Читать книгу Hexenseele - Stefanie Purle - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеAnstatt untätig in der Kochküche herumzusitzen und auf Roberta zu warten, versuche ich den Weg zurück in Chris´ Schlafgemach zu finden. Jedoch erweist sich dieses Vorhaben schwieriger als gedacht. Ein Zauber liegt auf der steinernen Wendeltreppe und egal wie viele Ebenen ich auch passiere, ich gelange kein Stockwerk höher!
Irgendwann bin ich aus der Puste und gehe stattdessen in den Flur hinein und schaue mich dort nach einem anderen Weg in die oberen Etagen um. Ein dicker roter Teppich mit goldenem Rand zieht sich über die Länge des Flures in beide Richtungen. Wände, Decken und Böden sind aus felsigen Gesteinsbrocken gemauert und alle paar Meter gehen ovale Holztüren vom Flur ab. Ich probiere es bei der ersten Tür und entdecke dahinter eine Art mittelalterliche Schlafkammer mit vier Betten. Leise schließe ich die Tür wieder und versuche es bei der nächsten, die allerdings ein Portal ist, das auf einen Marktplatz aus vergangenen Zeiten führt. Hinter Kisten voller Kohlköpfe, Möhren, Kartoffeln und Schnittblumen stehen braungebrannte Verkäufer mit schwarzen Haaren und gestutzten Bärten, die ihre Waren in einer mir unbekannten Sprache anpreisen. Ich ziehe mich zurück und öffne eine weitere Tür, doch dieses Mal gelange ich nur in ein modern eingerichtetes Badezimmer mit glänzenden Marmorfliesen und Spiegeln, die die ganze Wand einnehmen.
Tür für Tür probiere ich aus, doch keine bringt mich näher zu Chris oder zu jemandem, den ich nach dem Weg fragen könnte. Ich erreiche das Ende des Flures und trete auf den steinernen Balkon hinaus. Ich muss mich im hinteren Bereich des Schlosses befinden, denn anstatt über einen Wald hinabzuschauen, blickt man hier auf dicht bewachsene Klippen, hohe Tannenspitzen und Baumkronen. Zu meiner Überraschung entdecke ich links vom Balkon eine Art Tunnel, geformt aus Lianen und gewundenen Ästen. Er ist mannshoch, definitiv magisch erbaut worden und führt vom Balkon herab in die umliegenden Baumkronen. Es ist ganz sicher Darius´ Werk!
Ich stecke den Kopf in den Tunnel und rufe seinen Namen, erhalte jedoch keine Antwort. Noch einmal blicke ich zurück in den Schlossflur. Ich will zu Chris, aber alleine werde ich den Weg niemals finden. Vielleicht kann Darius mir helfen.
Meine Hände tasten die Innenwände des Lianentunnels ab und ich spüre die Druidenkraft im Holz pulsieren. Sie verbindet sich mit meiner eigenen Druidennatur und es fühlt sich an, als heißen mich die Äste willkommen. Sie spannen sich an und lassen zu, dass ich über sie laufe und den schmalen Tunnel hinabgehe. Er windet sich in schwindelnder Höhe über die Klippen und führt zur nächstgelegenen Baumkrone, wo die Lianen den Tunnel öffnen und sich zu einem riesigen Kokon um die Äste der Fichte herum bilden. Ein paar hölzerne Höcker und ein ovaler Tisch, mit Druidenmagie erschaffen, füllen einen Bereich des Kokons. Im hinteren Teil davon setzt sich der Tunnel fort.
Erneut rufe ich nach dem Druiden und dieses Mal erhalte ich auch eine Antwort.
„Scarlett?“, hallt es durch den zweiten Tunnel. „Bist du das?“
„Ja! Ich bin´s! Wo bist du?“
Ein leichtes Zittern lässt die Lianenblätter im nächsten Tunnel erzittern. „Folge dem Efeu!“, dringt seine Stimme zu mir und eine Efeuranke schlängelt auf mich zu.
Die dunkelgrünen Blätter heben sich von dem hellbraunen, aus unzähligen Ästen geflochtenen Boden des Kokons ab und weisen mir den Weg in den nächsten Tunnel hinein. Ich folge ihnen bis zu einem weiteren Kokon, der sich wie ein Baumhaus um die Krone einer uralten Eiche legt. Von hier gehen insgesamt vier Tunnel ab und zwischen ihnen sind die Wände mit Regalen bestückt auf dem allerlei Krimskrams gestapelt liegt.
„Wo bleibst du denn?“, hallt Darius´ Stimme aus dem Tunnel, über dessen Boden sich auch die Efeuranke windet.
„Ich komme ja schon!“, rufe ich zurück und zwänge mich durch den nächsten Gang.
Dieser führt in einen noch größeren Kokon, dessen Hinterwand die felsigen Klippen des Berges bilden. Darius steht in der Mitte dieses großen Raumes über einem aus kleinen Felsbrocken gemauerten Herd gebeugt, auf dem eine Art Wok-Pfanne steht, aus der würziger Dampf aufsteigt.
Als er mich erblickt, legt er seinen Kochlöffel beiseite, legt die Handflächen aneinander und senkt den Kopf, um mir seine sternförmige Brandnarbe auf seinem Skalp zu präsentieren.
Ich senke ebenfalls den Kopf und erwidere seine formelle Begrüßung. Dann gehe ich auf ihn zu. „Was machst du hier?“, frage ich und luge in die Pfanne hinein. „Das riecht ja… himmlisch!“
Seine ledrige Gesichtshaut verzieht sich zu einem verschmitzten Lächeln. „Nicht wahr?“, stimmt er mir zu und wir beide saugen zusammen diesen würzigen Duft in unsere Nasen. „Das ist ein Druidikum, ein altes Familienrezept.“
Ich schließe für einen Moment die Augen und kann plötzlich die ganzen Zutaten aus dem Gebräu heraus vor mir sehen: Eichenborke, Birkenzweige, verschiedene Moossorten, Kiefernharz und getrocknete Pilze. Ich öffne wieder die Augen und sehe meine Umgebung wie durch einen Regenbogenkristall hindurch. Alles strahlt, Darius´ Aura ist für mich plötzlich sichtbar, ich erkenne die uralte Weisheit, die ihn wie einen Schleier umgibt, dazu seine Güte und Friedfertigkeit. Das knisternde Feuer in seinem kleinen Herd züngelt mit kunterbunten Flammen nach dem Wok, das Gebräu da drin sieht aus, wie eine kleine Galaxie, mit funkelnden Sternen und blubbernden Sternschnuppen.
„Wow!“, hauche ich berauscht und kann meinen Blick nicht von dem Brei nehmen. „Das ist ja wunderschön!“
Darius kichert und nickt. „Ja, ich weiß. Ich bin für mein Druidikum berühmt, weißt du?“
„Dru-idi-kum“, sage ich und lasse jede Silbe auf meiner Zunge zergehen. Sogar der Name dieses Gebräus schmeckt kunterbunt, salzig-süß und so wohltuend wie eine Mischung aus warmer Milch und Honig. „Wow!“
Er rührt mit dem hölzernen Löffel in dem Brei herum und erschafft so neue Galaxien und ein kleines Feuerwerk aus Blubberblasen. „Wenn du willst, gebe ich dir etwas von meinem Vorrat ab“, sagt er und lächelt schief. „Ich habe noch eine Menge davon.“
Ich nicke, ohne wirklich zu wissen, was genau ich mit dem Gebräu überhaupt machen soll, aber ich muss es haben. „Was macht man damit?“, frage ich, beuge mich über den Herd und sauge soviel von dem Dampf auf, wie ich nur eben kann.
„Es erweitert das druidische Bewusstsein“, antwortet er. „Wenn es abgekühlt ist, fülle ich es in kleine dunkle Gläser. Wenn man dann etwas von dem Druidikum haben will, nimmt man eine Fingerspitze davon und lässt es unter der Zunge zergehen.“
„Oh ja!“ Ich schaue mich um und betrachte die Regenbogenglitzer, die sich wie kleine Elfen über alles in diesem Kokon legen. In allem ist Leben, in den Lianen, dem Baumstamm der alten Eiche, ja sogar in der Felswand! Ich sehe die Moleküle und Atome von allem, spüre wie sie sich fühlen, wie sie aufgebaut sind, was ihnen fehlt und wie sie denken. „Wahnsinn!“
Wieder kichert Darius. „Ich werde mal die Luke öffnen und etwas frische Luft hereinlassen“, sagt er und übersieht mein enttäuschtes Gesicht. „Es gab sicherlich einen Grund, warum du mich besuchen kamst. Das Druidikum kann einem schon mal die Sinne rauben.“
Er zieht an einer Schnur über dem Herd und löst so eine Klappe in der Decke, die sich knarrend öffnet und den Blick auf den Himmel freigibt. Der schimmernd glitzernde Dampf zieht wie aus einem Schornstein nach draußen und die Regenbogenfunkel, die über allem lagen, werden schwächer und verschwinden schließlich.
„Oh nein“, sage ich enttäuscht und blicke dem herausziehenden Dampf hinterher. „Welch Verschwendung.“
Darius geht zu einem Regal an der Felswand und kramt in einem Weidekorb herum. Dann kommt er auf mich zu und streckt die Hand aus. „Hier, bitteschön“, sagt er und lässt sieben kleine braune Glasfläschchen in meine Hand kullern. „Wenn du noch mehr brauchst, ich habe immer genug Vorrat hier.“
Meine Finger schließen sich um die Glasflaschen und ich schiebe sie schnell in meine Hosentasche. „Danke.“
„Also, womit kann ich dienen, Scarlett? Es gibt doch bestimmt einen Grund, warum du gerade mich aufsuchst.“
Je mehr die Regenbogenfunkel sich verziehen, umso klarer kann ich denken. Ich schüttle den Kopf, um auch den letzten Nebel daraus zu verbannen. „Eigentlich suche ich das Zimmer von Chris. Es gab … einen Zwischenfall“, sage ich und hole zitternd Luft, als mir unsere ganze Misere wieder bewusst wird. „Chris wird von den Heilerinnen oben im Schloss behandelt, aber ich komme nicht in die oberen Stockwerke. Ich schätze, die Wendeltreppe ist verhext, oder sowas.“
Er blickt mich mitleidig an, während ich mir die Schläfen reibe. „Es muss etwas Schlimmes passiert sein, wenn Roberta dich mit einem Schleier aus Beruhigung belegt.“
„Ja… Ja, die Vermutung hatte ich auch schon. Ich war total aufgebracht, als wir hier ankamen. Chris und ich sind angeschossen worden. Wir waren tot!“ Jetzt scheint sich der Schleier gänzlich zu heben und mein Herz beginnt aufgeregt zu rasen. „Ich muss zu Chris, Darius! Kannst du mich zu seinem Zimmer bringen?“
Er nickt und holt seinen Druidenstab aus einer Ecke des Kokons. „Roberta ist nach all den Jahren der Flucht noch immer paranoid, weißt du? Auch wenn dein Vater schon längst tot ist, wechselt sie trotzdem alle paar Tage ihren Wohnort und verhext jeden Winkel, damit kein Eindringling weit kommt.“ Er zuckt mit den Schultern, geht an mir vorbei und bedeutet mir mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Sein sandfarbenes Druidengewand schleift wie eine kurze Schleppe über den aus Lianen gewachsenen Boden. „Das hat natürlich den Nachteil, dass magische Wesen in Nöten sie nur schwer erreichen können. Sie können nicht wie du durch ein Portal springen und sie besuchen.“
Ich antworte nicht, da ich gedanklich bereits schon wieder bei Chris bin. Die Tunnel, die jeden der baumhausartigen Kokons miteinander verbinden, hängen über dem Spalt zwischen Bergklippe und Schloss, und nun, da der Beruhigungszauber von Roberta nachgelassen hat, erkenne ich erst wie gefährlich diese Konstruktion eigentlich ist. Wäre da nicht Darius´ Druidenkraft, würden uns die Lianen nicht halten und wir würden in die Tiefe stürzen. Dieser Gedanke und die Sorge um Chris treiben mich zur Eile an, sodass ich fast auf das Leinengewand von Darius trete.
„Weißt du, wo Chris sein könnte? Es war ein mittelalterliches Schlafgemach, mit Himmelbett und rotgoldenem Brokat“, sage ich, als wir endlich den Flur erreicht haben.
„Ja, ja“, antwortet er, ohne mich anzusehen und hält auf den Turm mit der verzauberten Wendeltreppe zu. „Ich denke, ich weiß wo er ist.“
„Da war ich schon, ich bin etliche Etagen hochgegangen, doch ich gelangte immer wieder zum selben Stockwerk.“
Jetzt verdreht der Druide die Augen und hält seinen Druidenstab hoch. „Du hattest auch nicht den hier dabei!“, sagt er und fügt nach dem Betrachten meines fragenden Gesichtes hinzu: „Roberta hat meinen Stab zum Universalschlüssel umfunktioniert. Die Bereiche, die sie mich betreten lassen möchte, kann ich mit Hilfe des Stabs auch erreichen.“
Ich folge ihm die Treppen nach oben und tatsächlich gelangen wir zum höheren Stockwerk. Als ich die Tür zu Chris´ Schlafgemach wiedererkenne, renne ich darauf zu und reiße sie auf.
„Chris!“, keuche ich und vor Erleichterung und Sorge zugleich werden meine Knie weich und ich stolpere in den Raum hinein.
Chris liegt ausgestreckt auf dem Bett, die Augen geschlossen, das Gesicht nicht mehr so grau und aschfahl wie noch zuvor. Neben seinem Bett stehen zwei Heilerinnen. Eine von ihnen schwenkt eine Räucherschale über seinen Körper, aus der ein Duft von Zitronengras, Verbene und Kiefernnadeln steigt: Eine einfache, belebende Kräutermischung. Die andere Frau wringt einen Lappen in einem Eimer aus und legt ihn auf Chris´ Stirn, wo die Schusswunde jetzt ohne das Pflaster wieder deutlich sichtbar ist.
„Wie geht es ihm?“, frage ich und knie mich zwischen die beiden vor Chris´ Bett. Ich greife nach seiner Hand und drücke seine Fingerknöchel gegen meine Wange. „Gab es schon irgendeine Reaktion von ihm?“
Die Heilerin mit der Räucherschale tritt zurück und stellt die Schale auf dem offenen Fensterrahmen ab, von wo der Wind den Rauch gleichmäßig im Raum verteilt. „Nein, bislang noch nicht.“
Darius stellt sich neben mich und blickt mit besorgtem Blick über Chris´ leblosen Körper. Dann hebt er seinen Druidenstab, fährt mit ihm durch die Luft und schließt konzentriert die Augen. Nach wenigen Sekunden reißt er sie wieder auf und schnappt nach Luft. „Inviolabilem!“
Ich sehe zu ihm auf und nicke. „Ja, ich…“
Er unterbricht mich. „Geht raus, Heilerinnen! Lasst uns einen Augenblick allein!“
Sein Ton ist barsch und die zwei Frauen in den schwarzen Dienstmädchenkleidern machen einen Knicks und verlassen schnurstracks den Raum.
„Was ist los?“, will ich wissen, stemme mich hoch und setze mich auf die Bettkante.
„Wie hast du das gemacht?“ Seine dunklen Augen funkeln vor Neugierde und seine Pupillen weiten sich. „Wieso liegt der Inviolabilem-Zauber auf Chris?“
Ich zucke mit den Schultern. „Das war wohl eher eine Nebenwirkung des Inviolabilem-Zaubers, den ich an mir selbst gewirkt habe.“
Wieder erhebt er seinen Druidenstab und lässt ihn diesmal über meine Konturen schweben. „Oh ja, auf dir liegt er auch. Aber es ist ein Zauber, den nur die ausführende Hexe auf sich selbst anwenden kann. Er ist nicht übertragbar. Wie hast du das gemacht?“
„Wie schon gesagt, es war keine Absicht“, antworte ich als müsste ich mich verteidigen. „Ich habe gehört, dass es an unserer Gefährtenverbindung liegen könnte, denn im magischen Sinne sind wir ein und dieselbe Person.“
Plötzlich wirkt er zerknirscht und schlurft zum Fußende des Bettes, wo er misstrauisch auf Chris blickt. „Laut Roberta gibt es keinen weißen Zauber, mit dem sie mein Leben schützen könnte. Und nun kommst du daher und schenkst deinem Gefährten Unversehrtheit.“ Er schüttelt mit dem Kopf. „Interessant.“
„Der Inviolabilem-Zauber ist ein dunkler Zauber. Roberta kann ihn nicht anwenden. Außerdem seid ihr keine Gefährten, er würde also vielleicht gar nicht auf dich übergehen.“
Nun nickt er. „Ja, schon in Ordnung“, sagt er und winkt ab, doch auf seinem ledrigen Gesicht spiegelt sich eine Mischung aus Enttäuschung und Neid.