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Bundesministerium der Justiz

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Frohgemut klemmte ich die Zeitung unter den Arm und erschien pünktlich um 10 Uhr zum Vorstellungsgespräch im Kreuzbau des Bundesjustizministeriums. Mein erster Gesprächspartner dort war der Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Sepp Binder, der, wie ich später merkte, der einflussreichste Mitarbeiter des Hauses war. In der internen Hierarchie kam er gleich nach dem Minister, noch vor dem Staatssekretär. Das Gespräch begann etwas zäh, aber spätestens als ich mit den Worten: „Ach, haben Sie übrigens heute schon meinen letzten Artikel in der Zeit gesehen?“ die entsprechende Seite aus meiner Jackentasche gezaubert hatte, war der Bann gebrochen. Binder war selbst früher Zeit-Redakteur gewesen und gehörte zu den Bewunderern ausgerechnet des für den Wirtschaftsteil verantwortlichen Redakteurs, Michael Jungblut.

Alles andere war dann nur noch Formsache. Da ich im Leitungsbereich tätig werden sollte, sprach ich ein paar Worte mit Hans-Jochen Vogel, der für ein gutes Jahr mein oberster Chef werden sollte - bevor er als Regierender Bürgermeister nach Berlin ging und von Jürgen Schmude als Bundesjustizminister ersetzt wurde -, mit Vogels Staatssekretär Günther Erkel und dem für das Personal zuständigen Abteilungsleiter. Erst beim Personalreferenten wurden Einzelheiten meiner Einstellung erörtert. Personalchef Stückrath rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum und druckste verlegen: „Also verstehen Sie mich bitte richtig, mir sind ein wenig die Hände gebunden. Soviel, wie Sie als Rechtsanwalt verdient haben, können wir Ihnen leider nicht bieten.“ Ich schaute ihn amüsiert an. Keinen Pfennig hatte ich bisher als Anwalt verdient. Aber da sah man wieder einmal, was das Image ausmacht. „Wie wäre es denn mit BAT Ia?“ fragte mein Gegenüber. Nun war es an mir, unruhig zu werden. Mir wurde heiß und kalt zugleich. BAT Ia entsprach einem Regierungsdirektor. Für eine Erst-Einstellung unglaublich hoch. Üblicherweise musste man sich erst einmal langsam an den Regierungsrat heran dienen. Wenn man Glück hatte, war nach etlichen Jahren ein Oberregierungsrat zu erreichen und mit viel Sitzfleisch kam dann nach frühestens zehn Jahren eventuell schon mal eine Position als Regierungsdirektor in Sicht. Mein Vater, ein fleißiger, kluger und sehr fähiger Kopf, hatte es nach einem erfolgreichen Verwaltungsleben gerade mal bis dorthin gebracht. Ich ließ mir aber nichts anmerken: „Tja, das ist natürlich hart.“ Kunstpause. „Aber die Aufgabe ist so interessant, dass man schon mal gewisse Einschränkungen in Kauf nimmt.“

Mit 29 schon Regierungsdirektor! Es gelang mir – typisch vielleicht für einen Dünnbrettbohrer – schon dreißig Monate später als Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, zwei weitere Gehaltsstufen übersprungen zu haben, d.h. ich wurde entsprechend einem Leitenden Ministerialrat bezahlt, hatte ein eigenes Spesenkonto, durfte mich von der Fahrbereitschaft des Bundestages fahren lassen, hatte Sitz in etlichen Gremien, wie Parteivorstand, Fraktionsvorstand etc. und war Mitherausgeber einer Zeitschrift. Gerade einmal 32 Jahre alt, war ich bereits ausgestattet mit den Insignien der Macht.

Doch auf der Suche nach der Macht hatte ich mich immer nur um die Macht selbst gekümmert und niemals einen Gedanken darauf verschwendet, was ich denn damit anfangen sollte. Wie Jürgen Möllemann und ähnlichen Politikern fehlte mir das moralische und theoretische Rüstzeug, um Macht gestalten und ausüben zu können oder auch nur zu dürfen.

Wenn ich damals bereits im Justizministerium die Augen besser geöffnet hätte, hätte ich schon beim Minister-Wechsel von Vogel zu Schmude – übrigens genau an meinem 30. Geburtstag – entscheidende Erkenntnis für mein politisches Leben gewinnen können und damit manche Sackgasse vermieden: Vogel stand ständig unter Strom, war immer und überall präsent. Er übernachtete sogar häufig im Ministerium neben seinem Arbeitszimmer. Wir im Leitungsbereich hatten einen Bereitschaftsdienst einzurichten und wurden mit weit reichenden Pieps-Geräten, wie man sie aus den TV-Krankenhausserien kennt (damals gab es noch keine Handys) zur ständigen Erreichbarkeit ausgestattet. Bei Lichte betrachtet gingen aber von Vogel selbst niemals wirklich kreative, eigene Impulse aus. Letztlich verwaltet er nur das Erbe, das schon Gustav Heinemann seinen SPD-Nachfolgern im Ministerium (Ehmke, Jahn und Vogel) hinterlassen hatte, bevor er Bundespräsident geworden war. Heinemann hatte alle justizpolitischen Meilensteine bereits vorbereitet und konzipiert, die Jahn mehr oder minder auf den Weg brachte und die dann schließlich Vogel formal und bürokratisch umsetzte. Kreativität war nicht so Vogels Ding. Letztlich blieb er gefangen im selbsterzeugten Stresskäfig, der kaum Muße ließ, um über den bürokratischen Tellerrand hinaus zu blicken. Ein – wenn auch logisch brillant agierender – Workaholic mag ein guter Staatssekretär sein, ist aber niemals ein guter Minister. Obgleich gerade in jener Zeit Stan Nadolnys „Entdeckung der Langsamkeit“ ein Bestseller wurde, und zuvor Herman van Veen mit seinem Lied „Weg da“ („Wir müssen rennen, springen, fliegen, tauchen, hinfall'n und gleich wieder aufsteh'n; wir dürfen keine Zeit verlieren ...“) die zunehmend krankmachende Hast in der Gesellschaft thematisiert und die Herzen der Deutschen erobert hatte: Vogel rackerte atemlos weiter. Mit mehr Ruhe und Übersicht hätte er gewiss Bedeutenderes vollbringen können. (Wer Gelegenheit hat, das Wohnhaus Konrad Adenauers in Röhndorf zu besichtigen, sollte sich auch den Terminkalender des ersten Kanzlers der Bundesrepublik anschauen. Er wird verblüfft sein, mit wie wenig Zeitdruck und Terminen sich ein Land regieren lässt, wenn man in der Lage ist, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und die richtigen Prioritäten zu setzen.)

Jürgen Schmude hingegen überraschte uns anschließend als ein menschlicher Minister und Freidenker ganz anderer Machart. Er war ein Freund, Vertrauter und Kollege Gustav Heinemanns gewesen und strahlte eine ähnlich selbstverständliche Ruhe und Verlässlichkeit aus. Freitagmittag entschwand er zu Frau und Kind und Wahlkreis und kam erst dienstags wieder. Während Vogel nervös nachfragte, warum sich keiner bei ihm meldete, wenn wir am Wochenende mal einige Stunden Funkstille einkehren ließen, hätten wir bei Schmude Ärger bekommen, wenn wir ihn am Wochenende überhaupt einmal gestört hätten, ohne mitteilen zu können oder zu müssen, dass der Kanzler gestorben oder der 3. Weltkrieg ausgebrochen wäre. Er weigerte sich sogar, uns seine private Telefonnummer zu geben. Letztlich war Schmudes kurze Bilanz als Minister aber gewiss nicht schlechter als jene des späteren SPD-Vorsitzenden und gescheiterten Kanzlerkandidaten.

Noch im gleichen Jahr wechselte ich als Pressesprecher zur FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag und ließ mich dort von der allgemeinen Presse-Hektik anstecken, was insofern nicht so schwer war, als sehr rasches allerdings oft auch etwas schlampiges Arbeiten meinem Naturell entspricht. (Leser werden daher in diesem Buch leider auch wieder relativ viele Schreibfehler entdecken, für die schon hier um Entschuldigung gebeten wird.)

Auch wenn ich die Kernerkenntnis politischen Wirkens, dass weniger Quantität oft wesentlich mehr Qualität verspricht, noch nicht verinnerlicht hatte, so hatte ich aber zumindest in der kurzen Zeit, die ich nun schon in Legislative, Exekutive, Judikative, als Pressesprecher und in der Wirtschaft verbracht hatte, erkennen können, wo im demokratischen System die Macht angesiedelt schien, bzw. wo sie zu Unrecht vermutet wird:

DIE SUCHE NACH DER MACHT

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