Читать книгу Australien. Auswandern. Ausklamüsern. - Stefanie Schelzig - Страница 5
KAPITEL 2 ǀ DIE ERLÖSUNG
ОглавлениеNach drei Tagen totaler Übermüdung raffte ich mich endlich auf, um Bewerbungen für alle möglichen Hotels in Manly und Sydney fertig zu machen.
In diesem Hostel blieb ich nicht. Was war nur in den letzten zwei Monaten passiert? Dieses Haus hatte sich in einen totalen Albtraum verwandelt. Oder lag es nur an meiner Erschöpfung aufgrund des Jet Lags?
Ich konnte es nicht fassen, als ich am Abend nach meiner Ankunft in den Innenhof kam.
Sam, Maria, Ross und noch einige andere vertraute Gesichter saßen um einen der braunen Holztische, mit ungefähr dreißig leeren Bierflaschen, spielten Trinkspiele, als wären sie gerade sechzehn geworden und die Nacht sollte noch lange anhalten.
Ich setzte mich hin, rollte mir eine Zigarette und beobachtete das Geschehen mit klarer Distanziertheit. Man kann ja alles immer gut auf Müdigkeit schieben. Die Wahrheit war jedoch, dass ich zwar gerne mal eins trank, aber nicht so.
Ich fragte mich wirklich, ob ich schon so alt geworden war. Doch die anderen waren ja in meinem Alter oder teils sogar älter. Ich konnte selbst nicht verstehen, wieso ich null Bock auf dieses Party machen bis man in Ohnmacht fällt mehr hatte?
Während ich so das Spektakel angewidert beobachtete, versuchte ich weiter zu erforschen, was der Grund für mein plötzliches Sich-fehl-am-Platz-Fühlen sein könnte.
Lag es daran, dass ich zwei Monate weg war und meine Freunde zu Hause das auch alle schon so ziemlich durch hatten? Lag es daran, dass ich lieber gechillt einen Dübel rauchte, statt mir die Birne wegzukippen, mir die Seele auszukotzen, um dann am nächsten Tag zu jammern, wie scheiße es mir ging und mir dazu noch peinliche Geschichten anhören zu müssen, was ich denn die letzte Nacht alles gemacht hatte. In der Pubertät erklärte man der besten Freundin natürlich am Telefon, wie peinlich das ja war, aber eigentlich fand man’s lustig und war insgeheim richtig stolz drauf, dass man Spaß hatte und man fühlte sich erwachsen Schrägstrich cool.
Fünf Jahre später dachte man sich nur, wie bescheuert man war und packt die Geschichten aus, wenn es um die peinlichsten Momente im Leben ging. Vielleicht fing man in Deutschland einfach schon eher mit dem Alkohol an oder einfach nur ich und meine Leute damals oder die Australier und Engländer hören einfach nie auf. Auch könnte es damit zusammengehangen haben, dass es in anderen Ländern einfach strenger zuging. Trinken auf der Straße war verboten und so ein Kram. Wen interessierte das schon in Deutschland? Mit 14 hatten wir uns jeden Samstag in der Tankstelle schön die harten Sachen gekauft und uns auf dem Dach eines Parkhauses besoffen.
Das war in anderen Ländern nicht so einfach. Und so wird nach Australien gegangen, um so richtig die Sau raus zulassen. Manchmal kam es mir schon wie das englische Mallorca vor.
Keine Antwort findend und genervt von den Geschehnissen um mich herum entschloss ich mich, mich auf die Toilette zu
verziehen. Von dort aus konnte ich easy ins Erdgeschoss flüchten, um mich mit Surfen im Internet ein bisschen aufzumuntern.
„Hey Sonja, ich bezahl dir zwanzig Dollar, wenn du heute Night Manager für mich machst und ich mit den anderen weggehen kann.“, hörte ich plötzlich jemanden hinter mir sagen.
Zwanzig Dollar, warum denn nicht?, dachte ich mir sogleich. „Klar, kein Thema, mach ich gern.“, erwiderte ich und machte Ross damit eine riesen Freude. An was ich natürlich nicht gedacht hatte war, dass es Freitag war und Sam jeden Freitag für alle Gäste grillte. Da hatte ich mir einen guten Berg Abwasch aufgehalst.
Klasse gemacht, Sonja. Total genervt ließ ich in eins der Waschbecken heißes Wasser ein und begann, das dreckige Geschirr zusammen zu sammeln.
Obwohl ich keinen einzigen Anruf erhalten sollte, war es eine unruhige Nacht. Ich wachte ständig auf. Leute sangen, grölten, knallten Türen und was man sich noch alles so vorstellen konnte.
Oh Gott, ich will hier weg, ich halt das nicht aus. Ich will kein Night Manager in diesem Partyschuppen sein. Ich will nicht mehr auf diesen alten, viel zu weichen Matratzen schlafen, in einer Höhle als Zimmer mit piss-gelben Wänden und nem verranzten Teppich. Völlig verzweifelt jammerte ich mich in den Schlaf und hoffte, wenigstens noch ein paar Stunden Ruhe zu bekommen.
Am nächsten Morgen machte ich mir ernsthafte Gedanken, ob ich das tatsächlich vier Monate lang ignoriert hatte oder ob es daran lag, dass ich damals gute Freunde hatte, die entweder mittlerweile wieder heimgeflogen waren, rumreisten oder in ein hübsches Apartment gezogen waren, wie Steve und Carla, mit denen ich die letzten drei Monate verbracht hatte. Oder ob es vielleicht daran lag, dass wir einen coolen Balkon hatten, auf dem wir die meiste Zeit saßen, als ich mit Carla in Zimmer 18 wohnte und in dem anderen Zimmer, das Zugang zum Balkon hatte, Steve, Eduardo und Dan wohnten.
Ok, ich werde so schnell wie möglich einen anderen Job finden, mehr Geld verdienen und dann ne WG suchen. Guter Plan, beschloss ich nach einer halben Stunde grübeln und machte mich sofort daran, den bevorstehenden Tag zu meistern.
Nachdem ich mit Carla meinen Lebenslauf überarbeitet hatte und stundenlang am Computer saß, um diesen zu perfektionieren, traf ich mich am nächsten Tag gleich wieder mit ihr, um ein bisschen durch Sydney zu schlendern und nebenbei Bewerbungen zu verteilen. Das war schon mal ein guter Anfang. Was hätte ich nur ohne sie gemacht? Ich war so glücklich, dass ich wenigstens noch die beiden hatte.
Doch gleichzeitig war ich richtig neidisch auf ihr schönes Apartment, in das sie nur einen Monat zuvor gezogen waren. Die Wände waren so schön weiß und große Fenster erlaubten einen fantastischen Blick auf Freshwater Beach. Eigenes Bad, Küche und Schlafzimmer. Ich hatte mich in den zwei Monaten zu Hause doch schon wieder zu sehr an diesen Luxus gewöhnt. Deshalb besuchte ich die zwei jeden Tag, um solange wie nur möglich von dem Hostel wegzubleiben.
Es war schon amüsant, die beiden zusammen in ihrer eigenen Wohnung zu sehen. Ich kannte Steve damals schon, als Carla in sein Dorm im Backpackers gezogen war. Er hatte mir noch am ersten Tag zugeflüstert, wie süß er sie fand. Carla kam aus San Francisco und war Lehrerin. Sie lag mit ihren 27 Jahren genau zwischen Steve und mir. Wir verstanden uns auf Anhieb und verbrachten von da an jeden Tag zusammen. Ich mochte ihr magisch großes Lächeln und ihr reifes Auftreten. Ich lauschte ihr immer fleißig, wenn sie ihre Meinung kundtat. Auch wenn Lehrer oft engstirnig sind, sie können einfach gut erklären und wissen viel. So wurde Carla für mich eine Art Mentor und eine so gute Freundin, dass ich beschloss, aus meinem Privatzimmer zu ziehen, um mir einen Raum mit ihr zu teilen. Mit ihr fuhr ich zum ersten Mal in die Blue Mountains, nachdem sie es endlich geschafft hatte, ihren hundert Jahre alten Holden zu registrieren und zu versichern. Dieses kleine, zierliche Geschöpf mit dem großen, kräftig gebauten Steve zu sehen, war schon ungewöhnlich. Ich hatte Steve kennengelernt, als ich mir im Innenhof des Backpackers einen Platz zum frühstücken suchen wollte und er mir mit seiner kecken Art einen Platz an seinem Tisch anbot. Ich war noch nicht einmal eine Woche da gewesen und mein Englisch war sau mieserabel. Das brachte den Neuseeländer mit einem Viertel Maori-Abstammung nicht davon ab, mich voll zu texten und mir hundert Fragen zu stellen. Er machte viele Witze, oft sehr ungewöhnliche, manchmal beleidigende und lachte ständig über sich selbst. Seine beim Lachen hervortretenden vampirartigen Eckzähne gaben ihm einen etwas unheimlichen Touch, doch seine schwarzen Dreads und sein ständiges Sprücheklopfen glichen das wieder aus. Ich war mir anfangs noch nicht so sicher, ob ich ihm vertrauen konnte, doch mit der Zeit entstand eine so gute Freundschaft, dass ich anfangs nur mit ihm fließend kommunizieren konnte. Ich hatte es wirklich ihm zu verdanken, dass ich nach nur zwei Monaten fließend Englisch sprach. Er hatte das Eis gebrochen. Ein Kiwi, der wie viele andere nach einem besseren Leben in Australien suchte und nach seiner Tauchlehrer-Karriere in Cairns nach Manly ging, um sein Brot als Maler zu verdienen.
Fünf Tage nach meiner Ankunft hatte ich meinen ersten Arbeitstag im Hostel. Ich hatte nichts vergessen, außer wie stressig es doch um diese Jahreszeit schon war, da der Sommer nahte und alle Europäer vor dem Winter abhauten und sich ins warme Australien verzogen.
So saß ich leicht überwältigt von dem Ansturm an ein- und auscheckenden Leuten an der Rezeption, als plötzlich mein Telefon klingelte.
„Estefania.“, rief ich sogleich, als ich ihre Stimme am anderen Ende hörte.
Ich hatte sie erst vor zwei Tagen im Beach Inn besucht, um hallo zu sagen. Sie war schon damals, als das Backpackers und das Beach Inn noch von einem Besitzer geführt wurden, eine lustige Arbeitskollegin gewesen. Sehr trockener, lateinamerikanischer Humor.
„Hey Sonja, wann fängst du denn als Night Manager im Hostel an?“, fragte sie mich gerade heraus.
„Ab heute, wieso?“, fragte ich verwundert zurück.
„Ach, verdammt, weißt du, Tim hat sich einfach im letzten Moment Urlaub genommen, wollte einen Monat wegbleiben und jetzt hängt er einfach noch einen Monat dran und da wollte ich dich fragen, ob du es machen willst. Du kannst dann auch in das Apartment ziehen. Es ist halt sieben Tage die Woche. Wir wollen Tim eh nicht mehr haben. Er hat eh nie einen guten Job abgeliefert und Michael, der es für ihn übernommen hat, ist schrecklich. Er ist nur am Saufen, geht nicht ans Telefon, braucht zehn Stunden bis zur Tür und einen guten Eindruck macht er auch nicht gerade.“, erklärte sie mir etwas aufgeregt.
„Du machst Witze. Ich will das auf jeden Fall machen. Ich bekomme mein eigenes Apartment und komme aus diesem Hostel hier raus.“, sagte ich erfreut.
„Bist du dir sicher? Es ist sieben Tage die Woche, weißt du?“, fragte sie noch mal nach.
„Na klar. Das ist doch kein Problem. Es ist nicht so viel los und tausend Mal besser als hier im Hostel zu night managen.“, erklärte ich ihr.
„Und was ist mit Sam?
Denkst du, er wird böse sein?“
„Nee, auf gar keinen Fall. Die Maria macht nur wegen mir keinen Night Manager mehr. Sie wird es definitiv weiter machen. So kann sie doch wieder Miete sparen, solange Todd weg ist. Boah. Wie geil. Ich freu mich
so. Ich komm morgen gleich mal vorbei.“
Der erste Lichtblick nach nur knapp einer Woche.