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Die Betriebsparteien sind in ihrer Entscheidung, welche wirtschaftlichen Nachteile sie ausgleichen oder mildern wollen, im Wesentlichen frei.[302] Sie sind insbesondere nicht gehalten, sämtliche erdenklichen Nachteile abzumildern.[303] Sie können bei ihrer Regelung von einem Nachteilsausgleich auch gänzlich absehen oder nach der Vermeidbarkeit von Nachteilen unterscheiden.[304]

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Es muss sich aufgrund der Begrenzung auf „wirtschaftliche“ Nachteile vielmehr um vermögenswerte Nachteile handeln, d.h. etwa den Verlust des Arbeitsplatzes, die Minderung des Einkommens, etwaige Umzugs- oder erhöhte Fahrtkosten. Die für erzwingbare Sozialpläne geltenden Grundsätze (§ 112 Abs. 5 BetrVG) können als Orientierung herangezogen werden. Das BAG geht insoweit von einer Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion des Sozialplans aus.[305]

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In Fällen, in denen Entlassungen von Arbeitnehmern erfolgen, ist in der Praxis regelmäßig die Zahlung von Abfindungen ein zentraler Bestandteil. Eine gängige Formel für die Berechnung von Abfindungen knüpft an die Dauer der Betriebszugehörigkeit an („Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsgehalt x (sog. Faktor)“ = Abfindung), zum Teil wird auch das Lebensalter einbezogen (Dauer der Betriebszugehörigkeit × Lebensalter × Bruttomonatsvergütung geteilt durch einen frei verhandelbaren Divisor = Abfindung).[306]

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Als (grobe) Faustregel kann ein halbes (letztes) Monatsgehalt pro Dienstjahr zugrunde gelegt werden, wenngleich die konkreten Faktoren abhängig von Branche und wirtschaftlicher Situation erheblich nach unten oder oben schwanken können.

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Häufig werden als Ausgangspunkt auch vorhergehende Abschlüsse herangezogen. Lagen diese deutlich über der vorgenannten „Faustformel“ ist es in der Praxis regelmäßig empfehlenswert, mit höheren Sozialplankosten zu kalkulieren. Zwingend ist ein entsprechender Abschluss allerdings nicht. Entscheidend ist die konkrete Betriebsänderung und die damit verbundenen Nachteile. Auch steht es den Betriebsparteien grundsätzlich frei, anlässlich der konkreten Situation von etwaigen Rahmensozialplänen abzuweichen.

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Nach § 75 BetrVG müssen die Betriebsparteien den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. Dieser verbietet eine sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen gegenüber anderen Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen in vergleichbarer Lage. Die Prüfung, ob eine unterschiedliche Behandlung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen zulässig ist, hat sich am Zweck der Sozialplanleistung zu orientieren. Durch den Sozialplan sollen wirtschaftliche Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ausgeglichen oder gemildert, nicht etwa erbrachte Leistungen für den Betrieb oder eine Betriebszugehörigkeit nachträglich vergütet werden.[307]

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Die mit der ansteigenden Betriebszugehörigkeit letztlich einhergehende Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer ist als legitimes Ziel allerdings gerechtfertigt[308] und üblich. Für den Beginn der zu berücksichtigenden Betriebszugehörigkeiten wird regelmäßig auf das arbeitsvertragliche Eintrittsdatum abgestellt. Werden hierzu keine näheren Regelungen getroffen, ist in der Regel davon auszugehen, dass vorangehende Dienstzeiten bei dem betreffenden Arbeitgeber nur berücksichtigt werden, wenn zwischen den Dienstzeiten ein enger zeitlicher Zusammenhang bestand oder Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Anrechnung der Betriebszugehörigkeit im Arbeitsvertrag vereinbart haben,[309] denn unter „Betriebszugehörigkeit“ ist nach allgemeinem Sprachgebrauch und der Rechtsterminologie der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses zu verstehen.[310] Der Begriff der Betriebszugehörigkeit setzt damit voraus, dass der Arbeitnehmer in der fraglichen Zeit dem Betrieb des Arbeitgebers angehörte. Das schließt Beschäftigungszeiten bei einem anderen Arbeitgeber aus. Zur „Betriebszugehörigkeit“ im Sinne eines Sozialplans gehören damit regelmäßig nur die zuletzt ununterbrochen zurückgelegten Beschäftigungszeiten bei dem Arbeitgeber. Die Betriebspartner können in einem Sozialplan auch regeln, dass für die Bemessung der Abfindung nur die Betriebszugehörigkeit beim Arbeitgeber und seinem Rechtsvorgänger, nicht aber die in einem Überleitungsvertrag anerkannte Betriebszugehörigkeit bei einem früheren Arbeitgeber zu berücksichtigen ist.[311]

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Ein Sozialplan kann die Kürzung einer Abfindung für den Fall der Ablehnung eines zumutbaren Weiterbeschäftigungsangebots im Betrieb, Unternehmen oder Konzern vorsehen.[312]

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Zu der Frage, welche Arbeitsplatzangebote zumutbar sind, kann der Sozialplan selbst Festlegungen treffen.[313] Das ist in der Regel bereits deswegen sinnvoll, weil hierdurch Auslegungsprobleme vermieden werden, kommt aber in erster Linie dann in Betracht, wenn konkrete Arbeitsplätze in Aussicht stehen.

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Dabei sind die Betriebsparteien nicht verpflichtet, verheiratete Arbeitnehmer oder solche, die mit ihren Kindern in häuslicher Gemeinschaft leben, gegenüber unverheirateten, kinderlosen Arbeitnehmern zu bevorzugen, in dem sie von einer Reduzierung der Abfindung diejenigen Arbeitnehmer ausnehmen, die eine ihnen angebotene Weiterbeschäftigung wegen familiärer Bindungen ablehnen. Der grundgesetzliche Schutz von Ehe und Familie, der bei der Aufstellung des Sozialplans grundsätzlich zu beachten ist, verpflichtet die Betriebsparteien damit nicht zu einer „positiven Diskriminierung”.[314]

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Möglich ist auch, Mitarbeiter, die einen angebotenen zumutbaren Arbeitsplatz ablehnen, vollständig aus dem Geltungsbereich des Sozialplans auszunehmen.[315] Eine solche Regelung erfasst auch den Fall, dass Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses im Wege eines Betriebsüberganges nach § 613a BGB widersprechen.[316] Hierzu hat das BAG in der Entscheidung vom 10.11.1993[317] zutreffend festgestellt, dass das Widerspruchsrecht bestehe, damit ein Arbeitnehmer sich bei dem mit einem Wechsel des Arbeitgebers verbundenen rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang frei für oder gegen die Beibehaltung des bisherigen Arbeitsplatzes entscheiden kann. Daraus folge nicht, dass das – aufgrund der freien Entscheidung des Arbeitnehmers erhalten gebliebene – Arbeitsverhältnis zum Betriebsveräußerer in jedem Falle ebenso behandelt werden muss, wie das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der die Möglichkeit nicht hatte, sein Arbeitsverhältnis mit einem Betriebserwerber fortzusetzen. Hierfür spricht auch, dass die Weiterarbeit beim Betriebserwerber nach einem Betriebsübergang dem Arbeitnehmer aufgrund des Bestandsschutzes nach § 613a BGB in der Regel zumutbar ist.[318]

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Sieht ein Sozialplan Abfindungen bei betriebsbedingten Kündigungen vor und werden keine abweichenden Regelungen getroffen bzw. gibt es keine anderen Anhaltspunkte, können grundsätzlich aber auch solche Arbeitnehmer einen Anspruch haben, die infolge des Widerspruchs bei ihrem bisherigen Arbeitgeber gekündigt werden müssen. Das gilt auch dann, wenn der Sozialplan für diejenigen Arbeitnehmer, die dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse nicht widersprechen, besondere Leistungen vorsieht.[319] Um dieses Auslegungsergebnis zu vermeiden, empfehlen sich in der Praxis klare Regelungen.

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Diese weite Auslegung resultiert aus dem Charakter des Sozialplans, der nach der Rechtsprechung des BAG als „Betriebsvereinbarung besonderer Art“ zu qualifizieren und wie Tarifverträge auszulegen ist. Damit kann der Wille der Betriebspartner nur Berücksichtigung finden, soweit er im Sozialplan selbst seinen Niederschlag gefunden hat.[320]

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Regelmäßig wird losgelöst von der Abfindungsformel auch über weitere Regelungen verhandelt, die etwa besondere Härten für schwerer auf dem Arbeitsmarkt vermittelbarer Arbeitnehmer ausgleichen sollen, z.B. für Schwerbehinderte. Auch die Berücksichtigung der unterschiedlichen Unterhaltspflichten der betroffenen Arbeitnehmer ist ein gängiges Mittel, um dem Zweck der Sozialplanleistungen (Abmilderung der Nachteile) Rechnung zu tragen. Dabei ist es zulässig, nur solche Kinder zu berücksichtigen, die in der Lohnsteuerkarte eingetragen sind.[321]

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Die Betriebsparteien sind auch nicht verpflichtet, sich innerhalb eines Sozialplans auf eine Berechnungsformel zu beschränken. Vielmehr gehört es zu ihrem Gestaltungsspielraum, verschiedene Formeln zu kombinieren.[322] Sozialpläne dürfen nach der Rechtsprechung des BAG insbesondere eine nach Lebensalter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung vorsehen. Sie können etwa für rentennahe Arbeitnehmer Sozialplanleistungen reduzieren.[323]

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Zulässig ist bei Vereinbarung einer Abfindung, die mit der Betriebszugehörigkeit und dem Lebensalter steigt, auch die Vereinbarung von Kappungsgrenzen, d.h. Höchstbeträgen.[324] Denkbar ist (in kleineren Betrieben) auch, die Abfindungen nach den Verhältnissen der jeweiligen Arbeitnehmer festzulegen. Es bedarf nicht der Verwendung einer abstrakten Formel.[325] Allerdings ist dabei besonderes Augenmerk auf das Diskriminierungsverbot und den Gleichbehandlungsgrundsatz zu legen, der im Falle eines Verstoßes zu Ansprüchen auf einen Ausgleich „nach oben“ führen kann.[326]

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Die Zahlung einer Sozialplanabfindung darf auch nicht davon abhängig gemacht werden, ob eine Kündigungsschutzklage erhoben wird oder eine bereits erhobene Klage wieder zurück genommen wird.[327] Möglich und in der Praxis auch verbreitet ist jedoch, neben dem Sozialplan gesondert eine freiwillige Betriebsvereinbarung abzuschließend, die eine Sonderprämie unter anderem für solche Arbeitnehmer vorsieht, die keine Klage gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses erheben (sog. „Turboprämie“).[328] Der Verzicht auf die Kündigungsschutzklage, zu dem die freiwillige Leistung des Arbeitgebers einen Anreiz darstellen soll, dient insoweit der raschen Bereinigung der mit dem Ausspruch von Kündigungen verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Unsicherheit und – so auch das BAG – der Herstellung von Planungssicherheit und ist daher sachlich gerechtfertigt.

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Das Verbot, Sozialplanleistungen von einem entsprechenden Verzicht abhängig zu machen, darf dadurch allerdings nicht umgangen werden.[329] Eine solche Umgehung kann nach Ansicht des BAG etwa dann vorliegen, wenn der Sozialplan keine „angemessene“ Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsieht[330] oder wenn „greifbare Anhaltspunkte“ für die Annahme bestehen, dem “an sich” für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen seien zum Nachteil der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer Mittel entzogen und funktionswidrig im “Bereinigungsinteresse” des Arbeitgebers eingesetzt worden.[331] Die Beurteilung der Frage, wann eine solche Umgehung vorliegt, ist nach der Rechtsprechung des BAG eine Einzelfallfrage.

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Nicht zu beanstanden war nach Ansicht des BAG in dem der Entscheidung vom 31.5.2005[332] zugrundeliegenden Fall, dass die Betriebsparteien den (wahlweisen) Anspruch auf die Teilnahme an einem Outplacement-Programm oder eine weitere Abfindung in Höhe eines Bruttomonatsgehalts vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht wurde.

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Als mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz grundsätzlich vereinbar werden auch Regelungen angesehen, wonach die Betriebsparteien bei Abfindungsansprüchen zwischen Arbeitnehmern unterscheiden, denen infolge der Betriebsänderung gekündigt worden ist, und solchen, die ihr Arbeitsverhältnis aus eigener Initiative beendet haben. Die Betriebsparteien können – so das BAG – davon ausgehen, dass Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis selbst beenden, durch die Betriebsänderung keinen Nachteil erleiden. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Eigenkündigung oder der Aufhebungsvertrag vom Arbeitgeber veranlasst worden ist. Gekündigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmer, die auf Grund einer Eigenkündigung oder eines Aufhebungsvertrages ausgeschieden sind, sind danach grundsätzlich gleich zu behandeln.[333] Eine Veranlassung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung bestimmt, selbst zu kündigen oder einen Aufhebungsvertrag zu schließen, um so eine sonst notwendig werdende Kündigung seitens des Arbeitgebers zu vermeiden.[334]

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Wenn die wirtschaftlichen Nachteile einer Betriebsänderung nicht aus Entlassungen resultieren, kommen in Sozialplänen etwa folgende Ausgleichsmaßnahmen in Betracht: Ausgleichszahlungen bei Versetzungen, (teilweise) Kostenübernahme für Umschulungs- bzw. Weiterbildungsmaßnahmen sowie Bewerbungs- und Fahrtkosten, ferner die (anteilige) Übernahme von Umzugskosten und vergleichbare Leistungen.

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Wichtig ist in der Praxis auch, im Sozialplan Regelungen zur Fälligkeit etwaiger Ansprüche zu treffen. Fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung, sind Ansprüche mit ihrer Entstehung, das heißt dann, wenn in ihre Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, fällig. Für Ansprüche auf Abfindungen ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zulässig ist aber eine Vereinbarung in einem Sozialplan, nach der die Fälligkeit der Abfindung auf den Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses eines Kündigungsrechtsstreites hinausgeschoben[335] und bestimmt wird, dass eine Abfindung nach den §§ 9, 10 KSchG auf die Sozialplanabfindung anzurechnen ist.[336]

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Darüber hinaus können Ausschlussfristen für Abfindungen (und andere Leistungen) im Sozialplan vereinbart werden.[337] Abfindungsansprüche aus Sozialplänen werden zudem von üblichen tariflichen Ausschlussklauseln erfasst, sofern diese „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ erfassen.[338] Ob eine tarifliche Ausschlussklausel aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf Tarifverträge eingreift, ist je nach Einzelfall im Wege der Auslegung zu ermitteln.[339]

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