Читать книгу Scarlett Taylor - Mitternacht - Stefanie Purle - Страница 3

Kapitel 1

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„Darling, du könntest dir einfach wünschen, deine Mutter wiederzusehen.“

Ich gebe einen quiekenden Schrei von mir und falle vor Schreck beinahe von der Toilette. „Wer spricht da?“, frage ich und ziehe hastig meine Unterhose hoch.

Im nächsten Moment steigt schwarzer Rauch unter dem Türspalt hervor und manifestiert sich zu einem knapp drei Meter hohen Mann, mit asiatischen Gesichtszügen, mattschwarzer Haut und Augen in derselben Farbe. Er kreuzt die Arme vor der Brust und vollführt eine knappe Verbeugung.

„Guten Morgen, Meisterin“, sagt er und lächelt mich an, sodass die spitzen Enden seines Ziegenbartes nach oben schnellen.

„Dschinn!“, zische ich, als sei sein Name ein Schimpfwort. „Was fällt dir ein, hier einfach so reinzuplatzen?“

Die riesige, schwarze Gestalt zuckt mit den nackten Schultern. „Du wolltest wissen, wer da spricht. Also habe ich mich gezeigt. War das etwa nicht dein Wunsch?“

Fassungslos blicke ich das rabenschwarze Ungetüm an. Sogar die Zähne sind mattschwarz und nur ein Glänzen auf seiner Pupille verrät, in welche Richtung er gerade schaut. Ich habe ja schon vieles in meinem Leben gesehen, aber dieser drei Meter große, muskulöse Dschinn mit den mandelförmigen Augen, dem gezwirbelten Ziegenbart und seinem freien Oberkörper, der hier am frühen Morgen, nur in einer Art schwarzer Seidenhose bekleidet barfuß in meinem privaten Bad erscheint, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.

„So habe ich das natürlich nicht gemeint! Ich bestehe schon auf meine Privatsphäre!“, keife ich und drehe ihm den Rücken zu, während ich mir die Hände wasche.

„Ist das ein Wunsch?“

„Nein!“, schreie ich ihn an und in diesem Moment fliegt die Badezimmertür auf.

„Scar… Ach, du meine Güte!“ Chris tritt einen Schritt vor und taumelt beim Anblick des übergroßen Dschinns zwei Schritte wieder zurück. „Das… Das ist der Dschinn!“

„Ein cleveres Bürschchen hast du dir da geangelt, Meisterin.“

Chris ignoriert seine Worte. „Hast du ihn gerufen? Warum?“

Ich trockne mir die Hände ab und seufze. „Nein, ich habe ihn nicht gerufen. Glaub mir, ich kann darauf verzichten bei meiner Morgentoilette von einem pechschwarzen Ungetüm beobachtet zu werden!“

„Und warum ist er dann hier?“, will Chris wissen und deutet mit dem Arm auf den Dschinn, während er ihn misstrauisch mustert.

„Meine Meisterin braucht mich nicht zu rufen. Ich kann ihr jederzeit erscheinen, wann immer ich will, solange sie noch nicht alle Wünsche verbraucht hat“, erklärt der Dschinn und nimmt halb schwebend auf dem Rand der Badewanne Platz.

„Du darfst wieder in deiner Lampe verschwinden, okay? Ich rufe dich, wenn ich dich brauche!“

Ein hochnäsiges Lachen erklingt. „So funktioniert das leider nicht, Meisterin. Aber sei´s drum. Fürs erste will ich dich in Frieden lassen. Aber ich komme wieder. Früher oder später. Vergiss das nicht. Und dann wirst du dir etwas wünschen müssen. Ansonsten bin ich nicht mehr so freundlich und charismatisch.“ Er zwinkert mir zu und seine Umrisse lösen sich in schwarzem Nebel auf, der ebenso schnell verschwindet, wie er gekommen war.

„Den hatte ich fast vergessen“, gibt Chris zu, schüttelt mit dem Kopf und blickt dem dunklen Schatten hinterher, der dicht überm Teppichboden kriechend im Schlafzimmer verschwindet. „Was willst du mit ihm machen?“

„Keine Ahnung“, winke ich ab und schlüpfe in meine Jeans. „Er ist nicht gerade mein Hauptproblem. Um ihn kümmere ich mich, nachdem ich meine Mutter gefunden habe. Meine echte Mutter, nicht das seelenlose Double, mit dem wir bislang abgespeist wurden.“

Chris stützt sich am Rand des Waschbeckens ab und legt die Stirn in Falten. „Du denkst also echt, dass die Frau, die aus dem Wachkoma erwacht ist, nicht deine Mutter war?“

Ich beginne heftig zu nicken. „Ja, ganz sicher! Das würde auch erklären, warum sie mich nie sehen wollte, und warum sie immer Angst vor mir hatte, kaum etwas gesagt hat und nur aus dem Fenster starrte. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass das nicht meine echte Mutter war!“

„Dann glaubst du also auch, dass deine echte Mutter die ganze Zeit im Kerker der Libelle hockte? All die Jahre?“

„Ich weiß nicht, seit wann sie da unten war. Vielleicht haben sie sie auch gegen ein Double ausgetauscht, kurz nachdem ich meine Macht aktiviert habe, oder bevor der Fluch von ihr genommen wurde. Keine Ahnung.“

Ein paar Momente lang sieht Chris mir nachdenklich beim Anziehen und Haarebürsten zu und schweigt. „Kann es vielleicht sein, dass du dir wünschst, sie wäre die ganze Zeit über ein Double gewesen, weil das bedeuten würde, dass eure Beziehung doch nicht kaputt ist?“

Mit mürrischem Gesicht stehe ich vorm Spiegel und creme meine Haut mit beinahe schlagenden Bewegungen meiner Hände ein. Ich will ihm nicht Recht geben, weil es einfach zu weh tut. Wenn die Frau, die aus dem Wachkoma erwacht ist, wirklich meine Mutter ist, dann muss ich einsehen, dass unsere Beziehung nicht mehr die ist, die sie vor dem Koma war. Wenn sie wirklich meine Mutter ist, dann werde ich akzeptieren müssen, dass sie nichts mit mir zu tun haben will und lieber weit weg an die Küste gezogen ist, um mich bloß nicht zu oft zu sehen.

„Wir werden sie schon finden, Scarlett“, sagt Chris nun, kommt auf mich zu und zieht mich an sich, um mir einen Kuss auf den Scheitel zu drücken.

Nachdem ich im Bad fertig bin, überlasse ich es Chris und gehe hinunter in das kleine Büro, das mittlerweile zu meinem persönlichen Hexenzimmer geworden ist. In den Kommoden und Schränken bewahre ich diverse Zutaten für Zaubersprüche auf, und das Bücherregal quillt vor uralten Grimoires und Schattenbüchern beinahe über. Ich ziehe eine Schublade vom Schrank auf und hole ein Pendel mit einem schwarzen Onyx-Stein daran heraus. Dann suche ich nach einer Landkarte, die auch die Küstengebiete zeigt, immerhin war meine Mutter zuletzt offiziell mit Elvira in ihrem Häuschen an der Küste. Ich schlage den Straßenatlas auf und blättere ihn durch, bis ich die richtige Karte gefunden habe. Dann nehme ich mir das Pendel, lasse den Onyx ausschwingen und konzentriere mich auf meine Mutter.

Ich brauche nichts Persönliches von ihr und auch kein Foto, damit der Zauber funktioniert. Sie ist meine Mutter, unser Blut ist das Band, das uns verbindet. Also schließe ich kurz die Augen, rufe mir ihr Gesicht und ihre Stimme in Erinnerung und lasse alle Anspannung fallen. Erwartungsvoll schlage ich die Augen auf und bewege meinen Arm mit dem Pendel sachte über die Karte. Doch es geschieht nichts. Ich fahre einen Bereich von rund einhundert Kilometern um ihren neuen Wohnsitz ab, doch das Pendel reagiert nicht. Es schwingt nicht, sondern hängt nur starr herab und macht rein gar nichts.

Es sollte nicht so sein, aber in gewisser Weise freut es mich, dass das Pendel nicht reagiert, denn das kann nur bedeuten, dass meine Mutter nicht mehr an der Küste ist (und es vielleicht auch niemals war), was die Chance erhöht, dass sie womöglich doch in der Libelle ist (auch wenn es die Kerker dort nun nicht mehr gibt).

Ich wiederhole mein Pendeln an immer größer werdenden Karten, und endlich bei einer Karte von Europa schlägt es schwach über West-Frankreich aus. Immer weiter grenze ich das Gebiet ein, wo das Pendel eine sachte Regung anzeigt. Es zittert nur so schwach, dass ich es fast nicht erkennen kann, aber dieses kleine Zucken des Pendels ist alles was ich habe, um meine Mutter zu finden. Ich schaffe es, den Ort immer weiter einzugrenzen und zu meiner Überraschung endet die Spur in einem winzig kleinen Ort im Westen Frankreichs.

Ich überprüfe noch ein paar Male, ob ich das Pendel nicht vielleicht missverstanden habe, doch da ich als einzige Reaktion von ihm nur immer ein leichtes Zittern über genau diesem Ort erhalte, notiere ich mir den Namen der Gegend und klappe den Atlas zu.

Chris und ich werden also einen Ausflug nach Frankreich unternehmen.

Ich will gerade wieder nach oben gehen, um ihn über unsere Reisepläne in Kenntnis zu setzen, als es an der Haustür klopft.

Ein wenig verwundert über solch einen frühen Besuch öffne ich die Tür und begrüße Darius.

„Darius? Was machst du denn hier?“, frage ich, sichtbar irritiert und blicke an ihm vorbei. „Ist Roberta auch hier?“

„Nein, ich bin allein“, antwortet er und hält seinen mit Schnörkel verzierten Druidenstab umklammert.

„Okay. Willst du reinkommen?“, frage ich, als ein hellblauer Fiat Panda, dessen Fahrer ihn offenbar für einen Offroad-Wagen hält, über den Waldweg brettert und auf unser Haus zuhält. „Wer ist das denn?“

Darius dreht sich zum Geräusch des dröhnenden Motors um und ist ebenso irritiert wie ich es bin.

„Noch mehr Besucher zu dieser frühen Zeit?“, frage ich laut, zucke mit den Schultern und grinse.

„Es werden bald noch viel mehr sein“, prophezeit Darius mit Blick in Richtung des hellblauen Wagens und mein Grinsen gefriert.

„Wie meinst du das?“, hake ich nach, doch sein Blick ruht auf dem Auto, das vor unserer Garage parkt und dem mit einem gluckernden Hicks der Motor abgewürgt wird.

Die Türen schwingen auf und Naomi und Kitty steigen aus. Verwundert rufe ich ihre Namen. Naomi wirft die Autotür zu und kommt über den Kiesweg auf uns zu gerannt. Kitty jedoch ist damit beschäftigt, ihr weißes Kleid von Fusseln und Krümeln zu befreien und dabei ein möglichst angewidertes Gesicht aufzusetzen.

„Scarlett, Scarlett“, ruft Naomi aufgeregt und wirkt von dem kleinen Spurt völlig aus der Puste. „Ist alles in Ordnung? Geht es euch gut?“

„Ähm… Ja?“, antworte ich und frage mich, was das alles zu bedeuten hat. „Was ist denn los?“

Bevor sie antworten kann, schiebt Darius sich an mir vorbei ins Innere des Hauses und ich bitte Naomi und Kitty ebenfalls hinein. Naomi presst ihren braunen Lederrucksack dicht an ihre Brust und folgt Darius, während ich die Tür weiterhin für Kitty offenhalte, die in ihrem weißen Kleid den Kiesweg entlangschreitet, als wäre sie eine Braut auf dem Weg zum Altar.

„Was ist los?“, frage ich sie, als sie meine Höhe erreicht hat.

„Offenbar weniger als wir dachten“, antwortet sie und betritt das Haus.

„Wie meinst du das?“

Kitty seufzt und blickt sich im Wohnzimmer um. Sie schließt die Augen, zeigt mit den Handflächen nach oben und zieht die Stirn kraus, wie sie es immer macht, wenn sie die Antennen ihrer medialen Sinne ausstreckt.

Darius nimmt auf dem Ledersessel Platz. „Ein Kaffee wäre nicht schlecht.“

Naomi kniet sich vor den Wohnzimmertisch, kippt den Inhalt ihres Rucksackes darauf aus und sucht ihre Tarotkarten zusammen.

Ich starre sie mit offenem Mund nacheinander an. „Dürfte ich bitte erfahren, warum ihr drei zu solch früher Stunde unser Haus stürmt?“

„Was ist da unten los? Scarlett?“, dringt Chris´ Stimme nach unten und ich höre ihn die ersten Treppenstufen hinabsteigen.

„Wenn ich das nur wüsste!“

Unten angekommen reißt er für einen kurzen Moment beim Anblick unserer Gäste die Augen auf, fängt sich aber schnell wieder. „Ist alles in Ordnung? Gibt es einen Notfall?“

„Ja und nein“, antwortet Darius mystisch.

„Hey Chris…“ begrüßt Naomi meinen Gefährten, ohne den Blick von ihren Karten zu nehmen, die sie mittlerweile zu einem Stapel sortiert hat und auf dem Tisch auszulegen beginnt. „Wir wissen es noch nicht genau, aber irgendwas ist im Anmarsch.“

„Nicht irgendwas“, bemerkt Darius.

„Was? Wovon sprecht ihr?“, will ich wissen und bemerke selbst die Gereiztheit in meiner Stimme.

„Sie kommen“, murmelt Kitty mit geschlossenen Augen und wedelt mit der Hand in der Luft. „Sie kommen, und es sind viele.“

Scarlett Taylor - Mitternacht

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