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aa) Zeitpunkt

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In der Praxis stellt sich angesichts dessen regelmäßig die Frage, wann die Unterrichtung noch „rechtzeitig“ ist und über welche Inhalte konkret unterrichtet und beraten werden muss.

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Der Begriff „rechtzeitig“ ist richtigerweise vom Ziel des Beteiligungsrechts her zu bestimmen,[195] so dass eine Unterrichtungspflicht ausscheidet, solange die Überlegungen das Stadium reiner Vorüberlegungen nicht verlassen.[196] Der Betriebsrat soll auf Grund der vom Arbeitgeber mitgeteilten Informationen in die Lage versetzt werden, auf das Ob und Wie der „geplanten“ Betriebsänderung Einfluss nehmen zu können.[197] Dazu müssen ihre Art und ihr Umfang bekannt sein.[198] Hierfür ist erforderlich, dass sich die Planung des Unternehmers in gewissem Umfang verdichtet und konkretisiert hat und der Arbeitgeber über eine hinreichend konkretisierte Maßnahme unterrichten kann, deren Durchführung der Arbeitgeber anstrebt und die den Gegenstand der zwischen den Betriebsparteien zu führenden Verhandlungen vorgibt.[199]

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Bloße Konzepte und Vorüberlegungen sind noch keine „Planung“ i.S.d. § 111 Satz 1 BetrVG und lösen noch keine Beteiligungsrechte des Betriebsrates aus.[200] Der Betriebsrat muss daher nicht an sämtlichen Vorüberlegungen der Unternehmensleitung beteiligt werden; dem Unternehmer steht es vielmehr frei, von sich aus abzuklären, ob überhaupt Handlungsbedarf besteht.[201] Erst wenn er auf Grund abgeschlossener Prüfungen und Vorüberlegungen zu einer Betriebsänderung entschlossen ist – ohne abschließend über die Betriebsänderung entschieden zu haben – ist das Stadium einer „geplanten“ Betriebsänderung erreicht und der Betriebsrat zu beteiligen.[202]

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Grundsätzlich darf der Arbeitgeber sich daher auch zwischen mehreren in Betracht kommenden Varianten entscheiden, soweit ungeachtet dessen Raum für eine Verhandlung über das „ob“ der Maßnahme verbleibt.[203] Das gilt auch dann, wenn mit dieser Entscheidung Beschlüsse der Gesellschafterversammlung oder des Aufsichtsrates einher gehen.[204] So hat das BAG im Hinblick auf die für die Praxis in diesem Zusammenhang entscheidende Frage, ob ein Nachteilsausgleichsanspruch besteht, festgehalten, dass es dem Arbeitgeber nicht verwehrt sei, ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats Entschlüsse zu einer Betriebsänderung zu fassen. Er dürfe nur ohne Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht mit deren Durchführung beginnen.[205]

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Für dieses weite Verständnis spricht auch, dass die Geschäftsführung die sich aus den Beratungen mit dem Betriebsrat ergebenden Änderungen an die Gesellschafter weiterleiten kann, um eine Änderung der Pläne herbeizuführen.[206] Daher ist richtigerweise auch davon auszugehen, dass es nicht schadet, wenn andere Gesellschaftsorgane (Aufsichtsrat) bereits um Zustimmung zu der Betriebsänderung ersucht wurden.[207]

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Soweit das BAG in einer Entscheidung vom 14.9.1976[208] einen Verstoß gegen § 111 BetrVG bejaht hat, weil die Arbeitgeberin die Betriebsräte vor die endgültige Tatsache der Betriebsstillegung gestellt habe, nachdem in der Aufsichtsratssitzung der Stilllegungsbeschluss gefasst worden war, folgt hieraus nichts anderes. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich vielmehr, dass aufgrund besonderer Umstände der Kommunikation und zeitlichen Taktung de facto kein Raum mehr für eine Einwirkung durch den Betriebsrat gegeben war. Der Beklagten sei es – so das BAG – erkennbar nicht darum gegangen, mit dem Betriebsrat über eine von ihr geplante Betriebsstillegung zu beraten und über sie einen Interessenausgleich herbeizuführen, sondern allein darum, den in der Aufsichtsratssitzung gefassten Beschluss durchzuführen. In einem so weit fortgeschrittenen Stadium der Dinge habe für die Betriebsräte praktisch weder die Möglichkeit bestanden, zu versuchen, die von der Arbeitgeberin beschlossenen Maßnahmen rückgängig zu machen, noch sonst einen umfassenden Interessenausgleich herbeizuführen, der allein den Belangen des Unternehmers wie denen der Belegschaftsangehörigen gerecht wurde. Die Betriebsstillegungen standen demnach endgültig fest. Diese Entscheidung lässt damit weder einen Rückschluss darauf zu, dass eine Entscheidung durch den Aufsichtsrat eine Verletzung der Beteiligungsrechte nach § 111 BetrVG darstellt, noch kann daraus gefolgert werden, dass jede Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung eine solche Verletzung darstellt.

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Das BAG hat auch in der Entscheidung vom 20.11.2001 klargestellt, dass es hierauf nicht ankommt.[209] Danach genügt es nicht, wenn die Gesellschafterversammlung der Beklagten die Stilllegung des Betriebs bereits beschlossen hat, sofern nicht tatsächlich Maßnahmen zur Umsetzung ergriffen werden. Das BAG stellte insofern zutreffend fest, dass ein Gesellschafterbeschluss als „Teil des Meinungsbildungsprozesses auf Arbeitgeberseite“ lediglich Art und Inhalt der geplanten Betriebsänderung bestimmt und damit den Gegenstand für die zwischen den Betriebsparteien zu führenden Verhandlungen vorgibt. Solange die Geschäftsführer ungeachtet des Beschlusses weder faktisch noch rechtlich gehindert sind, die sich aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich ergebenden Alternativen an die Gesellschafter weiterzuleiten, um im Interesse des Unternehmens eine Abänderung des Stilllegungsbeschlusses zu erreichen, liege danach noch keine Maßnahme vor, die als Umsetzung des Entschlusses gewertet werden könne.[210]

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Dies zeigt: Einer rechtzeitigen Information steht nicht per se eine Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung oder anderer Organe entgegen.

Bei der Vorbereitung der Maßnahmen und der entsprechenden Kommunikation sollte jedoch deutlich gemacht werden, dass eine abschließende Entscheidung noch nicht getroffen wurde, sondern der Entschluss vorbehaltlich der Beteiligung des Betriebsrates bzw. der zuständigen Arbeitnehmervertretungen (sog. Gremienvorbehalt) gefasst wurde.

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Die Unterrichtung ist jedenfalls dann nicht mehr rechtzeitig, wenn der Arbeitgeber mit der Betriebsänderung bereits begonnen hat.[211] Entscheidend ist damit in der Praxis, wann diese Schwelle überschritten ist. Das BAG differenziert dabei im Zusammenhang mit Betriebsänderungen in Form von Betriebsstilllegungen zutreffend danach, ob der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift.[212]

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Folgerichtig verneint das Gericht den Beginn der Umsetzung (und etwaige daraus resultierende Nachteilsausgleichsansprüche), wenn der Arbeitgeber die vom Verlust ihrer Beschäftigungsmöglichkeit betroffenen Arbeitnehmer widerruflich freistellt. Zwar können Regelungen über Freistellungen Gegenstand eines Interessenausgleichs sein. Gleichwohl beginnt der Unternehmer mit der Freistellung von Arbeitnehmern noch nicht mit der Betriebsstilllegung. Nach Ansicht des BAG zieht er vielmehr damit lediglich die Konsequenz aus der Einstellung der betrieblichen Tätigkeit. Hierfür spricht, dass die Freistellung von Arbeitnehmern regelmäßig noch umkehrbar ist. Sie lässt den Bestand der Arbeitsverhältnisse unberührt und ist bei Fehlen anders lautender Vereinbarungen jederzeit widerruflich. Eine irreversible Auflösung der betrieblichen Organisation ist mit ihr deshalb nicht verbunden.[213]

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Beispiele:

Weitere Beispiele für Maßnahme, bei denen ein Beginn der Durchführung verneint wird, sind etwa der Stilllegungsentschluss und seine Verlautbarung (sofern es noch Gestaltungsmöglichkeiten gibt), die bloße Einstellung der Produktion, sowie die Kündigung einiger Ausbildungsverhältnisse.[214]

Der Ausspruch der Kündigungen[215], die Veräußerung der zur Fortführung des Betriebs erforderlichen Betriebsmittel[216], oder die Beendigung des Mietvertrags über die Räumlichkeiten[217] markieren hingegen den Beginn der Umsetzung. Entsprechendes kann dann gelten, wenn der Arbeitgeber zunächst nur die leitenden Angestellten kündigt, sofern damit die Auflösung der Betriebsorganisation verbunden ist.[218]

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Streitig ist, was gilt, wenn die Planung der Betriebsänderung durch die Konzernobergesellschaft, d.h. nicht durch den Arbeitgeber selbst, erfolgt. Schaffen die Planungen der Konzernobergesellschaft bereits Fakten und wird dadurch verhindert, dass der zuständige Betriebsrat über das Ob und Wie noch beraten kann, wird man indes davon ausgehen müssen, dass auch in diesem Fall eine Verletzung des § 111 BetrVG zu bejahen ist. Eine Aufteilung der Planungsverantwortung beseitigt also nicht die Beteiligungsrechte der §§ 111 ff. BetrVG.[219]

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Konsequenz einer verspäteten Unterrichtung ist das Eingreifen des Bußgeldtatbestandes gemäß § 121 BetrVG. Der Nachteilsausgleichsanspruch gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG entsteht dann, wenn der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Maßnahme beginnt, ohne den Betriebsrat beteiligt zu haben (vgl. dazu unter Rn. 273).[220]

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