lassen (in modernen Autos für meinen Geschmack eine stilistische Todsünde). Auf Anhieb finde ich mich mit stehenden Pedalen und rechts liegendem Blinkerhebel zurecht. Der gerne bemühte Spruch «fährt sich wie ein neues Auto» wirkt hier stark untertrieben. Der 02 fährt sich, von Lenk- und Pedalkräften abgesehen, leichter als ein aktueller 1er-BMW mit seinem vorwitzigen elektronischen Blinkerhebel, dessen Haptik an einen Plastiklöffel im Kuchenteig erinnert. Ganz zu schweigen von dem ohne Anleitung undurchschaubaren Start- und Stopp-Ritual mit elektronischem Schlüssel nebst Starterknopf. Wo bitteschön, liegt hier der nachvollziehbare Fortschritt, frage ich mich? Wie einfach fällt im Gegensatz zu elektronischen Gimmicks der Umgang mit dem links neben dem Lenkrad liegenden Choke-Hebel. Das ist noch ein Auto, bei dem der Fahrer alles komplett in der Hand hält: iDrive, iBreak, iOversteer (letzteres verkneife ich mir allerdings mit Babys und Besitzerin an Bord). Doch was mich wirklich umhaut, ist die grenzenlose Übersicht. Man sieht ohne Verrenkungen jede Ecke an diesem Licht durchfluteten Wagen. Genial! Dagegen wirkt das kürzere Mini Cabrio fast so unübersichtlich wie ein Kleinlaster.
Eine Gemeinsamkeit mit meinem Mini: Der Motor läuft satter, sonorer als die aktuellen Vierzylinder und hängt nach einer wenige Jahre zurückliegenden Totalrevision (Kostenpunkt 2.500 Euro) endlich wieder besser am Gas, als in der Zeit nach dem Kauf. Das latente Beschleunigungsruckeln im mittleren Drehzahlbereich ist fast beseitigt. Die Kraftentfaltung verläuft unspektakulär und gleichmäßig. In die oberen Drehzahlregionen komme ich in den Straßen von Berlin leider nicht. Dort dreht speziell jener kleine 1600er-OHC-Vierzylinder mit seinem fortschrittlichen Querstrom-Leichtmetall-Zylinderkopf und dem Formel-1-tauglichen Graugussblock wie eine Turbine. Aber heute macht ein 02er auch beim Flanieren richtig Spaß. Bald schon ertappe ich mich dabei, meinen alten, coolen Schalttrick aufzuführen: Hand mit dem Daumen nach unten auf die Mittelkonsole legen und beim Hochschalten lässig den kurzen, leichtgängigen Joystick mit Mittel- und Zeigefinger nach hinten schnippen ohne die Hand zu bewegen. Versuchen Sie das mal mit einem zeitgenössischen Opel, VW oder Mercedes. Dennoch hat das Getriebe seine besten Tage schon lange hinter sich und steht ganz oben auf der Liste der anstehenden Renovierungen. Die Hauptwelle verursacht klackende bis mahlende Geräusche im Leerlauf. Sie untermalt die Fahrt mit leichtem Heulen, das sich jedoch recht gut mit dem grundsätzlichen Heulton des von Alex von Falkenhausen konstruierten Vierzylinders verbindet. Nach der Laufleistung ergibt das eine mehr als achtbare Performance. Gerne glaube ich meiner Ex, dass der Verbrauch bei familiengerechter Fahrweise unter 10 Litern Super Plus pro 100 Kilometern liegt – für Heizer wie mich immer ein unerreichbarer Traumwert.
Am Ende meiner eigenen Testfahrt liefert lediglich die stehengebliebene Borduhr Munition für eine verbale Retourkutsche an die stolze Besitzerin. Wie war das noch mit dekorativen Cockpit-Accessoires, die keine Funktion besitzen? Der rote Ex-Press leidet an einer typischen 02er-Krankheit, dass die beiden Hauptinstrumente, Tacho und Uhr, frühzeitig ihren Geist aufgeben. So verschliss der Wagen in seinen 34 Jahren schon unzählige Tachos, weshalb sich die gesamte Laufleistung nur schätzen lässt. Sie muss vorsichtig gerechnet allerdings deutlich jenseits der 500.000 Kilometer liegen.
Am Abend stößt ihr Mann dazu und es gibt endlich vernünftiges Catering für den Pressegast aus Stuttgart. Er heißt auch Stefan, hat aber einen anständigen Beruf gelernt. Der Architekt ist ein begnadeter Hobbykoch, der auf Bio- und Feinkost schwört. Die beiden sind ein Herz und eine Seele. Schon im Ansatz vereitelt seine bessere Hälfte, dass ich der Geschichte eine reißerische Wendung wie «die Frau hat das Steuer in der Hand, das Reich des Mannes ist sein extrabreiter Edelstahl-Profi-Gasherd» gebe. Fotoverbot in der Wohnküche! «Komm bloß nicht auf die Idee, solche billigen Klischees aufzubauen, Du kannst besser schreiben!» Stimmt, aber das war auch wohl weniger der passable Journalist in mir. Sondern eher der miserable Ex, der trotz allem Abstand offenbar noch nicht ganz verwunden hat, dass sie einen verkappten Citroen-DS-Fahrer ans Volant ihrer bajuwarischen Heckschleuder lässt. Eigentlich würde er am liebsten Citroen fahren, findet den 02er trotzdem besser, als moderne Autos. Zumindest ist er ein kluger Mann und widerspricht nicht öffentlich seiner Frau.
Welche Kluft doch 30 Jahre überbrücken können: Damals lagen beide Lager etwa so weit auseinander wie Kapitalismus und Kommunismus. Allerdings verloren sie sich schon wenige Meter nach der Ampel aus den Augen, während sich die beiden anderen Blöcke stets missgünstig beäugten.
Stefan steuert, neben perfekt zubereiteten Steaks von glücklichen Kühen, beim Wein noch weitere Anekdoten rund um den rüstigen Roten bei. So langsam bekommt die unendliche Geschichte einen aktuellen Bezug. Etwa durch die dramatische Schilderung wie sich mein Namensvetter mit seiner zweijährigen Tochter und seiner hochschwangeren Frau an Weihnachten im Thüringer Wald in einer Schneewehe festfuhr. Dagegen erscheint mir meine ursprünglich fest eingeplante Episode von unserem nächtlichen Schnee-Rennen gegen einen B-Manta in den Kasseler Bergen viel zu profan und angestaubt. Die neuen Storys sind wahrlich cooler: Zu allem Überfluss funktionierte die Heizung nicht auf der gesamten Winterreise und am Ende musste sich die durchgefrorene Schwangere als Ballast auf den Kofferraumdeckel setzen. Ihr Mann schmunzelt: «Ich hatte vorher auch noch zu ihr gesagt, vermeide die weiß eingezeichneten Nebenstraßen.» Tja, denke ich mir, Karten lesen konnte die Gute noch nie.
Es folgen lebhafte Schilderungen, wie der Wagen in Dänemark die rutschige, abschüssige Wiese vorm Urlaubshäuschen verwüstete, wie 2002 in Bornholm das hintere Federbein unter voller Beladung mit drei Erwachsenen und zwei Kindern bei Schritttempo durch den angerosteten Dom brach und in der örtlichen Werkstatt geflickt wurde. «Ja, bei dem Auto kann ein Handwerker noch etwas reparieren. Wie bei einem guten Schuh, den man immer wieder machen lässt, weil er einem gefällt.» Eine Menge zu reparieren gab es auch nach einem unbemerkt geplatzten Kühlwasserschlauch, der zu einem Kolbenfresser führte: Kostenpunkt 1.100 Mark. Die beauftragte BMW-Werkstatt in Hameln nahm den Auftrag nur widerwillig an. Einmal mehr hörte das Paar die Empfehlung, den Wagen zu verschrotten. Das änderte sich vor vier Jahren drastisch nach einem leichten Auffahrunfall, verursacht durch Sohn Mio, der sich im Kindersitz verschluckte und damit im falschen Moment die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich lenkte. «Es gingen genau jene Teile im Bereich der Frontmaske zu Bruch, die eh verrostet waren», tröstet sich die ansonsten sichere Fahrerin. Deshalb gab es zu diesem Anlass statt der üblichen marginalen TÜV-Schweißarbeiten gleich eine umfangreiche Schönheitsoperation vorzunehmen. Der Wagen bekam rundum neue Türen, Kotflügel und Hauben plus eine neue Lackierung in der Originalfarbe. Die hatte sich der ohne Garage im täglichen Familien-Betrieb bewährte Oldie redlich verdient.
Mit einem Mal verstummten die Kritiker, die vor der Neulackierung noch unisono meinten: «Das rentiert sich eigentlich nicht mehr.» Von nun an hieß es: «Der ist aber gut erhalten», was sich nach der anschließend problemlos überstandenen Oldtimer-Abnahme nicht zuletzt im H-Kennzeichen manifestiert. Mutter Müller wundert sich: «Was doch etwas Farbe ausmacht. Jetzt sagen alle, die sich zu Wort melden: So einen hatte ich auch mal.» Bei aller Freude über sein ausgefallenes Auto, das es schon aus praktischen Gründen den meisten Neuwagen vorzieht, räumt das Paar inzwischen freimütig ein: «Für das Geld, das wir die letzten Jahre rein gesteckt haben, hätten wir glatt einen Golf-Jahreswagen bekommen.» Wäre es vor 17 Jahren nach Christianes Eltern gegangen, hätte sich die vom Freund nach Hannover verschleppte Architekturstudentin ohnehin einen kleinen VW oder Opel gekauft. «Aber Du hast nur gesagt, die taugen alle nichts, kauf Dir bloß einen BMW», erinnert sich die sichtlich erheiterte Ex. Hatte ich ganz vergessen, aber stimmt: That’s definitely me! Beruhigt stelle ich nicht zuletzt mit Blick auf diese Geschichte fest, dass ich sicher reichlich borniert, aber allem Anschein nach nicht völlig unwissend war … (Posthum haben übrigens auch ihre Eltern ihre Meinung über den eingebildeten Schnösel revidiert, der ihre beiden Töchter – Christianes jüngere Schwester Sabine kaufte als erstes Auto ebenfalls einen BMW 1602 – permanent auf dumme Gedanken brachte.)
Am nächsten Tag geht es gemeinsam ins Berliner Umland zu einer Ansammlung von Biohöfen: Großeinkauf mit der Großfamilie. Tatsächlich, ihr Mann bewegt den 02er wie einen Citroen! Dafür kann man ihm auch als Ortsunkundiger leichter hinten dran bleiben als seiner geflügelten Gattin. Die zog mir tags zuvor in einer Tempo-30-Zone davon und bog stets abrupt, teils ohne erkennbares Blinken ab. Kein Wunder, der jung gebliebene Wilde stammt schließlich aus einer Zeit, als Verkehrsberuhigung Machos (heute findet man sie am ehesten in Frauenkleidern) ebenso wenig den Spaß verdarb wie Aids und andere Zivilisations-Plagen. Apropos Plagen: Meine Ex weiß immer noch, wie man mich ärgern kann. Sie treibt mich mit meinen Designerklamotten durch einen zum Himmel stinkenden Öko-Schweinestall und will mich zum Erdbeerernten heranziehen. Trotzdem ein netter Trip in die Vergangenheit, der beim Abendessen beschaulich ausklingt. Die Anekdoten zum Auto gehen langsam aus. Meine Ex kapriziert sich daraufhin, mir Beziehungsratschläge zu erteilen: «Bestell Deiner Freundin von mir, sie soll Dir weglaufen, sie findet schon einen Anderen. Du bist so langsam, geistesabwesend und schwer von Begriff …»
Okay, das reicht! Mit besser getimten Tankstopps als auf der Hinfahrt, wo ich fast in einer Autobahnbaustelle liegen blieb, könnte ich es auf leeren Autobahnen in unter viereinhalb Stunden nach Stuttgart schaffen. Das würde gerade noch ausreichen, um meine Freundin, auch eine Architektin, um zwei Uhr nachts aus ihrem Büro abzuholen. Es ist nie zu spät, dazu zu lernen. Frau Müller, wir danken für das Gespräch.
Das hab ich kommen sehen: Voll am Thema vorbei. Die erste Story für Motor Klassik (Heft 02/07) über eine Frau schreiben, mit der man mal zusammengelebt hat und über ein Auto, das man damals selbst aussuchte. Das konnte ja nicht gut gehen, da musste ich noch mal komplett ran. Als Lesegeschichte im Buch gefällt mir diese Urfassung ungleich besser. Christiane fand die Story – selbstredend – doof. Aber ihre völlig überraschte Familie mochte zumindest die Veröffentlichung in «Motor Klassik». Man glaubt es kaum: Christianes Onkel bekam zu Weihnachten von jemandem ein Abonnement des Oldtimermagazins geschenkt und im allerersten Heft fand er unerwartet seine Nichte mitsamt ihrer Kutsche. Eine Kutsche, die zu Zeiten des Kaufs schon so verbraucht und ungepflegt wirkte, dass ich mich schon sorgte, nach der Abholung damit überhaupt reibungslos nach Hause zu kommen.
Der rote 02er kam inzwischen via Zettel an der Windschutzscheibe zu einem Filmauftritt im Kinofilm «Berlin am Meer», der allerdings mit einem kleinen Crash verbunden war. Fast hätte es noch via Car Casting einen Auftritt in einem Baader-Meinhof-Film gegeben, was die Besitzerin als kultig empfand. Doch die Requisite entschied sich für einen anderen Berliner Bayern. Trotzdem eine bemerkenswerte Bilanz für ein Auto vom «Sperrmüll» (so hieß das Inseratenblatt aus Hannover.)