Читать книгу Die bunten Lebensaufzeichnungen Egons, der im Alter von dreieinhalb Jahren am Spiegelgrund seiner Wörter tauchend umkam - Stefan Wieser - Страница 5

Spitalseinblick-Exkurs

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Fotografien zeitweise, Krankensäle einer neuen Zeit – das Zeitalter der Fotografie ist immer ein Zeitalter des Humanen. Wir sehen durch den Blick des Objektivs: einen Spitalsmittag. Eine ärztliche Visite ist immer eine ärztliche Visite. Und doch unterschieden sich die Visiten Kerserderserkerskis von Visiten, wie sie in anderen Spitälern üblich sind.

Exkurs: Als das Zeitalter der Humanität mit dem Auftreten der Fotografie gleichzeitig mit dem modernen Spitalsgedanken anfing, fotografierte man: moderne, saubere Krankensäle, auf dem Weg der Genesung befindliche, ins Kameraobjektiv blickende Patienten, Männer, in ihren Betten liegend in zwei Fünferreihen, erwartungsvoll, Rekonvaleszente, aus der Gesellschaft vorübergehend zum Zweck der Heilung herausgenommen, Zeitlose des Spitals, Druckereiarbeiter, Lehrer, Chauffeur, Blumengroßhändler, die Frauen bisweilen als Schmuck während der Besuchsstunde neben dem Bett.

Spitalsmittag: Der Patient wartet die Visite des Primarius mit seinem Gefolge, die in einem Zeitfenster von drei Stunden stattfinden kann, natürlich in seinem Krankenzimmer ab. Manchmal ist der Primarius gerade in einem Privatspital und operiert Privatpatienten. Er operiert die Geschwüre aus den Eingeweiden und näht den Körper wieder zu, der dann noch ein Jahr länger essen und darüber hinaus bei abnehmender Kraft noch ein halbes Jahr Gebete zwischen den Zähnen mahlen kann. Unter den Patienten verbreitet sich bereits am Morgen kurz nach der ersten Visite von einem Zimmer zum nächsten die Frage, ob der Primarius selbst seine Patienten aufsucht oder ein Vertreter. Primarius und Vertreter, das ist ein Unterschied wie zwischen Gott (oder zumindest wie zwischen einem Universitätsrektor) und einem Vorzugsschüler. Dann ist die Stunde des Oberarztes, der die Krankenabteilung mit fünfzehn Zimmern zu je sechs Patienten durchschreitet, in einem jeden etwa zehn Minuten verweilt, macht gut eine Minute an jedem Bett, wo der Oberarzt über den im Bett Liegenden zu seinem Ärztegefolge redet, obwohl da nur Luft ist, aber er läßt sich herab, ein wenig durchsichtige Kontur zu sehen, ein paar Gewebefäden, die er mit schweifend-schwafelnden Handgesten kommentiert. Ja, er sieht die Fäden der Krankheit im durchsichtigen, weil für ihn nicht existenten Menschen, und da tut er eben seine Menschenpflicht und zupft diese Krankheitsfäden auseinander, während er zu seinem Ärztegefolge spricht und doziert, er zupft an den Fäden, damit die Krankheit entweichen kann, und er ermahnt die Luft, ruhig liegenzubleiben für die nächsten drei Tage. Eine Minute verweilt er, dann schreitet er weiter, da fürchtet ein jeder natürlich im Vorhinein, auch nur eine Minute während des Wartens auf die Visite hinauszugehen, auch mit Verspätung könnte der Oberarzt kommen, und wenn man beim Eintreten des Oberarztes hinausgegangen ist, dann ist man nicht einfach nur hinausgegangen, sondern man hat den Oberarzt hintergangen. Wer dann sich nicht im Zimmer befindet, wenn der Oberarzt eintritt, der wird für die Augen des Oberarztes sichtbar, dessen Durchsichtigkeit nimmt dann plötzlich ein Gesicht an, in das er hineinbrüllen kann.

Und wenn gar erst der Primarius selbst die Visite vornimmt, der heute im Privatspital „Zum Göttlichen Erlöser“ schon einen halben Magen herausgeschnitten und sein Privathonorar für ein Jahr lang länger Privatkost eingestrichen hat, wenn also nun der Primararzt selbst zwei Stunden später als gewöhnlich durch die Zeitlosigkeit der Krankenzimmer schreitet, dann tritt tatsächlich Gott selbst ein, der schon existierte vor aller Krankenzimmerzeit.

Natürlich gab es die tägliche Visite auch in Kerserderserkerskis Abteilung. Kinderpatienten, kleine ausgemergelte Körper oder durch unübliche Medikamentengaben aufgedunsene Gesichter, die sich zur Stunde der Visite irgendwo anders als im Krankensaal I aufgehalten hätten, gab es natürlich auch in der „Kinderfachabteilung“ nicht. In Kerserderserkerskis Abteilung trieb man den Spitalsgedanken der Visite zur Perfektion. In seiner Abteilung, der Kinderfachabteilung, zeigte sich durch die Übernahme verschiedener Spitalsphilosophien als Ergebnis gewissermaßen eine Essenz aus diesen unterschiedlichen Ausrichtungen der Spitalspraxis. Ärztliche Visiten haben in Militärspitälern immer schon etwas Militärisches an sich gehabt und in christlichen Spitälern etwas Christliches und in Staatsspitälern etwas Staatliches. Immer derselbe Geruch des Spitalsessens durchzieht von halb elf Uhr vormittags an das Spital, die Dünste der Spitalskost vermengt mit jenen der Hygiene. Ob nun in Militärspitälern zum Zweck der Wiederherstellung der Mordtauglichkeit oder in christlichen Spitälern zum Endzweck der Wiedererlangung der Einsicht gesundgepflegt wird, daß der Gehorsam gegenüber der staatlichen Obrigkeit christliche Pflicht sei und man daher der Pflicht des Wiederempfangens der Mordtauglichkeit unterstehe und nebenbei nichts als sterblich sei unbeschadet des allfälligen Gnadenwillens des Gottes, so berechnete man in Kerserderserkerskis Abteilung das Schicksal des zu pflegenden Patienten unter umgekehrten Vorzeichen. Im christlichen Krankensaal betete man gegen fünf nachmittags bei Dämmerung und gedachte der Sünde des Ungehorsams und ihrer Folge, des Todes also, und man warf dem Patienten, solange letzterer noch nicht eingetreten war, das Brot seiner Errettung zu, welches er herunterwürgte unter Tränen. In Kerserderserkerskis Abteilung waltete und schaltete man ähnlich wie in christlichen Registern. Nur das Brot, das ließ man in zunehmendem Maße weg. Immer schon wurde auf dem Spiegelgrund die Göttlichkeit des Professors und Unfehlbarkeit des Primars in eine Beziehung zum beklemmend weitläufigen Saal gesetzt, in dessen Bettgestellen die Kinder voller Luminal den halben Tag vor sich hindämmerten. Vormittags zur Visite hielt man sie wach. Im Krankensaal des Primarius Kerserderserkerski lebte man sowohl die militärische, die christliche als auch die staatliche Spitalsidee. Der Staat gab die Macht und lieferte die Spritzen, das Christentum ermahnte die Menschen in ihren Betten, wenn der Primar sie in seine ernsten Blicke faßte, zum Gehorsam und zur Barmherzigkeit, die sie selbst eigentlich nicht verdienten, die militärische Idee verlieh dem Gesamten dann seine bestimmte Ordnung. So pflegte Professor Primarius Kerserderserkerski mit seinem unter dem Revers versteckten Totenkopfabzeichen in solchen Visiten die Hierarchie einer ausschließlich seiner Gewalt unterstehenden Spitalswelt ins Sichtbare zu bringen. In einer ihm unterstehenden Abteilung ließ er die Macht als Trinität walten, in staatlicher, christlicher und militärischer Ausformung. Da standen sie nun um ihn, die Doktorinnen Klein-Hübsch und Mück, die um ein weniges kleiner als hübsch wirkte und sich daher später der Verantwortung entziehen konnte und die im übrigen Ilse hieß. Die von Kerserderserkerskis Wink bald nach da und bald nach dort anberaumten und atemberaubten Pflegerinnen und die Rotkreuzschwester schritten nun zur Tat und bereiteten die sogenannte „Speibkur“ vor. Diese Prozedur unter Anwendung einer Apomorphin-Spritze übte zwar Kerserderserkerski nicht mehr eigenhändig aus, hatte aber ihre Anwendung schon vor Jahren persönlich eingeführt. Ein Wink von ihm vor drei Jahren mußte ausreichen, sie stillschweigend auch ohne seinen ausdrücklichen Befehl tagtäglich seither zu wiederholen. Er hätte ihre Nichtanwendung nicht geduldet.

Natürlich stand hinter der Bestrafung ein höherer Sinn. Um diesen zu erfüllen, schlug man das kompromittierende Heftchen dem dreieinhalbjährigen Egon mehrfach um die Ohren, bevor die Rotkreuzschwester die Hohlnadel in eine geeignete Vene des Armes des verkrümmten Wesens in Bett 10 stieß und den Arm mit ihrer fleischig-weißen Faust fixierte, damit durch diese psychologische Komponente die Verbindung zwischen Schmerz und Schuldeinsicht jenes Wesens zustande käme, wenn sich dieses nach Anwendung der Apomorphin-Spritze heftig und unter großen Schmerzen erbrach.

Der Blick des Objektivs ist dein Blick. Jetzt hat es die Außenseite des Gebäudes eingefangen, die so kahl anmuten würde, gäbe es da nicht irgendwo in der Bildmitte im Hintergrund hoch oben eine Baumkrone des Spitalsparks. Starren Auges versetzt das Objektiv die Gebäudefassade mit seiner Fensterreihe im Parterre in schwarzweiße Erstarrung. Fließendes, glänzendes Glas ist da zum Stillstand gekommen. Hinter den grauen Fensterflächen mit einer gespiegelten Wolke Kindergesichter, da eines, dort zwei, sechs insgesamt. Man merkt, es habe vor langer Zeit unter der Oberfläche dieser Fassade etwas geschlagen wie unter der Rinde von Daphnes Baum, dreimal noch oder viermal hatten die Herzen hinter dem Stein des Gemäuers geschlagen, bevor das Bild historisch wurde. Die Kinderköpfe, unterscheidbar durch die unterschiedliche Haartracht, verraten Ansätze einer individuellen Kopfhaltung. Es ist dein Blick, der in den Zeittrichter blickt, aus dem sie dir etwas zurufen. Hinterglaskinder nennt man sie. Ihre sechs Köpfe hätten sechs unterschiedliche Haltungsentwürfe entwickelt, hätten nicht ein Professor Kerserderserkerski und ein Primarius Gross in sie hineingeschnitten und ihre Hirne konserviert. Es ist dein Blick, während all deine anderen Sinne ausgeschaltet sind, während du diese Fotografie betrachtest. So sieht die Welt einer, der taub ist, vollständig taub. Du kannst nur die Lippenbewegungen lesen ---

Ich muß eingestehen, daß ich den Krankensaal zu diesem Zeitpunkt verlassen hatte. Ja, ich beschäftigte mich sogar mit ganz anderen Dingen als mit der an Egon vollzogenen „Speibkur“, immer auf der Suche nach Wörtern, beispielsweise für die Gerüche aus den dampfenden Kesseln in der Spitalswäscherei oder für den Wasserdampf, der aus ihnen in den Spätnachmittagshimmel dieses Frühlingstages stieg. Alles hatte einen Namen, alles ließ sich in Wörtern ausdrücken, die ich kaufen und mit einem Gewinn für den Käufer wiederverkaufen konnte. Mein Wörtergeschäft ist nämlich nicht sehr einträglich, weder en detail noch en gros. Mir bleibt immer nur die Idee. Ich lebe beinah von der Luft und von den Gedanken über mich in den Köpfen der Menschen. Gedanken über mich gehen selbst dann zuweilen in diesen Köpfen herum, wenn sie schon unter dem Fallbeil liegen. Da bleibt nicht viel für mich übrig. Immer geht es nur um den Wörterhändler, nur selten läuft ein Geschäft für ihn. Ich trat also aus dem vierfach verriegelten Kerker der „Kinderfachabteilung“ des Kerserderserkerski in den Park des Spitals und sammelte die Namen der seltenen Blumen, die dort wuchsen. Ich will nicht ununterbrochen gedacht werden. Wenn ich mich also dieser Vereinnahmung, dieser regelrechten Einsaugung durch die Gedanken meiner Umgebung entziehe, so verziehe ich mich am liebsten zu den Wildblumen, denn diese wachsen überall auf den fünf Kontinenten, wo mich vereinnahmende Menschen wohnen.

Währenddessen aber nahm ein anderer Blick – es ließ sich für die Anwesenden nicht sagen, um wessen Blick es sich handelte – den Saal I in sich auf. Ich muß zur Erklärung hinzufügen, daß ich als Worthändler über besondere Techniken verfüge und sie zur Anwendung bringe, über Techniken, die auf eine ständige Beobachtung eines möglichst breiten Umfeldes abzielen, auch wenn ich mich an einem bestimmten Ort, den ich hinsichtlich einer Beobachtung für wichtig und lohnend erachte, gerade nicht selbst in Person aufhalte.

Dann lasse ich meinen Blick zurück. Mein Blick – durchaus ähnlich dem des Objektivs, er konserviert für sehr lange Zeit, angeblich – nun ja. Er blickt einen aus den Lüften an. Er kann immer gegenwärtig, ja sogar allgegenwärtig sein. Er ist der Stempel aller Ideen des Menschlichen. Er prägt das Bestreben der Angeblickten und gibt ihnen eine Ausrichtung hin zum Richtigen. Ja, es ist mein Blick, den ich von mir loslöse und auf Reisen schicke, und wenn wir einander wiederbegegnen, so frage ich ihn:

„Nun, was hast du gesammelt?“

Mein Blick antwortet mir. Mein Blick nimmt die Dinge in sich auf, als hielten Hände in seiner Mitte, an dem feurigen und unversiegbaren Feuerquell seiner Blickstrahlen z.B. zu einer Schale geformt, alle Welt fest und fingen die leichten Sachen auf, die sonst zu Boden und in den Abgrund gefallen wären. Die übergibt mein Blick mir dann schweigend.

Ich ließ also statt meiner selbst diesen Blick zurück, der von mir losgelöst die Räume für mich durchforstete und statt meiner selbst die Namen von allen Dingen herunternahm und sie für eine spätere Schätzung durch mich ordnete. Mein Blick streifte losgelöst von mir und daher so leicht durch das Anstaltsgelände, trat in einen anderen Pavillon, den Mädchenpavillon, ein. Er sammelte Namen, den Namen zum Beispiel für das linke vordere Eisenbein, das auf einer kalten, zersprungenen Fliese stand und zu einem Bett gehörte, in dem ein kleines und fast nacktes Mädchen lag. Der Blick, mit dem ich in ständiger Gefühlsverbindung stand, obwohl ich selbst, wie ich schon sagte, kilometerweit durch die Wälder und Blumenwiesen neben dem Spiegelgrund gelaufen war und jetzt ganz oben auf den Hügeln stand, die sanft zum Häusermeer der Stadt hin abfielen und wo es nach jungen Weinreben duftete, dieser Blick also funkte mir gewissermaßen die Wörter zu, die Wörter für die Dinge, damit ich sie sogleich in meine Wortbestände aufnahm und sie gedanklich in meine Wortregister und auf meiner Habenseite eintrug.

Niemals kann mein Blick von den Dingen loskommen, und ich dadurch auch nicht. Hätte man mir vorwerfen können, daß ich mich selbst losmachte von den am Pavillon 15 beobachteten Vorgängen?

Der Blick – mein Blick – schweifte durch den Saal und fand unten bei den Steinfliesen wie einen kleinen Lacksplitter den Namen für jenes Eisenbettbein. Hinter dem Blick standen keine richtigen Augen, und doch schweifte er durch den Saal, wurde einmal langsamer bei diesem oder bei jenem Bett, schaute über den Rand dieses einen genannten Bettgestells auf einen rachitisch verkümmerten Mädchenkörper von fünf Jahren, mein Blick ruhte lang auf dieser Vorgestalt eines großen Gefühls und eines kurzen Frühlings, es war mein Blick und stammte doch aus einer unversiegbaren anderen Quelle voller Glanz, er schweifte weiter und blieb doch in Form einer flaumleichten Schicht aus Blicken auf diesem weiß schimmernden Körper des Mädchens liegen.

Eines Tages werde ich meinen Blick zurückgeben müssen. Dann werde ich Rechenschaft abzulegen haben für alles, was er sah. Ich werde Rechenschaft ablegen müssen für alles, was ich selbst nicht sah. Wahrscheinlich werde ich sagen:

„Ich habe mein Gefühl ausgeschickt“.

Wer wird mich dann verstehen? Ich sah mit meinem Blick, der von mir fort auf weite Reisen ging, immer das, was ich sehen wollte zu einer sanften Musik ---

Dieser Blick, der irgendwie so zu mir gehört wie der Sohn zum Vater, kehrte sodann in den Pavillon XV zurück, zur Speibkur, nahm jetzt besonders das Heftchen mit den blaßblauen Seiten in Augenschein, da war ein Kerserderserkerski plötzlich abwesend, denn dieser Blick besitzt die Angewohnheit, nur das Schöne, Wahre und Gute zu sehen oder, wie in diesem Fall, sehen zu wollen, und den Rest auszublenden und nie lange hinzusehen. Darin kann man gewiß keinen Anlaß eines Vorwurfes suchen, schließlich hat sich dieser Blick nicht selbst erschaffen, sondern er existiert einfach so gemäß seiner Art. Außerdem hinterläßt er stets etwas Hilfreiches, er machte beispielsweise das Unverwechselbare des nackten, verkümmerten Körperchens des Mädchens unvergänglich, weil er auf diesem nackten Mädchen mit seinem Flaum des Frühlings ein Wort fand, das die genaue Bezeichnung für dieses Mädchen ausdrückte. Dieser Blick also blieb auf der zufällig aufgeschlagenen ersten Seite des Heftchens Egons liegen. Diesmal hob er sich aber nicht mehr wiederum auf, um seinen kleinen Trost in Form der federleichten Schicht auf den ineinander verschlungenen Buntstiftlinien zu hinterlassen. Vielmehr suchte der Blick geduldig in dem Labyrinth von Buntstiftfarben, darin eingeschlossenen Ungeheuern samt ihren Opfern, Märchenwesen, Mädchengestalten, einen Anfang, ein Alpha, ein zustimmendes Nicken (wie dieser Blick bei sich dachte), denn es interessierte den Blick, der so von Bett zu Bett tastete, sehr, welche Geschichte eigentlich in den blaßblauen Seiten des Schulheftchens geschrieben stand.

Da hob sich also der schwarze Umschlag aus versteiftem Papier wie ein Theatervorhang auf. In diesem Augenblick aber fühlte ich mich wie von etwas Glühendheißem berührt und aus meiner Hingabe zu einer der Wildblumen am Wegrand geweckt und fortgerissen, als hätte mich aus Egons Heftchen eine Stichflamme versengt und wäre in meinen Blick hineingefahren, in meinen verläßlichen Gefährten, der letzten Endes von genau derselben Wesensart ist wie ich selbst. Und plötzlich fand ich mich wieder mit meinem Blick vereint, von dem ich ja doch niemals lassen werde und er nicht von mir.

So fing ich mit meinen Augen den Buntstiftlinien in Egons Zeichnungen zu folgen an. Ich nahm die Spur auf und folgte der hundertfach verschlungenen Buntstiftlinie, die Egon auf jene Seite gezeichnet hatte, aufmerksam.

Die bunten Lebensaufzeichnungen Egons, der im Alter von dreieinhalb Jahren am Spiegelgrund seiner Wörter tauchend umkam

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