Читать книгу Australien. Auswandern. Ausklamüsern. - Stefanie Schelzig - Страница 4
KAPITEL 1 ǀ DIE ANKUNFT
ОглавлениеIch glaube, jeder kennt das Gefühl, genau zu wissen, dass jemand sein Versprechen nicht einhalten wird.
Ich wusste, dass Sam mir nicht die Hälfte meines Flugtickets bezahlen würde wie er es zwei Monate zuvor versprochen hatte. In einer unserer Lieblingsbars, in der in dieser Nacht viel Tequila fließen sollte.
Ich wusste auch, dass er nie wieder ein Wort darüber verlieren würde. Er hatte es sogar aufgeschrieben, ein Mal für mich und ein Mal für ihn, damit er sich am nächsten Tag daran erinnerte. Unbedingt wollte er, dass ich wieder komme und vielleicht sogar Managerin in seinem Hostel werde.
Aber gut. Mir war klar, dass man Sam nicht für voll nehmen konnte und eigentlich wollte ich nur wieder weg. Weg von den Orten, die nur Erinnerungen hochbrachten, die ich nicht ertragen konnte.
Nun stand ich da, mit meinen 22 Jahren, einem Hotelmanagementabschluss in der Tasche, am Flughafen in Sydney, sieben Uhr morgens und kein Sam, der im Übrigen auch versprochen hatte, mich abzuholen.
Ernüchtert zog ich ein Ticket für den Zug und machte mich auf zu Circular Quay, um mich von der süßen alten Fähre mit runtergekommenen Sitzen und abblätterndem Anstrich eine halbe Stunde nach Manly durch einen vielversprechenden, trotzdem noch kühlen Morgen schippern zu lassen.
Es war ein überwältigendes Gefühl, als ich am Hafen ankam und die gewaltige Harbour Bridge erstreckte sich auf der linken Seite. Ich setzte mich auf eine Bank und die berühmte Sydney Opera lächelte mich verschlafen an.
Was ich in diesem Moment sah, kannten andere nur von der Postkarte. Und wie wunderschön diese Stadt wirklich war.
Ich war tatsächlich wieder in Australien.
Ich kam zurück nach Manly und es schien sich nichts verändert zu haben. Das Hostel, das vier Monate mein neues zu Hause gewesen war, schlummerte ruhig und still vor sich hin. Der Schatten lag tief auf dem weinroten Gebäude, das sogar durch die grauen Säulen der Balkone immer noch edel auf mich wirkte. Mein Schlüssel funktionierte sogar noch, bemerkte ich, als ich die weiße Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz im Türschloss schob und mir ein kurzes Klick-Geräusch mit einem gleichzeitig grün aufleuchtenden Lämpchen signalisierten, dass ich eintreten konnte. Keine Menschenseele war zu sehen, die Rezeption war leer.
Wo sind die denn alle? Ob Sam noch in Nr. 40 wohnt?, fragte ich mich.
Geschafft von dem langen Flug und der schweren Tasche, schleppte ich mich in den zweiten Stock und klopfte an die Tür von Nr. 40.
„Sam, bist du da? Hallo? Sam?“, fragte ich vorsichtig.
Niemand hörte, da schaute ich doch einfach mal nach. Da mein Schlüssel ja für alle Türen im Haus funktionierte, machte ich einfach auf und fand einen total fertigen, die ganze Nacht durchgemachten Sam halbtot im Bett vor. Nach ein paar Rüttlern konnte ich ihn zur Besinnung bringen und wie immer stand der blond gelockte Kerl innerhalb von zwei Sekunden top fit vor mir. Wie konnte man immer so guter Laune sein?
„Hey, Sonja, du bist schon da? Wie bist du denn hier her gekommen? Man, du siehst gut aus, lass dich umarmen.“, rief er freudestrahlend.
„Ich dachte, du holst mich vom Flughafen ab, hm.“
„Ja, aber du hast mir doch die Uhrzeit nicht geschrieben.“
Das war wieder mal klar gewesen. Er war immer so verplant. Ich wusste schon bevor ich abflog, als ich keine Antwort mehr von ihm bekommen hatte, dass er es vermasseln würde.
„Sam, die hab ich dir schon in der ersten Mail geschrieben, aber egal. wie geht‘s dir, was macht das Hostel?“
„Sehr gut. Die Apartments sind fast jede Nacht ausgebucht. Komm lass uns runter gehen. Die Maria müsste ja auch schon an der Rezeption sein.“
Charmant wie er ja doch immer war, schnappte er meine riesen Tasche und trug sie für mich zur Rezeption. Kaum unten angekommen, kam uns schon Maria entgegen und begrüßte mich mit ihrem entzückenden, französischen Akzent.
„Hey, Sonja, wie geht‘s dir? So cool, dich wieder zu sehen. Wie war dein Flug?“, fragte sie mich freudestrahlend.
Auch ihr konnte man ansehen, dass die zurückliegende Nacht lang gewesen sein musste, weil sie wahrscheinlich mit Sam gefeiert hatte. Sie sah so schon immer durch ihre kurzen Haare und ihre schmalen Lippen etwas ernster aus. Erst wenn man sie richtig zum Lachen brachte, konnte man die positive Lebenseinstellung in ihr erkennen. Aber an diesem Morgen stand ihr der Tod nur so ins Gesicht geschrieben und ihr ständiges Zähneknirschen machte es nicht besser.
„Mir geht‘s gut, danke. Wie gehts dir, Mensch? Ist so komisch, euch wieder zu sehen. Die zwei Monate kommen mir wie ein halbes Jahr vor.“ Ich war von dem Wiedersehen so überwältigt, dass ich Maria erst einmal eine dicke Umarmung verpasste.
Viel war passiert, in der Zeit, in der ich weg war. Ist ja immer so. Nie ist was los, bis man mal für eine Weile verschwindet. Maria hatte nun meinen Platz an der Rezeption. Ross, der wohl nie aus Manly wegkommen
sollte, war Night Manager geworden und Mia war auch neu in das Team gekommen.
Sam hatte sie an meinem letzten Tag interviewt. Es war der Tag gewesen, an welchem Sam beschlossen hatte, mir zu Ehren ein Abschieds-Barbecue am Shelly Beach zu schmeißen. Es kam eine Gruppe von ungefähr zehn Leuten zusammen, die sich nachmittags um zwei Uhr mal auf den Weg gemacht hatte, als Sam plötzlich einfiel, dass er um vier ein Gespräch mit Mia für eine Stelle an der Rezeption hatte. Ich fragte mich damals, wieso das ausgerechnet an meinem letzten Tag sein musste, ignorierte es aber schnell, um mir nicht die Laune zu verderben.
Der Tag war perfekt, um ihm am Strand zu verbringen. Der Himmel war strahlend blau und alle bester Laune. Während sich einige sofort an den Grill machten und das Essen zubereiteten, setzte sich die andere Hälfte auf ein paar Decken in den Sand. Es wurde ein sehr entspannter Nachmittag und ich war überglücklich, dass alle zu meinem Abschied zusammen gekommen waren.
Nach einem festlichen Mahl gesellte sich der Grillmeister Sam zu uns auf die Decke und rauchte tatsächlich einen Joint mit uns. Der damals noch brave Nichtraucher, das Nesthäkchen der Familie.
So verging die Zeit wie im Flug und plötzlich erinnerte ich mich als Einzige an das Gespräch mit Mia. „Hey, shit, Sam, Mia wartet im Hostel auf dich.“
„Ach ja, scheiße, ich muss los.“, flüsterte er.
Offensichtlich hatte der Dübel bei ihm seine Wirkung gezeigt. Wie bei uns allen und so dösten wir noch eine Weile vor uns hin, redeten über Nicole Kidman’s Hochzeit, die am nächsten Tag in der Burg stattfand und um halb
fünf fiel mir als Einzige wieder ein, dass Mia schon längst auf ihn wartete.
Todd, unser damaliger Night Manager, der wenige Tage später mit Maria zusammenkommen sollte, hatte den genialen Vorschlag, schnell noch einen zu bauen, gemütlich zu rauchen und dann könnten wir ja alle zusammen zurückgehen. Es brauchte nicht viel Überzeugungsarbeit, damit wir alle noch etwas länger in der Sonne chillten.
Dadurch kam Sam als der Manager des Ladens mal eine geschlagene Stunde zu spät zu dem Job-Interview. Und als ich auf dem Rückweg mit meiner damals engsten Freundin Sarah im Trubel Manly’s verloren ging und noch eine Stunde später ankam, starb ich fast vor Lachen, als ich Sam zusah, wie er immer noch völlig bekifft versuchte, ein vernünftiges Vorstellungsgespräch zu führen. Ja, das war ein lustiger Tag, um ihn als Abschied in Erinnerung zu behalten.
So saß ich dann zwei Monate später in der Rezeption als wäre ich nie weg gewesen und plauderte mit Sam und Maria in völliger Vertrautheit.
„In welches Zimmer stecken wir dich denn eigentlich? Mal sehen. Die drei ist leer. Die ist doch gut.“, beschloss Sam.
Ich hasste die Räume im Erdgeschoss. Sie kamen mir vor wie kleine, dunkle Löcher, Gefängniszellen und jetzt soll ich da drin wohnen? Was ist mit meinem coolen Zimmer, der 18 geworden?
„Ja, nee, das verkaufen wir jetzt immer schön als Twin. Läuft voll gut. Das können wir nicht mehr hergeben.“, erklärte mir Sam fast empört.
Na toll, fing ja schon mal gut an. Ich verdrückte mir einen Seufzer und versuchte, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
„Ja und es ist ok, dass du im Moment nur einen Tag pro Woche arbeiten kannst? Aber dafür bist du ja ab nächster Woche Night Manager, da sparst du dir ja schon mal Geld für die Unterkunft.“, fuhr Sam fort.
Was? Das ist ja nicht mal im Geringsten das, was Sam mir eigentlich versprochen hatte. Eine Schicht pro Woche? Wie soll ich davon leben? Ich dachte ja eigentlich schon, dass ich mindestens drei Schichten bekomme, ging es mir durch den Kopf. Night managen war der undankbarste Job. Man musste Leute mitten in der Nacht einchecken oder Gästen, die sich ausgesperrt hatten, die Türen aufmachen, egal um welche Uhrzeit. Außerdem musste man die „wunderschöne“ Küche putzen, nachdem sie um 23 Uhr geschlossen wurde. Dann hieß es den Abwasch von mindestens dreißig Leuten zu machen. Zum Glück gab es nicht mehr Geschirr. Nicht zu vergessen das Aufräumen des zugemüllten Innenhofs. Die auf den Holztischen zurückgelassenen hundert leeren Bierdosen, Bierflachen, Weinkartons und überfühlten Aschenbecher sollten am Morgen verschwunden sein.
Aber gut, immerhin spar ich mir schon mal die Miete. War wohl nix, überlegte ich mir und versuchte es positiv zu sehen.
Trotzdem machten sich schon die ersten Enttäuschungsgefühle in mir breit und auch Ärger, weil ich mich schon etwas rausgeschmissen fühlte. Maria war jetzt die neue Königin der Rezeption, ich konnte es sehen und fühlen. Ein merkwürdiges Gefühl, nachdem ich ihr alles beigebracht hatte und sie allen vorgestellt hatte. Das war aber nun doch schon ein paar Monate her. Die Zeit blieb nicht stehen. Was hatte ich erwartet? Dass sie ohne dich nicht konnten? Vielleicht.
Total frustriert schmiss ich meine Taschen in Zimmer 3 und setzte mich mit Tränen in den Augen auf eines der Betten.
Was hast du nur gemacht? Du musst dir ganz schnell was einfallen lassen. Scheiße.