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2. Abbau von Behinderungen der Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts

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Eine Beschränkung des Binnenmarktes ist durch Hemmnisse oder Wettbewerbsverzerrungen möglich, die aus unterschiedlichen nationalen Vorschriften resultieren.

Die Beseitigung von Hemmnissen des freien Warenverkehrs: Für die Frage, inwieweit mit der Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung Hemmnisse des Binnenmarkts aufgehoben werden sollen, ist zu unterscheiden zwischen den Süßigkeitenprodukten selbst, Waren und Dienstleistungen, die zwischen den Mitgliedstaaten gehandelt werden und nicht ausschließlich als Medien für die Werbung zur Absatzsteigerung der Süßigkeiten dienen (zB Zeitungen und Zeitschriften), und Waren und Dienstleistungen, die im Einzelfall ausschließlich als Medium der Werbung für Süßigkeiten dienen (Plakate, Kinowerbung).

(1. Gruppe der Hersteller von Süßigkeiten) Mitgliedstaatliche Werbeverbote hemmen den Vertrieb von Süßigkeiten; ein unionsweites Süßigkeitenwerbeverbot fördert den Handel mit diesen Erzeugnissen nicht. Zur Beseitigung von Hemmnissen des Binnenmarkts für Süßigkeiten kann die Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung deshalb nicht auf Art. 114 AEUV gestützt werden.

(2. Gruppe der Presseunternehmen und anderer Medien, die nicht ausschließlich für die Werbung zur Absatzsteigerung von Süßigkeiten eingesetzt werden) Kein Mitgliedstaat hat bisher ein Einfuhrverbot oder Einfuhrbeschränkungen für Presseunternehmen und andere Medien, die nicht ausschließlich für die Werbung zur Absatzsteigerung von Süßigkeiten eingesetzt werden, beschlossen. Das gilt auch für Mitgliedstaaten, in denen diese Werbung untersagt ist. Zwar unterliegt die Ein- und Ausfuhr von Presseerzeugnissen und anderen Medien der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV und Art. 35 AEUV), eine Beschränkung dieses Marktes durch einzelne Mitgliedstaaten kann aber nicht ausgeschlossen werden, insbesondere weil Art. 36 AEUV Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit aus Gründen des Gesundheitsschutzes zulässt. Wegen der Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften, die zu einer immer stärkeren Beschränkung der Werbung für Süßigkeiten führt und der Überzeugung entspricht, dass diese Werbung den Süßigkeitenkonsum spürbar erhöht, erscheint es sogar als wahrscheinlich, dass künftig Hindernisse für den freien Verkehr von Presseerzeugnissen und anderen Medien entstehen werden.

Dieser Handel mit Presseerzeugnissen ist ebenso wie der anderer Medien auch zwischen den Mitgliedstaaten relativ bedeutend und wird an Bedeutung zunehmen. Das betrifft nicht nur Presseerzeugnisse in Mitgliedstaaten, in denen die gleiche Sprache gesprochen wird. Ein erheblicher grenzüberschreitender Verkehr besteht auch für Presseerzeugnisse zwischen Mitgliedstaaten, in denen unterschiedliche Sprachen gesprochen werden und hat seinen Grund vor allem im gesteigerten Mobilitätsverhalten der Europäer, das primärrechtlich durch die Freizügigkeitsregelungen vereinfacht wird (vgl Art. 21 AEUV). Für elektronische Medien ist der grenzüberschreitende Verkehr ohnehin offensichtlich.[8]

Die Verhinderung dieser möglicherweise künftigen Hemmnisse der Presseerzeugnisse und anderer Medien fördert den Binnenmarkt in diesem Bereich. Das genügt, um eine Regelungskompetenz der Union insoweit zu begründen.

(3. Gruppe der Medien, die ausschließlich für die Werbung zur Absatzsteigerung von Süßigkeiten eingesetzt werden) Anders für die übrigen Formen von Werbung für Süßigkeiten: Entsprechende Verbote von Werbung auf Plakaten, Sonnenschirmen und Fahnen stellen sicherlich ein Hemmnis für den Binnenmarkt dieser Produkte dar. Im Gegensatz zu den nichtausschließlichen Werbeträgern würde ein unionsweites Süßigkeitenwerbeverbot den Handel mit den betroffenen Erzeugnissen aber nicht fördern, sondern weiter beschränken. Hier betrifft das Verbot das Medium selbst. Hemmnisse für den freien Verkehr von Werbeträgern in diesem Werbesektor können durch ein umfassendes Süßigkeitenwerbeverbot folglich auch nicht beseitigt werden.

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Die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen: Fraglich ist, ob bereits jede Form der Wettbewerbsverzerrung eine Harmonisierung durch die Union ermöglicht. Würde man das Überschreiten einer gewissen Mindestschwelle nicht für erforderlich halten, wären der Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers praktisch keine Grenzen gezogen. Zwischen den nationalen Rechtsvorschriften über die Voraussetzungen der Ausübung bestimmter Tätigkeiten bestehen nämlich vielfach Unterschiede, was sich unmittelbar oder mittelbar auf die Wettbewerbsbedingungen der betroffenen Unternehmen auswirkt. Dies wäre wiederum mit dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung nicht vereinbar. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung müssen die Wettbewerbsverzerrungen, auf deren Beseitigung der Rechtsakt zielt, daher spürbar sein.[9]

Es ist deshalb zu prüfen, ob die Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung tatsächlich zur Beseitigung spürbarer Verzerrungen des Wettbewerbs beiträgt:

(1. Gruppe der Hersteller von Süßigkeiten) Was den Markt für Süßigkeiten betrifft, bestehen grundsätzlich keine Wettbewerbsverzerrungen, weil die Werbeverbote der Mitgliedstaaten für sämtliche in- und ausländische Unternehmen gleich gelten. Allein, dass Hersteller und Verkäufer von Süßigkeiten in Mitgliedstaaten mit restriktiven Rechtsvorschriften ihre Marktposition nur über den Preiswettbewerb entwickeln können, stellt keine Wettbewerbsverzerrung dar, sondern eine Beschränkung der Wettbewerbsarten, die in gleicher Weise für alle Wirtschaftsteilnehmer in diesen Mitgliedstaaten gilt.

Zwar können Werbeverbote für Süßigkeiten Markteinführungen erschweren. Der EuGH argumentiert in der Entscheidung zum Tabakwerbeverbot aber dahingehend, dass durch eine weitgehende Untersagung der Süßigkeitenwerbung die Verordnung diese Beschränkung generalisiert und folglich die Mittel, mit denen sich die Wirtschaftsteilnehmer Zugang zum Markt verschaffen und sich dort behaupten können, in sämtlichen Mitgliedstaaten einschränkt.[10]

(2. Gruppe der Presseunternehmen und anderer Medien, die nicht ausschließlich für die Werbung zur Absatzsteigerung von Süßigkeiten eingesetzt werden) Ein Hemmnis für den Binnenmarkt besteht schon, wenn die Mitgliedstaaten hinsichtlich eines Erzeugnisses oder einer Erzeugnisgruppe divergierende Maßnahmen erlassen. Wird Werbung für Süßigkeiten in Presseunternehmen und anderen Medien in einem Mitgliedstaat verboten oder anderen Bedingungen unterworfen als in einem anderen Mitgliedstaat, in dem die Werbung für Süßigkeiten weniger reguliert ist, kann der Wettbewerb der Presseunternehmen und anderer Medien tatsächlich oder potentiell behindert werden.

Die Beseitigung dieser bestehenden und möglicherweise künftigen Hemmnisse der Presseerzeugnisse und anderer Medien fördert dann den Binnenmarkt in diesem Bereich.

(3. Gruppe der Medien, die ausschließlich für die Werbung zur Absatzsteigerung von Süßigkeiten eingesetzt werden) Eine Wettbewerbsverzerrung ist nicht erkennbar: Was die Medien betrifft, die ausschließlich für die Werbung zur Absatzsteigerung von Süßigkeiten eingesetzt werden, gelten die Werbeverbote in einem Mitgliedstaat für alle in- und ausländischen Unternehmen gleich.

Zwar sind Unternehmen, die in Mitgliedstaaten mit einer weniger restriktiven Regelung der Werbung für Süßigkeiten ansässig sind, hinsichtlich der Größenvorteile und der Gewinnerzielung begünstigt, diese Vorteile wirken sich jedoch auf den Wettbewerb nur entfernt und mittelbar aus und führen nicht zu spürbaren Verzerrungen.

Es mag nicht ausgeschlossen sein, dass Unterschiede zwischen bestimmten Regelungen zur Werbung für Süßigkeiten in Einzelfällen spürbare Wettbewerbsbeschränkungen herbeiführen können. Derartige vereinzelte Verzerrungen rechtfertigen es jedoch nicht, Art. 114 AEUV für ein allgemeines Werbeverbot zu verwenden, wie es die Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung vorsieht.

Demnach kann der Unionsgesetzgeber die Wahl von Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage der Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, Wettbewerbsverzerrungen in der Werbebranche oder in der Süßigkeitenbranche müssten beseitigt werden.

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